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Nationalmigräne (Umdenken)

4. Juli 2011

Dynamisches Wachstum mit internationalem Flair

Neulich im Geddo: Einer unserer vorletzten Wurzeldeutschen hat Nationalmigräne und bepöbelt auf der Straße einen der allfällig Maulaffen feilhaltenden Almancılar. In sein Handy, mit dem er angeblich die Polizei ruft, bölkt er empört: „Kommen Sie sofort! Mich belästigt hier ein Ausländer! Ein AUSLÄNDER!!“ – So siehts aus bei uns: Selbst belästigt werden möchte man lieber von seinesgleichen. Ist ja auch ein offenes Geheimnis: Die Belästigungsqualität ist stark gesunken durch den Zuzug von Migranten, die nicht alle die Belästigungsqualifikation von selbstbewussten Anatoliern oder geburtenstarken Roma-Bulgaren besitzen. Schwarzafrikaner, Tamilen, Kroaten, selbst Ägypter sind praktisch gänzlich molestifikationsunfähig!

Ach, na ja, das Geddo! seufze ich wohlig vor Mieselsucht: Hier kriegt man Nörgelgründe, die für ein lang-langes Rentnerleben reichen! Zwielichtiges Gesindel allerorten, chauvinistische Blicke, unverhohlen verhüllte Frauen, gewetzte Messer, gefletschte Zähne. Anarchischer Müll türmt sich an jeder Ecke, halbwilde Kinderhorden terrorisieren die Ruheständler, das Viertel verschlampt, verroht, verwahrlost. Die Toleranzschwellen sind längst überschwemmt, hier hilft nur noch Indolenz und Ignoranz. Wenn nicht sogar Intransigenz. So dachte ich bis her.

Es ist aber alles ganz anders. In einer Immobilienannonce las ich jetzt von meinem einzigartigen Privileg: Ich lebe gar nicht, wie immer gedacht, im multi-ethnisch asozialen Problem-Brennpunkt, sondern in „einem dynamischen multikulturellen Viertel mit internationalem Flair“! Oha, oder wie man in meiner norddeutschen Heimat sagt: Ohauaha! Jetzt geht es mir wie Omid Djalili in seiner Filmkomödie „Alles koscher!“, wo er nach 40 Jahren als pakistanischer Moslembruder in London erfahren muss, dass er bloß adoptiert – und in Wahrheit ein blutsgebürtiger Jude ist: Oi! Ich muss umdenken, unbedingt flexibler werden, möglicherweise sogar, wie es im Medien-Werbe-Gequatsch jetzt immer heißt, „mich neu erfinden“!

Der römische Stoiker Epiktet hatt es schon vor knapp zweitausend Jahren gewusst: „Nicht die Verhältnisse beunruhigen uns, sondern unsere Ansichten über diese!“ Will sagen: Ändere deine Sichtweise und alles wird gut! Diese Kunst kreativer Umdeutung habe ich in letzter Zeit etwas vernachlässigt.

Ich habe das wie Pubertätspickel wuchernde Konglomerat von Spielhöllen, Dealer-Dielen, Nutten-Kaschemmen, Schmierinfektionspizzerien und osmanischen Wärmestuben scheeläugig beargwöhnt, anstatt die Dynamik des agilen Kleingewerbes zu würdigen; anstatt anzuerkennen, dass die südosteuropäischen Zwangsprostituierten hier immerhin völlig unverschleiert ihrem traurigen Gewerbe nachgehen, habe ich mich über Burkassen und Kopftuchmädchen echauffiert; mit finsteren Blicken bedachte ich den bulgarischen Schwarzarbeiter-Strich am Wanheimer Dreieck, anstatt mich über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu freuen. Nicht mal das ultra-babylonische Sprachen-Gewirr, das den LIDL-Einkauf regelmäßig zum UNO-Erlebnis macht, konnte ich gutheißen! Innerlich geflucht sogar habe ich über Bäuerinnen, die nach dreißig Jahren hier noch immer nicht geschnallt haben, dass die Amtssprache vor Ort weder albanisch, bulgarisch, marrokanisch, libanesisch noch serbisch oder tamilisch ist, sondern, verdammt noch mal: deutsch. Stattdessen hätte ich mich schon seit langem am „internationalen Flair“ ergötzen können! Zumindest flair-mäßig steht Duisburg-Hochfeld nämlich Metropolen wie New York in nichts nach!

Seit kurzen trage ich nun zum exotischen Flair des Geddos bei, in dem ich eine deutsche Fahne aus dem Fenster hänge, was ich als galanten Tribut an die Frauen-Fußball-Nationalmannschaft verstanden wissen will. Bei Weltmeisterschaften erleide ich regelmäßig Anfälle von Patriotismus. Wie ein Pawlowscher Hund: Sobald ich durchtrainierte junge Menschen Kaugummi kauend der Nationalhymne („Brüh im Glanze“) lauschen sehe, bügle ich mein kleines Schwarz-Rot-Goldenes auf!

Falls wir das Viertelfinale überstehen, worüber ich mir nicht geringe Sorgen mache, hänge ich wieder, ich bin halt unverbesserlicher Intellektueller, die große schwarze Piratenflagge daneben, um mein nationales Bekenntnis ironisch zu brechen. Ob diese Subtilität von der Nachbarschaft gewürdigt wird, bezweifle ich allerdings. – Das kapieren die doch nicht, die Ausländer!

