Archiv für Februar 2012

Drei Texte aus dem Jahrhundert der Erbaulichkeiten

24. Februar 2012

Was mir die Muse hinterließ...

Musenbesuch. – In der Nacht überkam mich trotz reichlich genossenem Punsch-Grog tiefe Traurigkeit des Herzens, und so entschloss ich mich, ein Räucheropfer darzubringen und Melpoméne zu beschwören, die Muse der Schwachmütigen, von der geschrieben steht, sie habe über die Zeitläufe hinweg sehr viel Unglück und Leid gesehen und hülfe durch ihren Gesang, neue Kraft in den menschlichen Geist zu transportieren, auf dass er schließlich triumphiere. Schon erscholl sie geisterhaft: „Sterblicher, geh hin und opfere mir ein heiser kläffendes Malterserhündchen oder einen nervigen Yorkshire-Terrier mit goldenem Vließ, so will ich dir unter Umständen erscheinen!“ Ich tat wie geheißen und massakrierte das lästige Schoßtier, es hatte dies längst verdient.

Ein Moment der Magie! Kaum erstarb gurgelnd das Kläffen des Hündchens, entwand sich dem Dunkel im Stubenwinkel wohlduftend das herrliche Mädchen, die hochbrüstige Jungfrau, rabenschwarz und alabasterhäutig, in seidengeblümte Lingerie-Waren gehüllt und sternenbestäubt: Melpoméne, quasi-göttliche Tochter des Zeus und der Mnemosyne! Herbstsüß wie Ahornsirup troff ihr ein Lächeln von den vollen, flaumumschattenen Lippen.

Ich schilderte meine Beschwerden, Malesten und Symptome, die ganze Not: „Beginnende Resopalisierung des Empfindungsvermögens“, lautete die Musen-Diagnose. „Das kann schlimme Desertifizierung der Großhirnrinde bewirken!“, murmelte sie besorgt. Ihre Stimme verschwamm schon im Punschbecken. „Hier, ich schreib dir was auf“ hörte ich die Muse noch panflöten, dann verblich sie schon wieder, anmutig ihren Namen tanzend, im Algendunst des Wecker-Lichts. Was sie hinterließ, gab mir indes zu rätseln.

Tiefer Fall. –„Keine Zeit, keine Zeit!“ – Apostel Petersen, eigentlich ein umgänglicher, geselliger Mensch, bügelte hektisch an seiner Business-Soutane und blies die rosigen Backen auf. Er war berufen worden und sollte abends ein Amt bekommen! Unsere Runde huldigte ihm schon mal frenetisch und berechnete johlend seine Pensionsansprüche. Wir freuten uns für den Kandidaten-Kameraden! Zu früh leider.

Die dreimal vermaledeite Sykophanten-Presse hatte nächtens nicht geruht, hatte gewühlt und es dann lüstern offenbart und herumposaunt resp. ausgeschrieen: Einst, als blutjunger stellvertretender Beauftragter für liquide Nutrifikation beim Nuntius von Schwenningen, hatte Apostel Petersen wohl einmal fahrlässig seines Nächsten Weib begehrt! Zwar, dem besagten Nächsten war dies egal, denn Herr Frerkes war schon lange verstorben, an unheilbarer Gemütsvertrübung, aber eine resche Witwe zu begehren, auch wenn sie nach Argentinien verzogen war und nur noch dem phantasmagorisch-transatlantischen Fernbegehren zur Verfügung stand, beschädigte das in Frage stehende Amt. „Schuldig! Schuldig! Schuldig!“ heulte der Chor der Furchtzwerge, „damit nehmen wirs genau!“

Apostel Petersen musste eine knieweiche, faselscheinige Erklärung abgeben und, einen spitzen Schandhut auf dem Kopf, schamfristgerecht zurücktreten. Ein Traum zerbarst, ein Trauma wurde geboren. Der Geschmähte ging damals als Aushilfs-Anachoret zum Häresiarchen nach Eritrea, um der Vergessenheit anheimzufallen. Heute soll er unerkannt bei der Continental in Lüneburg arbeiten, wo er alljährlich Puff-Partys für verdienstvolle Aquisiteure organisiert. – Hoch fliege, wer tief fallen möchte!

Jähe Verwandlung. – Ich führte stets das Asketenleben eines hageren Hungerherings, aß nur Sportbrot und Tubenfisch aus der Spürdose, ernährte mich von Diätbüchern, die ich selbst ersann, aufschrieb und im Eigenverlag vertrieb und ich mied das Normodrom, wo die Megalomanen, Hypermotoriker und Hydroklasten tobten, item die Sektierer, die Lügenbrut der Oligophyten, Lotophagen und Barbelo-Gnostiker, die dem Herrn ein Greuel sind und die ich gehorsamst verfluchte, ich blieb keusch und treugläubig, erkannte kein Weib, so es verschleiert des Weges kam und trank nicht aus Bechern, in die eine Jungfrau geschaut hatte. Nie ritt ich auf gescheckten Wiederkäuern mit geflecktem Fell und gespaltenen Hufen, noch trug ich je ungebügelte Hemden oder rauchte beim Gebet. Und dennoch schlug mich der Satan!

Eines Morgens erwachte ich und fand mich in einen ungeheuren, dicken alten Sack verwandelt, einen Schlemmer, Prasser und Wollüstling, der bei den Huren und Zöllnern speiste, die Frömmler verlachte und lästerliche Reden hielt. Verhängnis und Hässlichkeit! Wie war das zugegangen? Einer Hexe widriger Zauber? ein heimlicher Fluchspruch? der Dämonen übelriechender Odem? – Ach, vielleicht ist es einfach das Alter.

