Archiv für März 2012

Über den Elefanten

31. März 2012

Götter durch Fliegenpilz: Ganesha (Quelle Wikipedia)

Eine vermehrt diskutierte Frage: Ist der Elefant in der fortwährend miniaturisierten Welt der Chips und Bits noch zeitgemäß? Unvergessen ist ja die Erkenntnis und tiefere Einsicht des großen Gothaer Katheder-Professors Galetti: „Das größte Insekt ist der Elefant“. Dies gilt insofern als empirisch belegt, als ein noch größeres Insekt jedenfalls bislang nicht gefunden wurde, weder im Senegal noch auf Sumatra, wo noch die meisten zoologischen Überraschungen auf ihre Entdeckung warten. Die taxinomische Ordnung der Welt gilt aus Gründen der Übersichtlichkeit als wünschenswert. Manche „Eintheilungen“ des Professors Galetti werden indes heute als überholt oder unpraktikabel angesehen, so etwa die der Pflanzen in „zweibeinige und vierbeinige“.

Als ich nach einer Religion suchte, zu der man mal spaßeshalber konvertieren könnte, stieß ich bei Gelegenheit auf den Hinduismus. Er besticht durch seine Undurchsichtigkeit und enorm unübersichtliche Vielfalt, und der Unbelehrte möchte gern glauben, das völlig überkandidelte Göttergewirr müsse sich dem jahrhundertelangen habituellen Missbrauch des Fliegenpilzes oder anderer psychoaktiver Drogen („Soma“) verdanken. Religionen lassen sich generell einteilen in solche, die aus Mangelernährung und Sexualnot entsprangen und solche, die ohne acid gar nicht zu begreifen sind. Mein hinduistischer Lieblingsgott ist Ganesha, ein pummeliges Kind mit roter Haut und vier Armen, auf dessen Schultern ein Elefantenkopf sitzt. Sein Reittier ist eine Maus. Wer kommt denn auf so etwas?! Der lustige Elefantenpummel steht für Glück, Wissen und Weisheit, das macht ihn trotz seiner exzentrischen Morphologie jedenfalls auf Anhieb sympathisch.

Obwohl auch ich manchmal mit einem dicken Schädel aufwache und eine recht lange Nase besitze, kann ich mir nur unter gewissen Mühen vorstellen, wie es sich wohl anfühlte, mit seiner Nase Dinge ergreifen, Kindern zuwinken oder Getränke zu sich nehmen zu können. Ich stelle anheim, hierüber einmal zu meditieren. Möglicherweise wäre das eine bereichernde Erfahrung. Ob ein zierlicher kleiner Nager sich für einen Elefanten als Reittier eignet, dies zu entscheiden möchte ich lieber den Indern überlassen, die sich auf Elefanten von Geburt aus bestens verstehen.

Elefanten gibt es in grau oder, seltener, in weiß, dann sind sie heilig und man opfert ihnen Pudding und Käsekuchen. Früher gab es ihn auch noch in braun, aber diese Version ist ausgestorben und nur noch tiefgefroren erhältlich. Legendär ist das gute Gedächtnis des Elefanten. Er kann noch nach fünfzig Jahren punktgenau denjenigen Pfleger zerquetschen, der ihm mal dumm gekommen ist. Geschichten hierüber füllen die Presse; wahrscheinlich ist es auch schon auf YouTube.

Obwohl ich das interessant fände, träume ich nie von Elefanten. Mein einziger Traum mit Dickhäuter-Bezug, an den ich mich schaudernd erinnere, berührte mich einst äußerst unangenehm: In meinem kleinen Musik-Zimmer hatte sich einmal in der Ecke neben dem CD-Regal ein massives Breitmaulnashorn eingenistet. Es stank, nahm ungeheuer viel Platz weg und störte den Genuss Brahmscher Streichquartette empfindlich, in dem es mich, Ballen trockenen Heus mampfend, unverwandt anstarrte und dabei ein undurchdringlich ausdrucksloses Buster-Keaton-Gesicht machte.

Der Elefant ist dem Menschen in vielen Dingen überlegen. Ausnahmen: Eiskunstlauf, Klavier und Kartenspiele, bei denen er sich aufgrund seiner sprichwörtlichen Gutgläubigkeit leicht überlisten lässt. Dennoch bleibt er auch in der modernen Informationsgesellschaft bis auf weiteres unverzichtbar, als Glücksbote, gern bestauntes Wundertier und charismatisches Großinsekt. – Wie obige Zeilen beweisen, eignet er sich auch zur Metapher.