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Die Mädchen, der Hurensohn

23. März 2011

Definitiv KEIN Hurensohn

Gestern in meinem Geddo, Besuch in der hiesigen Grundschule. „Wir sind eine Auffangschule“ sagt der taffe, coole und verblüffend kluge Lehrer. Das klingt ein bißchen nach Auffanglager, aber darum handelt es sich letztlich ja auch. Mein Freund Branko, bayrischer Exil-Serbe und Kneipenwirt, mustert nachdenklich die nach Ertönen der Schulglocke herausströmenden Zweit-, Dritt- Und Dritte-Welt-Klässler, die überwiegend aus Albanien, Bulgarien, Bosnien, Ghana, Jordanien, Montenegro, Pakistan, Indien, Rumänien, Serbien, der Türkei und dem Libanon kommen (der taffe Lehrer sagt: „Wir haben auch zwei deutsche Kinder in der Klasse! Den Kevin und die Jackeline!“), Branko also, der bärengestaltige Ruhepol im Viertel, mustert die Kinderschar, die, kaum aus dem Schulgebäude, auf babylonische Art durcheinander kreischt, brüllt und jubelt, mit melancholisch-skeptischem Blick und sagt bedächtig: „Schau mal, Kraska, woaßt, dös is fei nu unser Zukunft. Die solln mal unser Rente bezahlen…“ Ich verkneif mir die spitzige Bemerkung, sein Sohnemann, der nicht unbedingt zur Spitzengruppe vulgo Elite der Leistungsstars zählt, und wegen dessen Verfehlungen wir zur Sprechstunde antreten, auch nicht gerade zu den Hoffnungsträgern gehört. Er weiß es ja.

Ich hab irgendwie ein UNO-Gefühl, nur dass die Nationen-Vertreter noch klein und putzig sind. Kinder haben ja im Grunde noch keine Nationalität, oder? Nur Haut- und Haarfarben sowie sprachlich ungeklärte Hintergründe.  Im Foyer (nennt man das bei Schulen so?) hängt ein riesiges Anti-Gewalt-Poster (könnte die UNO auch mal machen!), auf dem feierlich pazifistische Höflichkeit geschworen wird („Wir schubsen, hauen, treten, spucken und beleidigen nicht! Niemals nicht!“), wobei dieser Eid noch auf recht wackligen Kinderbeinen steht. Milan zum Beispiel, Brankos Stammhalter, hat eine Verwarnung eingefangen.

Im traulichen Vier-Augen-Gespräch erschloss sich die Sache folgendermaßen. Ich zu meinem Nachhilfe-Zögling: „Milan, komm, mir kannstu sagen! Warum Verwarnung?“ Er: „Bin ich abgepetzt worden! Mädchen sagen, ich sie Beleidigung machen…“ Ich verzichte zugunsten der Wahrheitsfindung zunächst auf grammatikalische Korrekturen und bohre nach: „Wie jetzt Beleidigung? Was hast du gesagt?“ Er: „Hab ich bloß gesagt verschwinde!“ Ich: „Milan verarsch mich nicht! Wegen verschwinde kriegstu nicht Verwarnung!“ Er (nach einigem Zögern und Sich-Winden): „Na ja hab ich gesagt bei die Mädchen Du Hurensohn!“

Ich sortiere grammatische, semantische und ethische Problematiken, fange der Reihe nach an und erkläre, dass man erstens nicht zu mehreren Mädchen „Du Hurensohn“ sagen könne, von wegen Singular und Plural, dass dies außerdem zweitens generell wegen Beleidigungsverbot überhaupt unangemessen sei und drittens, wenn denn schon, streng genommen „Hurentochter“ heißen müsse. Er (nach langem Grübeln und Fragen-Wälzen): „Lärrerr, hab ich Frage. Was … was heißt eintlich Hurensohn?“ Ich erläutere gütig und mit forsch betonter Sachlichkeit: „Eine Hure ist eine Frau, die Sex…“ – Milans eh schon riesige braune Dackelaugen weiten sich angstlust-entsetzt – „… für Geld verkauft. Jemand einen Hurensohn nennen, heißt, dessen Mutter in den Schmutz ziehen …“ – Milans Wangen röten sich krebsartig – „… und zu behaupten, man wüsste nicht, wer sein Vater sei.“ Milans Augen quellen über und er schlägt sich die Hand vor den Mund. Wenn er schon sonst bei mir nichts lernt – die Ungeheuerlichkeit seiner Verbaltätlichkeit hat sein Herz getroffen. Unglücklich, mit brennenden Ohren, starrt er zu Boden. Ich schätze mal, so schnell wird er kein Mädchen mehr „Hurensohn“ nennen, sei es nun aus semantischen oder ethischen Gründen, denn Milan ist ein braver und überaus ehrpusseliger Knabe.

Um seine lebenswichtige Ehre zu retten, mault er jedoch: „Aber die haben mich abgepetzt! Und die schminken sich immer!“ Die Mädchen nämlich, in der zweiten Klasse, die  Hurensohn.

 

 

 

Kultur im Geddo. Vorm Fernseh Amok laufen (Jahresrückblicke)

30. Dezember 2010

Little pic, big deal: Duisburgs "Broadway"...

KILLING ME SOFTLY

Für mike-o-rama, anlässlich eines freudigen Ereignisses (Geschenktext)

Als Terrorist und Amokläufer bin ich ungewöhnlich sozialverträglich. Wenn ich hyperventiliere, Schaum vorm Mund habe und mit fahrigen Fingern nach meiner Waffensammlung taste, kriegt das gottlob selten jemand mit, denn das mach ich meist in meiner stillen Mönchsklause vor dem Fernseher aus, mit mir ganz allein. Und wegen ihm. Tosende Weltverachtung und würgender Menschenhass ereilt mich praktisch nie in der Realität, die ja ungefähr so interessant ist wie nass gewordenes Mischkorntoastbrot, sondern vorwiegend vor der seifenblasenbunten, hirnzerschmeißenden, unentwegt logorrhoe-haft vor sich labernden Idiotenmaschine, von der ich als süchtiger Rentnerkrüppel und Freund herostratischer geistiger Selbstmordkommandos halt nicht loskomme.

Ja, ja, Freunde, lasst Eure sedativen Beschwichtigungsspritzen ruhig stecken: Dass es auch Arte, 3sat und Phoenix gibt, weiß ich selber, und ich bin schon bis zum Rand vollgebildet mit kulturell wertvollen Reiseberichten, Tierfilmen und Kultur-Features (rülps!). Aber leider guck ich, süchtig und verblödet, wie ich bin, zudem unter Insomnia leidend, auch noch wie geisteskrank in den sumpfigen Abgrund bodenloser Nichtigkeit, dessen Anrainer teils die privaten, teils die öffentlich-rechtlichen Hirnwegsauger darstellen.

