Archiv für Oktober 2013

Essen mit dem Smutje

23. Oktober 2013
Männerfreundschaft unter Matrosen

Männerfreundschaft unter Matrosen

„Was REDET ihr denn da immer die ganze Zeit?“, fragte mich neulich die Gattin neugierig, als ich, bisschen schwankend, vom Treffen mit Holgi zurückkam, weil Holgi und ich, wir treffen uns ab und zu zum Essen, so quartalsmäßig, teils um alter Freundschaft willen, teils weil wir es cool und urban finden, zu sagen: „Du, wie müssen mal wieder zusammen Essen gehen!“, und außerdem gibt es ja auch etwas zu trinken, und dann wich ich ein wenig aus und sagte noch „Och, meist bloß so Quatsch mit ohne Pointe“. – „Ist das nicht langweilig?“„Pö…“ hab ich da schlagfertig geantwortet, und, um ein bisschen mit weiblicher Logik zu prunken, „Du musst ja nicht mitkommen!“ Echt, Leute, sie würde das nicht lustig finden. Es läuft nämlich zum Beispiel in etwa folgendermaßen.

 

Kleine Vögel

 Ich hatte es geahnt, offen gesagt. Unser Frühstückstreffen hatte sich nämlich im Grunde bereits auf die abschüssige Bahn begeben, als Holgi nach seinem Berg Rührei nachdenklich die Karte studierte und schließlich zögerlich verkündete: „Ich glaub, jetzt nehm ich doch mal so einen Sauvignon!“ und Streusel-Babs, die gar nicht eingeladen war, sondern irgendwann plötzlich, Küsschen hier, Küsschen da, mit am Tisch saß, umgehend losflötete: „Für mich dann’n Prosecco“, worauf ich, zugegeben, man möchte ja kein Spielverderber sein, auch einen Wein orderte und jetzt war mittlerweile schon später Nachmittag, aber immer noch irgendwie Frühstück, wir hatten dann noch diverse Grappa bestellt, und Babs, die wegen ihres Lieblingspullovers auch Streusel genannt wird, fragte plötzlich mit ganz schriller Stimme: „Wie heißen noch mal, hier, Dings, die Dings, diese ganz kleinen gelben Vögel, die…“ und ich soufflierte „Kanaries„, und Babsi dann so: „Nee, Blödsinn, viiel kleiner, Mensch, mit so Warnstreifen“, wozu sie mit Daumen und Zeigefinger einen Millimeterabstand abmaß und die Augen angestrengt zusammenkniff, um anzudeuten, wie wirklich verdammt klein ihre komischen Vögel waren, und ich hatte gesagt, bloß so aus Quatsch, „Du meinst wohl Wespen?“ und da hatte Streusel plötzlich ganz, ganz ernst genickt wie ein Wackeldackel – „genau!“ –, auf Holgi mit dem Finger gepiekt und gesagt: „Du hast übrins da’ne Wepse am Krang“, und dann war, ich weiß auch nicht, plötzlich die Hölle los, Holgi war trotz seiner Beleibtheit aufgesprungen wie ein Gummiball und hatte hektisch im Luftraum herum gefuchtelt, Babs wurde aus Solidarität oder diffuser Begeisterung total hysterisch und fuchtelte auch, und ehe ich noch sagen konnte „Jetzt bloß nicht fuchteln!„, hatte es Holgi schon erwischt, „Aua! Scheiße!“ hatte er gerufen, in die Luft geboxt und den Tisch getroffen, der dann wohl umfiel oder irgendwas, es schepperte und spritzte jedenfalls, die Leute guckten schon, Babsi fing wie irre an zu lachen, aber als Holgi dann mit ganz dunkelrotem Kopf schrie „Allergie! Mensch, ich hab Allergie!“, hörte sie abrupt wieder auf, kriegte sich ein und redete was über „Antihistonikum“ und „essigsaure Tonerde“ und, keine Ahnung, die Gemütlichkeit war irgendwie weg.

