Archiv für Juli 2010

Über die Sexualität alter Männer. Pinguine im Meerschweinchen-Becken

30. Juli 2010

Alter Sack, noch in Betrieb

Seine biologische, soziale und ökonomische Funktion hat er, na ja, schlecht und recht, erfüllt: undankbare Kinder gezeugt, mickrige Bäume gepflanzt, dickleibige Bücher geschrieben (oder zumindest Bausparverträge verkauft), ferner Alimente gezahlt, in den Grenzen seiner Möglichkeiten Karriere gemacht, Haus gebaut, Haus bei ebay wieder verkauft, um den Erlös auf dem Trümmergrundstück seiner trostlosen patch-work-Vergangenheit vertröpfeln zu lassen. So weit, so na gut. Anstatt sein Lebenswerk aber dann fristgerecht mit einem finalen Herzinfarkt zu krönen, trödelt er immer öfter unschlüssig in seinem überfälligen Leben herum und will par tout nicht abtreten. Gott, wie der anödet, der alte Herr! Er ist übergewichtig, hoffnungslos unattraktiv, ihm wachsen Haare aus Ohren und Nase, er quengelt, nörgelt und bietet an jeder windigen Straßenecke seine überholten Erfahrungen an wie rumänisches  Gammelfleisch. Niemand will ihn, den alten Sack, doch klebt er zäh am Dasein wie altes Kaugummi. Als hätte er noch eine Zukunft, rennt er panisch zu Vorsorgeuntersuchungen, macht alle zwei Wochen Belastungs-EKG und kauft heimlich Viagra® im Internet, wahrscheinlich mit Frührentner-Rabatt. Wofür, bleibt im Dunklen. Kurzum: Der ältere Mann ist ein Lästling! Zunehmend – wie auch sonst, mit dem Abnehmen will es ja doch nicht mehr klappen – wird er zum sozialen Problemfall oder Brennpunkt, im Klartext: zu einem Entsorgungsproblem.

Männer ab sechzig, sofern sie nicht durch irgendwelche dubiose Polit-Macht, gewesene Schlagerprominenz oder sonst eine zwielichtige Windbeutelei ihr verstaubtes Charisma in essigsaurer Tonerde mumifizieren konnten, sind, seien wir offen, eine Zumutung. Dieser Bodensatz der Gesellschaft – es sei denn, er hat talkshow-kompatible Eminenz  aufzuweisen oder steht unter polit-historischem Denkmalschutz –, besitzt nicht die geringste Existenzlizenz mehr! Ehrlich: Männer ab sechzig, an denen man vergessen hat, rechtzeitig den sog. „Vatermord“ (S. Freud) zu vollziehen, verzehren unsere Renten-Ressourcen, belästigen anderswo dringend benötigte Land-Ärzte mit ihren Wehwehchen und besserwissern ansonsten ziellos am Büdchen, in der Kneipe oder am Stammtisch herum. Viele sind dabei sinnlos (!) alkoholisiert, stehen unter Drogen (Beta-Blocker, Cholesterin-Senker) oder geben sich sonstwie als hemmungslose Spießgesellen der Spaßgesellschaft zu erkennen.

Das widerwärtigste an älteren Männern ist ihre sog. Sexualität! Ekelerregend und hart am Rand der Sittlichkeits-Kriminalität. Menschlichen Zeitbomben gleich, umschleichen ältere Männer unentwegt (sie haben ja Zeit ohne Ende, die fitten Vorruheständler!) Kinderspielplätze, obskure Erlebniskinos und miese Striptease-Schuppen. Entweder, unsagbar abgründig: denen ihre Impotenz! Alte Männer, das macht sie sympathisch wie Furzkissen, „kriegen keinen mehr hoch“, also praktisch latte fuccicato, – was sie mit Recht zum verächtlichsten macht, was der reproduktionsorientierte Menschenmarkt an Ladenhütern überhaupt zu bieten hat. Zum Abschuß freigegegeben: der notorische „alte Sack“ und Null-Testosterontoleranz-Zombie. Naturgemäß wird er nach Ersatzbefriedigungen suchen – Senioren-Tanz, regelmäßiger Besuch öffentlicher Gerichtsverhandlungen („da hab ich was Sinnvolles und bin der Frau aus dem Weg!“), sowie GPS-gestützte Fahrradtouren durch die Region. Lachhaft! – Man verzeihe mir meinen zivilcouragierten Mut zur waghalsigen political incorrectness, aber ich bin der Überzeugung: Alte Säcke brauchen wir wie Pinguine im Meerschweinchen-Becken!

Oder, noch monströser und superfieser als der „alte Sack“ – der als „widerlicher, alter geiler Bock“ berüchtigte Hormonkrüppel, der, wie ich gerade in einer elektronisch übermittelten Leserbriefzuschrift las, z. B. gern auf Schützenfesten (die Loveparade-Orgie des alten Sacks) jungen Hüpfern, Backfischen und kellnernden Saaltöchtern – und zwar häufig: glasigen Auges! – auf deren sekundären Geschlechtsmerkmale stiert. Und zwar je ansehnlicher die Jungfer und je hervorstechender besagte Merkmale, desto gieriger! Ein Alarmzeichen: der alte Bock ist zwar mausetot, weiß es aber noch nicht oder will es einfach nicht wahrhaben, denn unseligerweise ist sein Triebleben noch nicht erloschen. Es kaspert einfach immer weiter, das Ge-Triebe, obwohl das Verfallsdatum seines Herrchens längst überschritten ist. Wie beim altbekannten Pawlowschen Hund löst sein vertrocknetes Hirn noch immer automatische Sabber-Reflexe aus, sobald er ranker Weiblichkeit ansichtig wird. Wie widerlich ist DAS denn! Abscheulich! Warum schreitet der Gesetzgeber nicht ein? Der Sozialdienst? Die Pharmaindustrie? Was für Jungspunde absolut legitimerweise als „sexy“ gilt, ins Beuteschema passt und ordnungsgemäße Balz-Rituale initiiert, ist für den alten Sack resp. Bock selbstredend Tabu, verbotenes Früchtchen, no-go-area, Sperrgebiet mit Nato-Draht und Vergrämungsanlage. Der Senioren-Simpel hat seine Triebimpulse, evtl. gleich zusammen mit dem Führerschein, rechtzeitig bei den Behörden abzugeben. Und dann aber ab in die Selbsthilfegruppe!