Was mich derzeit in die Raserei treibt, wie eigentlich vorhersehbar jedes Jahr, sind Jahresrückblicke. Teufel noch mal und tausend jaulende Höllenhunde:„Jahresrückblicke“! Man reiche mir rasch ein Anti-Emetikum! Was für ein absolut geistfernes, redundantes, dumdum-hohlgeschossiges und zutiefst viszeral ennuyierendes Genre! Am bewusstlosesten, toxischsten, übelkeitserregendsten und fauligsten: Satirische Jahresrückblicke! Und ich muss mir diesen niederschmetternden, grundstürzend saublöden Mist auch noch angucken wie ein sabbernder Katatoniker! Ich wühle in gebührenfinanzierten Mediatheken wie andere Leute in der Nase bohren – krank- und zwanghaft, obsessiv und wie vom Gottseibeiuns hypnotisiert.

Auf dieser Spur in den Untergang stieß ich gestern in der ZDF-Mediathek auf einen Nichtigkeitswichtelschwulen und Tiefflieger-Klamaukclown namens „Dieter Nuhr“, und zugleich damit auch auf die Tatsache, dass wir, was ich ganz vergessen hatte, obschon ich täglich dran vorbeiradle, hier im Geddo, gleich visavis vom Großpuff, ja auch einen schick verwahrlosten Kulturverhöhnungstempel besitzen, das „Theater am Marientor“. Dieses „Theater“ hat freilich mit Kultur so viel zu tun wie das kasernenartige Mega-Bordell für notgeile Migranten-Machos, das gleich schräg gegenüber in Steinwurfweite (würfe nur mal jemand einen Stein!) einen gesamten veritablen Straßenblock einnimmt, mit nervenzersplitternder Erotik und romantisch aufwühlender Herzensglut.

Vor reichlich gut einem Jahrzehnt wurde der Kulturhurentempel mit einem Riesenaplomp und medien-nuttig hinreißend gespieltem Print-Orgasmus eröffnet, wobei sich die regionale Presse die opportunistisch-wohlfeilgeilen Wichshände geradezu wundklatschte, weil der Muschi-Musen-Tempel angeblich unser gesamtes Drecksgeddo wie durch ein Wunder in eine blühende Hotel-und Gastrolandschaft verwandeln würde. Die ganze Welt nämlich würde nun, so prophezeite die allzeit für ein paar Euro (ohne Gummi!) käufliche Lokalpresse noch vorgestern, nach Duisburg-Hochfeld (!) strömen, um dort sog. „Musicals“ zu bestaunen! Ja, klar, sowieso! Wie gut, dass unser Alzheimer-Volk so gut wie kein Kurzzeitgedächtnis besitzt! Schrill lachend würde man andernfalls die erwähnte Lokalpresse (WAZ, NRZ etc.) auf Papier … nurmehr zu hygienischen Zwecken benutzen!

„Musical“-Produktionen starben, als Geldanlage, bereits und bekanntlich bereits in den 90ern, als man den künstlichen Kleinkunsttempel gerade erst rendite-geil ins Geddo pflanzte. Hochfeld wurde, surprise!, weder zu einem zweiten Broadway noch auch nur zu einem dritten St. Pauli inkl. Spielbudenplatz. Selbst in puncto Verkommenheit ist Duisburg nur zweite Wahl und Möchte-gern. Es verweste einfach, von einer Insolvenz zur nächsten taumelnd, als fade Erinnerung an feuchte Stadtväterträume, des Inhalts, man könne mit ein paar ergaunerten und extrem windigen Investitionen aus einem Höllenpfuhl ein In-Viertel machen.

Über Wasser hält man sich daher jetzt, schlecht & recht, mit Dritt-Verwertungen oder, wahlweise, Auftritten sog. „Comedians“, deren erbärmlich sinistre Fehlbemühungen man dann, wenn man genügend Zuschauer gekauft oder gekobert hat, vom ZDF (!) abfilmen und „zwischen den Jahren“ skrupellos wegsenden lässt. So also kürzlich diesen peinlichen, peinvollen, fremdschamschwitzenden, definitiv nichtswürdigen Kommunalclown „Dieter Nuhr“.

Ich schreibe keine Event-Kritik – diese Figur ist lediglich exemplarisch für das, was das„Theater am Marientor“ darbietet, schamfrei offeriert und rückhaltlos für sein Aushängeschild hält. – Ich meine, richtig BEGRIFFEN habe ich es nie, dass bummlig vier- oder fünfhundert Leute jeweilen rund 35 Euro zahlen, um dann anderthalb qualvolle Stunden einem ameisengroßen Hansel zuzuschauen und brav zu applaudieren, der auf einer statisch-langweiligen Bühne gefühlte Ewigkeiten lang unglaublich fade, platte, flache, beschämend unlustige Witzeleien absondert, die in ihrer öden, vorsichtigen Geschmack- und kalkulierten Harmlosigkeit dermaßen langweilig, uninspiriert und deprimierend daherkommen, dass außer meiner schwer dementen Oma kein Anwesender auch nur zu kichern vermochte. Auch ich, am Bildschirm, verspürte noch nicht einmal das anflughafte Zucken eines Schmunzelansatzes, verzog nur zwei-, dreimal vor Fremdscham qualvoll die Wangenmuskulatur. Meine Daamunnherrn, „Dieter Nuhr“!

