Posted tagged ‘Reinhard Haneld’

Aus dem Bauch gedacht (Kleine Hasen)

20. Dezember 2011

Too much of Glühwein tonight (Dancing with de Sade)

Karneval in Absurdistan. Das Herz der Lustigkeit liegt in NRW. Hier werden wir seit irgendwann nur noch von starken Frauen regiert, das heißt von Hühnern, statt von Gockeln. Ist jetzt alles besser? Gewiss, schon irgendwie. Kuschliger, spontaner, vor allem aber noch mal 25% brunzdussliger. Ich weiß gar nicht, wen ich bezaubernder finde, die Ministerpräsidentin, die Bildungsministerin? Oder doch die Gesundheitsministerin? Die will jetzt die Nikotin-Kartuschen für E-Zigaretten verbieten. Oder nee, jetzt nicht gerade verbieten, vielleicht, eventuell, sondern apothekenpflichtig machen wie Nikotin-Pflaster. – Dann gibt es nur am Büdchen noch schädliche Zigaretten. Oder führt man die künftig auch in der Apotheke? „Ich hätte gern eine Dosis Aspirin-Brause und ein Päckchen HB, und, ach, vielleicht bisschen Hustensaft noch…“? Die Volksgesundheit jubelt und tanzt auf dem Ladentisch. Was Frauen evtl. tatsächlich besser können: Symbolischen Politaktivismus, der praktisch nichts kostet. – Apropos Hühner: Die kriegen weiter ihre Antibiotika. Scheiß auf Gesundheit!

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Der ulkige Schurke, der uns jahrelang mit seinem Besichtigungsfimmel begeisterte („Kim Jong Il is looking at things“): not longer available. Looking at grass roots now.  Falls im Kim-kommunistischen Kaiserreich von Nordlummerland denn überhaupt noch Gras wächst. Es ist wie in Serienkiller-Filmen: Kaum ist ein Unhold beseitigt, steht der nächste Irre schon hinterm Vorhang: Kim Jong Un, das neue Un-Wort des Jahres, der mopsgesichtige Mondprinz aus Nirgendstan. Man stelle sich vor, es hätte damals die Alliierten nicht gegeben: Wir würden heute von Adolfs Enkel Gernot-Kevin Hitler beherrscht!

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Wir müssen schon wissen, was wir wollen. Ein Bundespräsident hat die politische Wohlfühlfunktion, mit gütig-verständigem Gesicht Kindergärten zu besuchen, Weihnachtsansprachen zu halten und Staatsgäste zu empfangen. Wie soll er diesen hochbezahlten Job machen, wenn er ständig von der Medien-Meute wie der letzte Lump durchs Dorf getrieben wird? Dass das Politiker-Dasein eine gewisse soziale Devianz mit sich bringt, ist unumgänglicher Effekt der Rolle. Und was denn jetzt? Ich möchte bitte nicht, dass unser Land von einem asketischen Moral-Jakobiner repräsentiert wird! Das wäre dem Durchschnitt der Bevölkerung auch kaum angemessen. Wenn Herr Wulff lieber bei seinem reichen Schrotthändler-Freund in Florida Urlaub macht als in einer ökologisch betriebenen Jugendherberge auf Amrum – was schert mich das? Und wenn er gute, väterliche Freunde hat, die ihm nach der teuren Scheidung Geld leihen, freut mich das für ihn. Nicht, dass mir der Mann sonderlich sympathisch ist, aber im Amt ehren wir ja auch nicht die Person, sondern unsere Verfassung und damit uns selber. Ich muss gestehen, dass mich das allenthalben populär herumschwappende, hysterische Moralgetue ein bisschen langweilt. Schon grad, wenn die SPDler, die Komplizen des ollen Gazproll-Mannes Schröder, dabei die Trommel rühren.

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Ich bin einerseits so demütig, zuzugeben, von Politik nichts zu verstehen, andererseits arrogant genug, zu glauben, dass dies bei Politikern nicht anders ist. Selbstgewissheit ist, um sinngemäß ein Wort von Wolfgang Herrndorf zu zitieren, „das, was in kleinen Hasen wächst, wenn sie nachts allein durch den Wald hoppeln“.

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Heute letzter Seminar-Abend. Irgendwie schlittern wir unbeabsichtigt in die Apokalypse. Man überbietet sich in sinistren Prognosen über kommende Krisen und Katastrophen. Vergebens versuche ich, die Zukunft ins Heitere zu ziehen, aber letztlich ist es Klaus, der uns rettet: „Immerhin“, strahlt er Ruhe aus, „wir werden das alles nicht mehr erleben!“ – Entspannt gehen wir in den Weihnachtsurlaub. – Ah! zwei Wochen nichts denken!

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Apropos Seminar: Klamm hocken wir im abgeranzten, überheizten, dennoch zugigen, trist neon-befunzelten Zumutungsambiente (i. e.VHS-Raum) auf rachitischen 70er-Jahre-Möbeln und genießen die schmucklose Atmosphäre, die irgendwo zwischen nordkoreanischen Verhör-Zimmern und Kafkaeskem Albtraum changiert, und Heike flötet ansteckend fröhlich: „Also, ich weiß nicht, irgendwie find ich das hier schon wieder fast gut!“ Jetzt wussten wir aber einen Moment nicht, ist sie bloß die abgebrühteste Positiv-Denkerin der hiesigen Philosophen-Elite – oder aber schon dermaßen snobistisch, dass wir mit unserem Alltagssarkasmus hoffnungslos hinterher humpeln? Ein Engel durchflog den Raum.