Moralisch betrachtet, und das ist bei Sexualität der einzig denkbare Gesichtspunkt, hat sich der alte Sack, wenn er schon seine fiesen, unausgelebten Restsehnsüchte nicht gebändigt bekommt, gefälligst auf die inneren Werte gleichaltriger Damen zu fokussieren. Jedem das Seine und ihm, was übrig bleibt. Also alles Mutti – oder Neutrum. Angorapullis und Perlenketten, Stützstrümpfe,  Krampfadern und adrette Faltenröcke seien ihm jetzt erotischer Reiz genug! Verdient er, der bierbäuchige Grauhaar-Wackeldackel, denn etwa anderes? Er hatte seine Zeit, die er hoffentlich genutzt hat, der lüsterne Lackel, – jetzt aber hat er szypko szypko Platz zu machen. Mach Er Sitz, Dackel! Und laß Er das Hecheln! Unverschrumpelte Knackärsche, süß knospende Mädchen-Brüste und blank gleichschenklige Dreiecke (der wüste Traum des geilen alten Pythagoras-Sacks: Arsch-Quadrat mal Brust-Quadrat gleich…) haben ihn ab sofort rundweg kalt zu lassen. Reflektion statt Erektion. Das Gesetz der Euklidischen Geriartrie!

Der lächer-verächtliche „geile Alte“ (früher auch durchaus gern weiblichen Geschlechts –  heute unterbinden das in ihrer Regel die Frauenbeauftragten…) ist eine literarisch allseits beliebte Witzfigur seit zig tausend Jahren, ein Papp-Popanz und Pappenheimer, auf den auch der letzte Erz-Schmand, Dorfidiot oder Pickel-Grind noch, wenn nur unverdientermaßen zufällig etwas jünger, herzhaft draufschlagen durfte, von Aristophanes bis Loriot, in der attischen Komödie der alten Griechen wie in der Comedia dell’Arte und weiter bis zum Ohnesorg-Theater und der heutigen 0/8-15-Fernseh-Comedy. Der Typus des unzeitgemäß geilen Seniorendeppen ist entwicklungsgeschichtlich das erste hominide Rudelmitglied, auf das ausnahmslos alle Neandertaler straflos einkeulen durften, ohne Angst haben zu müssen, revanchehalber eins in die kinnlose Überbissfresse zu kriegen.  Alte Säcke haben seit jeher noch weniger Lobby als Kinderschänder – die sie ja schließlich potentiell auch immer sind, aus rein (geronto-) logischen Gründen. Sie stieren, starren, glotzen und sabbern (interessant, kaum ein Spachklischee kommt ohne dieses „Sabbern“ aus!). Am liebsten würden die Herren Drüsentrieb-Knechte selbstredend nicht nur „sabbern“, sondern vielmehr womöglich gern auch noch „antatschen“, „befummeln“, „begrapschen“. Das wär wohl noch schöner! Wie lange wollen wir das noch mit ansehen, ohne zum Knüppel zu greifen? Zum Elektroschocker oder Bolzenschußgerät?

Warum wir alle den „geilen alten Bock“ so ungemein einhellig verachten, hat zunächst archaisch-soziobiologische Gründe. Um zweierlei kämpft man(n) in der Urhorde: Um Fleisch-Ressourcen und dann um die Weiber, sprich: die Reproduktionsgelegenheit. Schon um des Gen-Pools und der evolutionär effizienten Zuchtwahl willen dürfen die Generationen nicht durcheinander kommen. Verbrauchte Säcke müssen von der Reproduktion ausgeschlossen werden, auch wenn sie noch „können“. Bzw. natürlich gerade dann! Neben dem Inzest-Verbot ist die sexuelle  Generationenbeschränkung eines der grundlegendsten kulturstiftenden Tabus. Die Anarchie des Biologisch-Natürlichen muß eingedämmt werden. Tut mir Leid, Freunde: Evolution is a harsh mistress.

Selbst ausgedörrte Yoga-Damen, verbitterte Spät-Punks, Alt-Rock’n’Roller oder postklimakterielle Besucherinnen des fair gehandelten Häkelkreises von Presbyter-Präses Dr. Schleierhaft, letztere eigentlich zur christl. Nächstenliebe verpflichtet, hassen und verachten schnaubend den „alten geilen Bock“. Widerspruch muß da niemand fürchten. Wer will schon so einen als Nächsten haben!  – Aber andererseits, wir haben heute natürlich auch Zivilisation, Aufklärung, Menschenschutz und alles, weswegen einfaches Lynchen und grobschlächtiger Totschlag (sog. „Keulen“) mit gewissem Recht geächtet sind und leider nicht mehr in Frage kommen.

Und hier komme ich mit meinem Plädoyer bzw. humanen Projekt der psycho-sozialen Entsorgungshilfe: Männer ab 60, über den Daumen, sollten einer – selbstverständlich humanen, also menschlich schon okayen, verständnisvollen und einfühlsamen – Einschläferung zugeführt werden. Entsorgung im Wohlfühlambiente: Ein sedierendes Schnäpschen vorweg, eine kleine blaue Spritze, dazu als Sterbe-Soundtrack Mozart-Sample oder Ennio Morricone, in würdigem, auf Wunsch auch erweitert patch-work-familiären Rahmen, pardauz! –  und allen wäre doch gedient! Im Anschluß, nach der besinnlich gestalteten Feuerbestattung, Kaffee und Käsekuchen, damit die Hinterbliebenen eine schöne Erinnerung gehabt haben werden und gut über den Verblichenen reden. „Ja, gut, vielleicht war er ein alter geiler Bock, aber nun ist er von dem Leiden erlöst, das er uns bereitete“. (Kleiner Tipp: Zuvor das Testament nicht vergessen!) – Und wieder ist die Welt ein bisschen schöner, sauberer, sicherer und bewohnbarer geworden!

– In der nächsten Folge: „Wohin bloß mit Mutti? – Wenn Frauen ihre Jahre bekommen“

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Denkmal

27. Juli 2010

Vor dem westlichen Tunnel: Eine der zahllosen, von Bürgern hier spontan eingerichteten Gedenktstätten

Ein gespenstischer Ort, eigentlich immer schon. Anwohner wußten das: Auch schon vor dem Loveparade-Desaster wirkte die düster-verußte, niedrige, von Dieselgestank erfüllte Doppelröhre wie der Eingang zur Hölle. Ein langgezogenes schwarzes Loch. Niemand betrat diesen menschenfeindlichen Schlund jemals freiwillig zu Fuß. Selbst bei der Durchfahrt mit dem Wagen beschlich einen immer ein beklommenes Gefühl. Das kalkweiße Neonlicht durchdringt die rußige Finsternis kaum. Zwischen der kurzen und der westlichen langen Röhre dann jene „Rampe“, ein Wort, das ohnehin schon Schaudern auslöst – sie führt, langsam ansteigend wie in einem Albtraum, in eine schutt- und trümmerübersähte Mondlandschaft, das Gelände des alten Güterbahnhofs.