Dieser unsägliche Typ, diese schmerz-kommödiantische Erbärmlichkeit sui generis, besetzt dabei auch noch die intellektuelle Oberklasse, weil er glaubhaft machen kann, nicht ganz so granatenbrunzdoof wie Mario Barth zu sein, – und das war es auch schon, das ist hinreichend wie Abitur und Führerschein! . – Schlugen sich die zahlenden Zuschauermassen in dem großen, übrigens hübsch gebauten und technisch ganz gut ausgestatteten „Theater“ vor Brüllvergnügen auf die abgehärteten Schenkel? Nein, keineswegs, wie man im Großtanten-Fernseh ZDF bewundern konnte und wofür ich die Duisburger, meine Mitbürger, fast schon wieder zu mögen bereit bin, nein, man beschränkte sich darauf, dem albernen Hampelmann da unten auf der Bühne gelegentlich höflichen, wenngleich hörbar matten Beifall zu spenden; einen Beifall so generös und demütigend herablassend, als hätte eine Versammlung von Studienräten einer Shakspeare-Aufführung beigewohnt, die von engagierten Downsyndrom-Akteuren auf die wackligen Beine gestellt wurde. Wäre ich dieser „Dieter Nuhr“, und mit etwas mehr Ehre im Leib, ich hätte mich selbigen Abends noch erschossen. Aber okay, das ist Geschmacksache. Und ich verstehe, dass man in Duisburg nicht begraben sein möchte, selbst als … hm, … „Comedian“ nicht.

Das Hochfelder Geddo hat jedenfalls, zwischen Großpuff und Bandido’s Place, ein „Theater“. Und zwar, um ein superlustiges Wortspiel der bevorzugten Protagonisten zu verwenden, „nuhr“ ein Theater. Sollte, was ich nicht glaube, das Publikum irgendwann zur Vernunft kommen und nicht mehr zu hirnlosen Knalltüten pilgern, die keine anderen Vorzug aufweisen,als dass man sie aus dem Fernseh kennt – dann, aber auch nur dann, wird das „Theater am Marientor“ seinem wohlverdienten Schicksal begegnen … und – gesprengt werden.

Aah, wie ich den Geruch von Semtex liebe (alles weitere vgl. unter „Amok“…)

 

Fremdenführung durch „da ‚Hood“

15. Mai 2010

Guck jetzt nicht hin, da die
Smarten, die Harten, die Derben
Das sind Balkankriegs-Serben.
Die grüßen mich nie.

Die da mit den Halbmondfahnen
proben als sture Alt-Osmanen
Den Spagat
Zwischen Bacardi-Cola
Und Kalifat.

Die dunklen Jungs am Wiesengrund
Nennt man Tamilen, und
sie wollen bloß (Volleyball)
spielen.
Auch bei Exoten ist auf jeden Fall
Der Ball meistens rund…

Die Finstergucker am Eck? Ach, Skipetaren,
Machen etwas Im-, meistens aber Export
Vielleicht sinds auch Kossovaren,
jedenfalls, wenn sie reden
Versteh ich kein Wort.

Häkelkappe, Vollbart und Kaftan,
Die Burkasse immer dahinter,
Das ist ein Mullah aus Dingens-tan,
Sein Name? Na,
bestimmt nicht Günther!

Ich sags nicht gern, doch der Roma-Rumäne,
Und zwar wegen dem seinem Müll,
macht mir manchmal Migräne!
Den Dreck in die Tonne stopfen
Ist dem schon zuvüll.

Und dann die armen Bulgaren
Auf ihren Limousinen
Liegt ein Fluch:
Immer müssen sie mit ihnen
durchs Viertel fahren,
Den Parkplatz nimmt ihr Besuch.

Des Nomaden liebster Spaß ist Grillen.
Die Türken grillen wie irre,
Als sei das ihr’m Allah
Sein allahhöchster Willen.
Mich macht der ganze Qualm
Schon ein bißchen kirre.

Opa, und wie erkennt man die Polen?
Gar nicht, Junge, sind gute Katholen
Wie wir auch,
Nur etwas mehr unverhohlen
Ist deren Wodkaverbrauch.

Einen Belorus oder einen Ukrainer
Kennt – jetzt persönlich – keiner,
und doch sind sie da, mit ’nem Truck,
Und was sie liefern,
Ist sicher kein Muckefuck.

Steinern die Fresse, das Kinn aus Granit,
Die Putins wollen immer nur eines: Profit.
In ihrem BMW-Cabriolet
Frauen, Waffen und Schnee.
Wenn du sie störst, tun sie dir weh.

Hier, die Süßen: Emine, Dilem und Semra
Verhüllen mit Doppelkopftuch ihr Haar.
Ich finds a weng schizophreng:
Ihre Hüftjeans sind nämlich hauteng!

Die ganze Black Community groovt
Wenn Miri „Queen Mum“ Kuti zum Essen ruft,
Ihre Sandalen machen fröhlich flip-flap,
Auf den Tisch kommt freilich
Meistens Millipap.

Multikult! Ein Durcheinander von Nationen und Rassen.
Es gäbe bei manchen Gründe, einander zu hassen,
Doch tut man es nicht. Auf engem Raum
Geht man sich aus dem Weg, gelassen,
man kennt sich ja kaum

Ein Traum von Afrika

30. April 2010

Es gab auch schon afrikanische Kaiser! - Fotoquelle: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/66/Bokassa_.jpeg

Ich war beim Kaiser, zur Audienz, schon das zweite Mal. Die Gattin hatte das vermittelt. Waren wir eigentlich in Berlin oder in Wien? Ich weiß es nicht genau. Alles war jedenfalls aus Marmor oder Granit. Das heißt, zunächst handelte es sich um eine zwielichtige Art pornographisches Kabinett, in dem altmodisch, aber nachlässig gekleidete ältere Herren verstohlen mit allerhand skandalösen Unanständigkeiten beschäftigt waren. Plötzlich aber wurde ich aus den beklemmenden Schummrigkeiten dieses Angst einflößenden Ortes in den hell getäfelten Warteraum geführt, von dem aus man schon die mächtige Flügeltür erblicken konnte, hinter der sich das Arbeitszimmer des Kaisers befand.

