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Magister Jekyll und der Volksmund (Altersindolenz)

28. November 2012

Herr Gauck wird in ein Lied involviert (Foto: A. Probst)

Ich spreche ganz gut Volksmund, wenn es darauf ankommt, aber nicht gerne. Mir liegt das Rohe, Derbe, Gemeine nicht. Ich bin noch in der Goethe-Zeit aufgewachsen und finde, die Sprache eines älteren Herren sollte gepflegt, reinlich und voller Anmut sein. Also nicht gerade geschniegelt, auf Kante gebügelt und steifleinern, aber doch von Obszönitäten und gemaulten Schimpfreden frei. Leider überdauern meine guten Vorsätze nie die Silvesternacht, und so entfuhr mir kürzlich eine unfassbare Entgleisung, die mich zwar noch immer erröten lässt, die ich aber doch bekennen will. Kürzlich beobachtete ich nämlich auf dem Fernsehschirm die 3Sat-Kulturzeit-Schnepfe Tina Mendelsohn, wie sie gerade im Bezug auf den Nahost-Konflikt plapperte, man solle doch mal „die Narrative ändern“ und „die Hamas endlich von der Liste der Terrororganisationen streichen“. Da entfuhr es mir, ehe mich mir den Mund mit Seife auswaschen konnte, laut und herzhaft: „Du bist doch echt eine scheißblöde Antisemiten-Kuh!“ – Oh Mann, und jetzt lüge ich auch noch! Ich habe gar nicht Kuh gesagt, sondern – zarten Gemütern empfehle ich, jetzt einen Piepton beliebiger Länge einzublenden – … Fotze. Echt. Antisemiten-Fotze! Entsetzlich, oder? Na ja, so entsetzlich auch wieder nicht, denn zum Glück war ich ganz allein im Fernsehzimmer, und Frau Mendelsohn im Flachbildland hat mich nicht gehört. Ins Gesicht gesagt hätte ich ihr solche Unflätigkeiten natürlich nicht! Obwohl, die hätte bestimmt eine ordentliche Schnute gezogen und einen Flunsch dazu mit ihren dicken Aufblaslippen, die dumme Kuh!

Der Volksmund sagt gern, wenn ihn Ereignisse unberührt lassen, sie gingen ihm „am Arsch vorbei“. Ich zitiere das nur, ich selber würde den Begriff indolent vorziehen. Meine Indolenz erreicht derzeit das Stadium einer gewissen Altersabgebrühtheit, stelle ich fest. Die letzten Tage war hier nämlich der Teufel los, aber mein Ruhepuls lag trotzdem kaum über der Raumtemperatur. Zuerst kam Opa Gauck, der Bundespräsident aller Gutwilligen und Harmlosen, direktemang mitten ins Geddo. Ach was sage ich, in meine Straße! Die wurde dafür den ganzen Tag gesperrt, der Müll wurde weggeräumt und die Anwohner, das Geddo-Gesindel, bekamen, zack, Hausarrest. Gauck kam dann, als die Luft rein war, und hat angenehm unverlausten, frisch schamponierten Migrantenkindern den Kopf getätschelt, die ihm dafür was gemalt haben. Zum Höhepunkt haben sie ihm auch noch ein Lied vorgesungen. Der Presse entnehme ich, der Präsident sei „sogar in das Lied involviert“ worden. Ich war noch nie in ein Lied involviert, glaube ich. Wie das geht, weiß ich gar nicht. Das heißt, ich weiß es in diesem Fall ja doch: Er hat mitgeklatscht! Es gibt sogar ein Beweisfoto in der Lokalzeitung, obwohl man auf einem Foto natürlich gar nicht sehen kann, ob einer klatscht oder nur mit den Händen anzeigt, wie weit ihm die scheiß Symbolpolitik zum Hals raushängt. Ups, schon wieder der böse Volksmund!

Kaum war der Gutmensch abgedampft, hat man nebenan eine Weltkriegsbombe gefunden, die siebente in diesem Jahr, 500 Kg bester Sprengstoff mit Säurezünder, und zugleich brannte im Geddo auch noch eine Schule ab. Oh, oh. Den ganzen Abend bretterten alle dreihundert Löschzüge der Region mit Blaulicht und Sirene panisch durch die Stadt und veranstalteten ein solches Chaos, das alles Leben zum Erliegen kam. Eigentlich hätte man die Bombe auch gleich hochgehen lassen können. Sogar der Weihnachtsmarkt wurde teilweise evakuiert, während im anderen Teil das Gedudel eines Karussells sich in das Sirenengeheul mischte. Ich radelte munter dran vorbei und amüsierte mich darüber, dass die einzige Möglichkeit, in der Stadt mit dem Auto voranzukommen, darin bestand, in dieses Karussell zu steigen. Zum Beispiel in ein Feuerwehrauto.  Bizarr, aber lustig. So weit zu meiner Indolenz. Ich habe trotz allem meinen Abend-Vortrag über den Selbstmord durchgezogen. Viele Zuhörer blieben auf der Strecke, allerdings schon vorher, weil die Autobahn abgeriegelt war.

Das alles hat mich kaum tangiert. Blöder ist schon, dass die Gattin zur Wellnessüberholung weg ist. Gut, man bekommt sie vielleicht wie neu wieder, aber erst einmal fehlt sie bitterlich, und mir ist novembrig zumute. Ja, wäre sie eine Zimtzicke, dann käme vielleicht ein Hauch diebischer Freude auf über ihre Abwesenheit, aber das ist sie ja nicht. Sie ist eine gute Frau. Männer mit schlechten Frauen führen ein trauriges Leben, das kneift und kratzt wie ein härenes Hemd. Oft sieht man solche Männer im Schlafanzug einsam durch ihren Garten streifen und aus lauter Verzweiflung Käfer fotografieren. Ich möchte das nicht. Ich möchte auch nicht, dass die Gattin dies hier liest und daher jetzt weiß, was ich zu Tina Mendelsohn gesagt habe. Sie soll nicht an meiner Gesittung zweifeln, sondern mir den Kopf tätscheln, sich in ein Liebeslied involvieren lassen und: Magister Jekyll, möge sie sagen, dein Herr Hyde geht mir am Arsch vorbei, – und nun hopphopp, Leergut wegbringen!

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Real gone

20. Juli 2012

„Sach ma, wo is eintlich der Proff gezz immer? Ich wollt ma nach dem hin wegen so paar kleine Schriftstücke…“ – Tut mir leid, Freunde. The master of desaster(-prevention) is temporarily not available. Ich muss jetzt in den Obergrund. Untergrund ist zu voll geworden. Außerdem brauch ich mal gemäßigte Sozialklima-Tapeten und will auch nicht mehr immer der bunte Hund sein. Inzwischen kennen mich sogar die beiden Brennpunkt-Bullen schon so gut, dass man auf der Straße stehen bleibt, um ein Pläuschchen mit mir zu halten: Wie läufts? Alles ruhig? Irgendwelche neuen Drogerie-Märkte eröffnet? Die Herren haben übrigens – was? Etwa Verstärkung bekommen? Na, das nun nicht gerade, aber brandneue, total schnieke dunkelblaue Uniformen, dazu blaue Krawatten und schneeweiße s-steife Dienstmützen. Wenn das doppelte Kriminalabschreckungslottchen des Sommermorgens, wenn es mal nicht regnet, gemeinsam Arm in Arm im Geddo auf Streife geht, sehen sie aus wie Kapitänleutnants-zur-See auf Landgang. Hey-Ho! Dies nur nebenbei. Alles wird gut, manches sogar besser.

