Posted tagged ‘Endspiel’

Auf der Umlaufbahn (Metaebene 2)

24. April 2011

Die Welt schaut nach London

Irgendwo hab ich mal eine Anekdote gelesen über einen Astronomen, der, ich weiß nicht mehr wo, in Pressburg vielleicht oder im Wienerwald, jedenfalls öffentlich einen Vortrag über die Planeten unseres Sonnensystems hielt, Saturn, Pluto, Jupiter, Venus & Co., und hinterher sei aber ein Bäuerchen oder Schuster oder so aufgestanden, hätte zwar sein Gefallen an dem Gehörten bekundet, dann indes nachgefragt, wie man denn, wenn man auf  jenen Gestirnen doch noch nie gewesen sei, überhaupt wissen könne, wie die alle heißen? – Zwar muss ich darüber schmunzeln, doch bin ich auch so ein Depperl. Ich meine: Ständig werden irgendwelche Sachen gewusst, beispielsweise über die Sicherheit von AKWs, über die Zukunft der Renten oder die Stärke des Euro in fünf Jahren, und ich frage mich: Woher wissen die das denn?

 Gestern machte der regional zuständige Rundfunk mich mit der lapidaren Mitteilung staunen, am kommenden Dienstag, oder wann das jetzt ist, würden 4 Milliarden Menschen am Fernseher die Hochzeit des britischen Prinzen mit seiner Erbsenprinzessin verfolgen. Wie jetzt? Vier Milliarden Menschen gucken am gleichen Tag, wenn auch wg. Zeitverschiebung vielleicht nicht gänzlich synchron, neun Stunden lang zu, wie ein verschrobenes, für seine Exzentrizität berühmte Inselvölkchen sich selbst veralbert? Dreht sich die Erde dann überhaupt noch weiter? Nur, auch wenn das politisch vielleicht nicht korrekt ist, mal angenommen, diese satte Mehrheit der Weltbevölkerung wäre zugleich identisch mit deren weiblicher Hälfte – heißt das jetzt, an diesem schwarzen Tag bliebe rund um den Globus die Küche kalt, die Wäsche würde nicht gebügelt und Abermillionen von zu recht ungehaltenen Babies blieben ungewickelt? Hat man das, inklusive des weltwirtschaftlichen Gesamtschadens, irgendwie statistisch hochgerechnet, oder woher weiß man das?

 Na, ich will mal nicht den Naiven spielen: Die Medien, die so etwas herumposaunen, haben das natürlich aus den Medien, woher sonst? Die Söhne Luhmanns kennen das Fachwort dafür, es heißt Selbstreferentialität. Ein Wort wie ein vertrockneter, morscher Ast, aber es sprießen Blätter und Wunderblumen aus ihm. Ebenfalls gestern und auf selbigem Rundfunksender nämlich erfolgte endlich, worauf ich schon lange gewartet hatte: eine Sendung, die mit gebotener Fassungslosigkeit über den „Medienrummel“ berichtete, der um die fosssile Prunk- und Pompposse veranstaltet würde. Interessant ist ja, dass, wenn man sich darüber amüsiert, wie die Medien den von ihnen selber angerührten Quark bestaunen wie ein Kind, das erstmals A-A in sein Töpfchen gemacht hat und sein ureigenstes Produkt händeklatschend bejubelt, und man diese Erheiterung öffentlich und medial glossiert, man sich unversehens selber schon auf der zweiten Meta-Ebene der Selbstreferentialität befindet, also praktisch schon im Orbit planetarischer Unwirklichkeit. Die Luft wird dünn, Sinn und Substanz kommen nur noch in Spurenelementen vor.

 Leser, die das Vorangegangene für bemerkenswert halten, schlucken vielleicht auch die Meldung, das demnächst bevorstehende DFB-Pokal-Endspiel zwischen dem MSV Duisburg und Schalke 04 würde auch von ziemlich genau 44% aller außerirdischen Intelligenzen „am Schirm“ verfolgt. Woher ich das weiß? Steht doch im Internet. Nämlich keine drei Sätze vor diesem hier.

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Über Samuel Beckett

26. Mai 2010

Samuel Beckett 1906-1989 (Foto: Jane Brown)

Bestseller waren Becketts Romane gerade nicht, sind es auch zu keiner Zeit geworden. Es sind Romane, wie das Jahrhundert sie verdient. Beim breiteren Publikum eilt ihnen der Ruf voraus, schwierig, langweilig, sogar unlesbar zu sein. Ein Vorurteil, das sich bei der heutigen Lektüre nicht unbedingt bestätigt. Becketts Romane sind voll von abgründigem, rabenschwarzem Humor, sie entfalten eine ganz eigentümliche, bizarre Poesie und der illusionslose Sarkasmus des Autors erlaubt diese ungerührten, hellsichtigen und zwingenden Einblicke in das Groteske, Heillose und Verstörende der menschlichen Existenz, wie sie zuvor nur Dostojewski und Kafka zustande gebracht haben. Beckett ist im Grunde ein großer Realist: seine Helden, Lebensversehrte und Halbkrüppel, sind allesamt so gut wie tot, stammeln eine Menge albernes sinnloses Zeug und begehen kraftlose, konfuse Handlungen, die zu nichts führen – sind sie also nicht wie du und ich? Der Blick auf die condition humaine ist nüchtern und unverstellt, aber immer hochkomisch. »Nichts ist komischer als das Unglück«. Man kann die Welt anders ansehen als Beckett – aber sicher nicht ehrlicher und illusionsloser.

Das Personal des Becketschen Prosawerks besteht aus Virtuosen des Unglücks, seltsam eigensinnigen, gleichmütigen Vergeblichkeitsartisten und Sinnverweigerern, verkrüppelt, von Schmerzen geplagt – Randgänger und komische Heilige, um ihr Ziel gebrachte Sucher und seit Ewigkeiten Wartende. Becketts frühe Romane sind Meisterwerke artistischen Sprachwitzes, abgründige Grotesken von einem Humor, so schwarz – um eine Lieblingssprachfigur von Beckett zu benutzen –, so schwarz also, daß schwarz schon nicht mehr das richtige Wort ist…

JETZT NEU IM „denkfixer„-BLOG (http://reinhardhaneld.wordpress.com):

Ein Vortrags-Text, der die Prosa-Werke Samuel Becketts vorstellt und erläutert – als PDF-Datei zum kostenlosen Downloaden!