Ich fühlte mich unwohl in meinem unförmigen lederbewehrten Winterpelz, unter dem ich aber, wie mir siedendheiß einfiel, einen mit Eigelb und Mehl total bekleckerten Pulli trug (ich hatte vortags Kichererbsenpuffer gebacken), so daß ich den blöden Mantel schlecht ablegen konnte. Alle anderen Herren trugen Frack oder Cuts! Ein comme il faut elegant geschneiderter Hofsekretär, so aristokratisch bleich, daß er wie aus einem österreichischen Schwarz-Weiß-Film der 40er wirkte, eilte auf mich zu: „Bestehen der Herr Magister auf dem Thema HipHop?“ wisperte er atemlos vor devoter Arroganz. Ich wechselte einen Rat suchenden Blick mit der als Souffleuse fungierenden Gattin, die energisch, aber unauffällig, also in einer Art gestischem Bühnenflüstern, den Kopf schüttelte. „Nein, nein!“ rief ich daraufhin dem Schranz nach, der schon wieder davoneilen wollte, „nehmen Sie Afrika! Das Thema ist Afrika! Der Kaiser interessierte sich seinerzeit immer sehr für…

So kam es, daß ich, um ein weniges später, vor dem mächtigen, aus lauter Walnussbaum und puren Ebenholz gedrechselten Schreibtisch des Kaisers auf dem Besucherklappstühlchen saß und über meine abenteuerliche Somalia-Reise referierte. Während meines zunächst in schüchterner Heiserkeit (Frosch im Hals!)  vorgetragenen Berichts wurde mir freilich bald schon peinigend bewußt, daß ich eine solche Reise niemals unternommen, vielmehr bloß kürzlich, nach abendlicher, und wohl übermäßiger Lektüre des SPIEGELS, geträumt hatte! Eine einigermaßen peinliche Situation. Der Kaiser, der mich durch das blankgebügelte Fensterglas seiner zwiebelförmigen Audienzbrille gütig anblinzelte, ließ sich nichts anmerken. Um nicht gänzlich dumm dazustehen, leitete ich mein Referat behutsam über zur Biographie meines Urgroßonkels, der in der Tat und familienhistorisch verbürgt einst nach Tanga in Deutsch-Ostafrika gegangen war und dort 1912, glaube ich, einem schwarzen oder irgendwie sumpfigen Fieber erlag. Der Kaiser ließ es sich nicht nehmen, meinem Urgroßonkel hierfür postum eine silberne Verdienstmedaille zu verleihen. Seine Hände zitterten dabei unübersehbar, was mir schlagartig in Erinnerung brachte, daß er nun auch schon überschlägig 130 Jahre das undankbare Reich regierte.

Nach all diesen Aufregungen wieder auf freiem Fuß, bzw. als die Wirkung der Kräuterzigaretten nachließ und ein ziemlicher Hunger-Flash aufkam, fiel es uns am späten Nachmittag schwer, das Erlebte nicht auch wieder unter die belanglosen Traumgespinste zu subsumieren. Fände ich nur die blöde Medaille wieder, die irgendwo in den Untiefen des Futters meiner Winterjacke verschwunden ist! – Aber wie gesagt, das Thema ist Afrika.

In meinem Viertel leben viele Schwarze, welcher Nation oder Ethnie im einzelnen weiß ich leider nie zu sagen. Manche sprechen französisch oder gut deutsch, seltener etwas extrem Hitzig-Kehlig-Gutturales, als hätten sie dicke, heiße Kartoffeln verschluckt und bäten einander nun verzweifelt um ein Schlückchen Wasser. Unter meinen multiethnischen Mitbürgern sind sie bei mir persönlich ehrlich gesagt die beliebtesten: Sie sehen gut aus, bewegen sich wie Halbgötter, haben die süßesten und intelligentesten Kids, hören korrekte Musik und sind überhaupt umwerfend cool. Ihre Kneipe hier ist das „Bistro-Café Paradiso“, ein äußerst karg, ja vereinsheimmäßig ausgestattetes, allerdings mit einem Bob-Marley-Poster einladend geschmückten Etablissement, in dem ausschließlich Schwarze verkehren. Und das bringt mich zu meinem Dilemma.

Ich würde das „Paradiso“ gern mal testen, ja, empfehlen und zum Beispiel demnächst bei der WM die Spiele der afrikanischen Mannschaften hier verfolgen, ich trau mich aber nicht hinein! Nicht, daß man mich abschrecken würde – die Männer machen alle einen freundlichen, fröhlichen und unglaublich entspannten Eindruck. Nie hört man böse Worte oder gar lautes Gebölk. Aber wenn ich jetzt da hineingehe und frage, ob man auch als Weißer Zutritt hätte, fühlen die sich vielleicht versch…pottet? Andererseits weiß ich aus meiner Zeit in Chicago, Illinois, daß es ganz schön blümerant werden kann, wenn man, sagen wir in South Side, als singuläres Weißbrötchen eine Schwarzen-Kneipe betritt und so tut, als sei nichts.

Infolgedessen, ärgerlich an meiner zähen Mixtur aus Neugier und Schüchternheit kauend, umschleiche ich den Laden erstmal, bis sich einer erbarmt und mich zum Ehrenneger ernennt. Immerhin hat mich auch schon der Kaiser empfangen! Ich berichte dann…

A Polaroid Snap Shot from Charlotte Road, Sin City: 11/2 09, 7.05 pm

3. November 2009
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Warten auf das SEK. (Foto: DPA)

A Polaroid Snap Shot from Charlotte Road. 11 /02 2009 / 7.05 pm

Meister Sun Tsu schreibt in der Kunst des Krieges: „Jene, die sich als erste am Schlachtfeld einfinden und den Gegner erwarten, sind entspannt; jene, die als letzte am Schlachtfeld eintreffen und sich übereilt in den Kampf stürzen, verausgaben sich.