Seit 72 Stunden nun sind Bau und Gelände für lange Zeit kontaminiertes Gebiet: Ein Denkmal für eine menschliche Katastrophe und ein unsägliches Verbrechen aus Fahrlässigkeit, Gedenkstätte für das brutale, abrupte Ende des Lebens von 20 jungen Menschen.

Am Nachmittag füllen sich die Tunnel erneut. Langsam aber stetig fließt der Strom der Trauernden, die sich am Ort der Katastrophe einfinden – um mitzufühlen, um das Unfassbare mit eigenen Augen nachzuvollziehen, um das selbst Erlebte noch einmal zu verarbeiten, oder schlicht um zu trauern. Die Gehsteige im Tunnel haben sich in ein Meer von Kerzen verwandelt. Blumen, Kränze, Teddys, Erinnerungsstücke wurden drapiert. Selbstgemalte Plakate erinnern zärtlich an die Toten oder schreien die Wut der Überlebenden heraus. Viele Besucher haben Tränen in den Augen, andere starren leeren Blicks vor sich hin. Es ist unwirklich still. Hier und da steht ein SNG-Übertragungswagen, deutsche, niederländische, türkische Sender; müde Journalisten warten auf ihren nächsten Einsatz vor dem Mikrophon, wenn sie erneut berichten werden, dass es nichts zu sagen gibt.

Die Verantwortlichen sind nicht zu sprechen, schieben sich aus dem Hinter- oder Untergrund gegenseitig die Schuld zu. Ein unsägliches Schauspiel der Feigheit, Verlogenheit und Erbärmlichkeit. Niemand ringt sich wenigstens zu einer Entschuldigung durch – aus „versicherungsrechtlichen und strafrechtlichen Gründen.“ OB Sauerland ist abgetaucht, seine Familie wurde evakuiert. Es hat Morddrohungen gegeben.

Was immer aus Bau und Gelände wird, ob man es eines Tages sprengt, oder ob man eine dauerhafte Gedenkstätte daraus macht: Der Tunnel wird ein Stigma bleiben, eine Wunde und ein wahrhaftiger  Schandfleck für das viel beschworene Image einer Stadt, die ihrem alltäglichen Elend entkommen wollte und ihr Schicksal in die Hand von geltungssüchtigen Dilettanten und skrupellosen Geschächtemachern gab.

Duisburg sind schlicht, herzensgut und liebenswürdig. Aber sie haben ein langes Gedächtnis.

Duisburg am Dienstag, den 27. Juli 2010, 17.30 Uhr

PS: EILMELDUNG: OB Adolf Sauerland will nicht an der für Samstag anberaumten offiziellen Trauererfeier für die Loveparade-Opfer teilnehmen. Er wolle, so die Begründung, „die Gefühle der Hinterbliebenen nicht verletzen“. Geht es noch zynischer und feiger?

Einstürzende Altnormen: Kraska tritt zurück!

27. Juli 2010

Meinetwegen: Ein Wort zu dieser Schmutzranderscheinung. Gottes Mikrophon-Fellatrice im Aufmerksamkeitsnotstand. (Foto: static.rp-online.de/.../ 21979-eva-hermann-AP.jpg)

Also gut, meinetwegen ein Wörtchen zu dieser Schmutzranderscheinung namens Eva Hermann. Was solls? Soll ja auch das kleinste Kotzbröckchen nicht unbeachtet bleiben. Irgendwer muß auch das ja mal wegmachen. – Ich sags also mal so: Da offenbar niemand den Job des Sündenbocks will, und ich als bereits berenteter, weitgehend (zu weit gehend?) ausgedienter Denk-Magister eh auf keine Zukunft mehr hoffen darf, habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, die volle Verantwortung zu übernehmen! Ich wars! Ich bin schuld! Mein Kopf rolle! Ja, es ist die „fast völlig nackte“ Wahrheit: Ich habe das Loveparade-Desaster gewollt, habe es von langer, ja, jahrzehntelanger Hand geplant, vorbereitet und mit Gottes Hilfe auch erfolgreich durchgezogen. Meinen satanischen Neigungen folgend habe ich dabei, dessen darf ich mich immerhin rühmen, „ganze Arbeit geleistet“. Ich habe sogar Sachverständige eingebunden, im Vorfeld alles richtig gemacht und in der Nachbereitung nichts ohne Not zugegeben!

Apropos: Zugegeben, zunächst wollte ich mich hinter den gerade am Pranger des Volkszorns stehenden üblichen Verdächtigen, den notorischen Inkompetenzschranzen, Erbämlichkeitsdezernenten, den windelweichen Schön-, Klein- und Ausrednern, den schwadronierenden Beschwichtigungsschwuchteln und bestallten PR-Heuchelmördern vom Schlage Pleitgen, Scheydt, Gorny, Jäger, Sauerland, Rabe, Schaller, Schmeling et al. verstecken.  Naiverweise dachte ich, wer die Chuzpe besitzt, das eigene Totalversagen als „stimmiges Konzept“ zu verkaufen, der wird doch am Teufel wohl drei gute goldene Haare lassen und dessen Großmutter zur Schönheitskönigin ausrufen können! Da habe ich mich aber verrechnet (Achtundsechzig minus 666: Nullsumme!). Leider haben sich diese Windel-Weichei-Wichte derart klein gemacht, dass sie mir keine vernünftige Deckung boten.

Entlarvt wurde ich von einer einzigen, unerschrocken zu ihrem Glauben stehenden, schlichten Blondine aus dem Volk: Frau Eva Hermann , welche mir das Handwerk legte, bloß mit der Waffe des treffenden Wortes und der Schärfe eines zeitgeschichtlich wie kulturkritisch unbestechlichen analytischen Blickes ausgerüstet.