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Bin ich Kripo? (Kannibalen im Geddo)

23. März 2012

Wenn ich bei mir im Park auf der Bank in der Sonne sitze, bin ich Polizei. Kann ja nicht anders sein – ich bin nicht schwarz, spiele kein Basketball, deale offenbar nicht, will nichts kaufen und treffe keinerlei Vorbereitungen zum Grillen. Also? Na bitte: Bulle! Außerdem lese ich ein Buch. Alda, wie krass is das denn! Außer dem Koran gibt’s im Geddo kein Buch. „Mista, Mista, kannst du mir helfen?“ – ein Schwarzer mit Kappe, Hoody und Jamaica-Hose, um den Hals ein handtellergroßes Hanfblatt aus schwerem Silber, tänzelt aufgeregt vor mir herum. Ich guck so cool wie möglich von meinem Buch auf, denk mal betont bisschen nach und mach dann gedehnt: „Yooo, Mann, kommt drauf an, Mann, wobei’n?“ – „Du bist Kripo, Mann, du musst mir helfen!“ – „Bin ich nich, Kripo.“ – „Bistu wohl, Mann, ich weiß das!“

Dann startet er eine Art Rap, dem ich entnehmen darf, er werde von „Kannibalen und Menschenhändlern“ gefangen gehalten, namentlich nigerianischen Kannibalen und kurdischen Menschenhändlern, man störe seinen Schlaf, wolle ihn fressen und ihn umbringen „wie Bob Marley in Dortmund“. „Ich bin aber nich Bob Marley, Mann, ich bin Obama“ schließt er triumphierend. – „Und ich bin nich Kripo!“, (ich kann ziemlich stur sein.)

Es folgen weitere, ziemlich schwerwiegende Anklagen gegen „die Nigerianer“, die keine Menschen seien, sondern Hunde, sie verkauften Frauen, Männer und Kinder, letztere für den Verzehr, und außerdem hätten die Kurden zu ihm gesagt „Isch fick deine Mudder“! Ich schlage mir entsetzt die Hand vor den Mund, der Mann ist echt gebeutelt. „Das sagen die  immer“, versuche ich, ihn zu beruhigen, „die hamen Mudderkomplex“, aber er hört nicht zu. „Siehsstu, Mann“, er steigert sich richtig rein in seinen Rap, „ich war schon Kripo, Kripo sagt, ich bin verrückt, aber ich…“ „…bin  nicht verrückt?“ souffliere ich hilfreich. „Genau, Mann, und du sitzt hier Kripo und tust nichts! Hier geht’s nich um Gras, Mann, Gras is kleine Sache, Menschenhandel is große Sache!“ Da muss ich ihm natürlich zustimmen.

„Die sind hier in Hochfeld“, flüstert er verschwörerisch, „in der Kannibalenstraße 30, du musst die da wegsäubern…“ Er lässt einfach nicht nach. Okay, was sollte ich machen? „Na gut, aber nix verraten, Mann“ lass ich mich breit schlagen – „ich werds weitergeben.“ Im Grunde, was solls? War ich eben Kripo. Mit Mission. Letztlich auch nicht schlechter als der Agenten-Krimi, den ich eigentlich lesen wollte. Schwang mich also aufs Fahrrad, rief ein paar mal „Blaulicht-Blaulicht-Blaulicht!“ und eierte in einer Staubwolke davon, also erstmal nach Hause, Kaffee kochen, Plan machen: Kannibalen-Jagd im Geddo!

Keine Bewegung!

18. März 2012

Bewegungsunschärfe ist kein gutes Versteck vor dem Tod! (Quelle: itwissen.info)

Ich muss mich kurz fassen, denn gleich ist es Zeit: Ich muss zum Vergeblichkeitstraining! Vielleicht ist das erklärungsbedürftig. Das Institut entdeckte ich nämlich gerade noch rechtzeitig, man drohte mir bereits mit Apfeldiäten, Sportspazieren und Altersjubel. Horden von homöopathischen Waldorf-Vorkostern verfolgten mich bis zum Gemüse-Türken, das Haus umstellt von Physio- und Psycho-Terroristen, meine Dauerkarte fürs Phantasialand konfisziert. Trinkverbot. – Also schneller Entschluss: Flucht und Verkleidung! In den Untertauchanzug schlüpfen, Tarnkneifer auf, Nase zu und durch!