Einige Nachbar-Menschen werden mir fehlen: Der Trinkteufel und eiserne Sportrentner Horst, der dauertraurige Milan, mein Busenfreund und Busfahrer Branco-Bär natürlich, und sogar der bekloppte Nachbar, Bastelbaumeister  und Spezialist für die Produktion kostspieliger Wasserschäden, Emre Özgur, sowie sowieso die gescheite nette Kopftuch-Frau von gegenüber, die mir immer meine Vorurteile zerlegt hat; dazu „Mazze“ Vlado, der mazedonische Ex-Seemann, der in Ex-Jugoslawien immer nur in der Kaserne blieb („war wegen damalig leider scharfes Mangel an Schiffe, verstehst?“), ferner Ahmed (Import-Export), besonders überdies Pitti, der stocktaube Hausbesorgerinnen-Witwer, treue Blockwart und Hausverweser der Mülldomäne; die black community werde ich nahezu durch die Bank vermissen – die Männer, mehr noch ihre Königinnen und am meisten die blitzgescheiten, pfiffigen polyglotten Milchkaffee-Kids, dazu noch die blujungen, ranken beauty queens des Disco-Islam, allen voran Azizze, das kurdische Bildungsdornröschen, und zu guter letzt vor allem Werner Rombach, den lebenstüchtigen, aber interessanterweise komplett wahnsinnigen Querulatoriker und international umtriebigen Nah-Ost-Korrespondenten aus Phantasialand.

Weitaus weniger wird mir die Bande der altdeutschen Alk-Fraktion abgehen, die in dem verschimmelten Loch unter mir bis vor kurzem nachts um drei oder Hatz4 ihre Wodka-Parties feierte, stur weg allnächtlich Marius-Müller-Westernhagen-Hits aus den 70ern gröhlte und mich – halbwegs widerwillig – die Muslime hoch schätzen lehrte, die wenigstens niemals volltrunken durch die Nacht klabautern und auch nicht morgens ihre doofen Mops-Köter zum Scheißen in den Hof schicken.

Was ich sonst noch erleichtert hinter mir lasse, erwähne ich nicht, um den stets über mir schwebenden Vorwurf der Ausländerfeindseligkeit zu umgehen. Dabei bin ich nicht im mindesten Fremdenfeind, im Gegenteil, ich kann nur Menschen generell nicht besonders gut leiden. Wo sie jeweils im Einzel- oder Gruppenfall dahergeschneit kommen, ist mir dabei herzlich egal. Blödheit ist per se kosmopolitisch und eine durchaus globale Erscheinung – das lernt man im Geddo. Überhaupt durfte ich hier eine Menge kapieren lernen: Z. B., dass der viel beschworene Multikulturalismus im wesentlichen darin besteht und solchermaßen funktioniert, dass ein gutes Hundert diverser Nationen auf engstem Raum, unter Aufbietung aller erdenklichen Höflichkeit und diskreter Distanz, gepflegt aneinander vorbeilebt.

Was Besucher aus dem bürgerlichen Ausland ja nie glauben wollen: Sicherer als hier ist es nirgends. Drei Jahre im übelbeleumdesten Geddo – und ich fahre immer noch das gleiche Fahrrad! Das ist ein Rekord, den ich im „bürgerlichen“ Innenstadtviertel nie geschafft habe. Es wird ja viel, unter anderem von mir, über die archaischen und mittelalterlichen Mentalitäten gewisser Zugewanderter geredet. Aber, mal im Ernst und andererseits: Zu den überkommenen Traditionen gehört auch der Respekt vor älteren Menschen und vor Lehrern. Ich habe das zu schätzen gelernt.

Jetzt bin ich ein paar Tage offline.

Demnächst something completely different: Spannende Berichte über Rollatoren-Rocker, Kirchentags-Punks und die allsonntägliche Morgenmahls-Prozession der Methadon-Marginalen. Geddo, Leute, ist im Grunde nämlich überall.

Ethik-Dilemma im Geddo (The long good-bye IV)

9. Juli 2012

Der Parfumeur-Performer: Im Geddo keine Hilfe

Man darf mich für kapriziös halten, für einen Snob oder gleich für ein voll schwules Weichei, aber neulich saß ich halt im Geddo in der Grün-Oase auf meiner Lieblingsbank, von der ich den schwunghaften Ganja-Handel und den Basketball-Court gleichermaßen im Blick habe, und las Rilke. Sonette an Orpheus, glaub ich. Mir war danach und es ist ja ein freies Land. Manche desillusionierten Kritiker halten Rainer Maria Rilke für einen sprachlichen Parfumeur-Performer, der immer mehr oder minder hart an der Kitschgrenze entlang schrammt. Kann gut sein, aber als obsessiver Olfaktoriker schätze ich erlesene Düfte, auch wenn sie mehr versprechen, als sie je halten können. Ist es denn mit schönen Frauen anders? (Rhetorische Frage, bitte nicht antworten!) Und dennoch verehrt man sie und schaut ihnen traumverloren hinterher. Also bitte, Rilke. Gerade buchstabierte ich halblaut skandierend mein Lieblingssonett mit seinem unnachahmlich buddhistischen Flair:

„Sei allem Abschied voraus, als wäre er hinter / dir, wie der Winter, der eben geht.  / Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter, / dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.“

Hach, herrlich, oder? Und so tief gedacht, nicht wahr? – „Du scheiß Votze, ich hau dich zu Brei, dich brauch ich nicht, du Drecksnutte, kriegst gleich in die Fresse, du blöde fette Sau!“ – Was ich da hören musste, erzeugte bei mir zusammen mit der Rilke-Lektüre etwas, das der Fachmann mit gewissem Recht eine kognitive Dissonanz nennt. Ich meine, in den Kreisen erlesen edelblütenhafter Gräfinnen, in denen – also den Kreisen! – der zart besaitete Dichter verkehrte, war „Ich ersterbe, wenn ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis ihre Hand küssen darf“ ungefähr das Verwegenste, was man einer Dame gegenüber äußern durfte. Wenn überhaupt.

Hier aber hatte ich, keine fünf Meter von meiner Kontemplationsbank entfernt, einen nach Schweiß stinkenden Gorilla mit abschreckender Akne-Fresse, hennagefärbtem Islamisten-Bart und muckibudengestählten Bergen kalten Fetts vor mir, der das bleiche, verhärmte Mädel, das er am Halsband führte, an den dünnen, schweißnassen Haaren zog und Schattenboxhiebe gegen ihre Brüste vollführte, sie unentwegt unflätig bedrohte, drangsalierte und genussvoll demütigte. Man konnte sehen, wie ihm dabei in seiner ballonseidenen Trainingshose fast einer abging. Über seinem Bauch spannte sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Thug life“. Ohne Frage schlug der Schläger-Typ in die Kategorie von Männern, denen ich gern ein finales Anti-Gewalt-Training verabreicht hätte – die nötigen Werkzeuge hatte ich ja immerhin in der Fahrradtasche dabei: einen 80.000-Volt Elektro-Taser, einen CS-Gas-9mm-Beretta-Nachbau, der fast wie echt aussieht, sowie ein rasierklingenscharfes, tückisch gekrümmtes vietnamesisches Krabbenausbeinmesser, mit dem man renitente Bluthochdruckpatienten, wenn man sich beeilt, blitzschnell Erleichterung verschaffen kann. Das übliche Geddo-Besteck halt.