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Schmierblatt „taz“ (Indianer mit kalten Händen)

22. Februar 2012

Indianer mit kalten Händen (Fotoquelle: http://www.pflichtlektuere.com/.../ 12/kalte-haende1.jpg)

Von Philosophen lernen heißt fragen lernen. Mein Idol, der Königsberger Meisterdenker Immanuel Kant, warf einst („Von den verschiedenen Rassen der Menschen“ 1775) die bis heute nicht befriedigend beantwortete Frage auf, warum bloß der Indianer immer kalte Hände hat. Und zwar hereditär und unvermeidlich. Die eventuell aufkeimende Gegenfrage: Woher kannte Kant, bei dem man auch viel über den Neger („faul, weichlich und tändelnd“) lernen kann, denn das kleine Geheimnis des Indianers? Im Königsberg des 18. Jahrhunderts waren Indianer (und selbst Neger) nur extrem selten gesehene Gäste, und das Internet gab es ja noch nicht. Nun, Immanuel Kant bezog seine Weltkenntnis bei durchreisenden Engländern, die ihm beim Punsch allerhand Schnurren erzählten.

Mit Internet wird nun jeder zum Superhirn und birst vor Meinungen. Wahres Wissen verbreitet sich mit Lichtgeschwindigkeit. Man weiß, dass Thomas Gottschalk Alzheimer hat, Bettina Wulf früher Prostituierte war und Präsidenten-Kandidat Gauck ein Antisemit ist. Steht doch alles im Internet! Das heißt, letzteres entnehmen wir der derzeit kognitiv verwahrlosesten, schmierigsten und verkommensten Art von Boulevard-Journaille, die auf dem Markt herumkrakeelt und verzweifelt Abonnenten kobert, die das eigene Dumpfbacken-Ressentiment teilen – der „taz“. Dort darf ein Kolummnen-Kretin namens Deniz Yücel, der das Denunzieren offenbar noch vor dem Schreiben gelernt hat, Gauck-Zitate solange kürzen, verdrehen und sinnentstellend zusammenkleistern, bis das genaue Gegenteil des Gesagten herauskommt. Gesagt hatte Gauck nämlich etwas sehr Kluges:

„Nicht nur aus deutscher oder jüdischer Sicht ist die Erinnerung, Vergegenwärtigung und Darstellung des Holocaust von zentraler Bedeutung. Allerdings wird sich in den kommenden Jahren zeigen, welche Art des Erinnerns und Gedenkens von nachhaltiger Bedeutung sein wird. Nur am Rande sei die Gefahr der Trivialisierung des Holocaustgedenkens erwähnt. Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt. Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt, auf dem – so die unbewusste Hoffnung – so etwas wie ein Koordinatensystem errichtet werden konnte. Das aber wirkt »tröstlich« angesichts einer verstörend ungeordneten Moderne.

Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasi­religiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben. Wir würden nicht begreifen. »Aber der Holocaust wurde inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hoch entwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen; er muss daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.« Das nicht zu sehen, es aus dem historischen Gedächtnis zu verdrängen oder aber entlastende Erklärungsmuster zu akzeptieren, bedeutet die Gefahr einer »potentiell suizidalen Blindheit«. So sagt es der jüdisch­polnische Soziologe Zygmunt Baumann, dem ich meine gewandelte Sicht auf den Holocaust verdanke.“

Das ist, wie gesagt, überaus klug, sensibel und intelligent formuliert. Der „taz“-Schmierfink macht daraus: Gauck missbilligt es, ’wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird’“, und versucht damit „die Juden in die Schranken zu weisen“. Der Dreck wird sich verbreiten, da darf man sicher sein. Ich aber warte auf durchreisende Engländer, denen ich ins Ohr wispere: „Mr. Deniz Yücel ist ein elender Wichser („wanker“)! Und die „taz“ taugt gerade noch dazu, ein Feuerchen zu machen, damit sich der Indianer die Hände wärmen kann!“

Und wer, wir? (Mutter ruft an)

19. Februar 2012

Mutter ruft an!

Wörter, manche Sätze, Beifang in den Flachgewässern der Wachträume. Aber wie rasch auch wieder entglitten. Väter und Söhne sind Zwillinge, fiel mir ein, nur eben einwärts längs in die Zeit gedreht, mit den gleichen schreckgeweiteten Augen, der Vater voran, der Sohn, freilich ohne es zu wissen und erst spät erwachend, ihm nach. Flüchtige clairevoyance, unwiederbringlich schon wieder versunken, bevor notiert werden konnte, was sie für einen Moment zu begreifen gab. Wie können wir uns je verständigen? Das Gehirn erblüht zuweilen verfrüht im ersten Morgenlicht, verschwenderisch zaubernd in seiner Bildermacht und bleibt doch, wiewohl mein eigen, mir fremd, wie ein sehr fernes Tier: wie der Merlan, das Opossum, die Seeanemone – wir ahnen uns kaum! Unter dem Eis tragen die Stimmen nicht. Wie sollen wir uns finden? Und wer, wir?

„Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
 / Wenn wir die irdische Verstrickung lösten, / 
Das zwingt uns stillzustehn“, so heißt es im Hamlet. Vielleicht. Aber es wird einem schwer gemacht. Immer um acht, am Morgen, ruft mich meine verstorbene Mutter an, aus Übersee, sie benutzt den batteriebetriebenen Wecker auf meinem Nachttisch dazu. Sprechen will sie nicht eigentlich, macht nur so pickende Geräusche, wie der Warnruf einer Drossel klingt es. Pick-Pick, dann lauter: Pick-Pick-Pick. – „Mutter, jetzt nicht!“ rufe ich stumm, „ich muss noch fertig träumen!“ Zu spät – jäh verblassen die Visionen, wie Polaroids, nur umgekehrt: Was Bild war, wird Schemen, Schleier und Schliere. In jedem Menschen schläft ein Mozart, ein Munch, ein Magritte, ein Musiker oder Malerfürst – und dann verscheucht Mutter die Musen!  Aber sie weiß es ja nicht besser, sie hat es immer gut gemeint, sie hat mich beschränkt gemacht aus edler Absicht.