 Damenbesuch

 Holgi war schon da, hinter einem Teller dampfender Pasta, und tauchte, als ich kam, schmunzelnd aus dem Nudelnebel auf wie ein alter Seehund, der zufrieden feststellt, seine Sandbank existiert noch, und legte mir seine Befriedigung bezüglich unserer gelegentlichen Mittagstreffen dar, dergestalt dass er ansonsten „den Arsch ja gar nicht mehr hoch“ kriege, so aber „muss ich ja“ und ich nickte und wartete ab, bis Holgi endlich versonnen in die Spät-Sommer-Luft schnupperte, als hätte er irgendwie ein ganz spezielle, nur ihm zugängliche Witterung aufgenommen, wir saßen ja draußen unter dem Schirm, und genießerisch die Lippen schürzte: „Ich glaube, die haben hier einen ganz guten Pinot Grigio…“, und ich orderte den dann, aber, es ist nicht zu glauben, kaum hatten wir Prost gesagt, stand ausgerechnet Irmel Bernatzke, die alte Spaßbremse, an unserem Tisch, fixierte uns und unsere Gläser mit zitronensaurer Missbilligung und begehrte mit einem Gesicht wie meine Mutter schneidend zu wissen, was wir denn da „machten, schon mittags!“ und Holgi und ich starrten stumm und ratlos auf unsere Gläser, als begriffen wir auch nicht, wie die da hingekommen waren und was die denn da so machten, weil Irmel ist für Alkohol, was Veganer mit Fleisch sind, außerdem trägt sie immer so extrem weite Sachen aus erdfarbenem Wollfilz, weil sie sich nicht auf ihre Weiblichkeit reduziert wissen will, und Holgi und ich schwitzten echt literweise Blut und Peinlichkeitswasser, bis Irmel endlich Leine zog, die vergrätzte Fregatte, nicht ohne mir noch ein „Seit wann RAUCHST du denn?“ auf den Tisch zu spucken, und infolgedessen bestellten wir auf den Schreck schnell noch einen Pinot und Holgi machte ganz kurz so ein verschwiemeltes Schwerenötergesicht wie ein Rainer Brüderle-Double, hielt seine Hände halbkugelmäßig vor den Hals und zwinkerte, da wäre ihm ja selbst Streusel-Babs noch „tausendmal lieber“, weil, immerhin, da gäbe es ja nun wenigstens „schön was zu gucken“, aber für ein typisches Männergespräch sind wir zu distinguiert, Holgi und ich, deshalb redeten wir dann über anderes.

 Gotteslob

 „Hey, Mann, Alter, was läuft?“ fragte ich Holgi. Meister der Gesprächseröffnung. „Rente läuft“, grinste Holgi, „und ich kann das bis jetzt gut ab!“ So sah er auch aus! Putzmunter in seinem blau geringelten Matrosen-Leibchen, das sich um seinen Bauch spannte wie aufgemalt, mit seinem rundum mit weißen Stoppeln bedeckten Kugelkopf, und man konnte ihm ohne weiteres glauben, dass er jahrelang als Versorgungs-Maat oder Smutje auf einem Containerschiff gefahren war, was aber gar nicht stimmte, er war nur bei der Bundesmarine gewesen, allerdings die ganze Zeit an Land, „wegen dauernd irgendsowelcher Engpässe mit Booten und so“, und irgendwann hatte Holgi „Pizza Wagenrad“ bestellt und ich „die vegetarische Pizza, aber bitte mit einmal extra Prosciutto“, haha, und beim Essen hielt ich es doch nicht mehr aus und platzte mit der Frage heraus, die mir seit Tagen auf den Nägeln brannte: „Jetzt sach aber mal, Holgi, wie ist das? Du bist jetzt zum HERRN gekommen? Wie das denn nun?„, worauf Holgi schmunzelte, gleichzeitig nickte und mit der Hand, in der er ein Tortendreieck Pizza hielt, abwehrend vor mir herumfuchtelte, „ja, nein, nur so gewissermaßen – ich mach jetzt so’n Gospel-Projekt…“, ich meine, ausgerechnet Holgi jetzt, die altgediente Bluesrock-Rampensau, „…aber nicht, wie du denkst, is mehr so…“ „Was?“ machte ich, und er sagte: „…so Art …Gangsta-Gospel„, worauf ich mich an meiner Pizza verschluckte, bis mir die Augen tränten, und ich muss ganz schön ungläubig ausgesehen haben, als ich sagte: „Nich im Ernst, jetzt, oder? Wie zur Hölle geht denn … Gangsta-Gospel?“, aber Holgi hatte schon wieder abgebissen und umpfte nur „Derbe Tekpfde, derbe Tekpfde…„. Was sollte ich sagen? – „Oh Lord, woud you send me a mp-three!“