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Ich weiß, ich bin bestimmt der Einzige, der sich diese Frage stellt, weil sie ihn quält, und zwar, weil gerade der „Nussknacker“ auf arte tanzt, ob es eventuell sein könnte, dass Tschaikowski ein unfassbarer Kitsch-Beutel war? Jedenfalls stelle ich hilfsweise die Behauptung in den Raum, dass er der erste Komponist war, dessen Musik man anhören kann, dass ihr Urheber schwul war. Wobei letzteres für mich kein Werturteil darstellt. Ich tanzte auch zu Sarabanden des Marquis de Sade!

Verdammt: Selbsternannt!

9. Dezember 2011

Messias (selbsternannt)

Zwei ältere Damen im Publikum, kurz vor meinem Kleist-Vortrag, während man noch Stullen, Pastillen und Hustinetten auspackt:

  • „Sinn ja gezz viel mehr Polizei da…“ –
  • „Ja? Wo denn?“ –
  • „Na, anne Demo vorne vor, datt sich da keiner hinsetzt auffe Straße oder so.“ –
  • „Gehss duu denn auf Demo?“ –
  • „Sischer! Haatz4, unn allet, imma Montach! Seit Jaarn schon!“ –
  • „Haatz4? Für meehr gezz, oder? Oder wie?“ –
  • „Auch, ja, für mehr unn gegen Arbeizbedingungn unn so…“ –
  • Unn imma montachs? Is aber doch teuer…?“ –
  • „Nee, hab ja Tickett…“ –
  • „Tickett könntense mia ma schenken. Ich fahr Farrad! Imma! Bisse schnellwech wenn ma watt is, Raubüberfall oder Vergewaltung…“ –
  • „Na. Na ja. Wolln ma gezz hören, watter Haneld uns saagn will…“

Uuuund: Spottlight an! Im Glanze tausender bildungsbürgerlich glühender Augenpaare erstrahlt der dicke, alte Magister. Er lächelt gütig und sagt: „Ahämm. Tja. Also. Kleist.“

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 Wenn dem Deutschen eines über die lodengrüne Hutschnurkordel geht, dann sind das Leute, die irgendwas machen oder sind, ohne behördlicherseits dazu ermächtigt zu sein, denn da könnte ja jeder kommen und Dinge anstellen, über die man keine Kontrolle hätte, bzw. gar nicht wüsste, ob das überhaupt erlaubt ist oder ob die da oben einen bloß mal wieder verarschen oder was. Deshalb ist die einzige Injurie, die sich im Nachkriegsdeutschen beinhart hält, diese: „selbsternannt“! Wenn ich mich recht erinnere, hat Max Goldt schon vor 8o Jahren darüber sich beömmelt, dass man ihn einen „selbsternannten Kolummnisten“ schimpfte.

Ich hingegen bin, schenkt man dem Kommentarpöbel Glauben, als „selbsternannter Islamkritiker“ unterwegs, weil ich mir vom Großmufti in Saudi-Kuckucksheim nicht die Erlaubnis geholt habe, seinen mittelalterlichen Scheiß für krank zu halten! Dabei kritisiere ich gar nichts. Wer daran glaubt, dass sich Gott einen analphabetischen arabischen Kamelhirten ausgesucht hat, um ihm seine zweifellos goldenen Worte zu diktieren, bitte. Solange er andere mit dem unsäglichen Quatsch in Ruhe lässt, soll mir sein Wahn egal sein.

Als ich früher beim Kinderschutzbund arbeitete, kam mal ein Typ zu mir, der glaubte, Jesus zu sein und den Auftrag zu haben, nach Reinheit in der Welt zu suchen. Ich bestärkte ihn in seinem Glauben, riet aber dazu, fürderhin die Reinheit nicht mehr mit Teleobjektiv unter den Röckchen siebenjähriger Spielplatz-Mädchen zu suchen. Wir schlossen einen Kompromiss. Er durfte weiter Jesus sein, sofern er aber der Pädophilie abschwor. Soweit ich weiß, hat das geklappt.

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Apropos krank. Ich habe an der Wikipedia-Universität Arzt studiert und bin der Meinung, ich litte eventuell, man verzeihe mir solche intimen Wartezimmer-Epen, an dem Dingsbums-Syndrom. Da so etwas leider ziemlich viele Menschen glauben, habe ich, wiewohl Privatpatient, beim einzigen deutschen Koryphäenspezialisten für dieses Syndrom erst im Februar einen Termin bekommen. Bis ich offiziell an der Diagnose erkranke, bin ich also lediglich ein selbsternannter Patient. Mal gut, dass ich nicht befürchte, Krebs zu haben!

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Nach dem Vortrag lasse ich immer die Kinder zu mir kommen. Leutselig antworte ich auf Zuhörer-Fragen. Die eine Dame von vorhin fragt: „Wie jetzt? Kant hat dem Dings, wie der heißt, gesagt, er soll welche ansprechen?“ – „Was, was? Wie jetzt?“ frage ich zurück. „Ja, und woher haben Sie denn überhaupt das, was sie da vorgelesen haben?“ – „Vorgelesen?“ – „Ja, die Blätter da, wo Sie in der Hand hatten!“ – „Die hab ich halt selber geschrieben. Is ja ’n Vortrag.“ Die Dame zweifelt: „Das von Kant auch?“„Nee, das natürlich nicht. Das hab ich zitiert.“ Sie guckt mich an als sei ich der leibhaftige Guttenberg. Mir wird das zu kompliziert. Ich greife in meiner Not zur Konfusionstechnik und trompete: „Genau! Ich wünsch Ihnen auch ein schönes Weihnachten!“ und husche aus dem Vortragssaal. – Manno, bevor ich noch mal behaupte, ich sei in der Erwachsenenbildung tätig, gestehe ich lieber: Ich bin ein selbsternannter Messias. Damit es wenigstens wirklich kracht.