Mir kam die Zufallsfee zur Hilfe, es regnete, ich stellte mich in einen Hauseingang, und weil es nicht aufhören wollte, las ich aus Langeweile die Inschrift am Portal: „Institut für Negatives Denken“ stand auf dem polierten Messingschild, und darunter, kursiv: „Es ist alles eitel und ein Haschen nach Wind“. Hier war ich richtig, das wusste ich gleich und drückte die Klingel. Die Tür zu meinem neuen Leben schwang auf.

Am Empfangsdesk saß rauchend eine naturbleiche Mondäne, die sterbensmüde in ihr Sektglas starrte. Ohne mich anzuschauen, murmelte sie: „Keine Bewegung!“ – „Wie? Was?“ – zögernd hob ich die Hände. „Erstes Gesetz hier: Keine Bewegung!“ Ich ließ die Hände wieder sinken. „Also kein Seniorenturnen, kein ‚nordic marching’, kein Gehampel auf futuristischen Fitnessgeräten…“, fuhr die Dame fort, „…schaffen Sie das?“ Ich nickte so heftig, dass sie entnervt aufseufzte. „Wir haben noch einen Platz in der Sitzgruppe frei. Wenn Sie wollen? Bringt aber nicht viel…“ – So kam ich zum Vergeblichkeitstraining im Institut.

Vorkenntnis braucht man keine, nur die Einsicht, dass der Tod einen, entgegen der Propaganda der Ärzteverschwörung, auch dann findet, wenn man sich ständig bewegt. Tut mir leid, Ihr Super-Ultra-Ausdauerlebenden, ich verrate euch was: Bewegungsunschärfe ist kein hinreichendes Versteck! Der Sensenmann holt auch hagere Hungerhaken. Vielleicht, mag sein, wie gesagt, etwas später, so dass sie stolz auf ihr langweiliges Gemüse-Dasein ohne Alkohol, Fleisch, Zigarren und gemütliche Couch-Abende zurückblicken dürfen. Na schön, Glückwunsch. Übrigens, was die Apothekerzeitung verschweigt: Auch Ärzte sterben. Obwohl sie ja verrückt nach Bewegung sind und praktisch im Schweinsgalopp leben. Die sollen mal schön still sein, die Ärzte! Ständig zeigen sie unappetitliche Bilder von menschlichen Innereien vor, schneiden saure Besorgnisgesichter dazu und raten, weil ihnen ja sonst nichts einfällt, natürlich zu viel Bewegung im Hamsterrad makrobiotischer Ertüchtigung. Lachhaft!

Vergeblichkeitstrainiert und tiefenentspannt durchschaut man bald das gauklerische Lügengewebe der Diät-Dealer. Freunde, um euch auch diese Illusion zu nehmen: Dünne alte Männer haben bei der Damenwelt kein Gramm mehr Chancen als dicke alte Männer; eine späte Schnitte machen höchstens reiche alte Männer, aber reich wird man nicht durch Diät, höchstens durch Diäten, haha. Ich sag wie es ist. Es ist alles vergeblich. Junggebliebensein ist eine Illusion besonders starrsinniger Alter. Punk ohne Pogo – was soll das? Jung bleiben ist letztlich wie blöd bleiben, wobei letzteres möglicherweise noch erreichbar sein mag. Und also? Schlussfolgerung? Den Gürtel weiter schnallen, der Kulinarik pflegen, erlesene Drogen konsumieren, gelegentlich krasse Sätze der Altersweisheit raushauen. – Wie etwa die obigen.

Puffreis (Gruß aus der Puppenküche)

15. März 2012

Traum vom Fliegen (Fotoquelle Wikipedia)

Gespräch mit dem Kinde. – „Was möchtest du denn mal werden, Kleiner?“ – „Ich werd krank!“ – „Waas? Krank?“ – „Ja, und denn wieder gesund. Da bin ich immunitär und werd Super-Held. Also Weltretter und so.“ – „Und wovor oder wem willst du die Welt retten“? – „Vor Lurchen! Dings, Schlampen. Oder Schrunden? Nee, warte: vor Schurken! Schurken ist das richtige Wort!“ – „So bösen Trenchcoat-Menschen?“ – „Jaha, genau! Die mach ich platt, mit’n Flammenkuchen…“ –  Gott, was für ein bescheuerter Dialog! Wie will ich so jemals einen anständigen Roman zustande bringen? Das macht doch keinen Sinn! Ich fang noch mal an…