 Holgi macht die Fliege

 „Aber du kannst doch nich den GANZEN TACH … fernsehen“, hatte ich zu Holgi gesagt, mehr verblüfft als mit medienpädagogischen Absichten, nachdem Holgi mir empört und kopfschüttelnd den schwachsinnigen Inhalt von tausendundeiner doofen RTL-Show wiedergegeben hatte, und „Nee…„, hatte er genickt, “ …mach ich ja auch viel nachts…“, was, glaube ich, nicht als Scherz gemeint war, und dann verriet er beiläufig: „Wir sitzen jetzt auch wieder an DEM FILM!“. Und zwar, Holgi hat nämlich mit Kumpels einen Spielfilm gedreht, eine Art Öko-Horror-Liebes-Dramödie, wo es um eine 1,70m große Stubenfliege geht, die von einem verrückten Wissenschaftler im Auftrag eines Generals als Killerinsekt entwickelt wurde, ein Prototyp der Drohne sozusagen, aber infolge eines Fehlschlags keinen diesbezgl. Instinkt entwickelt und stattdessen lieber Blumen pflückt und sich in ein Fräulein verliebt, aber die Eltern von ihr sind gegen die Verbindung, dann gibt es Verwicklungen, die Fliege soll getötet werden, mit so einem Spezial-Spray von dem Wissenschaftler, doch dann… – das Ende will ich mal nicht verraten. Holgi spielt, mit Strumpfhose, Gasmaske, Fühlerkappe und Pappdeckel-Flügeln, die Titelgestalt sehr engagiert, wenn nicht enragiert, Problem ist nur, der Film wurde schon Ende der 70er Jahre gedreht und seitdem, seit 35 Jahren, sitzen die Jungs nun an „Soundtrack und Post-Production“, wie Holgi mir darlegte, was ich zunächst, zugegeben, zwar rührend, aber auch total bescheuert fand, aber später, als wir zu Wein und Grappa übergegangen waren – „Nee, lass ma jetzt, KAFFE vertrag ich nich so viel“ hatte Holgi abgewehrt – schien mir die Idee immer plausibler und zum Schluss, gegen Abend, sogar schon irgendwie grandios. Man muss ja alles mit dem Originalmaterial machen, Nachdreh ist nicht – Holgi und ich zum Beispiel könnten heute gar keine Fliegen mehr, bestenfalls noch Hummeln mimen.

 

 

 

 

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Improvisieren können

23. Oktober 2013
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Im Fernsehstudio

Damit mich keiner erkennt, hatte ich einen Schlips umgebunden. Ordentlich schick gemacht: Camouflage für die Talkshow. Ins Gesicht schön bunt Werbung gemalt, für Schwarzbier und Dosenravioli. Ich liebäugelte damit, das einfache Volk zu repräsentieren. Aber dem einfachen Volk sagt ja keiner etwas, zum Beispiel, dass man zu solchen Einladungen irgendetwas mitbringen muss. Neben mir saß einer, der mit dem Rollstuhl quer durch den Regenwald war und darüber mit dem Mund Bilder gemalt hatte. Zwei Plapperwachteln litten an rätselhaften Krankheiten, von denen die Kasse nichts wissen wollte, eine beleibte feministische Dame verbat es sich, auf ihren Körper oder ihre Weiblichkeit? egal, jedenfalls reduziert zu werden, und die anderen hatten eben was Selbstgemachtes mitgebracht, einen Song, ein Werk, ein Opus maximus, zum Vorzeigen und Herumprahlen. Und ich? Typisch wieder, immer denk ich, mir wird schon etwas einfallen, ich improvisiere einfach, und dann kann ich bloß Sendepause und Maultaschen feilbieten. Oder heißt es Maulfeigen? Nein, Maulaffen, jetzt weiß ich, Maulaffen. Was sind eigentlich nochmal Maulaffen? So etwas wie Ohrfeigen? Erwähnte ich schon, dass ich mich schwer konzentrieren kann?