Folgendermaßen  aber ließ sich Gottes schärfste Fregatte seit Hildegard von Bingen in Gottes Namen über das Loveparade-Desaster vernehmen:

„Die unheilvollen Auswüchse der Jetztzeit sind, bei Licht betrachtet, vor allem das Ergebnis der Achtungundsechziger (sic!), die die Gesellschaft „befreit“ haben von allen Zwängen und Regeln, welche „das Individuen doch nur einengen“. Wer sich betrunken und mit Drogen vollgedröhnt die Kleider vom Leib reißt, wer die letzten Anstandsmormen (sic!) feiernd und tanzend einstürzend einstürzen lässt, und wer dafür auch noch von den Trägern der Gesellschaft (sic!) unterstützt wird, der ist nicht weit vom Abgrund entfernt. Die Achtundsechziger haben ganze Arbeit geleistet.“ Autsch, das saß.

Ich gebe zu, ich habe gesündigt: 1.) Ich bin, wenn auch einer allerjüngsten, Achtundsechziger und damit durchaus verantwortlich für die sattsam bekannten „unheilvollen Jetztzeitauswüchse“; 2.) und ja, zahllose Male war ich in all den Jahren seither zweifellos sinnlos betrunken, manchmal wohl auch „mit Drogen vollgedröhnt“, und habe in diesem erlösungsbedürftigen Zustand a) „feiernd und tanzend“ mindestens mir, b) oft genug aber auch willigen Zweiten oder gar zunächst noch unbeteiligten Dritten „die Kleider vom Leib gerissen“, bis diese „fast völlig nackt“ waren oder zumindest „den Busen … blank zogen“, Hoho!; 3.) ferner es mit systematischer Diabolik darauf angelegt, – und das war weißgott nicht immer einfach!, „die letzten Anstandsmormen (!) feiernd und tanzend einstürzen“ zu lassen. Letztlich habe ich aber, wie man sieht, diesen Anstandsnormen-Einsturz tadellos zuwege gebracht. Dank meiner Wühlarbeit sieht man heute allüberall „fast völlig nackte“ bzw. „dünn bekleidete Körper“ herumeiern, „in Trance“ meistens und „im Rhythmus zuckend“. 4.) Möchte ich mich bei den „Trägern der Gesellschaft“ (so wie natürlich meinen Eltern, meiner Frau, meinem Agenten, meiner Produktionsfirma sowie allen facebook-Freunden und Twitter-Followern) für ihre Unterstützung bedanken: Ohne euch Gesellschaftsträger hätte ich es bis hierin nie geschafft! 5. Wohin? Nun, ich stehe „nicht weit vom Abgrund“. Deswegen trete ich ja auch zurück! Ich bitte die Herren Träger oder Rücktrittsbremsen, die sich hinter mir verstecken, mal eben Platz zu machen.

Wie Frau Hermann, die – anders bzw. päpstlicher als Papst Bendixt der Viertelvorzwölfte –, die Tanzwut der Jugend eindeutig als Teufelswerk und „Ergebnis der Achtundsechziger“ identifiziert hat, richtig ahnt: Hier haben „auch ganz andere Mächte eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen“. Ein Ende mit Schrecken, nun ja, tja, nebbich, aber bei „Drogen-, Alkohol- und Sexorgien“ darf der Herrgott nun mal  kein Auge zudrücken. Sonst übersähe er vielleicht die „dünn bekleideten Körper“ (sic!), die sich „betrunken, vollgekifft, mit glasigen Blicken… in rhythmischem Zucken wie in Trance wiegen“;  womöglich hätte er so auch die Töchter Sodoms nicht entdeckt, die einen Anblick bieten wie „in der Verfilmung der letzten Tage, wie sie in der Bibel beschrieben werden“. Ich hab die Bibelstelle grad nicht parat, aber laut Frau Hermann lautet sie ungefähr: „Viele Mädchen haben den Busen blank gezogen (sic!), manche sind fast völlig (!) nackt. Sie wiegen sich in orgiastischer Verzückung in ohrenbetäubendem Lärm, Begriffe wie Sittlichkeit oder Anstand haben sich in den abgrundtiefen Basschlägen (sic!) in Nichts aufgelöst“. – Und am Schluß emergiert der Antichrist in Form des Geistes von Dr. Motte und reitet auf dem Goldenen Kalb!

Die Vision aus der apokryphen Hermann-Apokalypse ist freilich markerschütternd. Schon der Anblick „fast völlig“ nackter Mädchen lässt einen natürlich seelisch in den Grundfesten wanken; sich unter „abgrundtiefen Basschlägen in Nichts auflösende“ Begriffe sind da fast nur noch einen völligen Tick grauenerregender.

Trotz allem und jetzt mal im Klartext: Ich bin – manchmal mit grimmig zusammengebissenen Zähnen – Verfechter des § 5 unseres Grundgesetzes – jeder soll seine Meinung frei äußern dürfen! Und sei’s, der Herr verzeihe mir, der würgendste, gottfernste, von allen guten Geistern verlassene absolute Scheißdreck! Er mag und darf sich äußern! Nicht umsonst heißt es bei Geistesfürst Schiller: „Sire, geben Sie Gedankenlosigkeitsfreiheit!“ Dieses Recht auf unbeschränkte, unzensierte Dämlichkeitsäußerung gilt, das muß man als Verfassungspatriot nun mal aushalten, auch für geistig unzweifelhaft „fast völlig“ verwahrloste, verzweifelt gegen ihre zehrende Bedeutungslosigkeit ankrähende Publicity-Nutten und postklimakteriellen Hysterikerinnen vom medialen Straßenstrich der Aufmerksamkeits-Junkies und abgehalfterten C-Promis, die ihre umfassend nekröse Hirnzerrüttung und persönlichkeitsverheerende Hormonkatastrophe zu Markte tragen, weil ihnen selbst allgemeine und einhellige Verachtung lieber ist als gar keine Aufmerksamkeit. – Ich muß wegen dieser indenzenten, unappetitlichen Metapher um Entschuldigung bitten: Auch blondschillernd-fette Mast-Schmeißfliegen sind zwar unbedeutend und der Rede nicht wert, gewiß, und dennoch bieten sie, wenn sie in die Leichname gerade Verstorbener Eier legen und ihre Maden wachsen lassen, einen ekelerregenden Anblick. Ich weiß auch nicht, aber bei manchen Mitgeschöpfen kommt mir immer des grandiosen François Villons „Großes Testament“ in den Sinn und der Vers (am besten von Klaus Kinski gesprochen!): „Man schlage diesem Lumpenpack / das Maul / mit schweren Eisenhämmern / kurz und klein“.

