
Auf dem Bazar in Afghanistan: Der Autor lässt die Schwedinnen Skizzen zeichnen, damit sie zur Reinigung finden…
„Ich aber habe mich wegen der Widrigkeiten, die ich erlebt habe und weiterhin habe, in meine Villa zurückgezogen, und manchmal erinnere ich mich einen Monat lang nicht mehr, wer ich eigentlich bin.“
(Niccolò Machiavelli, Brief vom 8. Juni 1517)
Dies trifft voll und ganz auch auf mich zu, das kann ich unterschreiben, insbesondere das mit den Widrigkeiten, weniger freilich die Sache mit dem Villenbesitz, dessen ich nämlich, entgegen anderslautenden Gerüchten, durchaus und noch immer entrate, – und wer ich eigentlich bin, habe ich im Grunde noch nie gewusst, es daher wenigstens auch nicht monatelang vergessen können. Einen Monat lang und mehr indes versäumte ich, etwas zu schreiben. Angesichts der „Welthirnjauche“ (Karl Kraus) von Ennui, Überdruss und Weltekel übermannt, mehr noch, wie „zernichtet“ (Lenz), ja innerlich verwüstet und leer, fehlte nicht mehr viel zur strikt katatonischen Lähmung, zur umfassenden Blödigkeit, zum Karpfentum nunmehr gänzlich nonverbaler Existenz als stumm wesendes, illiterates Gemüse!
Außerdem weilte ich in Afghanistan. Ich verbringe meine frühmorgendlichen Albträume gern in Krisen- und Kriegsgebieten. Jedenfalls glaubte ich, dass es sich um Afghanistan handelte: eine ungepflasterte Ödnis voller unverkleideter Berge, zugig und staubwüst, der Marktflecken aber quirlig und bunt mit allerhand orientalischen Lebensbezüglichkeiten ausgestattet und voll zwielichtigen Volks, Turbanschaffner, Bartfärber, Müll-Mullahs. Emotionalienhändler rollerten auf Onlinern durchs Gassengeviert und schrien Erregungsangebote aus; man bot wohl auch Drogen auf rein pflanzlicher Basis feil, Frauen trockneten Aprikosen unter Schonbezügen (also die Frauen), landestypische Parfums durchwehten die Lüfte – Knoblauch, Ziege, Hühnerkot. Es ging zu wie auf einem Bazar. Was sage ich? Es war ein Bazar! Was von Vorteil ist: In meinen Albträumen kann ich immer total gut laufen! Ich war nämlich mal wieder auf der Flucht, weil die ortsübliche Bevölkerung ihr Bedürfnis ausdrückte, mich massakrieren zu wollen. Kinder und Greise schwangen blutige Messer, man schoss Vorderlader-Flinten auf mich ab und hängte mir Zettel mit Schimpfnamen auf den Rücken.
Die Flucht dauerte und dauerte, der ganze Traum im Laufschritt! Etwaige landschaftliche Schönheiten zu bewundern, blieb keine Minute. Gebirge und Wüsten stellten sich mir in den Weg, talibanesische Söldnersoldaten bewarfen mich mit heiseren Rachen-Schwüren und verlangten auf Urdu hustend mein Blut. Zwar hatte ich keine Angst, aber nach schnödem Ermordetwerden in einem doofen Land stand es mir nun auch nicht. Also weiter, weiter! Durch die Schluchten des Hindukusch! Ich hatte schon einen ganz trockenen Mund. Und dann musste ich auch noch aufs Klo! –
Als ich wieder im Bett war, hatte irgendjemand den Traum für mich weiter geträumt, denn mittlerweile war ich abgehetzt, verschwitzt und ungeduscht in Kabul angekommen, oder Kunduz vielleicht auch, und es hatte sich gerade eine Möglichkeit aufgetan, mich rettungshalber auszufliegen, in ein Land meiner Wahl. Schon wollte ich erfreut auflachen, als eine neue Beklemmung mich überfiel. Siedend heiß fiel mir nämlich ein, dass ich vor Tagen in Kabul, Kunduz oder wo eine Hose in die Reinigung gegeben, aber, wie immer und typisch für mich, den Abholzettel verbummelt hatte. Die Zeit drängte doch! Sollte ich zur Botschaft, einen neuen Zettel beantragen? Konnte ich befreundete Westler bitten, die Hose abzuholen und mir nachzusenden? Einer schwedischen Reisegruppe versuchte ich, mein Problem zu erklären, zugleich eine Skizze verfertigend, den Weg zum Reinigungsladen betreffend, und andererseits in einem Wörterbuch mit zunehmender Verzweiflung und ausbleibendem Erfolg das afghanische Wort für ‚Abholzettel‘ nachschlagend. Leider beherrschte ich auch das Schwedische nicht und endloses Gestikulieren, Skizzieren und In-der-Gegend-Herumdeuten brachte uns nicht weiter. Langsam wurde es wirklich albern!
Was soll ich sagen? Über die Angelegenheit mit der bescheuerten Hose verpasste ich schließlich nicht nur mein Flugzeug, sondern auch den ganzen weiteren Krieg, der inzwischen wohl zu ende gegangen war, denn das zerklüftete Land war nun planiert, asphaltiert und von unangenehmen Bevölkerungen gesäubert. Man hatte aus der gesamten Höllenregion einen riesigen Parkplatz gemacht, allerdings bewacht und gebührenpflichtig. War das nun die ganze Hatz wert? – Als ich beim Frühstückkaffee der Gattin brühwarm von meinem Traum erzählte, erfrischte mich erneut ihr pragmatischer Sinn. Nachdem sie mich angehört und über meine Abenteuer nachgedacht hatte, fragte sie, nach kurzem Schweigen: „Und? Was ist jetzt mit deiner Hose?“ – „Ach“, versetzte ich wergwerfend, „pah! War bloß eine schwarze Stoffhose – sowas ziehe ich doch eh nicht an…“
Als Nutzanwendung des Traumes notierte ich in mein Sudelbuch: Blaise Pascal zufolge rühre alles Unglück in der Welt daher, dass die Menschen nicht mehr ruhig auf ihrer Stube bleiben könnten. – Ich möchte diese Einsicht verschärfend übertrumpfen: Das Unglück beginnt schon, wenn Männer aus den Hosen steigen!
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