Ehe ich mich versah, befand ich mich aber nun in einem mittelschweren Dilemma, wie man es aus dem Ethik-Unterricht in der Elften kennt: Einerseits kann man ja wohl nicht weiter einfach Rilke lesen, wenn nebenan in der lieblosen Realität eine Frau bedroht wird, andererseits war der gottgefällige Mohammedaner und fromme Frauendompteur mit ca. 30 Jahren eindeutig fitter als ich, bei dem, mit knapp sechzig, die Kampfsportzeiten schon so lange zurückliegen, dass ich mich kaum noch erinnern kann, welche Farbe damals mein Gürtel hatte. Außerdem war noch keine Straftat begangen worden, die wirklich drastische Notwehr gerechtfertigt hätte. Was also tun? Die Bullen rufen? Ha ha. „Die Bullen“ sind in der Geddo-Wache zwei (2) liebenswürdige ältere Herren knapp vor der Pensionsgrenze, deren einzige Waffe in dem Glauben besteht, ihre Uniform könne evtl. irgendwie eine abschreckende Wirkung zeitigen. Bei elfjährigen Roma-Jungen klappt das auch ganz gut. Sie (die Bullen) sind in den Dienstzeiten von 8.30 bis 16.00 Uhr telefonisch erreichbar. Soweit zur Staatsgewalt und ihrem Gewaltmonopol.

Verkompliziert wurde die Situation dadurch, dass das kujonierte Mädchen gegen seine entwürdigende Behandlung nicht etwa protestierte, sondern die ganze Zeit bloß jammerte: „Gib mir wenixens meine Kippen!“ Noch mal: Was jetzt tun?

Rilke riet: „Sei – und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung, / den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung, / daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.“ – Also, eine wirkliche Hilfe war das nun auch nicht!

 

Das Geddo zeigt Flagge (Patriotentrost)

14. Juni 2012

Nicht alle Flaggen im Schrank

Nachts um elf am Brückenplatz: Eine wüst schreiende Horde wild gestikulierender Schwarzer stürmt im Laufschritt auf mich zu. Sie schütteln die Fäuste in den Nachthimmel und blecken die schneeweißen Zähne. Hab ich etwa Angst? Ach, I wo! Denn erstens hat mich das Alter und das Leben im Geddo verblüffend angstfrei gemacht, und zweitens, die vermeintlichen Menschenfresser aus den Ölsümpfen Nigerias skandieren ja nur ein ums andre Mal frenetisch „Isch-liebbe-Deutsche-land“, umarmen mich, bedecken mich mit feuchten Küssen, schütteln mir die Hand und rufen „Danke! Danke!“ – obwohl ich streng genommen ja gar nicht mal mitgespielt hatte. Bescheiden abwehrend, und doch auch halbwegs und dezent in den Jubel einstimmend, nahm ich die Huldigungen entgegen. Was hätte ich denn machen sollen?

Der mit Abstand fanatischste und bekloppteste Deutschland-Fan im Viertel hat seinen Ford Mondeo vierfach schwarz-rot-gold beflaggt, die Rückspiegel sind in den gleichen Farben bezogen und dito sogar noch die komplette Vordersitze. Es grenzt fast ans Übertriebene; der gefürchtete deutsche Neo-Chauvinismus wird indes nicht unerheblich dadurch gemildert, dass der Fahrer ein zierlicher, sehr dunkelhäutiger Tamile ist.

„Deutschland! Deutschland!“ rufen die Bulgarenkinder auf der Straße mit leuchtenden Augen und tröten inbrünstig in ihre Vuvuzelas. Vorerst ist es wohl das erste und einzige deutsche Wort, das sie kennen. Aber immerhin. Ich meine – besser als „…deine Mutter!“, oder?

Hell und sonnig lächelnd flattert das schwarz-rot-goldene Fähnchen derzeit auch aus meinem Fenster, und zwar, im Gegensatz zu 2010, gänzlich unironisch und mit Eichendorffscher Treuherzigkeit – ich weiß aber nicht, ob meine Mitbürger den Unterschied zwischen einer ironisch-distanzierten und einer naiv doofen Begeisterungsbeflaggung registrieren. Meine schwarze Flagge mit dem Totenkopf bleibt diesmal im Schrank. Die Piraten-Partei hat mir den Spaß verdorben.

Ein bisschen muffig stellt sich allein der hier ansässige türkische Mittelstand an. Die rote Fahne mit Stern und Halbmond trauen sie sich nicht zu zeigen, wegen der Schmach der Nicht-Qualifikation, aber zur deutschen können sie sich, nach erst dreißig Jahren hier, auch noch nicht recht durchringen. Christliche Nigerianer, diffus synkretistische Roma-Bulgaren und hinduistische Tamilen scheinen mir dahingehend, und das meine ich rein komparativ und ohne rassistische Untertöne, im Durchschnitt geistig etwas beweglicher. Fairerweise muss man zugeben, dass Tamilen, Bulgaren und Schwarzafrikaner auch nicht alltäglich unter dem Ansturm der „Islamophobie“ zu leiden haben. Dauerbeleidigtsein ist halt auch kräftezehrend.

Der Fahnenquatsch kann auch hilfreich und belehrend wirken. Nach drei Jahren, in denen ich sie für die letzten Deutschen im Viertel hielt, erweisen sich meine Nachbarn von gegenüber nun dann doch letztendlich als Polen. Bei dieser interessanten Erfahrung kam mir in den Sinn, dass ich es vielleicht hübsch fände, wenn die Belegschaft in unserem Geddo, wenigstens sonntags etwa, mal versuchsweise identifizierende Nationaltrikots trüge. Ich könnte mir vorstellen, dass dies zu einer differenzierteren Betrachtungsweise unserer Mitbürger führen könnte, ein Gedanke, den ich jedoch noch in der Halbzeit verwarf, da ich, von einer Überdosis Fußball affiziert, derzeit nichts Haltbares zu denken imstande bin, leider.

 

The long good-bye (II)

3. Juni 2012

Natürlich hat das Geddo auch schöne Seiten: Zum Beispiel die reiche Kultur!

Wenn bettelarme Dörfler und Dörflerinnen, minimum vier Generationen gemeinsam, sich fern der Heimat, in der verwirrenden Fremde, zusammensetzen, gemeinsam zur Akkordeon- und Fiedelbegleitung inbrünstig pentatonische Volkslieder singen, dazu klatschen, ekstatisch juchzen, bittersüß aufschluchzen und „Aiiiiííí! Hò’pa, hò’pa!“ rufen – ist dagegen irgendetwas einzuwenden? – Aber nein, Iwo! Wieso denn? Ist doch schöön! werdet ihr antworten und damit leider eine gewisse medial vermittelte Kurzatmigkeit im Denken offenbaren: Wenn das spontane Festival im Hinterhof nämlich nachts um halb drei unter eurem Schlafzimmerfenster stattfindet, werdet ihr, das wette ich, eure multikulturelle Begeisterung alsbald zu überdenken und zu zügeln wissen. Vielleicht werdet ihr das Fenster zum Hof aufreißen und mit mühevoll gezügelter Gereiztheit hinab rufen: „Leute! Es ist halb drei!!!“ Aber die Musikanten, tut mir leid, liebe Fremdenfreunde und Xenophilatelisten, werden euch nicht verstehen, und wenn doch, sich über das saturierte Deutschlandparadies wundern, in dem man sogar noch nachts gratis und ungefragt eine Zeitansage erhält. Das inkriminierte Wort „Zigeuner“ verwendet ich übrigens nur zu präzisierenden Diskriminierungszwecken – ich weiß nämlich nicht, ob es sich um Roma oder Sinti handelt. Sinti sind doch die mit der jazzigeren Musik, oder? Dann wärens wohl eher Roma gewesen. Darf man noch „leider“ sagen?