Subserwies: Gebäudereinigung als Kunstkritik

22. November 2011

Der Großkünstler Joseph Beuys wird gerade zu heiß gebadet (Fotoquelle unklar, möglichwerweise urheberrechtlich geschützt; Rechteinhaber dürfen sich melden!)

Brühwarm erlebt und erzählt: Heute (!) im Seminar. Es herrschte reichlich kregle Stimmung (Die elitären Philo-Seminare vom alten Magister gehören zu den ganz wenigen Belegen für die sonst schwer haltbare These, dass man „auch ohne Alkohol lustig“ sein kann). Grundsätzlich ging es um den Versuch, zwischen Heidegger und Baudrillard ein dünnes Seil zu spannen, auf dem eine Philosophie des Mobiliars zu entwickeln wäre. Möbel sind in der klassischen Philosophie nämlich ein total unterschätztes Thema. Lange Zeit wurde verschwiegen, wie handgreiflich und übergriffig Möbel auf Körper und Seele ihres Besitzers einwirken. Wir hatten jedenfalls gerade über die psychoanalytischen Aspekte des Resopals diskutiert, das im Deutschland der frühen 50er Jahre zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, indem es die Sehnsucht nach Abwaschbarkeit in eins mit dem Wunsch nach geschichtlichem Gedächtnisverlust stillte, also nationalen Waschzwang mit Sühneverweigerung kombinierte, da gerieten wir irgendwie auf abwegigere Fragen, ausgelöst durch einen Versprecher von Klaus.

Klaus hatte dabei das Phänomen „dieser Kunstputzfrauen“ ins Gespräch gebracht, jener teils offensiv ignoranten, teils fundamentalistischen Reinigungskräfte, die andauernd sauteure Kunstwerke ruinieren, indem sie hartköpfig die Dekontextualisierung des Gebrauchsgegenstandes und seine museale Rekontextualisierung als Kunstwerk missachten, und dem Beuys oder dem Kippenberger seinen künstlerisch applizierten Dreck weg machten, um das jeweilig zu Kunstzwecken missbrauchte Gebrauchsdings wieder seiner vermeintlich ordnungsgemäßen Bestimmung zuzuführen.

Ich warf, verschärft scharfsinnig, dazu die Frage ins Geviert, ob es sich dabei nicht vielleicht möglicherweise um eine subversiv-kritische Kunstputzfrauen-Bewegung handeln könnte, die klandestin daran arbeite, postmoderne Überspanntheiten im Kunstbetrieb der Lächerlichkeit preiszugeben. Ich meine, wenn Banksy in Museen einbricht, nicht um Bilder zu stehlen, sondern um Bilder hinzuzufügen, warum sollte dann nicht eine Kunstputzbrigade für frischen Wind sorgen, indem sie den aufgeblasenem Kunstfurz Einhalt gebietet? Ihre Maxime wäre der bekannte Ausspruch: „Ist das noch Kunst, oder kann das schon weg?“ – Die Gattin nennt solche immerhin denkbaren Aktionen, ebenfalls aus einem Versprecher geboren, sinnig: subservice (sprich: subserwies), was eine Mischung aus Untergrund und Dienstleistung beschreibt. Gebäudereinigung als Kunstkritik!

Die ganze ontologische Verwirrung der Dingwelt hatte ja mit Marcel Duchamp begonnen, der ein Urinal und eine Schneeschaufel aus dem Baumarkt dadurch adelte, dass er das Zeug signierte und ins Museum stellte. Big deal damals, und mit einigermaßen verheerenden Auswirkungen auf die Kunstwelt und das Können an sich! – Und wenn man jetzt diesen Scheiß satt hätte und wäre der Geste überdrüssig, was hinderte einen, den hochintellektuellen Kunst- und Überfliegern ein wenig Flugangst beizubringen? Subversion kennt kein Ausruhen. „Nichts, das entsteht, ist wert, dass es nicht zu Grunde geht“ befand schon Goethes Mephisto in einem hellen Moment vulgo einem momentanen Anfall nihilistischer Grundstimmung.

Mein Lieblingssubserwies-Service begab sich einst in einer dem Kunstschamanen und Mental-Illusionisten Joseph Beuys gewidmeten Ausstellung, in der u. a. die Kinderbadewanne gezeigt wurde, in der Beuys als Kind gebadet wurde. „In dieser Wanne wurde Joseph Beuys als Kind gebadet“ beschied die angebrachte Legende feierlich ergriffen, und dann hatte jemand mit Kuli darunter gekritzelt: „Offenbar zu heiß!“ – Ich muss gestehen, dass mich, wahrscheinlich aus einer weltanschaulich fundierten Grundalbernheit heraus, solche Gemeinheiten resp. kynischen Spöttereien mehr erheitern als alle postmodernen Kunstexperimente sonst.