Im Traum ein Tagesrest: Ich bin wieder Schüler und werde zur Gruppenarbeit verurteilt. Gepeinigt schreie ich: „Niemals! Hier ein ärztliches Attest! Diagnose Autist! Ich habe Asperger! Gruppenarbeit tötet mich!“  Oh das dumme Gelächter der Eltern, der Lehrer! Sie sind heute, vermute ich, alle schon tot, leiden Langeweile und vertreiben sich die Ewigkeit mit Scherzanruf und Klingelstreich. Die Menschen sind ein Maisfeld. Kaum brechen wir durch das Unterholz der Nichtigkeiten, richten uns auf, mit schwerem Atem noch und blutig geschunden, erblicken wir vor uns endlich den Weg, doch, ach – um ihn zu beschreiten gebricht es für heute schon an Kraft. Im Dunst der morgendlichen Dämmerung lächeln am Horizont die Hänge des Vergeblichkeitsgebirges, unbezwungen und entrückt.

Ist das Leben nur Mühsal und Last? Nicht nur. In der Küche waltet ja schon die Gattin und bereitet das Frühstück, die liebe, und grüßt mich mit linder Sorge: „Hat Mutter wieder angerufen?“ Ich tauche auf, schüttele mir das Fruchtwasser aus den Ohren, sammle mich und nicke, aber schon besänftigt, getröstet fast. Es riecht nach Realität und frischem Kaffee und in der Sonntagszeitung eingefaltet wartet die Weltlage.

Ontologische Verteidigung des Negers

19. Februar 2012

Eigentlich schwarz: Barry White

Statistiker sagen, im Geddo hausten Repräsentanten von 99 Nationen. Das ist aber Stand vorletztes Jahr, möglicherweise sind es heute schon 120, 130, man weiß es ja nicht. Einer der interessantesten Zuwanderer dabei ist der Neger.  Er lebt nur Freitag und Samstag Nacht hier im Geddo, dies praktisch ist der Tag des Negers! Unter der Woche geht er offroad dunklen Geschäften nach. Man sieht ihn nicht, er verteilt sich und macht sich dünne. Das ist natürlich ein Vorurteil, ganz klar, das sehe ich ein und entschuldige mich in aller Aufrichtigkeit. Ich bin beileibe kein Rassist, das liegt mir fern. Der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, wusste übrigens, obschon er zeitlebens über das Weichbild Königsbergs nie hinausdrang, vom Neger, dass dieser morgens seine Hängematte verkaufe und dann des Abends aber nicht wüsste, wo er sich betten soll. Diese Ansicht gilt aber als überholt. Heute verkauft der Neger Hängematten, die er gar nicht hat, und schläft abends im Hotel. Ha, ha, kleiner Scherz mit Gruß an die Nigeria-Connection. Zum Glück versteht der Neger Spaß!

Manche Leute haben Vorurteile, weil sie den Neger nur aus der Schlagerparade kennen; ich hingegen darf sagen: Einige meiner besten Freunde sind sogar Neger. Einer von ihnen heißt, was mir einen unversiegbaren Quell der Verblüffung darstellt, Wolfgang! Wolfgang Mbami-Goreng. Er ist sogar durchaus auf seine Weise ein bisschen sympathisch, aber wenn wir mal so auf ein Hirsebier zusammensitzen, kommt es noch immer vor, dass ich, von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, meinen Zeigefinger mit Spucke befeuchte und vorsichtig  an seiner Haut reibe. „Wolfgang“, sage ich dann regelmäßig, „ich wollte es nicht glauben, aber du bist ja allem Anschein zum Trotz wirklich ein in der Wolle gefärbter Originalneger! Als kämest du aus Afrika!“ Wolfgang pflegt dann mit extrem weißen Zähnen zu lachen und haut mir gutmütig eins aufs Maul. Während ich mein Nasenbluten zu stillen versuche, lacht er noch immer generös: „Bruder, Blödmann, ich BIN aus Mother Afrika!“ Ich ertrage das wiederum , denn Diskuskulturen sind halt unterschiedlich.

Wolfgang findet Weiße aus Gründen, die ich nicht teile, aber nachvollziehen kann, etwas unappetitlich. Sie haben eine Haut aus Käse, können nicht tanzen und riechen irgendwie penetrant nach türkisblauen Klo-Steinen. Wir fremdeln also, aber mit Herz und Sinn für Völkerverständigung. Wär ja noch schöner, wenn wir den Neger nicht nach seinem Gusto hier leben ließen. Die Zeiten der Sklaverei sind vorbei, heute heißt das „keine Papiere“ und, na, haha, „Schwarzarbeit“.

Ich gelte ja als philonegroid. Die Frage ist, ob auch bulgarische Roma im weitesten Sinne zu den Negern gehören. Ich denke ja nicht. Lange Zeit habe ich vergeblich versucht, an ihnen was Gutes zu finden. Es wollte mir erst nichts einfallen. Wodurch bereichert uns kulturell der Roma-Bulgare? Wir verstehen ihn nicht, denn zumeist spricht er ein Türkisch mit heißen Kartoffeln im Schlund, es schollert und bollert, dass es einen graust, und die Hauptbeschäftigung des Roma-Bulgaren ist, nebst Akkordeon-Belästigungen im Innenstadt-Bereich und der Produktion von mindestens zehn Kindern, die Ablagerung von eklem Müll auf dem Bürgersteig. Lange Zeit, ich gebe das zu und entschuldige mich dafür, fand ich den Roma-Bulgaren nicht als Bereicherung.