Was ich damit ausdrücken will: Ob das Leben im Geddo immer so lustig ist, wie ich es in Texten manches Mal zu suggerieren trachtete, ist eine Frage des Blickwinkels bzw. des Zeitpunktes, an dem man morgens aufstehen muss. Oder ob das Blut, welches das Hemd durchtränkt, mit dem man sich nach einer langen Nacht als Blauhelm-Magister ins Bett fallen lässt, das eigene ist oder nicht. In meinem Fall war es glücklicherweise Fremdblut, nämlich das von Sportrentner Horst, meinem Nachbarn, der nüchtern ein liebenswerter Mensch und xenophiler Nachbarschaftsengel ist, betrunken sich aber anhört wie ein erzblöder Neo-Nazi. Leider ist er ziemlich selten nüchtern. Wie oft habe ich ihn gewarnt: „Horst! Bitte! Nach elf Uhr resp. 25 Bier bitte nichts mehr über Religion oder Politik!“ Aber der Horst ist ein Argloser, ein Tor mit reinem Herzen, und er kriegt nicht mit, wenn sich anti-deutsche Abneigung und Verachtung im Geddo in blanken Hass verwandeln. Er checkt es einfach nicht, dass man irgendwann die Fresse halten muss, auch und gerade wenn man mit mazedonischen, bosnischen oder kroatischen „Freunden“ zusammen hockt und NOCH mehr Bier trinkt.

Ich war nüchtern genug, den Hass in den Augen des Mazedoniers zu sehen, aber leider, trotz Kampfsportausbildung nicht geistesgegenwärtig genug, zu verhindern, dass er Horst urplötzlich eine volle Flasche Diebels gegen den Schädel knallte. Bier und Blut spritzten auf mein Hemd, ein Scherbenregen ging auf mich nieder, während ich, die Ein-Mann-Friedenstruppe, das Schlimmste zu verhindern suchte, nach meiner Taschenlampe kramte und dem Sportrentner, der aus diversen Gründen nicht mehr recht zu stehen kam und definitiv ausgezählt mit dem blutüberströmten Kopf wackelte, im Funzellicht kreuz und quer Erste-Hilfe-Pflaster auf die Klotzkopfkerbe klebte, um erstmal die Blutung zu stoppen.

Schon bizarr: Ich, der Feingeist, Bildungshändler und Privatgelehrte, agierte praktisch als Blauhelm vor einer Hinterhofgarage im derbsten und dümmsten aller Religionskriege! Mann, Mann, was MACH ich hier? – so keimte die peinigende Frage in mir.  Übrigens, um keine Vorurteile zum Blühen zu bringen, der brutale Schläger, der seinen „Glauben“ zu verteidigen meinte, war kein Moslem, sondern ein „orthodoxer“ Christ. Er verpisste sich nach vollbrachtem Glaubenskriegertum sofort und ließ seine Verwandten für ihn lügen, sie hätten „gar nichts mitgekriegt“. Wie oft sein Jesus Christus irgendwelchen Feinden eine Bierflasche  auf den wehrlos betrunkenen Schädel gehauen hat, ist ja bekannt. „Orthodox“, ha, klar!

Seltsam: Ich ziehe nur ca. 1000 Meter weiter, aber dort gibt es so etwas nicht. Die schöne, attraktive alte Dame, die bei uns im Haus wohnt, ist evangelisch, wackelt Sonntags am Rollator in die Kirche und sieht insgesamt nicht danach aus, Andersgläubigen Bierflaschen auf den Schädel zu hauen. Auch wenn ich mich eventuell langweilen werde – ich weiß doch Zivilisiertheit zu schätzen.

Wünsche werden einem erfüllt, aber nicht unbedingt dann, wann man es braucht und auch nicht, wie schon Goethe wusste, zu den eigenen Bedingungen, sondern, so Goethe in den „Wahlverwandtschaften“ weiter, um uns etwas zu lernen zu geben: Endlich hat man die Alk-Fraktion, die unter mir hauste, aus dem Haus klagen können. Ab jetzt keine stinkenden, kläffenden, den Hof voll scheißenden Köter mehr, keine im Vollrausch veranstalteten Parties nachts um drei (mit nur einer einzigen Platte die ganze Zeit: Marius Müller-Westernhagen, „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“! Gott! Wie ich diesen Mann im Laufe schlafloser Nächte hassen gelernt habe!), kein Rund-um-die-Uhr-Gegröhle, keine von Wodka beflügelten Prügeleien mehr. Keine mein eigenes Gewissen molestierenden Anrufe bei der Polizei. Heike, die Frau vom Chef-Randalierer, ist ja auch tot. Mit der Obduktion scheint man sich nicht viel Mühe gegeben zu haben. Geddo eben. Der menschlichen Ausschuss interessiert den Staatsanwalt nicht besonders. Dass die 44-jährige Frau nur aus blauen Flecken bestand, als sie starb, fand man forensisch nicht bemerkenswert. Die Realität ist nicht wie im „Tatort“. Nun, jetzt ist das Pack weg. Hinterläßt ca. 12 Kubikmeter Messi-Müll, Schmutz und Drecks-Geraffel und zeigt uns allen den Mittelfinger. Nicht, dass ich ein Ausländerfreund wäre, aber, Leute, die DEUTSCHEN hier, die sind schon das allerletzte…

Ob ich das Geddo vermissen werde? Tja, na ja. Wahrscheinlich erst, wenn ich da raus bin…

Heteroklite Notizen

5. Mai 2012

Stringente Architekturkritik

Untippbar. Schon wieder mehrmals den Tag über Ärger mit der Schwerkraft. Der Alltag wird allmählich zur Bückware! Und was sagen die Knochen? Sie benutzen in letzter Zeit Ausdrücke, die man nicht getippt sehen möchte, ach was: nicht mal in Sprechblasen!

Was deutsch ist. Weil ich schon immer gern wissen wollte, warum es zwar nicht Bundesbiergarten oder Bundespizzabringdienst heißt, hingegen aber durchaus und durchweg zumeist Bundeskegelbahn, hab ich jetzt mal gegoogelt, wieso. Und? Es gibt im BGB tatsächlich ein Bundeskegelgesetz (BuKeG), erlassen 1950, um das sich damals eine veritabel mittelschwere Regierungskrise entspann. Fünf Jahre nach Weltkrieg, Judenmord und Totalkatastrophe, zwei Jahre nach Gründung der Bonner Bundesrepublik,  zerstritten sich die damaligen Minister für Innen, Justiz und Verkehr in Adenauers Regierung bis aufs Blut über die Frage, wer die ministerielle Kompetenz und das verbriefte Recht hätte, den Deutschen … das Kegeln ein für allemal detailliert, einheitlich und genau zu reglementieren. Wild-Kegeln scheint damals eines der wichtigsten Probleme gewesen zu sein. Dann ging es zu Polonaise, Kringelbeißen und Topfschlagen. Nur der alte Chef blieb seinerzeit cool: „Herr Heinemann, sehen se dat doch ein bisschen lockerer. Vielleicht kommen se für dat Jesetz später mal auf ein Jeldstück“ – Und ich habe das nicht geträumt! „Fasse es, wer es fassen kann!“ (J. Christus)