Ausnahmsweise ließ der Seminar-Leiter mal die Zügel streifen (vor allem die eigenen) und regte im Anschluss an eine Bemerkung von Erika an, darüber nachzudenken, ob man der Duchampschen Schneeschaufel ein, zwei oder drei weitere, freilich unsignierte, zur Seite stellen könnte, ohne dass es fad würde oder der Museums-Hausmeister dieselben in den Geräteschuppen verbrächte. „Anführungsstriche kann man nicht sehen!“ krähte ich, um zu einem Exkurs über Ironie anzusetzen. Leider ließ ich zwischendurch den Satz fallen: „Aber lassen wir das für heute“, worauf alle sofort aufsprangen, hektisch ihre Tasche packten und vor Schluss fluchtartig den Seminarraum verließen. Ich fürchte, meine Seminare ähneln sich mehr und mehr dem „Jour fixe“ des Traurigkeitslehrers Arnold Winterseel an (vgl. „Kategorien“ in diesem Blog!): Man hasst es, man fürchtet es, aber man geht trotzdem immer wieder hin.

Aus dem Alltag eines Berufsphilosophen

18. Mai 2011
Imannuel Kraska, als Kant

Mit meinem Beruf bin ich etwas verschämt. Dabei bin ich weder Zuhälter, noch Anwalt oder Immobilienmakler. Schamhaft nuschele ich immer was von „Dozent in der Erwachsenenbildung“. Dabei dürfte ich eigentlich ruhig zugeben, dass ich „Philosoph“ bin, denn das hab ich gelernt und das bin ich ja auch, zertifiziert, diplomiert und behördlicherseits ordnungsgemäß abgestempelt. Aber es klingt immer so blöd komisch, entweder prätentiös anmaßend oder, hm, etwas windbeutelig. Sage ich die Wahrheit, heißt es prompt mit kaum versteckter Häme: „Und was ARBEITET man so, als, ahem, … Philosoph?“  Darauf gibt es diverse Antworten mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt. Zum Beispiel könnte ich sagen:  „Ooch, direkt arbeiten tue ich eigentlich nicht, ich sitz bloß am Schreibtisch und unterstreich so in Büchern…“  Mit etwas mehr Lust zur Mystifikation klänge es vielleicht so:  „Tja, morgens nehm ich halt meine Medikamente, schniefe ein paar lines Koks, trinke Kaffee und dann geht’s zur Matinée mit Düsseldorfer Industriellen-Gattinnen, die mir an den Lippen hängen bzw. zu Füßen liegen und mir verstohlen prall gefüllte Sparbücher zustecken...“ –  Die Wahrheit liegt, leider, noch nicht mal irgendwo dazwischen.

In Wahrheit träume ich vor mich hin, prokrastiniere ziellos ins Blaue, grübele konfus über dieses & jenes – bis plötzlich das Telefon läutet. Ou-ou, jemand Offizielles! Vom ***Museum im Kant-Park! „Herr Magister Kraska!“ trompetet der junge Mann, „entschullien’se die frühe Störung! Wie Sie vielleicht wissen, leite ich das Philosophie-Café im *** Museum!“ –  „Gern“ repliziere ich (wg. der Störung), – „leider nicht“ (wg. dem Wissen) und  „viel Erfolg!“ – (wg. des bestimmt ambitionierten Vorhabens). – „Ich habe da so ein spezielles Konzept…“ verrät der Mann. – „Aha?“ antworte ich, mäßig interessiert. – „Jaha, und zwar möchte ich mal die Philosophie so mehr auf die theatralische Ebene heben, wenn Sie wissen, was ich meine…“ – Nö, keinen Schimmer, weswegen ich erstmal schweige. – „Ja, und in diesem Zusammenhang wäre da oder hätte ich mal die Frage, ob Sie vielleicht einen halbstündigen Vortrag über Kants Drei Kritiken halten möchten, draußen da, im Park, im Rahmen so einer theatralischen Performance, am Donnerstag?

Als ich noch jung und heißblütig war, hätte ich entweder zu lachen begonnen oder spontan etwas sehr Ätzendes formuliert. Reif und gelassen geworden, stelle ich hingegen sachdienliche Fragen: „Mit den drei Kritiken meinen Sie aber doch Immanuel Kants 2500-seitiges Hauptwerk, für das er 25 Jahre gebraucht hat? –  Mit Donnerstag meinen Sie übermorgen? – Und mit einer halben Stunde meinen Sie, äh, so… 30 Minuten? Ach so, und mit ‚theatralisch’, dass ich mich im Park verstecke, beim Auftauchen einer von Ihnen geführten Touristengruppe im Kant-Kostüm hinter einem Baum hervorspringe und ein bisschen was vor-philosophiere?“ – Auf jede Frage erntete ich ein „Ja“, wenn auch mit allmählich abnehmendem Selbstbewusstsein. Es gäbe, so der Anrufer, spürbar sich windend, evtl. als Honorar auch so, na ja, sagen wir vielleicht, hm, so … „hundert Euro?“ 

Kurz habe ich durchkalkuliert, was eine bulgarische Nutte bei mir um die Ecke in „Sin City“ für ’ne halbe Stunde ohne Gummi bekommt, dann habe ich abgelehnt. Erstens könnte ich im Rokoko-Kostüm allerhöchstens den dicken schottischen Bonvivant und Erz-Skeptiker David Hume verkörpern, nie und nimmer aber den bucklicht rachichitischen, asketischen Knochenmann Kant; zweitens sind selbst einem Didaktik-Genie wie mir zwei Tage Vorbereitung zu wenig; drittens könnte ich in 30 Minuten gerade mal „Meine verehrten Damen und Herren“ sagen; viertens sind die Zeiten, wo ich mich zu neckischen Spielchen im Park versteckte, seit einem Vierteljahrhundert vorbei. Außerdem, um ehrlich zu sein, für einen Hunni den Affen zu machen – das findet man mit Zwanzig okay, in meinem Alter aber nicht mehr, weswegen ich fünftens, vor allem leider aus Zeitgründen, die geschätzte Anfrage leider ablehnen müsse.