 Ich weiß nicht, ob hier alles nach Sun Tsus Plan läuft. Als ich am Montag abend die Charlottenstraße passiere, bietet sich mir ein beunruhigendes Bild. Vor ihrem Headquarter ist ein 30, 40 Mann starker Trupp Bandidos aufgezogen, einige 1%er, außerdem Prospects, Supporter. Harte Blicke. Stumme Umarmungen, wenn ein neuer Brother eintrifft. Die Männer sind angespannt, ernst, nüchtern, konzentriert lehnen sie an der Hauswand. Wachsam. Kein Alkohol. Ihnen gegenüber, kaum eine Armeslänge entfernt auf dem Bürgersteig SEKler in schwarzer Kampfmontur, Maschinenpistolen im Anschlag, den Lauf etwa in Kniehöhe der Bandidos zielend. Jetzt, zwei Tage nach dem Gewaltausbruch, scheinen sie sich stark genug zu fühlen. Sie stehen breitbeinig und grinsen. Tatüü, ta daa: Die Staatsgewalt ist auch schon da. Zwei Tage zu spät, aber mit wiedergewonnenem Selbstbewusstsein und frischen Hosen. Schwer zu sagen, was das SEK jetzt hier gegen wen verteidigt.

Die Tür zum Fat Mexican ist weit offen. Rock der härteren Gangart ist von drinnen zu hören. Man demonstriert: Soo schlimm waren die Verwüstungen durch den Hell’s Angels-Überfall nun auch wieder nicht. Man wechselt harte Blicke. I’ll gonna kill ya, versprechen sie. Sure I’ll do, no kiddin’! Manche dieser Blicke wirken dunkler und bedrohlicher als das dunkle Auge im Lauf der MP. Noch hat die Nacht nicht begonnen.

Frisch aus da hood…

2. November 2009
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Hochfelder Lichtspiele (Foto: DDP)

Echt wahr: Grad hatte ich mir genügend Mut angespart, mal die Einladung anzunehmen und meine Nachbarn zu besuchen. Was soll schon passieren, dachte ich. Zwar bin ich nur Drahtesel-Biker, aber ich bin andererseits auch weder Bordell-Kunde, noch brauch ich derzeit eine Waffe, und meine Drogen gibt’s legal im Fachhandel. Ich muß also heikle Dinge gar nicht ansprechen und kann in Ruhe die neue, heiße Kaffeemaschine testen, die es im Fat Mexican gibt.

Aber nix ist, bzw. der Himmel über der Hood ist schon wieder blaulicht-beleuchtet und es riecht nach Street Fightin’ Men. Das Fat Mexican hatte bereits „Besuch“ – weniger friedlichen und freundlichen, nämlich die Hell’s Angels. Zwischen dem Großbordell „Laufhaus 26“ und dem Bandido Place  gabs die nächste Runde Rockerkrieg. Baseballschläger, Dachlatten, Totschläger, Tränengas-Kartuschen, Molotow-Cocktails. Das Vereinsheim der Bandidos wurde verwüstet. Wenigstens waren diesmal keine Todesopfer zu beklagen. Trotzdem, die Lage ist angespannt.

Was mich angeht, ich bin nicht Quentin Tarantino, ich bin von Gewalt nicht unbedingt fasziniert, aber entgangen ist mir nicht, daß die Rocker zig mal besser ausgerüstet, effizienter organisiert und rascher vor Ort waren, als die Polizei, deren SEK-Kräfte gerade noch rechtzeitig eintrafen, um sich sagen zu lassen, sie mögen sich heraushalten. Ein Polizeisprecher dazu: „Das haben wir denn auch getan“.

Der Presse entnehme ich, an einem durchschnittlichen Samstagabend hätte man in ganz Duisburg rund 20 Streifenwagen im Einsatz. Die MCs mobilisieren, wenn’s  sein muß, innerhalb von 30 Minuten zwei-, dreihundert motorisierte Kräfte. Mir gibt das zu denken.

Ein stark dramatisierter, alarmistischer Bericht auf SPIEGEL online:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,658720,00.html

BLUES IN HARTZ IV

14. Oktober 2009

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Armutsberuhigter Blues in Hartz IV (Fies-moll)

 Arm? Geht so? Oder reich? Manchmal weiß ich gar nicht so genau, was ich eigentlich bin. Kommt halt drauf an, von wo man grad guckt. (Vielleicht sollte ich mich mal wieder trauen, einen Blick in meine Konto-Auszüge zu werfen?) Ich schätze, die meiste Zeit meines Lebens bisher war ich total arm. Man ist doch arm, wenn man  dauernd Geldsorgen hat, oder?

Aber dann les ich wieder, die multi-millliardäre Karstadt-Oberschnepfe Frau Schickedanz von Arcandor hinter den sieben Goldbergen hätte noch vieltausendmal mehr Geldsorgen als ich! Die kann schon nicht mehr schlafen vor Geldsorgen! Die lebt in ihrem Schloß von 600,00 Euro im Monat und weiß gar nicht mehr ein noch aus, bzw. wie sie das Personal und den Fuhrpark bezahlen soll! Also so arm wie die möchte ich nie werden! Denn ich kenn das verflucht gut, wenn am Ende vom Geld noch soviel Monat übrig ist. Da heißt’s dann schon mal, seine geliebte Sammlung seltener Pfandflaschen vom Balkon holen, das Leergut einlösen, wieder auffüllen und ansonsten zwei Wochen von Spaghetti-Nudeln mit Tomatenpampe leben. Geht schon. Und sonntags ausnahmsweise  Schachtel Ölsardinen! Ist auch mal lecker!

Wer ist denn nun arm? Der ewig klamme Donald, weil er kein Geld hat oder Onkel Dagobert, der zwar Phantastilliarden Entenhausener Taler zum Drin-Baden  sein eigen nennt, aber auch einen mittelschweren Hau hat und eine finanzbezogene Zwangsneurose? Es heißt ja immer, selbst wenn einem die halbe Welt gehörte, hätte man doch nur Scherereien, – z. B. mit dem, der die andere Hälfte hat und nicht hergeben will. Geld, so hört man außerdem ständig, regiere die Welt. Aber wo denn? Geld fehlt doch überall? Jeden Tag liest man, daß wo das Geld nicht mehr da ist! Unsere Regierung ist flüchtig. Wir werden, glaub ich manchmal eher, von einem Netz aus Haushaltslöchern und Finanzierungslücken regiert.