Vergiss es. Da saß der blasse Pickel (13) nun auf meiner Beratungscouch aus haiweißem Beluga-Leder, ließ die sprossigen Magermilchbeine baumeln, glühte mit den Ohren und raschelte vernehmlich mit seinem üppigen Schwarztaschengeld: Wollte gegen Honorar wissen, wie man ein Schockrocker wird, so einer wie der Fräulein Marilyn Manson in Amerika. Denn das sei sein Traum, den er bevorzugt leben wolle. Ich überschlug kurz Gebühren, Tantiemen und Spesen und gab dann ohne Erbarmen Bescheid: Erstlich müsse er seinen Namen ändern! Ein Pinkus Korbinian Limpinsel brächte es niemals zum Repräsentanten kindlicher Gewaltphantasien. Adolf Kinderblut oder Hannibal Göring müsse er schon mindestens heißen. – Und dann Gitarre! Ob er denn einen kenne, Schulkamerad, Kellerkind oder Garagenkumpel, der das könne, Gitarre? Außerdem, drittens, müsse ein Schock-Video her, in dem er in lebende Eidechsen bisse, katholischen Erst-Kommunikanten mit Schändung drohe und ironische Nazi-Embleme zur Schau trüge. Schaden könne es viertens nicht, wenn er gewissentlich Sorge trüge, seine geschlechtliche Identität zu verschleiern. Und male er sich einen Blutmund aus Himbeerschmier, Junge!  – Und was, frug er daraufhin zag, wäre zuvörderst etwa  mit … Bäcker-Lehrling? Tja, bekam er zur Antwort, mörderfrüh aufstehen, den ganzen Tag klebrige Teigpampe kneten, dazu allgemeiner Undank der Bevölkerung. Guter Plan! Vergiss es. Geh ma Praktikum! – Im Geschäft der Jugendentmutigung b­­­in ich ein As.

Milde Medienhysterie. In den dunstblauen Stunden, in denen andere Menschen schlafen dürfen und nicht ahnen, was sie alles versäumen müssen, zappe ich mich durch die gespenstische Welt der Nachtprogramme. Wohltuend gemütssedierend, wie sonst nur ein Roman von Adalbert Stifter, ist es, Berliner Tierpfleger durch ihren Arbeitsalltag im Zoo zu begleiten. „Det sinn nu unsere Tintenfüsche“, sagt einer, vage ins Weglose sinnend, und während er seine winzigen Schützlinge („ditte sinn eintlich nicht Füsche, det sinn Schnecken!“) bedächtig ins Nachbaraquarium umtopft, kommentiert er sein Tun mit den Worten: „Denn werr ick ma die Kollegen ihr neuet Sszuhause zeijen“. Das ist doch hübsch! – Nebenan in den Privat-Derivaten kaspert ein Comedy-Blödian herum. Die brisante Mischung aus Lieblosigkeit, Ignoranz und enormer Körperspannung bietet ein niederschmetternd tristes Bild und verführt selbst den Gutwilligsten zu misanthropischen Konvulsionen. – Dann lieber Bildungskanal. Wie nicht ganz bei Trost schaue ich mir mit Gleichmut, dem Stupor nahe, einen bestürzend drögen Lehrfilm über jüngst entwickelte Techniken der Mumien-Konservierung an – wer weiß, wozu man das mal brauchen kann! Lebenslanges Lernen wird ja gern empfohlen. Andererseits sagt einem keiner, wie man den ganzen informatorischen Plastikmüll wieder aus dem Hirn kriegt, den man in sich hineinschaufelt. – Mild hysterische Zerebralobstipation.

 Nörgelrentner zu Butterkeksen. Gegen 23.00 Uhr eiere ich mit dem Fahrrad vorsichtig (Licht ist kaputt) heim in die Mönchsklause. Kaum ins Geddo eingebogen, treffe ich auf einen ca. 11-jährigen Roma-Knaben, der ein Wahlkampfplakat vom Laternenmast gerissen hat, damit randaliert, vandalisiert und kleine Mädchen (ca. 8 und 9) beschmeißt. Echt Terror. Gefährdet selbst mich. Ich werd sauer, stoppe und herrsche den Knaben an: „Sag mal, geht’s noch? Was machst Du da fürn Scheiß!“„Ja, weiß nicht, hab ich Paket gefunden…“ stammelt der junge Delinquent, Ich, unbesänftigt, belle harsch zurück: „Einen Scheiß hast du, Bengel! Erstens heißt das nicht Paket, sondern Plakat, zweitens hast dus’s nicht gefunden, sondern vom Pfahl gerisssen und drittens, was glaubst du, wozu das da ist? Etwa zum Herumschmeißen?“ Da reißt der Knabe die schwarzen Augen auf, macht einen Diener, streckt mir demütig die Hand entgegen und wimmert: „Entschuldigung, Herr! Ich hab bloß gespielt – mir ist soo langweilig!“ Schlagartig schmilzt das Herz. In seinen Augen liegt der ganze Jammer der Welt. „Is schon gut, Junge“, murmele ich und ergreife seine Hand. Sie ist eiskalt.

 

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Ontologische Verteidigung des Negers

19. Februar 2012

Eigentlich schwarz: Barry White

Statistiker sagen, im Geddo hausten Repräsentanten von 99 Nationen. Das ist aber Stand vorletztes Jahr, möglicherweise sind es heute schon 120, 130, man weiß es ja nicht. Einer der interessantesten Zuwanderer dabei ist der Neger.  Er lebt nur Freitag und Samstag Nacht hier im Geddo, dies praktisch ist der Tag des Negers! Unter der Woche geht er offroad dunklen Geschäften nach. Man sieht ihn nicht, er verteilt sich und macht sich dünne. Das ist natürlich ein Vorurteil, ganz klar, das sehe ich ein und entschuldige mich in aller Aufrichtigkeit. Ich bin beileibe kein Rassist, das liegt mir fern. Der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, wusste übrigens, obschon er zeitlebens über das Weichbild Königsbergs nie hinausdrang, vom Neger, dass dieser morgens seine Hängematte verkaufe und dann des Abends aber nicht wüsste, wo er sich betten soll. Diese Ansicht gilt aber als überholt. Heute verkauft der Neger Hängematten, die er gar nicht hat, und schläft abends im Hotel. Ha, ha, kleiner Scherz mit Gruß an die Nigeria-Connection. Zum Glück versteht der Neger Spaß!

Manche Leute haben Vorurteile, weil sie den Neger nur aus der Schlagerparade kennen; ich hingegen darf sagen: Einige meiner besten Freunde sind sogar Neger. Einer von ihnen heißt, was mir einen unversiegbaren Quell der Verblüffung darstellt, Wolfgang! Wolfgang Mbami-Goreng. Er ist sogar durchaus auf seine Weise ein bisschen sympathisch, aber wenn wir mal so auf ein Hirsebier zusammensitzen, kommt es noch immer vor, dass ich, von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, meinen Zeigefinger mit Spucke befeuchte und vorsichtig  an seiner Haut reibe. „Wolfgang“, sage ich dann regelmäßig, „ich wollte es nicht glauben, aber du bist ja allem Anschein zum Trotz wirklich ein in der Wolle gefärbter Originalneger! Als kämest du aus Afrika!“ Wolfgang pflegt dann mit extrem weißen Zähnen zu lachen und haut mir gutmütig eins aufs Maul. Während ich mein Nasenbluten zu stillen versuche, lacht er noch immer generös: „Bruder, Blödmann, ich BIN aus Mother Afrika!“ Ich ertrage das wiederum , denn Diskuskulturen sind halt unterschiedlich.

Wolfgang findet Weiße aus Gründen, die ich nicht teile, aber nachvollziehen kann, etwas unappetitlich. Sie haben eine Haut aus Käse, können nicht tanzen und riechen irgendwie penetrant nach türkisblauen Klo-Steinen. Wir fremdeln also, aber mit Herz und Sinn für Völkerverständigung. Wär ja noch schöner, wenn wir den Neger nicht nach seinem Gusto hier leben ließen. Die Zeiten der Sklaverei sind vorbei, heute heißt das „keine Papiere“ und, na, haha, „Schwarzarbeit“.