Konfusionstechnik. – Was empfiehlt das postmoderne Benimm-Kochbuch derzeit eigentlich, wenn es im Treppenhaus zu unerklärlichen Unheimlichkeiten kommt? Wenn, sagen wir, aus dem Halbschatten hinter der verdorrten Flurpalme unversehens eine unfrauliche Frau, baulich unverfugt, im Schreckschraubenoutfit, mit Hornbrille und Hütchen auf dem schwarzblondierten Haar, auf einen zuschießt und faucht: „Sie sind seit Monaten eine Zumutung für mich!“ Hat der Kafka-Franz sie geschickt? Ist die Feder am Hut vom Paranoia-Vogel? Wer besäße in einer solchen Situation voll dubioser Implikationen und Unwägbarkeiten die legendäre Schlagfertigkeit des mythischen Hypnose-Therapeuten und Konfusionstechnikers Milton Erickson? Er hätte geantwortet: „Darf ich vielleicht anbieten, Ihnen eine Stricknadel ins Ohr zu stecken?“ Natürlich müsste man dazu noch ein absolut undurchdringliches Buster-Keaton-Gesicht machen und fragend auf seinen Kragenknopf deuten.

Shoppen mit Schwung. – Seltsamerweise können auch Vergeblichkeitsträume gelegentlich euphorisierend wirken. In einem großen Warenhaus für Galanteriewaren und Kreativkitsch fragte ich jüngst nach einer lebensgroßen Erich-Honecker-Büste aus Rauchglas, gefüllt mit rosenfarbenem Duftwasser. Ich meinte, dergleichen im Schaufenster erspäht zu haben. Man behandelte mich mit vorzüglicher Hochachtung und nannte mich ständig Herrn Dr. Brauchburger. So heiße ich zwar keineswegs, ließ es mir aber doch gefallen und erfreute mich der Zuvorkommenheit, die mir sowohl die Prinzipalin als auch der leitende Ladenschwengel zuteil werden ließen. Im Lager fand sich zwar nichts mehr, was meinem Wunsch gleichkam, obwohl man große Suchanstrengungen unternahm, aber dennoch verließ ich das Geschäft beschwingt und erhoben, noch im Erwachen lachend, ohne dafür einen zwingenden Grund angeben zu können.

Aus der akademischen Welt. – Ebenfalls traumentsprungen: Deutschlands jüngster Professor! Er hieß Korbinian Herrnwisch (24),  war Experte für proszillitäre Protreptologie an der Uni Münster und trat in einer Talkshow auf. Er wirkte schüchtern, litt offenbar unter Selbstzweifeln und war unfähig, dem Publikum im Studio plausibel zu machen, worin genau seine Tätigkeit bestand. Immerhin war ihm das Geständnis zu entlocken, dass an der Uni Münster bislang noch gar keine Proszillatoren installiert seien, aus Kostengründen. Dafür wusste er mit der Mitteilung zu verblüffen, dass es in Münster praktisch keine Studentinnen der theoretischen Pataphysik gäbe, die kein sog. Arschgeweih ihr eigen nennten. Ratlos starrte der Moderator in seine Karteikarten.

Doppelte Angstüberwindung. – Ja, zugegeben, ich träume von Reisen auf dieser Windmaschine: Nicht so sehr, wie ich die Drahtabsperrungen des Stromparks überwinde, den ragenden Mast mühselig besteige, den Turm des Wahnsinns erklimme, das Herzstück erreiche, die allfällige Höhenangst herunterschlucke, mich überwinde, mich mental einkriege, tieftief durchatme, nein, aber wie ich dann, endlich oben angekommen, befreit beschleunige, abhebe und los fliege – das hat was! Hab ich erwähnt, dass ich eine reizende Frau habe? Sie fliegt natürlich mit, auch wenn sie unter Flugangst leidet. 