Hinterher hatte ich Skrupel und Grund zum Grübeln: Bin ich jetzt eine Diva geworden? Habe ich Allüren? Ich zog das Tao der Demut zu Rate. Aber selbst dort stand nicht, der Gelehrte („das alte Langohr“) habe sich prinzipiell zum Idioten zu machen.  Ich fühlte mich gestärkt. Es gab mir die Kraft, den Rest des Tages über die geistesverwahrloste Erlebnis-„Kultur“ der Gegenwart angemessen kulturkritische Gedanken zu wälzen. Beschlossen aber habe ich, zur Veranstaltungsreihe „Warum wir Kulturmanager allesamt verrohte Komplett-Idioten sind“ meinen Beitrag zu leisten. Zur Not im Nietzsche-Kostüm, mit dem Hammer in der Hand. – Als ich mein Erlebnis im Seminar-Kreise zum Besten gab, wurde mir versichert, man wäre aber bestimmt gekommen, mit der Kamera, um mich im Kant-Kostüm abzulichten. – Schön, wenn man Respekt genießt!

Acoustic Geddo (His Masters Voice)

14. Oktober 2010

So, jetzt sollte es klappen: Auf mehrfachen Wunsch der Artikel „Geddo Symphony“ vom Autor gelesen, als mp4

geddo symph

Über Samuel Beckett

26. Mai 2010

Samuel Beckett 1906-1989 (Foto: Jane Brown)

Bestseller waren Becketts Romane gerade nicht, sind es auch zu keiner Zeit geworden. Es sind Romane, wie das Jahrhundert sie verdient. Beim breiteren Publikum eilt ihnen der Ruf voraus, schwierig, langweilig, sogar unlesbar zu sein. Ein Vorurteil, das sich bei der heutigen Lektüre nicht unbedingt bestätigt. Becketts Romane sind voll von abgründigem, rabenschwarzem Humor, sie entfalten eine ganz eigentümliche, bizarre Poesie und der illusionslose Sarkasmus des Autors erlaubt diese ungerührten, hellsichtigen und zwingenden Einblicke in das Groteske, Heillose und Verstörende der menschlichen Existenz, wie sie zuvor nur Dostojewski und Kafka zustande gebracht haben. Beckett ist im Grunde ein großer Realist: seine Helden, Lebensversehrte und Halbkrüppel, sind allesamt so gut wie tot, stammeln eine Menge albernes sinnloses Zeug und begehen kraftlose, konfuse Handlungen, die zu nichts führen – sind sie also nicht wie du und ich? Der Blick auf die condition humaine ist nüchtern und unverstellt, aber immer hochkomisch. »Nichts ist komischer als das Unglück«. Man kann die Welt anders ansehen als Beckett – aber sicher nicht ehrlicher und illusionsloser.

Das Personal des Becketschen Prosawerks besteht aus Virtuosen des Unglücks, seltsam eigensinnigen, gleichmütigen Vergeblichkeitsartisten und Sinnverweigerern, verkrüppelt, von Schmerzen geplagt – Randgänger und komische Heilige, um ihr Ziel gebrachte Sucher und seit Ewigkeiten Wartende. Becketts frühe Romane sind Meisterwerke artistischen Sprachwitzes, abgründige Grotesken von einem Humor, so schwarz – um eine Lieblingssprachfigur von Beckett zu benutzen –, so schwarz also, daß schwarz schon nicht mehr das richtige Wort ist…

JETZT NEU IM „denkfixer„-BLOG (http://reinhardhaneld.wordpress.com):

Ein Vortrags-Text, der die Prosa-Werke Samuel Becketts vorstellt und erläutert – als PDF-Datei zum kostenlosen Downloaden!

Buster Keaton der Utopie: Anti-Giraffe und Quittenkompott

9. Dezember 2009

Schräger Phantast, "sapphischer" Feminist, Anti-Philosoph: Charles Fourier, 1772-1832

Auszug aus dem neuen Text auf  dem „denkfixer“-Blog:

„…auf der Erde hat es bislang zwei Schöpfungen gegeben. Die erste, eine Versuchsschöpfung, ist Gott im Überschwang der Schöpfungslust ein paar Nummern zu groß geraten, was wir an Saurierskeletten und Fossilien abmessen können; per Sintflut hat er sie wieder ausgewischt. Der zweite Versuch ist auch noch sehr mangelhaft; für Stagnation und Dürftigkeit ist jedoch die menschliche Gesellschaft verantwortlich. Wenn sie nach Fouriers Prinzipien sinnvoll umgestaltet wird, geht es mit den Schöpfungen wieder voran, von denen dann noch 14 weitere zu erwarten sind, eine schöner als die andere. Eine eigentümlich inverse Theodizee: Die Existenz des Bösen, Häßlichen und Gemeinen, sagen wir beispielsweise: von Spinnen, Ratten und »130 Arten ekligen Gewürms«, die versalzene Ungenießbarkeit des Meerwassers, die Unwirtlichkeit vieler Landstriche, ja selbst das schlechte Wetter Mitteleuropas sind Spiegel, in denen Gott den Menschen vorhält, wie sehr sie mit Gewalt, Vernunftkult und Triebrepression auf den falschen Weg geraten sind. Wenn die menschliche Harmonie auf der Erde verwirklicht wird, zieht das kosmische Veränderungen ungeahnten Ausmaßes nach sich. Durch gewisse planetarische und geoklimatische Transformationen hindurch wird es dann die 14 weiteren Schöpfungen geben. Es werden präzis 549 neue Tierarten entstehen, davon sieben Achtel zähmbare und nützliche.

