Placebo gegen Unkkultur


Kunstunke (Wikipedia)

Kunstunke (Wikipedia)

Was auch einmal mit Herz und Leidenschaft angeprangert gehört, ist die obwaltende Unkkultur. Kein Tippfehler: Es wird zu viel geunkt! Zum Beispiel über den Verfall gutbürgerlicher Dienstfertigkeit beim Verkaufspersonal. Diesbezüglich machte ich neulich eine beglückende Erfahrung, da ich – durchaus ernsthaften – Anlass hatte, in meiner Stamm-Apotheke zu fragen: „Führen Sie auch Placebos? Ich meine – bewusst?“ Es war nämlich so, dass ich in meinem medizinphilosophischen Seminar plante, zum Einstieg an die Teilnehmer Placebos zu verteilen, als Gag, Gimmick und um mal zu gucken, wie die so wirken. Oder ob. Das vorbildliche Pharma-Fräulein fühlte sich nicht im mindestens veralbert, sondern beschied mir höflich, man führe so etwas generell zwar nicht, könne es aber ohne weiteres – mit Milchzucker – für mich herstellen, nur – sie dachte auch noch mit! – dass Problem sei ja wohl eher, an eine autoritativ aussehende Verpackung zu kommen. Cool, oder? Wahrscheinlich hätte ich fragen können, ob es Tabletten gegen zu große Damenfüße gibt, und sie hätte mich milde lächelnd auf ein Schuhgeschäft hingewiesen, da Schuhe in der richtigen Größe gesünder sind als Tabletten, die in diesem Fall eh nicht viel hülfen.

Gegen das Fernseh helfen auch keine Medikamente. In einer irgendwie aus dem Ruder gelaufenen Schnaps-und Nebelaktion fand ich mich neulich unversehens vor dem Fernseher umnachtet. Das Botox-Trio Geschwister Fürchterlich krähte frenetisch: „Komm ohne Hembd, komm ohne Hembd / Zu uns ins Duschgel-Camp / das Glitschi-Glitter-Duschgelcamp!“ und fump, fump, hatte ich den Mund voller Ohr- oder Drehwürmer. Feinkost Käfer! lieferte dazu Sumpf mit Matsche, dann Werbung für Stützstrümpfe. Angora-Omas vom QVC tanzten den Pailletten-Swing, eine Silikonikone bat dringlich Ruf! Mich! An!, worauf ein Professor stracks dem Zucker den totalen Diätkrieg erklärte, was mich in einen zuckersüßen Film der ARD-Tochter Degeto spülte. Diese Filme sind das Koks der Armen („Degeto to go“), sie spielen im Dreiländereck Irland-Schweden-Bretagne, und dann ist da meist eine blonde Frau, die hat einen Mann und es ist eitel Urlaub, es kommt zu dezenten Paarungsvergnügungen, aber wegen der noch kindlichen Zuschauer wird der Orgasmus nur vorgetäuscht. Dann kriegt der Mann einen Haschmich und ist plötzlich weg, aber die Frau will nicht an Tod und Witibtum glauben, sondern macht sich auf die Suche bzw. die Socken, reist kreuz und quer durch die strukturschwache, aber blitzadrette Region, und am Happy-Endpunkt findet sie den Mann wieder. Er hatte seine Gründe, aber Hauptsache, er lebt! („Degeto ergo sum“). Dazu fidelt André Richelieu auf der Rosshaargeige, bis man matt und weinerlich ins Bett steigt, die Geschicke der Welt beseufzend.

Von Haus aus bin ich eigentlich mehr ein Ächzer als ein Seufzer, aber dennoch, ausgiebig beseufzte ich vor Tagen einmal wieder den Zustand der Gegenwarts-Kunst. Ebenfalls nämlich im Flachbildland zeigte man mir eine aus echtem Schweizerholz geschnitzte Schweizerreportage über einen Schweizerkünstler, der nach langen verschneiten Winternächten folgende Idee ausbrütete: Er ließ eine große Holzhütte bauen (schon mal gut, odd’r?), stellte diese auf vier Skateboards (irre!), hieß seine Helfer die Hütte per Drahtseil einen schneebedeckten Hang hochziehen (wie kommt man bloß auf sowas!), um, oben angekommen, das Seil zu durchtrennen – sodass die Hütte den Hang wieder herunterrutschte. Es war … aufwühlend. Die ortsansässige Bergbauernbevölkerung, zum Kunstgenuss abkommandiert, applaudierte dazu mit der ihr eigentümlichen Schweizerbedächtigkeit.

Schau an, dachte ich, nicht ohne Rührung: Es ist doch nicht ALLES „grundsolide“, was man in der Schweiz treibt und produziert. Es blieben indes Fragen offen: Hatte ich jemals schon einmal etwas brunzdummeres, hirnloseres, geistferneres, langweiligeres, inspirations- und humorfreieres gesehen als diesen Hüttenkäse-Kunsthonig? Und wann hat dieser Scheiß eigentlich angefangen? Mit Duchamp schon? Oder war es erst der Scharlatanschamane Beuys, der die Türen weit aufgestoßen hat zum Kinderparadies offensiver Talentlosigkeit? Immerhin, diese Sache mit dem Hasen und das mit dem Schakal, das war wenigstens noch hochkomisch, wenn auch unfreiwillig, aber heute, scheint’s, hat die Beliebigkeit den Siedepunkt erreicht, wenn man das so sagen darf und Beliebigkeit überhaupt so heiß wird. Aber ich will nicht unken. Sondern lieber in einer angesehenen Galerie zu einer Performance einladen, wo ich mir mit extrem feierlichem Gesicht und bedeutungshochschwangerer Körpersprache ächzend die Schnürsenkel binde. Dann gehe ich mit dem Hut herum. Ich nehme auch Schecks.

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5 Kommentare - “Placebo gegen Unkkultur”


  1. Jetzt aber mal eine Frage:
    Wo kann man denn heute noch ordentlich Medizinphilosophie studieren?
    (Ich muss das fragen, weil Nietzke trotz seiner offensichtlichen Vermittlungshemmnisse auf eine Fortbildung in diesem Bereich besteht.)
    Herzlich, mb


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