Aus dem Alltag eines Berufsphilosophen


Imannuel Kraska, als Kant

Mit meinem Beruf bin ich etwas verschämt. Dabei bin ich weder Zuhälter, noch Anwalt oder Immobilienmakler. Schamhaft nuschele ich immer was von „Dozent in der Erwachsenenbildung“. Dabei dürfte ich eigentlich ruhig zugeben, dass ich „Philosoph“ bin, denn das hab ich gelernt und das bin ich ja auch, zertifiziert, diplomiert und behördlicherseits ordnungsgemäß abgestempelt. Aber es klingt immer so blöd komisch, entweder prätentiös anmaßend oder, hm, etwas windbeutelig. Sage ich die Wahrheit, heißt es prompt mit kaum versteckter Häme: „Und was ARBEITET man so, als, ahem, … Philosoph?“  Darauf gibt es diverse Antworten mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt. Zum Beispiel könnte ich sagen:  „Ooch, direkt arbeiten tue ich eigentlich nicht, ich sitz bloß am Schreibtisch und unterstreich so in Büchern…“  Mit etwas mehr Lust zur Mystifikation klänge es vielleicht so:  „Tja, morgens nehm ich halt meine Medikamente, schniefe ein paar lines Koks, trinke Kaffee und dann geht’s zur Matinée mit Düsseldorfer Industriellen-Gattinnen, die mir an den Lippen hängen bzw. zu Füßen liegen und mir verstohlen prall gefüllte Sparbücher zustecken...“ –  Die Wahrheit liegt, leider, noch nicht mal irgendwo dazwischen.

In Wahrheit träume ich vor mich hin, prokrastiniere ziellos ins Blaue, grübele konfus über dieses & jenes – bis plötzlich das Telefon läutet. Ou-ou, jemand Offizielles! Vom ***Museum im Kant-Park! „Herr Magister Kraska!“ trompetet der junge Mann, „entschullien’se die frühe Störung! Wie Sie vielleicht wissen, leite ich das Philosophie-Café im *** Museum!“ –  „Gern“ repliziere ich (wg. der Störung), – „leider nicht“ (wg. dem Wissen) und  „viel Erfolg!“ – (wg. des bestimmt ambitionierten Vorhabens). – „Ich habe da so ein spezielles Konzept…“ verrät der Mann. – „Aha?“ antworte ich, mäßig interessiert. – „Jaha, und zwar möchte ich mal die Philosophie so mehr auf die theatralische Ebene heben, wenn Sie wissen, was ich meine…“ – Nö, keinen Schimmer, weswegen ich erstmal schweige. – „Ja, und in diesem Zusammenhang wäre da oder hätte ich mal die Frage, ob Sie vielleicht einen halbstündigen Vortrag über Kants Drei Kritiken halten möchten, draußen da, im Park, im Rahmen so einer theatralischen Performance, am Donnerstag?

Als ich noch jung und heißblütig war, hätte ich entweder zu lachen begonnen oder spontan etwas sehr Ätzendes formuliert. Reif und gelassen geworden, stelle ich hingegen sachdienliche Fragen: „Mit den drei Kritiken meinen Sie aber doch Immanuel Kants 2500-seitiges Hauptwerk, für das er 25 Jahre gebraucht hat? –  Mit Donnerstag meinen Sie übermorgen? – Und mit einer halben Stunde meinen Sie, äh, so… 30 Minuten? Ach so, und mit ‚theatralisch’, dass ich mich im Park verstecke, beim Auftauchen einer von Ihnen geführten Touristengruppe im Kant-Kostüm hinter einem Baum hervorspringe und ein bisschen was vor-philosophiere?“ – Auf jede Frage erntete ich ein „Ja“, wenn auch mit allmählich abnehmendem Selbstbewusstsein. Es gäbe, so der Anrufer, spürbar sich windend, evtl. als Honorar auch so, na ja, sagen wir vielleicht, hm, so … „hundert Euro?“ 

Kurz habe ich durchkalkuliert, was eine bulgarische Nutte bei mir um die Ecke in „Sin City“ für ’ne halbe Stunde ohne Gummi bekommt, dann habe ich abgelehnt. Erstens könnte ich im Rokoko-Kostüm allerhöchstens den dicken schottischen Bonvivant und Erz-Skeptiker David Hume verkörpern, nie und nimmer aber den bucklicht rachichitischen, asketischen Knochenmann Kant; zweitens sind selbst einem Didaktik-Genie wie mir zwei Tage Vorbereitung zu wenig; drittens könnte ich in 30 Minuten gerade mal „Meine verehrten Damen und Herren“ sagen; viertens sind die Zeiten, wo ich mich zu neckischen Spielchen im Park versteckte, seit einem Vierteljahrhundert vorbei. Außerdem, um ehrlich zu sein, für einen Hunni den Affen zu machen – das findet man mit Zwanzig okay, in meinem Alter aber nicht mehr, weswegen ich fünftens, vor allem leider aus Zeitgründen, die geschätzte Anfrage leider ablehnen müsse.