Meine Straße in meinem Viertel ist gewissermaßen armutsberuhigt. Morgens um 6.00 Uhr herrscht himmlische Kurortsruhe, weil niemand mehr zur Schicht muß. Hier arbeitet praktisch keiner mehr, und wenn doch, dann schwarz und ganz woanders. In meiner Nachbarschaft lebt man entweder von Kindergeld oder man hat das große Arbeitslos der Staatslotterie gezogen. Das Leben wird einem pünktlich überwiesen. Man läßt sich von der alten Frau Merkel aushalten, die mit dem Stopfen der Sparstrümpfe kaum noch nachkommt. Opa hatte einen Beruf, Vati wenigstens einen festen Job. Heute ist man, was nicht jeder als lebensausfüllend betrachtet, HartzIV-Empfänger.

Bundesbank-Vorstand Sarrazin hat sich unbeliebt gemacht, weil er dreist ausgesprach, was hier eh jeder weiß. Er hat gesagt, in Neukölln wollen sich 70% der Türken und 80% der Araber nicht integrieren. Frau Süßmuth hat protestiert: Das sei eine Beleidigung der bestimmt  wenigstens 30% Türken und 20% Araber, die sich sehr wohl integrieren! Frau Süßmuth sollte mal den Nobelpreis für angewandte Statistik kriegen! – Sarrazin hat noch gesagt, 20% der Berliner Bevölkerung seien unproduktive, ökonomisch „unbrauchbare“ Empfänger von Transfer-Leistungen. Bei uns liegt der Prozentsatz noch höher, glaube ich. Von 455.000 Einwohnern in Duisburg erhalten 70.000 Leute Geld von der ARGE.

Trotzdem sind viele HartzIVler bei uns im Viertel ökonomisch nicht völlig unnütz. Auch sie bilden einen Markt! Einen Markt, dem sich mit entschlossenem Willen zum Erfolg ein Büdchen widmet: Die „Hartz IV-Ecke“ (s. Foto!). Dieses Büdchen ist zielgruppentechnisch auf die Mehrheit in der Hood fokussiert. Die größte Gruppe bei uns sind nämlich, heißt es unter vorgehaltener Hand, weder Türken noch Deutsche, sondern die Alkoholiker. Sinnigerweise kommt hier der Markt zum Anbieter. Solange die Temperaturen es zulassen, versammelt sich der Markt am kleinen Rondell vorm Büdchen und zapft, was die ARGE hergibt. Das Leben eben. Das Leben hat hier 40%, in der Regel, und es  dauert von Sonnenauf- bis -untergang. Die Nacht dann ist lang, melancholisch und zähtränig-quälend wie ein Leonard-Cohen-Song.

Nichts ist ohne Schönheit: Was treue Begleithunde und Mitsäufer gemeinsam haben: Sie verurteilen dich nicht. Sie leben heute, von Schluck zu Schluck. Weil man ihnen das Futter ja hinstellt. Beide fragen nicht nach morgen. Man dämmert, mehr oder minder ohne Zuversicht, aber voller Überlebenswillen, in eine Zukunft, für die man kein Wort hat.

 Nachtrag: Wer schon immer einmal in einem verzweifelt komischen, absurd ni-hihi-listischen Theaterstück von Samuel Beckett mitspielen wollte, aber nie engagiert wurde, der komme zum kleinen Platz vor der „HartzIV-Ecke, im Spätsommer, und frage die dort versammelten ca.15 stark angetrunkenen Niederrheiner nach dem Weg zu irgendwas, das direkt um die Ecke liegt…

Ich wollte eigentlich, sorry, lustig sein, aber dann wurde es ein Blues in Hartz IV. Geld macht blöd, wenig Geld macht traurig, gar kein Geld macht philosophisch. Wir treffen uns, weil jetzt wird es Herbst und kalt, im nächsten Frühling: In der Hartz IV-Ecke. Besser eine vage Verabredung, als gar keine Zukunft.

News from the ghetto. Die Stimme des Volx

12. August 2009
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Sitz der Uno. Amtssprachen sind hier Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch. In meiner Straße würden diese Sprachen zu Verständigung reichen...

Obschon ich aus beruflichen Gründen oft einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken versuche – ich weiß ja auch nicht ALLES! Um Euch mühseliges Telefon-Jokern, Googeln oder Studieren an der Wikipedia-Uni zu ersparen, kläre ich drei Fragen vorab.

 Wer war Yoshida Kenkô? Genaues weiß man nicht. Vermutlich war er Offizier der kaiserlichen Leibgarde oder der Palastwache, im japanischen Mittelalter. Weil er das schwerterschwingende Samurai-Ding irgendwann leid wurde, quittierte er jeglichen Dienst und wurde buddhistisch-taoistischer Mönch. Als er starb, fand man in seiner einsamen Berghütte eine Menge von Zetteln, achtlos an die Wand gepinnt: „Betrachtungen aus der Stille“ nannte man diesen Zettelkonvolut – heute eines der berühmtesten Bücher der japanischen Literaturgeschichte. Kenkô war ein Virtuose in der Kunst des Verschwindens; er lobte die Schönheit des Vergänglichen und spottete (mit LEISER Ironie!) über den menschlichen Ehrgeiz, mehr sein zu wollen als eine Eintagsfliege.

Und Samuel Beckett? Hochdepressiver Dubliner, frankophil, Experte für Whisky, Marcel Proust und Suizid durch Getränke-Mißbrauch, Resistance-Kämpfer gegen die Nazi-Besatzung, Autor unsterblicher Theater-Knaller („Warten auf Godot“, „Endspiel“, „Glückliche Tage“) und von genialen Erzählungen und Romanen („Mehr Prügel als Flügel“, „Molloy“, „Malone stirbt“, „Der Namenlose“) , die das breite Publikum langweilig und/oder „schwierig“ findet, die aber in Wirklichkeit zum Brüllen komisch sind, jedenfalls wenn man ein Faible für die Komik von Beerdigungen, Verkehrsunfällen, mißglückten Selbstmordversuchen und Katastrophen aller Art pflegt. Beckett, der immerhin den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte, starb 1989 einsam und unbeachtet in einem Pariser Altenheim – alle seine Fans (ich zumindest!) hatten gedacht, er sei schon lange tot! Beckett war ein weiser Mann: Er wusste, daß das Leben zwar tragisch, aber zugleich auch unerträglich albern ist.