Keine Sorge, dies ist natürlich kein Aufruf eines unbelehrbaren Achtundsechzigers zur Gewalt gegen Personen. Ich möchte nicht ernsthaft, dass man Frau Hermann schwere Gegenstände in die erzdumm aufgehübschte, sorgfältig restaurierte Botox-Schnute wirft! Um Gottes Willen! Ich wollte nur zu Protokoll geben und ganz im Allgemeinen zum Ausdruck bringen, dass mir, im Zweifelsfall, der unverstellt narzisstische Selbstgenuß eines „fast völlig nackten“ jungen Loveparade-Mädels in Trance weitaus angenehmer anzuschauen scheint als die schamlose, abgeschmackte widerwärtige, reaktionäre Denunziation jeder ausgelassenen jugendlichen Sinnen-Freude aus dem Plappermaul eine alt gewordenen Hure, die, vom Verschwinden der Freier beunruhigt, plötzlich auf Nonne macht. Kleopatra badete in Eselsmilch und Männer-Sperma; andere MILFS bevorzugen halt Krokodilstränen-Bäder und fromme Friktionen im Unterleibsbereich des Bewußtseins. Wem schon Spanische Fliege, Eigenurin und Spargelextrakt nicht halfen, der versuche es halt mit Jugend-Neid, Ressentiment und hormonell bedingter Unterleibsverbitterung!

Ich übernehme jedenfallls die „fast völlige“ Verantwortung für alles: Daß unbedarfte RanschmeißerInnen und erbarmungswürdig aufmerksamsnotgeile, skrupellose Mikrophon-Fellatricen ihren unsäglichen Senf zu allem und jedem beigeben dürfen und die Öffentlichkeit selbst das noch rezipiert, ist, fürchte ich, auch ein „Ergebnis der Achtundsechziger“! Daß die Medien, stets bitter angewiesen auf eine neue Sau, die man durchs Dorf treiben kann, zur Not und im Sommerloch auch der Logorrhöe einer Schwatztruhe von Ex-Fernseh-Ansagerin verfallen resp. Aufmerksamkeit schenken, ist strukturell bedingt und unvermeidlich. Wäre ich selber freilich so eine Gossen-Hure, ich wäre mir des göttlichen Beistandes nicht so sicher. Gott kann, wie die Ereignisse zeigen, ähnlich wie der Teufel, ziemlich unberechenbar sein. Auch dümmstes Geschwätz bleibt nicht immer ungestraft. Gottlob bin ich nicht gottesfürchtig – aber wer es ist, und sei es als PR-Marotte, der zittere besser.

Mich trifft der Blitz eher nicht; ich bin flink zurückgetreten.

Sudden death / over and out

26. Juli 2010

The day after – Aufräumen in der Todesfalle (Foto: apn)

Ganz plötzlich, als wollte das Wetter auch noch seinen Kommentar abgeben, ist es grau und kühl geworden in der Stadt, die sich, wie ein Kind, das man beim verbotenen Spiel ertappt hat, eilends wieder abgeschminkt. Die Stimmungskanonen schweigen, die Spass-Schlacht ist vorbei, das Wort hat die Staatsanwaltschaft. Ein müder, gleichgültiger Regen spült die Spuren des Horrors davon. Wenige versprengte TV-Journalisten stehen noch pflichtgemäß „vor Ort“ herum und stochern lustlos im Geröll ihrer leeren Worthülsen. Daß es nichts zu sagen gibt, ist natürlich keine echte Nachricht. Das Leben tut derweil, was es notgedrungen immer macht, es geht weiter und wälzt seine Lawine aus Dummheit, Schmerz, Trivialität und dem üblichen Ereignisschrott vor sich her. „Man kann nicht weitermachen…“, sagt Samuel Becket, „… man muß weitermachen. Man kann nicht weitermachen.“

Der übliche, von Selbstgerechtigkeit nie freie Volkszorn gegen „die da oben“ tobt sich, nachdem er gestern noch gegen OB Sauerland, der am Unglücksort Blumen niederlegte, tätlich wurde, nunmehr vorwiegend im Netz aus. Es herrscht, sei es aus Ohnmacht, sei es auch aus abgründiger Lust auf Rache, ein bisschen brenzlige Lynch-Stimmung. Man will Köpfe rollen sehen, rituelle Bußgesten, Rücktritte. Würden allerdings alle zurücktreten, die das eigentlich müssten, gäbe es nach hinten heraus schon wieder Stau und Massenpanik. – Ich spüre die dumpfe Wut auch in mir selbst, obwohl ich gut weiß, dass „rollende Köpfe“ lediglich eine theatralische Beschwichtungsmaßnahme fürs vergessliche Publikum darstellen. Solche Bußgesten sind nicht weniger hohl und albern als das hilflos-mechanische Gerede von „Tragik“ und „Tragödie“.

Die Toten von Duisburg sind das Resultat eines Systems, eines unüberschaubar komplexen strukturellen Geflechts von Instanzen, Behörden, Parteien, Medien, Unternehmen, von ökonomischen und Marketing-Interessen, von kommunaler Geldnot und opportunistischer Durchstecherei, überprofessionalisiertem Expertentum und demokratiebedingten Dilettantismus, von Bürokratismus, systemimmanentem Erfolgszwang, politischer Strategie und korruptem Kompromißlertum. Ein System, in dem die meisten Akteure Mittäter und zugleich auch Opfer sind – Opfer politischen Drucks, ökonomischer Erfolgspflicht und, gewiß, auch persönlicher Geltungssucht und narzisstischer Selbstüberschätzung. Die bockigen, verängstigten Funktionärs-Individuen, die man jetzt widerstrebend ins Blitzlicht der Pressekonferenzen zerrt, wissen nicht recht, wie ihnen geschieht: Sie haben doch nur ihren Job gemacht! Und vermutlich stimmt das sogar.

Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist ein jovialer, weicher, empfindsamer Mann aus der Region. Die natürliche Arroganz eines intellektuellen Überfliegers geht ihm genauso ab wie wohl auch der von Berufspolitikern entwickelte undurchdringliche Panzer aus Zynismus und Abgebrühtheit. Er spricht mit zittriger, brüchiger Stimme, hörbar gequält, mühsam nach Worten suchend. Er ist ein gebrochener Mann. Sein Rücktritt wird eine Frage der Zeit sein. Wird damit irgendetwas gewonnen werden? Altkatholische Bußrituale („mea culpa, mea maxima culpa“) ändern nichts an den Strukturen, und nichts am angeblich unverzichtbaren Motor unserer Gesellschaft – der Profitgier; im Gegenteil, die Rituale gehören zum  System dazu.