Hinterher hatte ich Skrupel und Grund zum Grübeln: Bin ich jetzt eine Diva geworden? Habe ich Allüren? Ich zog das Tao der Demut zu Rate. Aber selbst dort stand nicht, der Gelehrte („das alte Langohr“) habe sich prinzipiell zum Idioten zu machen.  Ich fühlte mich gestärkt. Es gab mir die Kraft, den Rest des Tages über die geistesverwahrloste Erlebnis-„Kultur“ der Gegenwart angemessen kulturkritische Gedanken zu wälzen. Beschlossen aber habe ich, zur Veranstaltungsreihe „Warum wir Kulturmanager allesamt verrohte Komplett-Idioten sind“ meinen Beitrag zu leisten. Zur Not im Nietzsche-Kostüm, mit dem Hammer in der Hand. – Als ich mein Erlebnis im Seminar-Kreise zum Besten gab, wurde mir versichert, man wäre aber bestimmt gekommen, mit der Kamera, um mich im Kant-Kostüm abzulichten. – Schön, wenn man Respekt genießt!

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11 Kommentare - “Aus dem Alltag eines Berufsphilosophen”

  1. cbx Says:

    Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie breit mein Grinsen war als ich diesen Post gelesen habe. Läuft es doch darauf hinaus, dass scheinbar kein Berufsbild der Welt einen vor derlei unmoralischen Angeboten™ schützt.

    Bei mir heißt es so oft: Du machst doch sowas mit {Computern/Elektronik/Elektro/Maschinen}, kannst Du nicht mal meinen {Computer/Fernseher/Herd/Rasenmäher} ansehen? Für Dich ist das doch sicher ein Klax. Du bekommst auch {Bier/Wein/Kuchen/20€/Sex} dafür. Die meisten […!] dieser Angebote muss auch ich dankend ablehnen.

    Aber geht es nicht uns allen gelegentlich so, dass wir alles, wovon wir keine Ahnung haben, prinzipiell für ziemlich einfach halten?

  2. karu02 Says:

    Schade, das vorzeitige Ende einer neuen, außergewöhnlichen Karriere: als philosphisches Gespenst im Park alte Damen erschrecken. Das ist doch fast so gut wie Tauben vergiften.

  3. Lakritze Says:

    Darf man wissen, wie hoch denn das Honorar gewesen wäre, für das ein heutiger Otto-Normal-Philosoph in Schnallenschuhen und Puderperücke aus dem Unterholz heraus 2500 Seiten (leicht gekürzt) zum besten gibt?

  4. Scarpa Says:

    zur „Aufklärung“ der Nicht-Ortsansässigen folgendes aus dem Veranstaltungshinweisen im Internet:
    „19. Mai
    „Lehmbruck an Sokrates“ – Kant-Parkouring

    Beim Parkouring wird unter Überwindung sämtlicher Hindernisse der kürzeste oder effizienteste Weg von A nach B genommen. Ein Parkour kann prinzipiell überall gelegt werden, durch natürliches, urbanes oder geistiges Terrain. Der „Traceur“ überwindet dabei alles Mögliche: In einer urbanen Umgebung werden Pfützen, Papierkörbe, Bänke, Blumenbeete und Mülltonnen ebenso übersprungen und überklettert wie Bauzäune, Mauern, Litfaßsäulen, Garagen und sogar Hochhäuser und Hochhausschluchten. Beim Kant-Parkouring um das LehmbruckMuseums herum dagegen werden – entsprechend den Neigungen des Königsberger Philosophen – von Georg Mallitz und den Besuchern Geistesklippen überwunden. Dabei wird sich mutmaßlich die eine oder andere Überraschung ergeben. Bei schlechtem Wetter findet die Veranstaltung im Museum statt.“

    Ich stelle mir gerade Kraska vor,wie er über einen Giacometti turnt oder eine Beuys Plastik.

  5. 6kraska6 Says:

    Hüpfen und Springen mit Turnvater Kant? – Gehst Du hin?

  6. oachkatz Says:

    Für zukünftige Honorarberechnungen möchte ich allerdings zu bedenken geben, dass eine bulgarische Nutte ohne Gummi auch einiges aufs Spiel setzt.


  7. Am Ende hätte man Sie doch nur für einen Kultur-Exhibitionisten gehalten: Gut, dass Sie ablehnten.

  8. 6kraska6 Says:

    @buchstäblich: Ein Berufskollege, den ich sehr schätze, weil er ebenfalls außerakademisch tätig ist, aber trotzdem nicht für jeden Scheiß zu haben, konfrontierte mich heute mit der Frage, ab welcher Summe ich denn für sowas zu buchen wäre. Ich kam ins Grübeln. Zum Glück hat man mir eine derart verführerisches Honorar-Summe noch nie angeboten…


  9. So ist das mit den unmoralischen Angeboten: Die bieten immer zu wenig.


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