Wir werden die Evolution der Anti-Ratte, des Anti-Löwen und der Anti-Krokodile erleben, die Verwandlung Europas und der nordpolaren Gebiete in eine Sommerfrische, die Aufforstung der Wüsten und die Umwandlung des Meerwassers in ein limonadenähnliches Getränk namens »Zedernsäure«. Die Nähe der harmonisierten Menschheit werden Tiere suchen, die bislang noch zu scheu sind, sich nutzen zu lassen, namentlich das Zebra, der Strauß und der wegen seines Fleißes löbliche Biber. Verschwinden werden hingegen »die Klapperschlange, die Bettwanze, die Millionen Insekten und Reptilien, die Seeungeheuer, Gifte, Pest, Tollwut, Lepra, Geschlechtskrankheiten, Gicht«. All diese Widrigkeiten waren nur Reflexe des Schmutzes, des Unrechts und der Gewalt, die unsere erbärmliche Gesellschaft, die sog. Zivilisation, in sich angesammelt hat; häßliches, gemeines, schädliches Getier ist ein von Gott in der Natur angebrachtes Zeichen, uns unsere eigene Häßlichkeit und Gemeinheit vor Augen zu führen; sie verlieren in der Zukunft ihre Funktion. Korrigiert werden bei der Gelegenheit auch gewisse »Schnitzer Gottes« bei der Schöpfung, unbequeme Meerengen und verkehrsungünstige Gebirge beispielsweise, auch unwirtliche Temperaturen, unfruchtbare Gebiete und ähnliche Webfehler der zweiten Schöpfung. Die globale Nachbesserung von Klima, Boden und Geostruktur wird für die 2 Milliarden dann lebenden Menschen ungeheure Reichtümer bringen, höchste Lebensqualität und wundervolle blühende Landschaften, dazu köstliche neue Früchte, leckere Fischsorten, delikate Quittenkompotts und, sieben Achtel des Jahres, schönes Wetter für alle. – Ich sehe Sie schmunzeln. Zugegeben, so isoliert erwecken solche Voraussagen einen gewissen Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Autors….“

Der gesamte Text ist dort als pdf-Datei ausdruckbar! Blogadresse:

http://reinhardhaneld.wordpress.com/

Sensationell: Kraskas anderes Ego schreibt auch!

8. Dezember 2009

Der Durchblicker: Zwerg Allwissend im Billy-Regal (erklärt die Welt...)

Es wird gemunkelt: Hinter den Kokshalden, hinter den sieben Stahlkombinaten, hinter dem Industriequalm der Montan-Montage wohnt Kraskas Dr. Jekyll: Der Zusammenhangsaufklärer, Traurigkeitslehrer, Rätselschleifer und lustige Rechtdenke-Mönch Reinhard Haneld. Hier in Duisburg zelebriert er seine klandestinen Geheimzusammenkünfte, um einer winzigen, im Grunde handverlesenen und stark überalterten Elite freier Geister die Geheimnisse der Philosophie zu erklären. Er kennt dabei weder Rücksicht noch Gnade. Er guckt Frau Sophia unter den Rock und schaut, was des Kaisers neue (oder altehrwürdige) Kleider wert sind.

Reinhartd Haneld ist der Bruce Lee des Denkkampfsports; er vereinigt den Sex-Appeal von Frau Hannelore Elsner mit der erkenntnisfördernden Galligkeit von Hannelore Hoger. Reinhard Haneld ist gewissermaßen der Charles Bronsen-Rächer jener, die an philosophischen Texten schon immer verzweifelten. Kurz melancholiert er auf der Mundharmonika, aber dann schießt er schon, blitzschnell, aus dem Hinterhalt.

Nun fragen immer wieder auswärtige Virtual-Freunde: Da will ich mal dabei sein! Nur: Wie soll ich denn bloß nach Duisburg kommen? Und wo krieg ich das Tickett für diese geheimen Denk-Parties? Und gibt das in Duisburg überhaupt Herbergen?

Alles nicht nötig, Freunde. Bruno Kraska hat sich entschieden: Er trennt sich von seinem Autor! Der krieg jetzt einen eigenen Blog! Die Adresse ist:

http://reinhardhaneld.wordpress.com/

und der Blog heißt mit halb gequälter Lustigkeit: „denkfixer„. Dort wird der Herr Magister Dr. Jekyll in loser Fortlaufenheit (?) seine rund hundert Vorträge, Aufsätze und Texte zur freien und kostenlosen Lektüre veröffentlichen, Texte, die sich mit Büchern und Autoren, Philosophie und Alltagsfragen befassen, Texte, die jeden Leser und jede Leserin auf Anhieb pro Stück und Stunde um ca. 24% klüger machen.  Und ihnen Atem und Nachtschlaf rauben!

Der Reigen beginnt mit einem Vortragstext über „Laienphilosophie„, also mit der Beantwortung der Frage, warum sich ganz normale, intelligente, geistig gesunde Menschen dennoch mit Philosophie beschäftigen sollten und was evtl. dabei herauskäme.