Mir persönlich, aber das mag am Alter liegen, war, von der Musik mal ganz abgesehen, die obsessive Megalomanie, der narzisstische Körperkult und die aufgesetzte Party-Orgiastik der Loveparade immer etwas unheimlich – aber zweifellos ist sie, gerade in ihrer Kommerzialisierung, ihrer karnevalesken Ekstatik und ihrer drogengestützten Exaltiertheit ein stimmiger Ausdruck unserer Zeit. Zu den ganz wenigen Privilegien älterer Jugendlicher (Ü50) gehört, diese Zeit nicht mögen zu müssen.

Der Tod ist nie tragisch – oder er ist es immer und zu jeder Zeit. Wir entgehen ihm nicht, so laut wir die Musik auch aufdrehen, so viel wir auch tanzen, trinken und gegen ihn angrölen. Irgendwann muß jeder von uns die Party verlassen. Daß das Ende für elf junge Frauen und acht Männer so brutal früh und so plötzlich kam, zerreißt uns das Herz.  Wir trauern dabei auch über uns selbst: Die Zerbrechlichkeit und Hinfälligkeit unseres Lebens wurde uns einmal wieder drastisch vor Augen geführt. Die Loveparade, so konnte man an ihrer Inszenierung in den Medien (EinsLive) fasziniert beobachten, lebte vom frenetischen Jubel über sich selbst, die eigene Jugend, Schönheit, sexuelle Potenz und subjektive Unsterblichkeit. Orgiastische Party-Exzesse gehören zu unseren kulturstiftenden Ventilen: Wir hielten es sonst wohl nicht aus. – Ich glaube nicht, dass solche Veranstaltungen künftig nicht mehr stattfinden. Ich glaube auch nicht, dass wir etwas lernen. „Man kann nicht weitermachen. Man muß weitermachen…“

The party goes on (english version)

25. Juli 2010

Duisburg, 24. July, 7 pm: Rattling and roaring low-flying helicopters are landing every 15 minutes, while the scream of sirens cuts through the air. Blue lights are flashing everywhere, as paramedics, firemen, police and patrol cars run along to the sound of incomprehensible loudspeaker announcements. The riot squad has pulled up in combat gear and the city is effectively cut off from the outside world. The autobahn is closed, no trains are running, the mobile phone network has crashed and the power is out at the WDR broadcasting studios. A&E departments are learning what ‘rush hour’ really means and chaos and a state of shock rule. In front of the train station, people are trying to push through; some drunk, some doped-up and aggressive. They just don’t know where to go. It seems that nineteen people have either been trampled to death in the crowd, or have fallen fatally from a narrow concrete stairway, while there are eighty who are critically-injured and countless people with minor injuries. Incomprehensibly, the techno-party tirelessly continues. The basses thunder on as if the booming racket could drown out the sound of the catastrophe (apparently there is a fear of mass hysteria if the bash were to be stopped). The danger of rioting has yet to be averted. First aid tents fill the closed-off urban motorway stub.

Stunned, I follow the disaster live via webcam and video-stream. A catastrophe into which those responsible almost steered people with advance knowledge and with their eyes wide open. A grotesque and virtually incomprehensible combination of inability, bad planning, irresponsibility, and stupidity. For days, I had been reading about it in the papers and asking myself what the Love Parade organisers, the Federal Police, the Deutsche Bahn and the city envisioned as a solution, when an expected one and a half a million partygoers were to be shepherded through a single (!) entrance into a sealed-off area that was set-up for just 500,000 people. How the fuck had they figured that one out? What were their plans for hundreds of thousands of frustrated, overheated, intoxicated, doped-up, exhausted and disillusioned young people arriving at a crowded party area after a long and stressful journey –  and not being able to figure out how to get in and out and forwards or backwards between the railings and fences? What else can you call it, other than programmed chaos? A catastrophe that they were deliberately ready to be put up with?

Can you explain this somehow? Perhaps a senseless greed for profit, commercial dementia, craving for assertiveness, general voluntaristic sweet talk up front, collective narrow-mindedness and irresponsible frivolity; by the banal addiction to self-adulation of the so-called ‘Event Manager’ or the amateurism of incompetent “city fathers”? Was it the self-satisfied stubbornness of a completely overtaxed police force? Did they really think that despite the dodgy outlook, it could ‘all be alright on the night’? How in all seriousness could anyone have believed that?

There were many voices that expressed doubt about the ability of a poor, badly-organised, ill-equipped and logistically-challenged city of half a million like Duisburg to run an event for 1.5 million people, particularly given its experience in hosting such events. They were condemned as being alarmists and wet blankets and brought to silence. How dare these critics and sceptics disturb the ‘acid trip’ of those running the 2010 European Cultural Capital? A young man – who escaped the fatal stampede by a hair’s breadth – had even urgently warned the police before the disaster, only to be told: “Do YOU want to organise this, son?”

8.30 pm: The prayer wheels of the media start turning and the semi-official crocodile tears are flowing big time. The words ‘tragedy’ and ‘tragic’ again emerge with almost mechanical regularity. But the word ‘tragic’ should refer to unavoidable misfortune and the disaster of Duisburg was by no means inevitable. It was, as I said, more than predictable. The crocodile tears will soon have dried again and the parade of floats continues to thump out from its 300,000-watt sound systems.

8.45 pm: Guess what? The question of guilt has already been established and it seems that those responsible bear no responsibility! The freshly-appointed Northrhine-Westphalia Interior Minister Jäger – who had hitherto been ‘ministering’ in Duisburg – claims in an interview that “the police had done a good job”. The official press conference of the City of Duisburg claims that the city, the city authorities and planners bore no fault. Indeed, those who were clearly to blame were the victims themselves, who had in fact “not followed the rules”.

10.10 pm: With a cynically stone face, the Duisburg “crisis management group” in the shape of obvious prime suspect “Head of Security” Wolfgang Rabe erupts into an aggressively demagogic rant saying that the young death victims were themselves to blame. Apparently they had “behaved irrationally”. As if EXACTLY THAT need not have been taken into account up front! As if it were not the specific mandate of security to take into account such irrational mass behaviour in advance and render it impossible from the outset. What a disgusting affront towards the victims and their families! Dissed by ‘civil’ servants! Incidentally, the globally-recognized and renowned Fraunhofer Institute is located in Duisburg. An organisation which has applied its research findings and approaches to the control and safety of human mass gatherings and has already contributed towards preventing notorious and dreaded mass panic, for example among pilgrims to Mecca. It is a reasonable assumption that the word “risk analysis” is not unknown to the organistion.  Did the “Lord High Security”not bother to check with these people first? Was it not necessary for him, because it is common knowledge that masses always “follow the game rules”?