Ich gelte ja als philonegroid. Die Frage ist, ob auch bulgarische Roma im weitesten Sinne zu den Negern gehören. Ich denke ja nicht. Lange Zeit habe ich vergeblich versucht, an ihnen was Gutes zu finden. Es wollte mir erst nichts einfallen. Wodurch bereichert uns kulturell der Roma-Bulgare? Wir verstehen ihn nicht, denn zumeist spricht er ein Türkisch mit heißen Kartoffeln im Schlund, es schollert und bollert, dass es einen graust, und die Hauptbeschäftigung des Roma-Bulgaren ist, nebst Akkordeon-Belästigungen im Innenstadt-Bereich und der Produktion von mindestens zehn Kindern, die Ablagerung von eklem Müll auf dem Bürgersteig. Lange Zeit, ich gebe das zu und entschuldige mich dafür, fand ich den Roma-Bulgaren nicht als Bereicherung.

Jetzt aber doch, denn er singt! Während Biodeutsche debil Thomas Gottschalck gucken, gruppiert sich der Roma-Bulgare zur Gemeinschaft und singt folkloristische Lieder. Polyphon, pentatonisch und heimwehzerfressen intonieren bulgarische Roma-Frauen herrliche Gesänge, die eindringlich über dem Geddo erschallen. Da kann der Muezzin einpacken mit seinem blöden Geknödel! Bulgarinnen singen, das ist von zahlreichen CDs bekannt, wie die Engel! Der Bio-Deutsche hingegen hat die schöne Praxis des gemeinschaftlichen Singens völlig verlernt!

Der Neger, technisch etwas mehr beschlagen, ist meistens ohrverkabelt und LÄSST singen, Reggae, Ska, Dub und 2Step, das ganze Programm auf dem iPod. Kürzlich sprach mich ein wildfremder Neger am Brückenplatz an: „Hey, Bro, aint it a perfect night to party?“ Ich bejahte dies freundlich. Wem Rassismus fremd ist, der kann dem Neger nichts abschlagen. Er ist halt durch seine komische Hautfarbe geschlagen, aber er ist doch immerhin auch EIN MENSCH! Soweit wage ich mich vor in der ontologischen Verteidigung des Negers! – Über den Juden dann ein anders Mal…

Romantik? Is‘ mit Sehnsucht, oder? (Aus meinem Tagebuch)

10. Oktober 2011

Romantik ist mit Sehnsucht, aber oft ohne Frühstück...

Polaroid von mir: Da kommt der König des Geddo! Altmagister Kraska walzt nächtens zu fuß, majestätisch seinen Embonpoint vor sich herschiebend wie den Bug eines äußerst selbstbewussten Öltankers, leicht schwankend über den Brückenplatz, steuert eine Gruppe schwarzer, des nachts aber noch erheblich schwärzer wirkender Ganja-Anbeter und Vielbier-Trinker an, teilt diese wie das Rote Meer, schreitet gemächlich durch sie hindurch, als wäre er von einer Uno-Blauhelmtruppe eskortiert und komplett immun gegen Anfeindungen und Zweifel jeder Art, grinst dabei auch noch doof herablassend und macht dazu ein Gesicht, das mimisch besagt: „Ja? Waas?!“ – Und? Kriegt er aufs Maul? Iwo! Rätselhafterweise nicht, im Gegenteil, ehrerbietig bildet das Zwielicht-Volk eine Gasse und lässt ihn sanftmütig passieren! – Bang frage ich mich, seit wann ich eigentlich dermaßen angstfrei bin. Ist es der Wein? Oder ist bereits das ein Anzeichen nachlassenden Lebenswillens? Geht es zu Ende mit mir?

* * *

Wunderlich scheint mir auch, dass ich in erotischer Hinsicht, nach Cellistinnen, Friseusen und Sport-BH-Trägerinnen, nunmehr und gegenwärtig stark von barfuß singenden Soulschnepfen angefackelt werde? Ich wusste gar nicht, dass Senilität so bunt ist!

 * * *

Wenn nachts das Telefon in meinem Schlafbüro klingelt, dessen Nummer fast keiner kennt, kann es eigentlich nur Boris sein, mein Philosophen-Kollege, der Ex-Militante und gewesener Berliner Landesjugendmeister in der Kategorie „Forensisch relevantes und entsprechend kostspieliges Pflasterstein-Schmeißen“, dessen Doktor-Arbeit ich einst betreuen durfte (vgl. Boris Raskolnikov-Bronski, „Stein und Sein. Die Metaphysik der Überschreitung im Lichte hermeneutischer Ästhetik“, Heidelberg 1999); wenn ihm nach Telefonieren ist, liegt er meist, Unmengen von Absinth ohne Eis und Wasser vertilgend, in seiner Wohnbadewanne mit Blick auf den Zentralfriedhof, und äußert teils finsteres, teils aggressiv feindseliges, kulturpessimistisches Gedankengut.  Was uns zusammen schmiedet, ist unsere suizidale Neigung: Boris schläft mit dem Kopf im Gasofen, ich horte Pillen und übe Segler-Knoten an eingeseiften Hanfseilen. Wir sind beide noch am Leben, weil wir uns nicht einigen können, wer auf wen die Grabrede halten darf. Wir haben beide so gute Ideen!

Nach ca. drei, vier Stunden sind wir fertig mit Telefonieren, bzw. ich kann nicht mehr. Ich werde alt, Mensch! Boris, der gelegentlich leichte Züge von hereditärer Homophobie an den Tag legt, sagt noch: „Mann! Wie Mädchen! Wir telefonieren wie Mädchen!“ Dann ist es irgendwie zu spät, noch ins Bett zu gehen und zu früh, um Frühstück zu machen. – „Mein Gott!“, die Gattin schüttelt den Kopf, „Worüber zum Teufel UNTERHALTET ihr euch denn so lange?!“ „Darüber, dass alle außer uns doof sind“, entgegne ich betont beiläufig. – „Ach“, versetzt die Gattin nicht ohne Sarkasmus, „und dafür braucht ihr VIER Stunden?“

 * * *

 Nach früher Kälte noch mal Föhn. Die Fenster stehen auf und der warme, nächtliche Wind blättert in den aufgeschlagenen Büchern über das Wesen des Lesens, die sich auf dem Schreibtisch stapeln. Wer so etwas poetisch findet, kann nur ein sentimentaler alter Idiot wie ich sein. Machen wir uns nichts vor: Ein Großteil sogenannter Lyrik beruht auf peinlichen Klischees, das lässt sich kaum leugnen.

 * * *

 Azzize, die ich im Auftrag von Boris durchs Deutsch-Abitur peitschen soll, ist ein olivfarbenes, großes Fragezeichen mit seitlich so riesen Kreolen dran. Wir sollen steinalte, bemooste Gedichte verhutzelter Frömmlerinnen interpretieren. „Barock?“, murmelt Azzize ratlos, „nee, keine Ahnung. Ich hör mehr Old Scool, Jay Z und P. Diddy, kenn’ Se die?“ Ja, stell Dir mal vor, das kennt der alte Mann, Kiddo! – „Barock mehr so als … Epoche“, souffliere ich. Azzizes Gesicht hellt sich auf: „Ach, ja, Epoche, klar, wie Romantik oder? Romantik ist doch das mit Sehnsucht, ne?“ Na ja, in etwa kommt das hin.