Lob der Knöpfe (Nachlassende Erregungspotenz)

8. März 2012

Die Schweiz der Ding-Welt: Knöpfe. (Foto: Gabi Haneld)

„Es ist bezeichnend für einen Mann von großer und langer Erfahrung, wie ich es bin, dass er nicht gleich weiß, wie er sich benehmen soll, weil ihm bewusst ist, dass ein einziges seiner Worte, eine einzige seiner Handlungen die unvorhergesehensten Folgen haben kann. Man muß nur die Weltgeschichte lesen, um zu sehen, was für ein seltsames Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung bestehen kann.“ (Italo Svevo)

Gestern sann ich über die Zärtlichkeit gewisser Knöpfe nach, nicht ohne Bedenklichkeit. Zwar ist das Gefühl unnachahmlich, wenn glatte, wohlgeformte runde Knöpfe aus Horn, Perlmutt oder purem Imitat so widerstands- wie mühelos und sinnig in die zu ihrer Bestimmung dienenden, sorgfältig umhäkelten Knopflöcher gleiten, um einer Hose, einem Janker oder vielleicht sogar einer selbst verfertigten Strickjoppe kleidsam definierten Halt zu geben – aber ist das auch relevant? Ja wohl sicher nicht. Idyllische Betrachtungen am Rande seniler Sentimentalität sind unvereinbar mit der Weltlage! Ich will das zugeben. Andererseits ist diese gegenwärtig derart deprimierend, dass man weiter fortwährende Realitätsangebote am liebsten dankend ablehnen möchte, weil das akzeptable Konto an Zumutungen und Lebensgemeinheiten schon erhebliche überzogen ist.

Früher war es für ältere Herren eine schöne und passende Beschäftigung, gewissenhaft die Morgenzeitung zu studieren, um tagsüber etwas Interessantes zum Räsonnieren zu haben – heute läuft man Gefahr, sich gleich den Tag zu verekeln, wenn man zum Beispiel erfährt, dass eine Discounter-Kette jetzt Hackfleisch verkauft, das mit 30% „schnittfest gemachtem Wasser“ angereichert ist. Lebensmittelpanscherei hat zwar Tradition, neu scheint mir aber die Dreistigkeit, besagte Pampe, weil sie angeblich der Gesundheit zuträglich sei, auch noch teurer zu verkaufen als ungewässertes Hack! Andererseits registriere ich mit zunehmendem Alter an mir eine um sich greifende Skandal-Indolenz. Ich will es nicht gleich Herzenslähmung nennen, aber die Erregungspotenz lässt nach. Der Kamm schwillt seltener. Was ist schon ein moderater Hackfleischskandal gegen die Tatsache, dass Diktatoren ihr eigenes Volk durch den Fleischwolf drehen?

Knöpfe haben etwas eminent Friedfertiges, Gutsinniges, ja Versöhnendes. Gutmütig lassen sie sich sammeln, sortieren und in illustrierten Alben katalogisieren. Knöpfe verbinden, sichern, schmücken; Skandale sind ihnen wesensfremd. Selbst wenn sie mal irgendwo abspringen, ist das zumeist nicht ihre Schuld – zu eng gewählte Kleidung oder ein schwächlicher Zwirn trug die Verantwortung. Reißverschlüsse dagegen – schon das Wort wirkt aggressiv! – haben unzählige Zähne, sind oft verklemmt oder beißen in empfindliche Körperteile. Ästhetische Qualitäten sagt ihnen selbst der Wohlmeinendste nicht nach.

Die entwaffnende Harmlosigkeit von Geknöpftem ist legendär. Mutter Merkel trägt ihre Großknopfjoppen als politischen Tarnanzug: Seht her, sagen die rundäugigen Joppen-Knöpfe, hinter uns kann kein Falsch wohnen! Tyrannen tragen Ordensspangen oder sind, wie in Nordkorea, komplett in Popeline-Uniformen eingenäht. Knöpfe? Fehlanzeige. Das Reich der Knöpfe ist die Schweiz der Ding-Nationen. Obwohl von unübertroffener Brauchbarkeit, beschränken sie sich nie auf vulgäre Nützlichkeit, sondern erfreuen die Sinne mit einem verschwenderischen Farb- und Formenreichtum, der bis weit ins Spielerische, Rokokohafte, ja Phantasmatische reicht.