10.50 pm : The Federal Police gunships are still circling over Duisburg. On television, those who are directly or politically responsible are telling virtually outrageous lies and half-truths in order to shift any blame whatsoever from themselves. People such as the almost inconceivably-arrogant and callous Fritz Pleitgen: ex Director-General of the WDR broadcasting station and head honcho for ‘Cultural Capital’ affairs. It is really unspeakably repulsive. I think it’s been a long time since I was so sickened and disgusted by this caste of politicians and it’s a truly unspeakable, wretched spectacle that makes me want to vomit violently.

11.03 pm: Suddenly, and still without any explanation (!) the eternal thumping and booming from the party zone finally, finally, stops: five hours after the horrible disaster. What we now hear is the soothing sound of the seaside (!) to gently and soundlessly send people home. Up to this very hour, thousands and thousands of young partygoers have no idea whatsoever of what had happened, which is precisely and shamelessly what the self-styled “crisis management” wants. I had never realised just how high the “Richter scale of cynicism” can ascend.

For nineteen young women and men, the party is certainly over.

Forever.

And it was all their fault, right?

PS: The crocodile tear weeping and initial critical questions can be read in German here:

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/Das-toedliche-Unglueck-wirft-Fragen-auf-id3279049.html

Übersetung (danke): Chris Irwin, Maidenhead, United Kingdom

Um nichts zu sagen

25. Juli 2010

Mauern, herunterspielen, abtropfen lassen

Bockig, verstockt, eisern uneinsichtig sitzen die Figuren auf dem Podium. Sie halten eine Pressekonferenz (Sonntag, 25. 07., 12.00-13.00 Uhr im Duisburger Rathaus) ab, im erklärten Willen, auf keine kritische Frage (und es gibt nur kritische, bohrende, empörte) der Medien eine verwertbare, konkrete Antwort zu geben. Man mauert, spielt herunter, wiegelt ab, verweist auf später. Oberbürgermeister Adolf Sauerland macht ein Gesicht wie ein Mops, wenn’s donnert und liest mit zittriger Stimme eine inhaltslose Betroffenheitserklärung vor. Rainer Schaller, Veranstaltungsleiter, schließt sich an und verkündet, als sei dies ein Geschenk an die Verunglückten, das Aus der Loveparade. Dass er danach schweigt, liegt daran, dass ihn keiner was fragt. Von hervorstechender Dreistigkeit der Leiter des Krisenstabs, Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, der seinen Respekt vor den Opfern dadurch zum Ausdruck bringt, dass er sich, als sei er im Urlaub, im offenen weißen Hemd lässig auf dem Podium fläzt und routiniert jede Frage mit Hinweis auf laufende staatsanwaltliche Ermittlungen abschmettert. Wenn er vom Tod der 19 jungen Leute in irgendeiner Weise berührt ist, kann er das gut verbergen. Der einzige, der mir ein Minimum von Respekt abnötigt, ist der stellvertretende Polizeichef Detlev von Schmeling, der auf Fragen immerhin versucht, konzentriert und präzise zu antworten. Daß er sich vorerst vor seine Leute stellt, ist zu erwarten und vermutlich richtig. „Unsere Einsatzkäfte haben den ganzen Tag auf die Zugangsströme regelnd eingewirkt“, sagt er. Aha. Dann ist ja gut.

Alle sind deutlich von einer Sorge getrieben: „Bitte keine voreiligen Schuldzuweisungen!“ OB Adolf Sauerland verspricht, die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Herr Rabe sortiert Akten. Herr Schaller macht ein Gesicht, als säße er in einer Prominenten-Pokerrunde. Düster brütend lässt er seinen Pressevertreter, einen besonders unbedarft coolen Jungspund, mehrfach Statements abgeben, deren einziger Inhalt darin besteht, aufgrund der staatsanwaltlichen Ermittlungen leider gar nichts sagen zu dürfen (in welchem Gesetz steht das?)

In der Zwischenzeit häufen sich Meldungen, sowohl Feuerwehr als auch Polizei hätten im Vorfeld dringend bessere Sicherheitskonzepte gefordert, insbesondere, um ein solches Nadelöhr zu vermeiden, das dann zur Todesfalle wurde. –  Die Stadt hat abgelehnt.

Die Staatsanwaltschaft hat die Planungsakten und Einsatzprotokolle beschlagnahmt. Die Medienvertreter verlassen unzufrieden und frustriert die Pressekonferenz. Warum man solche veranstaltet, wenn man nichts sagen will, bleibt Geheimnis der Verantwortlichen.

The party goes on („selber schuld“)

24. Juli 2010

Das Ende der Party - der Ort des Todes (Foto: SPIEGEL online)

Duisburg am 24. Juli, 19.00 Uhr: Immer wieder knattern Helikopter im Tiefflug, landen im 15-Minutentakt; Sirenen durchschneiden die Abendluft. Blaulicht zuckt. Rettungssanitäter, Feuerwehrzüge, Bundesspolizei, Streifenwagen. Unverständliche Lautsprecherdurchsagen. Bereitschaftspolizei in Kampfmontur ist aufgezogen. Die Stadt ist faktisch von der Außenwelt abgeschnitten, die Autobahn gesperrt, der Zugverkehr eingestellt, das Handy-Netz zusammengebrochen. Stromausfall im WDR-Studio. Die Notaufnahmen der Kliniken haben Hochbetrieb

Es herrscht Chaos und Fassungslosigkeit. Vor dem Bahnhof drängen sich Menschen, teilweise alkoholisiert, unter Drogen und aggressiv – sie wissen nicht, wohin. Wohl neunzehn Menschen sind gerade im Gedränge zu Tode getrampelt worden oder von einer schmalen Beton-Treppe in den Tod gestürzt, achtzig Schwer-, ungezählte Leichtverletzte. Währenddessen geht, unfassbar, die Techno-Party unentwegt weiter, die Bässe donnern, als solle der brüllende Lärm die Katastrophe übertönen – angeblich hat man Angst, Massenhysterien auszulösen, wenn man den Rummel abbricht. Die Gefahr von Ausschreitungen ist noch nicht gebannt. Die stillgelegte Stadtautobahn füllt sich mit Sanitätszelten.