 * * *

 „Boris!“ krähe ich ins Telefon, „kann es sein, dass unsere Schulbürokratie ein ziemlich zynisches Schweinesystem ist, das hauptsächlich Migrantenkinder verarscht?“ Ich soll nämlich inskünftig Murat, Emre, Gülter und Azzize (13. Klasse) Thomas Manns Schnarchsack-Wälzer erklären, aber pronto und inert vier Wochen. . „Manno, Boris“, jammere ich, „die können doch noch nicht mal ’ne Backpulveranleitung von Dr. Oetker kapieren!“ – Boris in seiner Wanne zuckt hörbar die Achseln: „Du wolltest doch die aussichtslosen Fälle!“ – Das hat man von seiner scheiß Phillipp-Marlow-Romantik!

 * * *

 Alle, die das Wohnzimmer der alten Bundesrepublik möbliert haben, werden früher oder später  verfilmt: Margarete Steiff, Marcel Reich-Ranicki, die RAF, Udo Jürgens und neuerdings Beate Uhse (Vorsicht, Pilcher-Kitsch mit fast gefühlsechtem Schleim!). Wer noch fehlt, ist Freddy „the mighty“ Quinn. Wenn ich mich erinnern will, wie verdammt scheiße alt ich bin, denke ich daran, wie ich als Kind von meinen Eltern zu Tante Klara abgeschoben wurde, die wiederum von ihrem weltläufigen Sohn Manfred, einem Seemann, einen Plattenschrank geschenkt bekommen hatte, auf dessen Zehn-Platten-Wechsler hauptsächlich Freddy-Quinn-Singles liefen, Sachen wie „Sie hängen Tom Dooley“, Fremdenlegionärs-Balladen und Seemannsschnulzen. – Wenn man danach gräbt, wovon man geprägt wurde, blickt man in einen Abgrund!

 * * *

 Früher erschien mir plausibel, was der Philosophie-Prof. Dr. Sloterdijk mal im Fernsehen sagte, dass man nämlich mit einem Riesenhaufen Dummheit geboren würde und dann sein Leben damit verbrächte, idealerweise zumindest, diesen Haufen im Laufe seines Lebens abzubauen. Ich hab das befolgt, in mühevollen Jahrzehnten, nur um am Ende zu kapieren, dass das Einzige, was man im Alter wirklich schmerzlich vermisst, die eigene Dummheit ist.

 * * *

 Romantik ist übrigens die Epoche, in der man voller Sehnsucht seiner vollkommen bescheuerten Jugend gedenkt. Mann, was hatten wir … Zukunft! Und, ja, nun,  Sehnsucht!

 


 

Das wahre Leben (ist nicht empfehlenswert)

18. September 2011

Wenn mir echt GAR nichts einfällt: Eigen-Nase in die Kamera

Huihh, puh, endlich! Darf nach öder Sommerpause wieder den Engel der Verwaisten, Bekloppten und Bescheuerten im Geddo spielen. Die Flaute bedrohte mich schon mit narzisstischer Störung! Aber jetzt ist alles gut, – d. h. also schlimmer denn je. Erstens ist der komplett wahnsinnige, aber beängstigend lebenstüchtige Rombach wieder da, der energetisch-meschuggene Querulanten-Prozess-Rentner mit „doppelt beiderseitig Lunge im End-Stadion“, der in Ägypten erwartungsgemäß seine Perle nicht wiederfand, sein Geld nicht mal ansatzweise wieder einspielte und ferner schwerstoperiert resp. lungenmäßig halbiert jetzt nur noch raucht, wenn er vorher eine Morphin-Tablette eingenommen hat. Immerhin ist er jetzt der braun gebrannteste Krebspatient, den ich kenne.

Ich durfte schon wieder eine kleine Übersetzung für ihn machen, aus dem Deutschen ins Internationale, und zwar einen Drohzettel an einen nigerianischen Dealer am HBF. Ich habs, glaub ich, ganz gut hingekriegt und auf Englisch heißt es ungefähr so: „Ey, Fucker! Don’t’cha sell any drugs further to A***, ’cause she’s observed by german drug police authorities! Otherwise I’ll smash your head on the wall and put the pieces of your shit head in your fucking asshole, you dirty motherfucker!“ Ich hoffe, ich habe Intention und Impetus stimmungsmäßig ziemlich original rübergebracht.

Rombach hat nämlich einen neuen Schützling, A*** (20), polytoxikomanische Junkie-Nutte, die ihn schon mehrfach ausgeraubt hat. Rombach ist wie ich: Er will einfach nicht lernen! Immer bloß Welt retten und gefallene Engel auf therapeutische Rosen betten. Wir beknackten Weltretter lieben so was. Einen Augenblick war ich versucht, ihm klar zu machen, dass es in unserer Stadt ca. 20.000 Drogen-Dealer gibt und er soviel Drohzettel gar nicht mal drucken kann, geschweige denn in schmutzige Hände drücken, aber ich hab’s dann gelassen. Die Lust, Menschen Illusionen zu nehmen, ist mir komplett vergangen. Wer bin ich denn.

Spät abends aber dann noch voll den Schutzengel gemacht. Schieb gerade mein Rad in den Hausflur und seh im aufflammenden Treppenlicht, wie eine ertappte Motte, Pitti (70), den frisch verwitweten und verzweifelten Ex-Hausbesorger durchs Treppenhaus geistern, die circa bummlig 28. Flasche Alt in der rechten, mir mit der linken Hand wattig zuwinkend, wie er, elegant in der Hüfte einknickend, mir Hopp! Hopp! Hoppfff! Rabumms! die Stufen entgegen stolpert, taumelt und rumpumpelt, auffm Arsch, um’s deutlich zu sagen. „Datt is, weil hier de Motten reinkommen“ begründet er seine momentane Stehschwäche etwas unmotiviert. – „Kenn ich, Pitti“, repliziere ich begütigend, „DIE Motten hatte ich auch schon mal!“ und rette ihm dann geistesgegenwärtig den Oberschenkelhals. War knapp. Jetzt sitzt er sicher unten im Hof, neben seiner Gattin in Form einer DM-Markt-Plastik-Totenkerze, trinkt Bier und saugt aus dem herbstlich warmen Abend den letzten Bodensatz abgrundtiefer Traurigkeit.

So, Geddo, was noch. Özgür steht im Schlafanzug in meiner Studierstube, rollt wild mit den Augen, sträubt den Schnauzbart und ringt die Hände. Mein Vorwurf, seine wahrscheinlich „scheiße verschweißten Rohre“ hätten meine Bude geflutet, kränkt ihn zutiefst in seiner anatolischen Ehre. „Ağabey“ (sprich: „Aaahbii!“) sagt er, die Hand auf dem schmerzenden Herzen, „vallah, isch schwör, das nich mein Wasser!“ Stimmt. Muss ihn rehabilitieren! Schuld war eine kaputte Heizung. Ich bescheinige hiermit anatolischen Schwarzarbeitern, die gewissenhaftesten Rohrverschweißer Europas zu sein, die ich nur wärmstens empfehlen kann.

Herr Ezme, vormaliger Kunstmaler aus Antalya, jetzt Multitasking-Hausmeister in Deutschland und praktizierender Alltagsphilosoph, schweigt weise, beäugt still den Wasserschaden, kratzt sich wie ein perfekter Bergmann am Kopf und sagt schließlich begütigend zu Özgür: „Na, weißt, Ağabey, bei DEIN Hottentottenhaus kann man ja auch nie wissen…

Im Park ist Ahmed unterwegs und will mir für 10 Euro einen iPod verticken. Sein Verkaufsargument: „Hab isch selbz geklaut“ zieht bei mir ja nun gar nicht. Ich hab nämlich schon einen iPod. „Aber, Bruder, Alder“, spricht Ahmed mit Emphase und legt die Hand aufs Herz, „wir sind hier im GEDDO! Für dich 5 Euro, Brrruder!“ Mein Herz bleibt kalt. „Mann, Alder“, flucht Ahmed, „ich brauch aber fünf Euro für Ganja!“, was mir dann einleuchtet.