Jetzt aber doch, denn er singt! Während Biodeutsche debil Thomas Gottschalck gucken, gruppiert sich der Roma-Bulgare zur Gemeinschaft und singt folkloristische Lieder. Polyphon, pentatonisch und heimwehzerfressen intonieren bulgarische Roma-Frauen herrliche Gesänge, die eindringlich über dem Geddo erschallen. Da kann der Muezzin einpacken mit seinem blöden Geknödel! Bulgarinnen singen, das ist von zahlreichen CDs bekannt, wie die Engel! Der Bio-Deutsche hingegen hat die schöne Praxis des gemeinschaftlichen Singens völlig verlernt!

Der Neger, technisch etwas mehr beschlagen, ist meistens ohrverkabelt und LÄSST singen, Reggae, Ska, Dub und 2Step, das ganze Programm auf dem iPod. Kürzlich sprach mich ein wildfremder Neger am Brückenplatz an: „Hey, Bro, aint it a perfect night to party?“ Ich bejahte dies freundlich. Wem Rassismus fremd ist, der kann dem Neger nichts abschlagen. Er ist halt durch seine komische Hautfarbe geschlagen, aber er ist doch immerhin auch EIN MENSCH! Soweit wage ich mich vor in der ontologischen Verteidigung des Negers! – Über den Juden dann ein anders Mal…

Ein Dichterleben

16. Februar 2012

Kulturdamen verabscheuen Indezenz! (Quelle: http://www.allmystery.de/)

„Am 23. Jänner, im dritten Semester, war ich bereits dermaßen arm, dass ich erwog, mir die Fingerspitzen zu frittieren, um wenigstens einmal wieder etwas Warmes zu knabbern zu haben.“ – Auf einer Novelle, die dergestalt sinister begänne, läge kaum Segen. Mit Grausen beschlösse die jäh abgeneigte Leserin, immerhin Absolventin mehrerer Volkshochschulkurse zum Thema Gute Damen-Literatur, die Lektüre noch in der duftkerzenbeschienenen, von Vivaldi-Musik umschmeichelten Wellnessschaumbadewanne abzubrechen. „Ein entschiedenes ‚Igitt, nein!’ zu solchem sozialkritischen Autokannibalismus! Es sind ja noch nicht mal Rezepte drin!“ schleudert die vor Unzufriedenheit bebende Lesedame dem unbekannten Autor K. entgegen, der hungrig in seiner Dachmansarde im 5. Stock (ohne Aufzug) sitzt und den Kopf hängen lässt, nicht wegen der strengen Lektüre-Domina, die hat er ja zum Glück gar nicht hören können, sondern aus allgemeiner Geschmacksverbitterung und hirn-ekliptischer Gemütsokkultation.

 * * *

„SPUCKEN SIE BLUT BEIM ZÄHNEPUTZEN?“ – Mit dieser marktschreierisch-aufdringlichen, schamlos verhörerischen Erkundigung hatte den jungen Empfindling schon am Morgen eine Reklametafel für Zahnpasta angefallen und gründlich den Tag verdorben. Solche indezente Herumbohrerei in seiner oralen Intimzone hatte ihn nachhaltig verstört; in seinem Merkbuch für angehende Dichter hieß nämlich eine der ersten Maximen: „Merke, Dichter! / Blut und Eiter/ stimmen niemals heiter!“ – Unbedingte Körperdistanz und strikte Affektkontrolle! – so hatte es ihm einst sein alter, vor zwei Jahren auf einer Kreuzwallfahrt nach Detmold verschollene Traurigkeitslehrer Arnold Winterseel stets eingeschärft. Schon, dass er inwendig lauter Adern besaß, in denen es praktisch ständig blutete und, schlimmer noch, einen meterlangen rosa-bräunlichen Darm, in dem unentwegt Unaussprechliches vor sich ging, kränkte ihn aufs peinlichste und ließ ihn vor Selbstabscheu das Atmen vergessen. Seine fortschreitende Dezenz veranlasste ihn sogar, nachts seine Wortschatzkiste zu durchkramen und gemeine Wörter wie „schleimlösend“, „Brechdurchfall“ oder „Mukoviszidose“ auszusortieren und unter allen Anzeichen des Ekels in den Wäschekorb zu stopfen. – „K.“ ist übrigens natürlich nur ein Künstlerpseudonym, unser Autor heißt bürgerlich Fredi Asperger, eine Name, unter dem er indessen praktisch unbekannt ist.

* * *

Wie mancher zumeist Ungelesene lebt Asperger häufig von frugaler Mangelernährung. Fettfreier Erbsbrei, Trockentoast und Teewurst alle Tage, an hohen Feiertagen vielleicht eine Dose plastinierte Ölsardinen, das ist das Brot der Dichter. Vitamine, Sprudelelemente und ungesättigte Mineralöle? Fehlanzeige! Eine gewisse Dünnhäutigkeit ist die Folge, was freilich der emsigen Verwandlung von Alltagszumutungen in schöne oder auch weniger schöne Literatur förderlich sein kann, in der Mansarde, nach Feierabend. Nur die Plapperkiste muss aus bleiben, denn da kommen zum Abendbrot schon wieder Nachrichten aus dem Verdauungstrakt.

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Zum Glück war der TV-Apparat ohnehin längst entzweigegangen und komplett hin, weil Asperger, von einem Koi-Aquarium bei seinem Eck-Chinesen inspiriert sowie durch eine halbe Flasche Schottenschnaps ein wenig übermütig geworden, einmal während einer öden Talk-Show eine Kanne Blumenwasser hineingefüllt hatte, um zu prüfen, ob die verzweifelt munteren Plaudertaschen im Studio wohl einmal das Plaudern vergäßen und zu schwimmen versuchten, wenn man sie dazu zwänge. Sie vermochten dies aber eher nicht, soweit Asperger dies beurteilen konnte, denn zu seiner schlagartigen Ernüchterung implodierte die Flimmerkiste mit einem unangenehm endgültigen Brizzel-Knall-Geräusch und verriet fortan nichts mehr über das weitere Leben ihrer internen Spaß-Figürchen. – Im Grunde ein Segen, denn Fernsehen verklebt, wie die Ölpest das Gefieder der Pelikane, die Flügel der Phantasie, – mit Ausnahme von Kulturfilmen aus Afrika, zum Beispiel über diesen einen Stamm in Äthiopien, wo sich die Frauen Essteller in die Unterlippe operieren, um attraktiver zu sein. Das lädt freilich endlos zum Träumen ein.