Hernach folgen weitere Texte: Über die Philosophie des Reisens etwa, über den Genuß, die Sinne und den Tod, aber auch Würdigungen unserer Lieblinge: Montaigne, Stirner, Nietzsche, Robert Walser, Samuel Beckett, Jorge Louis Borges usw. – Und alles ohne Kosten und Verpflichtungen! Dafür erwarte ich orntlichen Beifall, Nachbarn!

Nebenbei kann, wer sich für so was interessiert, Licht in das Dunkel der Frage bringen, welch Geistes Kind eigentlich Magister Kraska ist. Denen, die lesen mögen, wünsch ich viel Spaß. Den meisten anderen mach ich demnächst eine Zeichnung!

Einiges über Bilder aus dem „Wachturm“ der „Zeugen Jehovas“

22. April 2009
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Eine schwierige Frage!

 

Ist ein rebellisches Kind im Haus?“ – so frug, im kryptischen Zusammenhang mit einem Bild von der Arbeit im Weinberg, dereinst ein Titelblatt des „Wachturms„, der bekannten Erweckungszeitung der „Zeugen Jehovas“. Diese Frage ist schwer zu beantworten. Nach meiner persönlichen Erfahrung sind rebellische Kinder selten „im Haus“, weil, sie sind meistens „feiern“, „übernachten bei einer Freundin“, „lernen zusammen für die Klausur“, das heißt also, sie gucken zusammen „Germany’s next Top-Moppel“, haben Sex und/oder nehmen div. Drogen, „machen“ also „Party“. Genaugenommen: „In da houze“ sind rebellische Kinder eigentlich nur, wenn sie Geld brauchen, oder um den Kühlschrank zu plündern. – Aber wenn nun doch mal? Was mach ich mit dem rebellischen Kind, wenn ichs daheim ausnahmsweise vorfinde? Was empfiehlt der „Wachturm“? Soll ichs vielleicht mal präventiv züchtigen? Also aus Fürsorge gut und derbe durchhauen? Vorbeugend eine schallern? Wegen Rebellentum, Unbotmäßigkeit und unbefugter Widerwortigkeit? Ach, ich weiß nicht…

Ich war auch mal ein rebellisches Kind. Ja, hätte der Herr Vater für mich ebenfalls körbeweise Weintrauben gepflückt, wär es noch angegangen, aber die stattdessen angebotenen Ohrfeigen verschmähte ich regelmäßig und verließ das Haus, während mein Erzeuger mir etwas Unflätiges oder Erzieherisches hinterherbrüllte. Ich hielt ihn damals, ehrlich gesagt, für ein ziemliches Würstchen. Es ist das Vorrecht der rebellischen Jugend, aus dem Überschwang mangelnder Lebenserfahrung arrogante Urteile zu fällen. Heute weiß ich, daß Würstchenhaftigkeit ein Zustand ist, in den ein Mann der heutigen Zeit schneller hineinrutschen kann, als er glaubt. Besser, man akzeptiert eine gewisse Grundlächerlichkeit des gemeinen Gockels, dann ist man später nicht so beschämt. Und ehe sich die Damenwelt jetzt etwas einbildet: Der Weg von der Rosenknospe und Märchenfee zur Schnepfe, Schnalle oder Zicke ist ebenfalls abschüssig und schlüpfrig!

Eine ganz andere Frage, die mich interessiert, weil ich heut schon wieder zum Quengel-Trainer und Denksportwart Reinhard Haneld muß, ins Seminar für Bildästhetik und Hermeneutik, ist ebenfalls von den „Zeugen Jehovas“ aufgeworfen worden:

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„Ist es richtig, Bilder zur Anbetung zu verwenden?“ – so fragt hier bang eine Großmutter, Trümmerfrau oder Mutter Oberin, die, während ihre in einem höchstwahrscheinlich harten, arbeitsreichen Leben abgearbeiteten, knotigen Gichthände einen Rosenkranz befingern, das miniaturisierte Bildnis eines halbnackten jungen Mannes, den man gerade totgemartert hat, weniger betrachtet als argwöhnisch beäugt oder aber, besser, ahnungsvoll seherisch durch ihn hindurch visioniert. Tja, darf man? Die einen sagen so, die anderen so. Ikonoklasten die einen, Ikonodulen die anderen. (Wenn Ihr nicht wißt, was das ist, schlagts halt bei Wikipedia nach!) Die Lösung liegt in einem entschlossenen Es-kommt-darauf-an! Worauf? Nun, was auf dem Bild zu sehen ist. Bei Jesus wird in der Regel ein Auge zugedrückt. Einen gekreuzigten Frosch anzubeten, oder, wie kürzlich in der taz abgebildert, Bayern-Trainer Klinsmann am Kreuz, das ist schon problematischer.

Regelrechter Moralalarm schrillt jedoch, wenn, wie im folgenden zu sehen, eine junge Dame, möglicherweise ein halbes rebellisches Kind, sein Spiegelbild anbetet. Hier hat Satanas das Schminktischchen reich gedeckt! 

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Fräulein Kesse Lippe auf dem Weg zur Hölle

Wie man sieht, hat das Fräulein sich eine frivole Schleife ins Haar gemacht und zieht gerade seinen „Schmollmund“ mit Lippenstift nach!  Fräulein Kesse Lippe wird daher leider in der Gosse landen! Da nützt dem Backfisch auf dem Weg zum Gefallenen  Mädchen auch nicht das weiße, gestärkte Krägelchen oder der strenge Pferdeschwanz. Tut mir leid! Dieses Girl ist verdammt! Es hat schon vom süßen Gift der Sünde (Parfüm!) genascht! Später wird es mit Adam ausgehen, und bei der Rückkehr vom Kino gibt es Knutschen mit Zungenkuß, und „sie“ wird fragen: „Kommst du noch auf einen Apfel mit ‚rauf?“ Kehrt bloß um, im Fallen begriffene Mädchen! Meidet den verderbten Schminktisch, verabscheut den Spiegel und den kristalllüsternen Flakon! Es weilt kein Segen drauf!

