Neulich im Geddo: Einer unserer vorletzten Wurzeldeutschen hat Nationalmigräne und bepöbelt auf der Straße einen der allfällig Maulaffen feilhaltenden Almancılar. In sein Handy, mit dem er angeblich die Polizei ruft, bölkt er empört: „Kommen Sie sofort! Mich belästigt hier ein Ausländer! Ein AUSLÄNDER!!“ – So siehts aus bei uns: Selbst belästigt werden möchte man lieber von seinesgleichen. Ist ja auch ein offenes Geheimnis: Die Belästigungsqualität ist stark gesunken durch den Zuzug von Migranten, die nicht alle die Belästigungsqualifikation von selbstbewussten Anatoliern oder geburtenstarken Roma-Bulgaren besitzen. Schwarzafrikaner, Tamilen, Kroaten, selbst Ägypter sind praktisch gänzlich molestifikationsunfähig!
Ach, na ja, das Geddo! seufze ich wohlig vor Mieselsucht: Hier kriegt man Nörgelgründe, die für ein lang-langes Rentnerleben reichen! Zwielichtiges Gesindel allerorten, chauvinistische Blicke, unverhohlen verhüllte Frauen, gewetzte Messer, gefletschte Zähne. Anarchischer Müll türmt sich an jeder Ecke, halbwilde Kinderhorden terrorisieren die Ruheständler, das Viertel verschlampt, verroht, verwahrlost. Die Toleranzschwellen sind längst überschwemmt, hier hilft nur noch Indolenz und Ignoranz. Wenn nicht sogar Intransigenz. So dachte ich bis her.
Es ist aber alles ganz anders. In einer Immobilienannonce las ich jetzt von meinem einzigartigen Privileg: Ich lebe gar nicht, wie immer gedacht, im multi-ethnisch asozialen Problem-Brennpunkt, sondern in „einem dynamischen multikulturellen Viertel mit internationalem Flair“! Oha, oder wie man in meiner norddeutschen Heimat sagt: Ohauaha! Jetzt geht es mir wie Omid Djalili in seiner Filmkomödie „Alles koscher!“, wo er nach 40 Jahren als pakistanischer Moslembruder in London erfahren muss, dass er bloß adoptiert – und in Wahrheit ein blutsgebürtiger Jude ist: Oi! Ich muss umdenken, unbedingt flexibler werden, möglicherweise sogar, wie es im Medien-Werbe-Gequatsch jetzt immer heißt, „mich neu erfinden“!
Der römische Stoiker Epiktet hatt es schon vor knapp zweitausend Jahren gewusst: „Nicht die Verhältnisse beunruhigen uns, sondern unsere Ansichten über diese!“ Will sagen: Ändere deine Sichtweise und alles wird gut! Diese Kunst kreativer Umdeutung habe ich in letzter Zeit etwas vernachlässigt.
Ich habe das wie Pubertätspickel wuchernde Konglomerat von Spielhöllen, Dealer-Dielen, Nutten-Kaschemmen, Schmierinfektionspizzerien und osmanischen Wärmestuben scheeläugig beargwöhnt, anstatt die Dynamik des agilen Kleingewerbes zu würdigen; anstatt anzuerkennen, dass die südosteuropäischen Zwangsprostituierten hier immerhin völlig unverschleiert ihrem traurigen Gewerbe nachgehen, habe ich mich über Burkassen und Kopftuchmädchen echauffiert; mit finsteren Blicken bedachte ich den bulgarischen Schwarzarbeiter-Strich am Wanheimer Dreieck, anstatt mich über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu freuen. Nicht mal das ultra-babylonische Sprachen-Gewirr, das den LIDL-Einkauf regelmäßig zum UNO-Erlebnis macht, konnte ich gutheißen! Innerlich geflucht sogar habe ich über Bäuerinnen, die nach dreißig Jahren hier noch immer nicht geschnallt haben, dass die Amtssprache vor Ort weder albanisch, bulgarisch, marrokanisch, libanesisch noch serbisch oder tamilisch ist, sondern, verdammt noch mal: deutsch. Stattdessen hätte ich mich schon seit langem am „internationalen Flair“ ergötzen können! Zumindest flair-mäßig steht Duisburg-Hochfeld nämlich Metropolen wie New York in nichts nach!
Seit kurzen trage ich nun zum exotischen Flair des Geddos bei, in dem ich eine deutsche Fahne aus dem Fenster hänge, was ich als galanten Tribut an die Frauen-Fußball-Nationalmannschaft verstanden wissen will. Bei Weltmeisterschaften erleide ich regelmäßig Anfälle von Patriotismus. Wie ein Pawlowscher Hund: Sobald ich durchtrainierte junge Menschen Kaugummi kauend der Nationalhymne („Brüh im Glanze“) lauschen sehe, bügle ich mein kleines Schwarz-Rot-Goldenes auf!
Falls wir das Viertelfinale überstehen, worüber ich mir nicht geringe Sorgen mache, hänge ich wieder, ich bin halt unverbesserlicher Intellektueller, die große schwarze Piratenflagge daneben, um mein nationales Bekenntnis ironisch zu brechen. Ob diese Subtilität von der Nachbarschaft gewürdigt wird, bezweifle ich allerdings. – Das kapieren die doch nicht, die Ausländer!
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