 

Eine kurze Einführung in die Quantenphysik

10. Februar 2012

Leute, so siehts doch aus!

Quantenmechanik – No, erklärt sich beispielsweise im Fußball. Bruno Labbadia, Trainer des VFB Stuttgart: „Wir müssen die Räume verdichten – aber wir müssen natürlich auch in den Räumen agieren!“ Tja, beides zugleich ist nun mal schwierig. Schrödingers Katze mauzt ratlos. Halb ist man ja schon tot. Was sich im Raum verdichtet, zieht sich in der Zeit. Nicht gewonnen und trotzdem im Finale. Gott zeigt beim Würfeln demonstrativ auf die Uhr. Keine Verlängerung! Es bleibt bei der vorläufigen Katastrophe – das Leben gewinnt wieder keinen Pokal, bleibt aber Champion der Herzen.

 Zustandsüberlagerung. Ich mache mich allmählich bereit, wegen unausgesetztem Krakeel, Krach und kretineskem Krautrock, meinen Nachbarn mit meinem Samurai-Schwert zu tranchieren und nach Strich und Faden zuschanden zu machen. Zentimeterhoch mag das Blut im Hausflur schwappen! Ich rase bereits im Amok-Modus, – während ich indes andererseits kopfhörerbewehrt und musikalisch sediert im Morgenmantel still am Keyboard sitze und versuche, Immanuel Kants Kategorischen Imperativ als Entspannungschoral zu vertonen. Aber, wehe, jetzt öffnet einer die Kiste – noch immer 50% Wahrscheinlichkeit, dass ein Killer herausspringt!

 Kollaps der Wellenfunktion (Kohärenz-Problem). – Gespräch am Brückenplatz: „Ey, hassema ne Kippe?“ – „Nee, sorry, du, ich rauch nich.“ – „Okay, dann hasse ja bestimmt ma Feuer.“ – „Ich sag doch: Ich-Rauche-Nicht!“ – „Ja eben, deswegen, eins von beiden, oder? Kann ich gezz vlleich ma Feuer?“

 Unschärfe der Ortsparameter. Mann, am Handy, beim Bäcker: „Schatziii? Schatzi, ich steh grad beim Brot hier…“ – Unverständliches („Brrpsst-Brrripst!“) aus dem Handy (Schatzi?)Mann (brüllt ins Handy): „Nee, sachich doch, ich bin bei’n BÄCKER!!!“– Passanten-Kunde, sich genervt einmischend: „Ey, Typ, vor allem bist du aber hier nich zuhause, okay?“ – Schatzi, aus dem Handy: „Watt sacht DER grad?“ – Mann, ins Handy: „Dattich hier nich zuhause bin…“ – Schatzi: „Unn, wo bisse denn denn? Nich zuhause?“ – Mann: „Nee, sach ich doch, noch unterwegs!“ – Schatzi: „Ach, ich dacht, du biss bei’n Bäcker?“

 Spin-Korrespondenz (String-Theorie). Sehr schwierige Sache. Sagen wir so: Um in Gang zu kommen, braucht mein Kreativitätszentrum Wein. Trink ich ihn aber, schaltet es sich sofort aus. Schluss mit lustig. Und umgekehrt! Wo der Hase Kausalität hinhechelt, ist der Igel Wirkung längst da … gewesen. Aber eben deshalb auch schon wieder weg, muss ja am Ende vom Wettrennen den Startschuss geben. Klar, dass der Hase da tot ist. Das heißt, na ja, vielleicht (siehe unter: Zustandsüberlagerung)…

 Beobachtungsabhängigkeit. Wie viele Übergewichtige meide ich Waagen, denn, wenn ich mich wiege, deprimiert mich das Ergebnis ohne Maßen, und wenn ich deprimiert bin, muss ich viel Kuchen essen, weswegen ich, um mein Gewicht zu halten, Waagen tunlichst ja wohl besser meide. The measure is the message! Für mich ist eines der wichtigsten Resultate der Quantenmechanik, dass man manches lieber nicht wissen wollen sollte, damit es wenigstens einigermaßen so bleibt, wie es mutmaßlich wohl ist. Vielleicht ja sogar sein soll. Der Taoismus sagt übrigens ganz Ähnliches.

 Viele-Welten-Theorie. Erklärt einiges, zum Beispiel das beharrliche Gefühl, sich definitiv „im falschen Film“ zu befinden. Hierbei handelt es sich nicht eigentlich, wie von Laien oft vermeint, um eine Halluzination, sondern vielmehr um das nur besonders sensiblen Menschen zugängliche Empfinden, dass IRGENDWAS NICHT STIMMT. Und wenn EINES stimmt, dann ja wohl dies! Ansonsten besagt die Theorie u. a., dass, was möglich ist, zwar nicht auch vernünftig, indessen aber zumindest durchaus wirklich ist. Wer glaubt, bizarre Träume zu haben, hat in Wahrheit nur entferntere Universen besichtigt. Dass man trotzdem morgens normal Kaffee kochen kann, ohne dass einem die Kausalität um die Ohren fliegt, scheint mir ein gutes Omen dafür zu sein, sich mit der Quantenmechanik endlich mal auszusöhnen.