Nun die 100.000,00-Euro-Frage: Wer war Ion Tichy? Na? Naa? Oooooh neiiiin! Tut mir leid!  Falsch! Schade! Das war NICHT der erste Trainer des blond-bewimperten Tennis-Idioten Boris Becker! Der hieß Ion Tiriac! – Ion Tichy ist vielmehr eine literarische Figur, erfunden vom polnischen Philosophen, Literatursoziologen, Futurologen und Romancier Stanislaw Lem. Ion Tichy ist „Weltraumpilot“, ein ausgewiesener Bastler, Pfuscher und Schwadroneur, der auf einer extrem erdfernen Umlaufbahn sehr, sehr sonderbare Abenteuer erlebt. Ein paar der skurrilen Ion-Tichy-Geschichten wurden von einem deutschen anarcho-independent-orientierten Filmstudenten-Kollektiv verkurzfilmt, und ausgerechnet die alte Fernseh-Tante ZDF war so wahnsinnig, das bizarr-psychodelische Machwerk – wenn auch zu nachtschlafener Zeit – zu senden! In den schräg-witzigen Kurzfilmen sieht Ion Tichys Raumschiff von innen aus wie meine derzeitige Junggesellen-Zweiraumwohnung, und von außen ähnelt es bedenklich einer Presskaffee-Kanne oder einem Haarfön aus den 80ern. Ion Tichy erzählt seine Stories aus dem Off, merkwürdigerweise in einem extrem gebrochenen, künstlich verfremdeten polnisch-deutschen Idiom („’Chab ich gemacht Verbastelung mit elektro-Herd, so ist jetzt Küchenmöbelei gleichzeitig Beschleunigkeitssoperator von Raumschiff, sofern ich drücken richtige Knopf von E-Herd-Energiesparlampe “), – und sehr viel Logik haben die Geschichten auch nicht. Ion Tichy kommt auf seinen Weltraumreisen nur selten in Erdnähe, und wenn, befällt ihn nicht Heimweh, sondern eher bestürztes Befremden.

So. Der Gewinn aus diesem ermüdenden Schulungskurs kommt jetzt: Ihr versteht nun mühelos, wenn ich schreibe: Ich fühle mich derzeit wie eine Mixtur aus Yoshida Kenkô, dem mittleren Sam Beckett und Ion Tichy! Aus der Realität bzw. wenigstens der alltäglichen Normalität katapultiert, wurde ich an den Rand einer Umlaufbahn geschossen, von der ich nicht ahnte, daß sie jemals  meine eigene Neighbourhood werden würde! – Es heißt ja immer, in Duisburg lebten Menschen aus 120 Nationen. Früher wollte ich das kaum glauben, heute schon, denn das sind alles meine neuen Nachbarn in der Straße. Man kriegt gar keinen Überblick. Herr Ezme, Alleskönner, Faktotum und melancholischer Philosoph, drückt es so aus: „Die meisten Türken hier sind noch nicht mal welche!“ Und das stimmt wohl auch, er muß es wissen. Übrigens gibt es bei mir in der Straße noch Restbestände des waschechten Duisburger Montan-Proletariats. Und dieses ist immer noch so liberal wie vor 30 Jahren! O-Ton: „Isch hab donnix gegen Türken! Isch will die bloß nich im Haus haben, isch trau die Brüder nich… Außer natürlich den Ahmet und den Herr Ezme, die sind ja vernünftich. Und noch die Familie Karatas mit ihre ganzen Blagen von nebenan. Aber die sind in Urlaub bei sich zuhause inne Türkei…“

Eindeutig türkisch sind die drei Holzkohlen-Grills an der Kreuzung Wanheimerstraße / Ecke Eigenstraße, die sich alle drei „Urfa Oçakbaşı“ nennen, aber verschiedene Besitzer haben. Über zwei dieser begnadeten Etablisments habe ich schon berichtet. Weil von diesen eines leider ausgebrannt ist (Herr Ezme sagt, wahrscheinlich waren die sogar zu blöd, ’ne Propangasflasche anzuschließen), bin ich jetzt mit der Gattin zum dritten, kleinsten „Urfa Oçakbaşı“ gegangen. Ich glaub, wir sind die einzigen Deutschen, die hier schon mal essen, jedenfalls kannte man mich bereits. Eigens würde der besitzereigene Opa („Dede“) umgesiedelt, damit wir noch einen Tisch auf dem Bürgersteig besetzen konnten. Sofern es einen nicht stört, daß auf der Straße die Großfamilienkindergeld-finanzierten Daimler vorbeidonnern und der Nachwuchs der 120 Nationen einem um die Füße wuselt, ist es ganz reizvoll, hier einen Hackspieß, einen Lahmaçun oder einen Kuzu Şış Dürüm (überraschend hervorragendes, zart saftiges Lammfleisch!) zu schnabulieren. Die Bedien-Frau spricht nur türkisch; ich hab aber nicht verraten, daß ich sie verstehen kann. Auf Bierchen, Wein oder Rakı muß man auch hier Verzicht tun, da sind die Islamerer dagegen.

Aber selbst dies ist der liberale Duisburger Proletarier wohlwollend zu würdigen bereit. „Weisse, die Türken“, gibt mein Nachbar Pitti zu bedenken, „die siesse wenixens nich mitter Bierflasche auffer Straße, un die pullern denn aunich im Suff inne Büsche, weil da ihre Fraun sitzen und pichnicken…“ 

Wer die anderen beiden Teile der Trilogie über türkische Holzkohlen-Grills lesen möchte, hier die Links noch mal:

http://www.qype.com/place/639350-Urfa-Alt-n-i-Ocakba–Duisburg

 

http://www.qype.com/place/639541-Has-Urfa-Ocakbba–Duisburg