Hömma!“ brüllt Anatol, der 50-jährige Altpunk durch den Hausflur. Ich erstarre, weil Sätze, die mit „Hömma!“ anfangen, dauern bei Anatol Stunden und enden in endlosen Jeremiaden darüber, dass man von Hartz4 nicht leben kann. Wovon ich leben muss, verschweige ich, ganz verarmter Adel mit Stock im Arsch, aufs Vornehmste. Wäre ja obszön irgendwie.

„Ich, ähm“, sag ich, „ich hab ma den Pitti im Hof geparkt. Schieb’tn scheiße schwarzen Blues wieder wegen Elly.“ Anatol nickt verständig und sinnig. „Kannze ma’n Auge drauf haben?“ Anatol nickt noch mal, gerade hinreichend beflissen. Okay, soll mir genügen. Ich geh mit, na, mit wem wohl? Mit meinem Gewissen ins Bett. Heißes Paar, wir beide. Wird wieder klasse Nacht.

Und? Oben in der Klause? Welche Musik jetzt zur Nacht? Tom Waits? Frankie Miller?  Tim Harding? Nee, wär alles Klischee. Bei mir muss es anti-zyklisch und kontrafaktisch klingen. Zu den heroisch-pathetischen, erz-verlogenen Klängen von Hanns Zimmers „Pirates of the Carribean“ stapfe ich ins Bett. Ich liebe das Stück. Es klingt, als könne man komplett neben der Spur sein und trotzdem ein Held: Damm-tatta-da-dam, dam-tatta-da! – Grandios, oder? Irgendwie?

Das Geddo erwacht (Aldisierung)

16. September 2011

Roma-Logistik, nachts am Brückenplatz

Leute fragen: Gibs denn eigentlich nichts Neues aussem Geddo? Jetzt, wo Ramadan, Ferien und Unser-Dorf-in-Türkei endlich vorbei sind? – Nö, nicht wirklich. Nachbar Özgür hat sein Haus in Eigenbau fertig „grunzsaniert“. Ergebnis: Bei mir läuft stickum Wasser in die Klause und lässt das Eichenparkett quellen. Toll. Muss gucken, was Hausratsversicherung auf türkisch heißt, sowie der Satz: „Ey Mann, kannze vielleicht verdammte Scheiße noch eins mal pronto deine super selbst geschweißten scheiß Rohre checken, Kollege? Nur so für Sicherheit?“

Yavuz, der kleine fette Prinz und Nachwuchspascha von gegenüber, ist noch dicker aus den Ferien gekommen. „Isch bin gezz gleisch Fußball!“ kräht er, und das kann auch ziemlich gut   hinkommen.

Bloß weil ich paar Minuten auf der Parkbank sitze und in der Sonne sinne, kommt gleich Ghana-Aki mit seiner neuen grün-gelb-roten Rastafari-Häkelwollmütze angetanzt und fragt: „Ey, Br’ruder, brauchsch Ganja?“ Er schi-pricht das: „Gannnnd’jschaáh“ aus. Gott, ja, voice of mozza Affrica. –  Ich lege höflich die Hand aufs Herz, nur versehentlich rechts, und sag: „Danke, Bruder, ich vertrag doch kein Ganja nich, leider… Weissu doch! Ain’t nuthin no good stuff for me… “ Er schiebt ab, schnief-schnuffelt aber noch, vorsichtshalber, falls ich doch Bulle bin, „hab sowieso nix bei“.

Was sonst noch: Hede Marciniak feiert heute Geburtstag, 50, 60, 65 – schwer zu sagen. Hede ist wurzeldeutsch-polnisch, hat nur Minimum Tassen im Schrank, und ist hässlich wie die Neumondnacht, dabei immer scharf auf Männer. Schlechte skills letztlich. Sie macht heute Tach der offenen Tür, beschallt die Hood den ganzen Tag mit Leierkasten- und Akkordeon-Walzern aus den 50ern und guckt alle drei Minuten, ob jemand zum Schwofen oder Gratulieren kommt. Schorschi, ihr Mann, hat Wasser in den Beinen und Altzheim im Kopf. Legt Puzzle, Schwarzwaldlandschaft, sei drei Jahren dasselbe. Demenzkompetenz. Kommt aus dem Polstersessel nicht mehr hoch: siamesische Schwellkörpersymbiose.

Robbi, der Ober-Alk, ist mit dem Hund raus und beim Süffel-Symposium am Brückenplatz hängen geblieben. Als ich vorbei radele, nimmt er Haltung an und salutiert zackig. „Hey!“ grölt er anschleimend, „Nachbar!“ Ja, leider, du Arsch. Weils noch ein warmer Abend ist, besteht die Chance, dass er seine Heike erst verprügelt, wenn ich schon schlafe. Sein krakeeltes Lieblingsmantra „Datt daaaf donnich waaaahr sein!“ hat schon manche meiner Nächte grundiert.

Unser frisch verwitweter Ex-Hausbesorger Pitti entwickelt einigermaßen mysteriöse Trauerrituale. Im Hinterhof hat er ein rotes Plastik-Totenlicht aus dem DM-Markt aufgestellt, was ja noch nachvollziehbar ist für gute Katholen, aber er hat auch ein frisch gebügeltes, schneeweißes Feinripp-Unterhemd daneben gehängt! Hemd ist wohl Privat-Mythologie, aber die Kerze zünd ich oft heimlich wieder an, wenn der Regen sie gelöscht hat. Auch als Atheist ist man ja nicht ohne Pietät.

Fortschreitet die optische Aldisierung des Viertels: An jeder Ecke Einkaufswagen vom Discounter. Ist Trick von Roma, wo haben keine Esel-Karren mehr: Discounter-Drahtwagen klauen, Schloss knacken, Euro rauspulen, Wagen nach Hause schieben, dann stehen lassen. Na ja, was geht’s mich an. Bin ja kein Discounter, dafür mein eigener Esel: Fahrradkurier in eigener Sache. Mein Fahrrad hab ich nämlich noch, weil die Roma nicht wissen, wie sie mein hundsteures Super-Fort-Knox-Mega-Security-Steel-Schloss aufkriegen sollen. Schätz, is Frage von Zeit.

Der versemmelte Sommer macht mich moll. Mir regnets ins Hirn. Wenn hier nicht bald Randale aufkommt im Geddo, diese Folklore, die man aus dem Fernseh kennt, wo immer (Spanien, Griechenland, Chile, Syrien, Italien etc.) junge vermummte Leute Steine gegen Wasserwerfer schmeißen, in immer gleicher Choreographie, dann weiß ich auch nicht.

Heute Suizid versucht, indem ich zwei Mongos von den Hells Angels, die nächtens auf ihren voll schwulen Harleys durchs Viertel bretterten und röhrten, hinterherbrüllte, aus vollem Herzen: „Ihr verfickten scheiß Breitreifenärsche, einmal Arsch lecken bitte!“ – Ich leb noch, weil sie’s nicht gehört haben. Mut ist halt auch immer eine Frage des kalkulierten Abstandes.

Also, wie gesagt, im Moment nichts Neues im Geddo. Gute Nacht, Nachbarn…