 Mathematische Formeln. Ein Grund für Probleme mit der Quantenmechanik: Man ist einfach nicht gut in Formeln. Ich scheitere schon an der Schrödinger-Gleichung, die ja nun puppig-einfach ist! Versuche ich, eine mathematische Formel zu entschlüsseln, schlafe ich unweigerlich noch vor der ersten Klammer ein. Narkoleptisch-mathematischer Sekundenschlaf. Rein intelligenzmäßig hätte ich Atomforscher werden können, aber in der Praxis scheitere ich an meiner Formel-Legasthenie. Oder Dyskalkulie. Die Welt wird mir dieses Defizit einst noch zu danken wissen.

Über den rechten Umgang mit Ärzten (Maus-Modell)

8. Februar 2012

Ärzte unter sich: Abklärung der Werte

Oh, so ein Arztgespräch ist, neben Abiturprüfung und Fahrschule, eine der schwersten zwischenmenschlichen Herausforderungen! Man kniet in der Audienz-Ambulanz nackt auf der Auslegeware: „Herr Doktor, bitte, ich möchte ein Rezept!“„So, so“, schmunzelt der machthabende Arzt, sich gemütvoll zurücklehnend, „so, so, ein Rezept will Er! Schaun wir mal…“ Er wiegt milde den Kopf und begrübelt mit professioneller Nachdenklichkeit meine Akte. Ich scheine zu Bedenklichkeiten Anlass zu geben, denn „meine Werte“ sprechen eine andere Sprache als ich, und vor allem sprechen sie gegen mich. „Und wie steht es bei Ihnen mit Alkohol?“„Ja, klar, gern“, höre ich mich vorschnell jubeln, „aber gibt es den denn überhaupt  auf Rezept?“ Die Koryphäe betrachtet mich wie ein Insekt. Hab ich was Falsches gesagt? Dr. Herrenarzt scheint Insekten zu verabscheuen. Er verscheucht mit Mühe ein drastisches Stirnrunzeln und sagt dann: „Nun ja … das ist ja jetzt auch nicht thematisch…“ Puh, noch mal Glück gehabt! Arztgespräch ist ja immer auch ein Moralexamen. Bewegt der Wurm Woyzek sich genug? Frisst er ordentlich Gemüse? Lässt er die Finger von Drogen? Hat er nicht im Grunde selber Schuld? Na?

Arschloch“, denke ich herzlos, aber so etwas denke ich zwar ziemlich oft in mitmenschlichen Begegnissen, spreche es aber fast nie aus. Muttis Erziehung! – Bin gespannt, ob ich noch so alt werde, dass mir selbst meine guten Manieren mal egal werden und ich einfach sage, was ich denke. Könnte ja sein! Bei Ärzten natürlich riskant, denn sie sind schließlich die Herren des Befundes und der Rezeptausstellung. Und zwar aufgrund ihrer unbezweifelbar fundamentalen Diagnose-Kompotenz!  Famos ist die Durchblickfähigkeit der Ärzte! Dr. Quack ist zumeist überzeugt, „Arzt“ sei kein Beruf, sondern ein ontologischer Zustand metaphysischer Begnadung.

Deshalb drei Tipps für den Umgang mit Ärzten: 1. Lasse nie durchblicken, dass auch du Latein und Griechisch kannst – so etwas halten Ärzte nämlich immer noch für völlig undenkbar; sie glauben, du simulierst das nur! 2. Was Ärzte hassen wie die malefiziöse Pestilenz, sind Patienten, die an der Wikipedia-Universität Medizin studiert haben; verrate also nie, aber wirklich NIE, dass du evtl. selber schon weißt, was du hast, und das  womöglich noch aus Internetrecherchen! Viele Menschen verstarben schon unnötig, weil sie dem Internet vertrauten! 3. Man spiele im Patientenverhör grundsätzlich den komplett blickdichten Einfaltsinsel – anderes irritiert Mediziner nämlich. Also sage besser: „Ach?!! Gemüse? Und das wirkt? Hör ich ja zum ersten Mal!“ – Aber, Vorsicht: Den Idioten auch wieder nicht zu gut spielen – dann fühlen sich Ärzte nicht ernst genommen, und nichts hassen sie mehr als ihre eigene, selber dumpf beargwöhnte Lächerlichkeit.

Mit anderen Worten: Gutes Patiententum ist eine Kunstform. Takt, Sensibilität für die Existenzzwänge des Arztes und viel Rücksichtnahme für einen kognitiv prekären Berufsstand sind von Nöten! Die Labilität und Verunsicherung der Ärzte ist zu berücksichtigen. Auch ihre zunächst schlechte, später dann aber doch ganz gute Bezahlung. Am besten ist es, nur berühmte Chefärzte aufzusuchen, denn die kann man vorher googeln und weißt dann schon, was ihr Spezialgebiet ist – folglich kann man seine Beschwerden so modellieren, dass der Chef sie auch wiedererkennt. Man leide überhaupt grundsätzlich nur an Symptomen, welche die behandelnden Ärzte schon kennen, weil, sonst hat man wenig Aussicht, zu überleben.

Ob man ein Rezept bekommt, ist gar nicht mal sicher; oft wird man sogar ohne Gemüse fort geschickt; was man aber zuverlässig bei jedem Arztbesuch bekommt, ist die Überweisung zu einem anderen Arzt, zur „weiteren Abklärung der Werte“. Dank der Fortschritte in der Humanmedizin ist der heutige Mensch zu kompliziert geworden, um einfach so der gewünschten Genesung zugeführt zu werden; an deren Stelle ist die unbeendbare Untersuchung getreten, aus anderer Perspektive auch Ärzte-Odyssee genannt. Olli („Dittsche“) Dittrichs Kunstfigur „Herr Karger“ hat noch Glück: Das Krankenhaus kam angeblich zu dem Schluss, er leide unter „schwerer Diagnose“. Dann weiß man wenigstens, es geht irgendwann zu Ende.