Mein Freund Fredi Asperger, der geniale Autist, pflegte immer, wenn er sich mit mir in ein Diskussionsgefecht verstrickte, ohne mir in die Augen zu schauen, manisch an den Knöpfen meines Sakkos zu drehen – es wirkte einfach beruhigend auf ihn und half ihm, sich zu sammeln. Die Welt der Knöpfe unterteilt sich in übrigens Ösenknöpfe, Lochknöpfe, Zwirnknöpfe, Posamenten- und Knebelknöpfe. Aus der Art geschlagen ist lediglich allein der schnöde Druckknopf; ihn erfanden Ingenieure, deren Zwanghaftigkeit sattsam bekannt ist und die notorisch im Dienste menschlicher-unmenschlicher Hast und Ungeduld stehen. Nun wird es aber selbst mir echt zu idyllisch, so etwas hält ja kein Text aus. Ich drücke abrupt den Aus-Knopf.

Stammtischstumpfsinn

4. März 2012

Politik mit heiterem Gesicht: Puppen-Polonäse!

Herrenabend im Punsch-Club. Schwer zu sagen, wer das aufgebracht hatte, aber plötzlich stand das Wort in der jäh verstummenden Runde: Einen Blumenstrauß für Winnetou! – Weil ich ihm am nächsten saß, hörte ich Klaus Nüchtern, unseren Bedenkenträger, murmeln: „Echt, das ist ja wohl so passend wie Ehrensold für’n Schnäppchen-Prinzen!“, aber die Stimme der Vernunft verlor sich im aufbrandenden Beifall. „Mit Fleurop! Mit Fleurop!“ jubelte man, „für die Rothaut soll es rote Rosen regnen…“ – „…und weiße Primeln aus Athen!“ ergänzte Alfons Läpple, der schon etwas hinüber war. Einser-Jurist Mangold erhob sich schwankend, um ein Rechtsgutachten abzugeben. Rein rechtlich, also de jure praktisch – er  blickte uns streng über die fensterlose Lesebrille an – sei gegen das Bukett-Projekt nichts einzuwenden, zumal der Apatschen-Häuptling vor seinem Hinscheiden noch Christdemokrat geworden sei. „Konfitüre für den Konvertiten!“ krähte ein namenloser Beisitzer, der nicht mehr bei Sinnen war. Ein unernster Abend!

Etliche Punsch-Runden später kamen wir aber doch noch auf die flanellgraue Ex-Eminenz zu sprechen. Läpple mimte, einen Teller mit Schnittchen vor sich her balancierend, den Laienlakaien von Schloss Großkotzwedel, dienerte albern vor Mangold herum und hüstelte dazu: „Euer Ehren, Ihr Gnadenbrot!“ –  Mangold machte uns bereitwillig den Wulff und schnarrte „Gehmse her, gehmse her, Mann! Meine Gier kennt keine Grenzen, ich verhehle sie nicht, denn ich bin für Transparenz!“ Meines Erachtens übertrieb er allerdings ein bisschen, als er dann genüsslich die Salami-Schnittchen durchzählte und mit behaglichem Schmunzeln in seine Brieftasche stopfte, aber wir waren ja auch nicht mehr ganz nüchtern. „Was? Was?“ schreckte Klaus aus seinem Sekundenschlaf auf. „Sag mal rasch Apatschen-Apanatschis Abschieds-Apanage“ wurde er aufgefordert und kam dem fehlerlos nach, sogar dreimal. Kein Problem für Klaus Nüchtern!

Aus vager Karl-May-Film-Nostalgie erwuchs dann noch eine wirre Erörterung, ob man nicht statt „dieser doofen Nazi-Ohrfeige Klarsberg“ (Läpple) lieber Uschi Glas nominieren sollte, „meine erste Onaniervorlage“, wie Mangold stolz errötend verkündete. „War das nicht Uschi Nerkes?“ warf ich ein. „Nee, warte mal, stimmt ja, das war Uschi … Obermaier“ korrigierte sich Mangold versonnen. „Egal! Alle Uschis ins Hotel Bellevue!“ gröhlte Läpple entfesselt aus der Sitzgruppenecke, „jetz is Pussier-Polka unn Puppen-Polonäse!“ – Das Niveau also definitiv im Sinkflug. Punsch-Stammtisch-Stumpfsinn – auch ein Wort, das, mehrmals rasch hintereinander gesprochen, zu Entgleisungen führen kann.

Der eintreffenden Polizei bot sich am Ende ein erschreckendes Bild: fünf erwachsene Akademiker in Wollsocken, die sich wankend aneinander klammerten und gickelnd versuchten, synchron zu steppen und dabei a capella das Lied „Bettina, pack bitte deine Bürste ein“ zu intonieren. – Das befreiende Gelächter der Ordnungshüter ließ lange auf sich warten.