Segen hingegen bekommt überreich, wer auf Jehova vertraut. Sollte ich je Lust haben, nackt, nur in einen Fransenvorhang gewickelt, in einen vergitterten Keller zu springen, in dem sich drei halbverhungerte männliche Löwen sowie eine wohl kaum weniger gesättigte weibliche Löwin befinden, so werde ich umgehend Jehova anrufen und bitten: „Hol mich hier ‚raus!“

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Irgendein Bruder Ephraim oder Hesekiel im Dschungelcamp

 

Alles neu! Alles gut?

19. April 2009
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Rennen, um wenigstens den Platz zu behaupten: Alice und die Königin

 Reinhard Haneld läßt das Neue alt aussehen:

ÜBER DEN KULT DER INNOVATION

Wer die schlichte Suchwort-Kombi „Jetzt neu“ googelt, bekommt knapp 4 Mio. Seiten geliefert. „Neu“ ist Konsum-Imperativ, aufmerksamkeits-ökonomische Schlüsselqualität und allgemeines Qualitätsversprechen. Neu ist schon mal gut! Betrachtet man Gebiete wie Ökonomie, Politik, Kunst und Kultur, so scheint sich heute Bertolt Brechts lyrische These aus den 20er Jahren zu bewahrheiten: „Alles Neue ist besser als alles Alte“! 

Aber das Neue ist nicht harmlos. Es kommt nicht einfach zum bereits Existierenden hinzu, es verdrängt Bewährtes, macht es zu Altem, Veraltetem. Immer schneller dreht sich heute die Innovationsspirale: Das Neue von heute ist morgen schon seinerseits wieder veraltet. Der ökonomische und wisssenschaftlich-technologische Innovationsdruck ist ungeheuer. Auf vielen Gebieten folgen wir heute der Logik der „roten“ (bei uns: schwarzen) Schach-Königin aus Lewis Carolls „Alice hinter den Spiegeln“: 

Nach einem rasanten Wettlauf mit der Königin, bei dem sie allerdings beide keinen Schritt vorwärtsgekommen sind, japst Alice: „…in unserer Gegend… kommt man im allgemeinen woandershin, wenn man so schnell und lange läuft wie wir eben.“ Die Königin aber versetzt verächtlich: „Behäbige Gegend! Hierzulande mußt du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. Und um woandershin zu kommen, muß man noch  mindestens doppelt so schnell laufen!“ Darauf weiß die Alice die einzig vernünftige Antwort: „Ich möchte bitte lieber nicht!“

Wir haben allerdings keine Wahl. Laufen wir im Hamsterrad permanenter Innovation nicht mehr mit, dann fliegen wir vom Laufband, gehören zum alten Eisen, geraten in Verdacht, den karriere-kategorischen Imperativ des „lebenslangen Lernens“ nicht mehr zu befolgen, und zur Strafe werden wir bald die einfachsten Dinge nicht mehr bewältigen können: Lesend und schreibend kommunizieren, telefonieren, fotographieren, unseren Fernseher programmieren, unser Auto fahren. Wer treibt wen? Treibt die Erneuerung uns mittlerweile schon vor sich her?

Immer war das nicht so. In vormodernen Epochen stand man dem Neuen mit Distanz und Skepsis gegenüber. In der Antike zum Beispiel, also bei denen, die man früher „die Alten“ nannte: Entweder leugnete man die Existenz des Neuen gleich ganz (Prediger Salomo: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“) oder schätzte es gering wie in der römischen Republik, in der man verächtlich auf den „homo novum“ herab sah, den Emporkömmling ohne die Abstammung aus einer der alten Familien Roms. In jenen Zeiten hatten es neue Bücher und Autoren schwer: Besser, der New-Comer publizierte unter fremdem, bereits etablierten Namen! Und wer reich werden wollte, in dem er eine neue Religion begründete, tat gut daran, den neuen Kult mit Altbekanntem zu verbinden. Das Alte, Bewährte versprach Sicherheit und Gewißheit. Die Ordnung der göttlichen Schöpfung war endgültig festgelegt – was konnte da überhaupt neu sein?

Nur langsam setzte sich die Akzeptanz des Neuen durch – die christliche Religion wirkt dabei paradoxerweise als Bremse und Motor zugleich! Sie brachte hervor, was sie zugleich mit ängstlichem Mißtrauen beäugte: die Neuzeit. Ein Dynamik entsteht, die sich schon bald nicht mehr aufhalten läßt. Das Alte, Hergebrachte verliert seine Ehrwürdigkeit, das Neue an sich wird zum Versprechen auf Besserung, Befreiung, ja, Erlösung…

Am Dienstag, den 21. April 2009 ist es um 20.00 Uhr wieder soweit: Der in Duisburg und Umgebung schon beinahe bekannte Philosophiedidaktiker Reinhard Haneld hält in der hiesigen Volkshochschule einen seiner interessanten Vorträge, bei denen es wie immer viel zu staunen und zu grübeln, manchmal auch etwas zu lachen gibt, sowie einen Sack voll Antworten auf Fragen, von denen man gar nicht wußte, das man sie auf dem Herzen hatte. – Also ich geh da wieder hin!