Schon wandte sich die superfreundliche Moderatorenschlampe an mich, zeigte mir ihre gewienerten Zahnreihen und krähte mit koksbetriebenem Enthusiasmus: „Aber nun zu Ihnen, Herr…!“ und auf ihr Zeichen hin fuhr mit Karacho eine Riesenkamera auf mich zu, knallte mir frontal ins Gesicht und filmte mit Teleobjektiv neugierig in meine Nasenlöcher hinein, zum Glück frisch gepflegt mit dem Nasenhaarrasierer der Firma Oldsmobil. Das einfache Volk begann zu schwitzen wie ein Störungsmüller. Oder heißt es Schwerenöter? Briefbeschwerer? Beschwerdeführer? Jetzt half jedenfalls nur eines: maximale Hysterie!

„Ja, jaha! Verdammich, ich wars!“ schrie ich, „Erwischt! Ich bin der Schwindelbischof von Humburg, Jonathan Kraska! Also Butter bei die Fische, große Portion Beichte mit doppelt Bußkram: Ich habe gehurt, geschlurt, geschleimt und leimsiederisch rumgeschlampert! Auf dem Satanstrip wie nichts Gutes! Brokat-Bilanzen, kostbar halbseidenene Steuerverklärungen, dann wieder voll die Gelage, skrupellose Ferkel-Orgien, klar auch hier Dingsbums, Knabenliebe, Ministrantenstrich mit rotem Teppich, schwergoldene Urinale, grotesk teure Platinesken und diözesane Rubinate usw., pah, peanuts, meine leichtesten Übungen! — Wer Gott dient, muss einen guten Anzug tragen! Und zwar ministrös gebügelt! sag ich immer. Und wer moppert, kriegt eine Leviten-Abreibung in Kirchenrhetorik: Anlaufen, Beschleunigen, Abheben, himmelwärts Düsen, krass fertiges eschatologisches Weggetreten-Sein. Das ist mein Sport! Da bin ich richtig, richtig gut drin. Und der feine Herr Jesus ist mein Zeuge! Meine Devise: Für den Gottessohn nur Weihrauch, Myrrhe, Koks und Kaschmir. So! Und jetzt Sie!“, – ich begann haltlos zu schluchzen.

Eine der kranken Tanten reichte mir ein Tempo und tätschelt meinen Arm, der links vorne an der Lehne des Bischöflichen Stuhls befestigt war. „Na, na“ sagte sie begütigend, „na, na…„, die Moderollatorin starrte irritiert in ihre gelben Karteikarten, der Regenwaldrollo kicherte blöd und das Saalpublikum johlte und haute sich krachend auf die westfälischen Schweineschenkel. Vollends durchschizophreniert – wie kam ich aus dieser Nummer bloß wieder heraus – brüllte ich in den Saal: „So, Schluss jetzt! Hört auf mit dem Geschwindelgrinsen, das war kein Spaß! Beziehungsweise wohl, ich wollte sagen, wohl, das war vielmehr bloß Spaß, ein kleiner Scherz, ein Gag, zur Auflockerung, in Wahrheit bin ich…“ , und nun musste ich aber echt improvisieren, „…der Steinerne Gast, der unsichtbare Dritte, der ganzganz Andere, das Objekt klein a, der abwesend Anwesende, der Dritte Mann, jenes höhere Wesen, das wir verehren….“, – dann wurde das einfache Volk mittelsanft nach draußen geleitet.

Mann, Mann, dachte ich im Aufzug nach unten, du bist ein echter Diskurs-Vergeiger! Aber als es mir in der Senderkantine gelang, meine entwerteten Straßenbahntickets als Essensmarken zu verwenden und einen Teller Käsemakkeroni zu erschwindeln, gewann ich schon wieder an Selbstachtung. Man muss improvisieren können!