Zum Schluss etwas zum Nachdenken: „Das Problem“, grübelt im Fernsehen ein Alzheimer-Forscher, zärtlich seine schusseligen Labormäuse streichelnd, „das Problem ist, der Mensch funktioniert nicht immer nach dem Maus-Modell.“

 

 

Patientenbericht

7. Februar 2012
Ich weiß nicht … In letzter Zeit sehe ich irgendwie komisch aus…

Wer heute etwas genuine Kafka-Luft schnuppern möchte, der lasse sich in ein Uni-Klinikum einweisen. Noch vor seinem Lebensmut hat man alle Orientierung verloren und irrt sinnlos, identitätsstiftende Formulare an sich pressend, als ginge es ums blanke Leben, durch endlos lange, gewienerte Korridore, die alle gleich aussehen, es indes aber überraschenderweise, wie sich herausstellt, leider mitnichten sind. An jeder Ecke winken einem matt lächelnde Sterbende zu und verschwinden dann jäh in Fahrstühlen, wo sie hohlwangig vorletzte Zigaretten schmauchen und vergeblich nach der Schwester rufen, dass sie mehr Morphin herbeischaffe. Zukünftige Hinterbliebene drücken sich schräg in Wartestühle und kneten verwelkte Cellophan-Blumensträuße zwischen den schweißfeuchten Fingern.  Einem Dicken, der trübselig an seiner Lebenslust knuspert, flüstere ich zu: Freund, freue dich weder zu früh noch allzu lange: Du bist auch bald dran! 

In verborgenen Boxen, Nischen und scheuerleistenbewehrten Abteilungsecken verstecken sich sog. Ärzte und lauern auf Opfer. Sie ernähren sich von Blut, Ultraschall und Urinproben. Eine unappetitliche Spezies, die Ärzte! Tiere gibt es in Unikliniken nicht, jedenfalls keine sichtbaren, nur Bakteriokokken, Fibrillen und Stracciatellapickel. Erste Panik: Wo sind die Sagrotan-Duschen? Und wer ist überhaupt jemals für mich zuständig? Wie lässt sich den Ärzten ausweichen, dass man noch sein Quäntchen Lebensfrist genießen darf? Und warum bin ich überhaupt hier? – Na, sicher nicht für die heute so übertrieben beliebte Gesundheit.

Das Gute an Unikliniken: Man ist nicht Patient, sondern ein – mehr oder minder interessantes – Datenbündel. Das Schlechte: Es handelt sich um ein szientifisches Riesen-Google, eine Datenkrake, ein Statistik-Godzilla, der deine Körpersäfte schlürft, um „Werte“ zu bekommen. Meine Werte sind meistens besorgniserregend, das weiß ich schon, da brauch ich keine Universität für. Cholesterin, Leber, das ganze Programm: Ein moribundes Wrack. Ich darf mich immerhin zu den privilegierten Interessanten zählen, denn ich habe ein seltenes Syndrom. „Syndrom“ sagen Ärzte, wenn sie auch nicht genau wissen, was mit dir los ist. Uniklinik heißt ja nicht zuletzt: Ich hab zwar keine Ahnung, dies aber auf sehr hohem Niveau. Auf dem Platz, wo sich die Korridore treffen, hat sich der Chor der Sterbenden aufgestellt und singt moribunde Lieder wie etwa das berühmte orthodoxe „Wir sind doch unter uns / wir Elends-Eingeweidesäcke!“ Gelegentlich bekomme ich das Gefühl, dass man mir zuzwinkert!

Der Chef-Professor (ich bin Privatpatient mit Audienzrecht!) befiehlt mir: Ziehe er sich „bitte“ aus, bis auf die Unterwäsche! Im Winter, wo man als Fahrradfahrer viele Schichten wärmender Kleidung trägt, ein beträchtliches Gepüngel. Frage aber jetzt: Gehören Socken zur Unterwäsche oder nicht? Der Professor sagt, bei Frauen nein, bei Männern? – eher ja. Ein in gender-politischer Hinsicht faszinierendes Thema! Man kann ja überall mancherlei zu lernen Gelegenheit finden, zur Not sogar in Unikliniken! „Alles Gute!“ wünscht mir der Chef noch beim abrupten Abschied. Ob meine „Werte“ hierbei Anlass zur Hoffnung geben, verrät er nicht. Erst muss das Labororakel befragt werden, das kann dauern. Solange habe ich nichts Schlimmes und bin nicht berechtigt, ohne Genehmigung wegzusterben.

Nach wenigen Stunden werde ich von der Untersuchungsmaschine vorerst schon wieder ausgespieen. Draußen in der klammen, eisigen Wintersonne kauern die Sterbenden. Sie rauchen mit höchster Konzentration. Ihre Gesichter sind, jahreszeitbedingt, grau-gelb. Mich betrachten sie mit scheelen Augen, weil sie vermuten, ich gehörte zu jenen Beneidenswerten, die den kommenden Sommer noch erleben und im Maiengrün noch mehrere Schachtel Zigaretten verrauchen könnten. Ich möchte ihnen eine kleine Rede halten, in der ich alles richtig stelle. „Wenigstens“, höre ich mich sagen, „wenigstens Hepatologen schneiden auch über mich ihre bedenklichen Gesichter!“ Nicht genug Hoffnungslosigkeit! Sympathie bei den Sterbenden gewinne ich damit nicht. Zu feist, zu rosig, zu ungeräuchert erscheine ich, um einer der ihren zu werden.

Der Unterarzt fährt mit einem Nachtsichtgerät über meine Schattenseiten. „Wissen Sie was“, wispert er heiser verschwörerisch, „Sie haben gar kein Syndrom! Sie haben, was alle haben. Fragense ma inner Straßenbahn rum! Das hat doch heute jeder zweite!“ Ich bin erleichtert, aber auch etwas enttäuscht. Ich hatte mir extra eine Krankheit ausgesucht, die nicht jeder hat, und die überdies zu 90% nur Frauen bekommen. „Tja, na ja“, hatte der Chef-Professor bedächtig gesagt, und dafür schätze ich ihn, „…die restlichen zehn Prozent, das muss ja auch irgendjemand sein.“ Es besteht also noch eine gewisse Chance, dass ich mal in der Statistik vorkomme, möglicherweise als einschränkende Fußnote. Und, ehrlich, Nachbarn, wer von uns hätte ein höheres Lebensziel? — „Raus! Nur Raus hier!“ antwortete ich dem Taxifahrer, der mich nach meinem „Wohin?“ befragt. „So rasch wie möglich ins Nirgendwo!

Dort angekommen und abgesetzt, kaufte ich mir eine Rosinenschnecke. Deren zeitnaher Verzehr verschuf mir eine knapp 25% höhere Lebensqualität. Wie man so sagt: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel.

Albtraumatlanten

4. Februar 2012

Weiße Flecken in Schwarzafrika

Ich besitze als Erbstück einen gediegenen, sommernachtsblauen Atlanten von 1905, in dem die Welt noch weiße Flecken der Unerschlossenheit enthält, vor allem in Schwarzafrika. Es handelt sich, obwohl er bescheiden unter dem Titel „Handatlas“ firmiert, um einen fast hundsgroßen, mit Goldprägung versehenen 40-Pfünder, über dem zu träumen einen massiven Ohrensessel und sehr starke Knie erfordert. Manchmal weiß man bei einem weißen Fleck auf der Karte nicht auf Anhieb, ob die entsprechende Gegend noch nicht erforscht oder bloß unbewohnt ist. Mich würde dies speziell für das Land Oklahoma interessieren, denn dorthin wanderten die Gebrüder Reinhold und Christoph H., meine Ur-Ur-Großonkel väterlicherseits, aus, und zwar aus Birnbaum, woher sie gebirtich; heute liegt das verträumte Örtchen an der Warthe-Schleife, um Juden und Deutsche sorgsam bereinigt, in der Woiwodschaft Wielkopolskie, Rzeczpospolita Polska, und heißt nun Międzychód. Damit aber genug der geographischen Pedanterien!

Meine beiden Ahnen sind, mangels Wildwesttauglichkeit, leider umgehend, kurz nach ihrer wohlbehaltenen Ankunft, in der Prärie verschollen. Verschollen, das ist übrigens 2. Partizip von „verschallen“, ein Wort, das längst nicht mehr erklingt. Es ist also seinerseits verschollen, das schöne Verb. Ich male mir gern aus, dass die auswanderlustigen Brüder von edelwilden Indianern der Marke Sioux massakriert wurden. Nicht dass ich ihnen das direkt gewünscht haben möchte, aber es wäre irgendwie romantisch und verliehe einem doch ein gewisses Flair, wenn man auf Partys, nachts in der weinseligen Küchenrunde, von einer Familiengeschichte zu erzählen wüsste, in der es von Tragischem und Exotischem wimmelt bzw. strotzt, z. B. von skalpierten Ur-Ur-Großonkeln väterlicherseits. Man wäre berechtigt, kurz und männlich beherrscht aufzuschluchzen, wonach einen möglicherweise Frau Frerkes an den wogenden Busen risse und einem mütterlich tröstend über den Kopf striche!

Wenn ich heute von der Lust überfallen würde, meinem Vaterland den Rücken zu kehren, fände ich Zuflucht auf den Hebriden, wo ich ein Stück Land besitze, einen Quadratmeter Schafsnasengrasnarbe in Küstennähe, eine Parzelle im Nirgendwo, die ich mal als Werbe-Gimmick drauf zu bekam, als ich im Internet eine Flasche sehr teuren schottischen Whiskys erstand. Er schmeckte ungeheuer authentisch nach verbranntem Torf, Salzwasser und Schafsexkrementen – ein Schluck, und man wähnte sich auf den sturmzerzausten Hebriden! Was man trinken muss, um da wieder wegzukommen, ist pauschalschriftlich nirgends erwähnt; man kann sich also ganz individuelle Trinkrouten ersinnen, zum Beispiel mit der MS Verpoorten nach Eierland, von dort den Rumgrogzug nach On-the-Rocks nehmen und dann gemütlich mit dem Riesling-Express wieder nach Hause in den Ohrensessel, wo man traumtrunken erwacht, um sich gnadenreich vage an erlittene Reise-Unbill zu erinnern.

Ein vierzigpfündiger, fast hundsgroßer Atlas eignet sich nicht zum Handgepäck, weswegen ich ohne ihn unlängst eine Traumreise in die Residenz Moers unternahm, um Fleisch und Hemden zu kaufen, ein Marktflecken, der in meinem Traum freilich nicht nur Ausmaße ungeheuerlichster Unübersichtlichkeit angenommen hatte und mit exaltiert Walt-Disney-haften Sakralbauten vollgestellt war, sondern auch einen labyrinthischen Grundriss besaß, so dass ich mein Fahrrad nicht mehr fand und den Weg verlor; unter anderem begegnete mir ein Mensch mit einem grässlichen, rosa-schleimig glitzernden Elefantenfuß, ferner, in einem Kinderwagen, ein Kopf ohne Körper, der jämmerlich vor sich hin greinte, sowie eine Menge durchweg freundlicher Einwohner, die mir den Weg erklärten, nur jeweils immer einen anderen. Wäre ich nicht vom dringlichen Dingdong der Türglocke erwacht, ich würde heute noch, die Hände voll rohem Fleisch und flatternden Hemden, in Moers herumirren.

Als ich jedoch nichtsahnend die Tür öffnete und davor meine beiden in karierte Reise-Plaids gehüllten Ur-Ur-Großonkel standen, mit blutüberströmten Schädeln und einem verlegenen Grinsen im Birnbaumer Bauerngesicht, da schwante mir freilich, der Traum sei noch nicht zu Ende, sondern drohe zum Alb auszuarten.