Per Webcam und Video-Stream verfolge ich „live“ und fassungslos das Desaster, eine Katastrophe, in welche die Verantwortlichen nahezu wissentlich und sehenden Auges hineinsteuerten. Eine groteske, nahezu unbegreifliche Kombination von Unfähigkeit, Fehlplanung, Verantwortungslosigkeit, Schlamperei und Dummheit. Seit Tagen habe ich mich, Zeitung lesend, gefragt, was den Loveparade-Veranstaltern, der Bundespolizei, der Deutschen Bahn und der Stadt denn eigentlich als Lösung vorschwebte, wenn die offiziell erwarteten (!) anderthalb Millionen Party-Besucher durch einen einzigen (!) Eingang auf einen abgesperrten Platz drängen, der für gerade 500.000 Menschen ausgelegt ist. Wie um Himmels Willen hatte man sich das gedacht? Was hatte man geplant, wenn Hunderttausende frustrierter, überhitzter, alkoholisierter, mit Drogen aufgeputschter, erschöpfter, enttäuschter junger Leute nach stundenlanger, strapaziöser Anreise auf das bereits überfüllte Party-Gelände drängen würden und dann zwischen den Gittern und Absperrungen nicht mehr ein noch aus, bzw. nicht mehr vor- und nicht mehr zurück wüßten? Wie soll man das anders nennen als ein programmiertes Chaos? Eine willentlich in Kauf genommene Katastrophe?

Kann man das irgendwie erklären? Vielleicht durch besinnungslose Profit-Gier, Kommerz-Verblödung, Geltungssucht, allgemeine voluntaristische Schönrednerei im Vorfeld, durch kollektive Borniertheit und verantwortungslosen Leichtsinn, durch die banale Selbstbeweihräucherungssucht der sog. Event-Manager oder den Dilettantismus inkompetenter „Stadtväter“? Durch die selbstzufriedene Sturheit einer völlig überforderten Polizei? Hat man gedacht, es würde schon, gegen alle Prognosen, irgendwie gutgehen? Wie hat man das allen Ernstes glauben können?

Es gab viele Stimmen, die Zweifel daran äußerten, dass eine arme, unterorganisierte, schlecht ausgerüstete, logistisch überforderte und überdies in solchen Veranstaltungen unerfahrene Halbmillionenstadt wie Duisburg ein Ereignis mit 1,5 Mio. Menschen organisieren und sichern könnten. Sie wurden als Miesmacher und Stimmungskiller zum Schweigen gebracht. Die Kritiker und Skeptiker störten die Selbstbesoffenheit der Kulturhauptstadt-„Macher“. Ein junger Mann, der der tödlichen Massenpanik um ein Haar entging, hatte die Polizei schon vor dem Desaster dringlichst gewarnt. Die Antwort der Polizei: „Willst DU das hier organisieren, oder was?“

20.30 Uhr. Die medialen Gebetsmühlen sind angeworfen, die offiziösen Krokodilstränenwerfer arbeiten voll Rohr. Mechanisch wird wieder von „Tragödie“ und „Tragik“ gelabert. Aber „tragisch“ nennt man unausweichliche Unglücksfälle. Das Desaster von Duisburg war keineswegs unausweichlich. Es war, wie gesagt, mehr als voraussehbar. Die Krokodilstränen werden bald wieder trocknen. Noch immer wummert die Parade der Floats aus 300.000 Watt-Anlagen.

20.45 Uhr: Die Schuldfrage ist schon geklärt. Die Verantwortlichen haben nicht die Verantwortung. Der frischgebackene (bislang in Duisburg wirkende) NRW-Innenminister Jäger findet in einem ersten Interview, die „Polizei“ habe „gute Arbeit gemacht“. Die Pressekonferenz der Stadt Duisburg findet, sie, die Stadt, die Behörden und die Planer  trügen keine Schuld; schuld seien vielmehr eindeutig die Opfer selbst, die sich nämlich „nicht an die Spielregeln gehalten“ hätten.

22.10 Uhr: Der Duisburger „Krisenstab„, namentlich der ganz offenbar Hauptverantwortliche, „Sicherheitsdezernent“ Wolfgang Rabe, schießt sich darauf ein, auf übelst demagogische Tour übrigens und mit steinern-zynischer Fresse, den jungen Todes-Opfern selbst die Schuld zu geben. Die hätten sich nämlich „irrational verhalten“. – Als hätte man nicht GENAU DAS zuvor einkalkulieren müssen! Als wäre es nicht die eindeutige Aufgabe der Sicherheitsbehörden, solch irrationales Massenverhalten – was bei Loveparade-Veranstaltungen ja vorkommen soll – eben vorauszusehen und im vorhinein (!) unmöglich zu machen! Was für eine ungeheuerliche Dreistigkeit den Opfern und ihren Familien gegenüber! Nebenbei: Immerhin sitzt in Duisburg z. B. das weltweit anerkannte und renommierte Fraunhofer Institut, das mit seinen Forschungen und Konzepten zur Steuerung und Sicherheit von Menschenmassen-Ansammlungen, bereits geholfen hat, etwa in Mekka die berüchtigten und gefürchteten Massenpaniken unter Pilgern fortan zu verhindern. Dort wird man das Wort „Risikoanalyse“ ja wohl eigentlich kennen. – Hat der Herr „Sicherheitsdezernent“  da nicht mal nachgefragt,vorher? Hatte er das nicht nötig, weil Massen ja bekanntlich immer  „den Spielregeln folgen“? *

(Nachtrag 26. 07. 2010: Inzwischen ist bekannt, daß der Professor für Physik des Transports, Prof. Michael Schreckenberg, sehr wohl in den Planungsstab „eingebunden“ war – was immer das konkret heißen mag. Seine nachträglichen Einlassungen wirken merkwürdig fahrig und unkonkret. Die spätere Todesfalle hatte er zumindest „im Vorfeld“ nie gesehen oder betreten. Welche Rolle die „Experten“ gespielt haben, ob man auf ihre Expertisen oder gar Warnungen gehört oder sie in den Wind geschlagen hat, wird erst noch zu klären sein. Immerhin war Prof. Schreckenberger der m. W. EINZIGE, der sich „von Schuld nicht freisprechen“ wollte…)

22.50 Uhr: Noch immer kreisen Kampfhubschrauber der Bundespolizei über Duisburg. Im Fernsehen verbreiten die unmittelbar oder politisch Verantwortlichen – schier unfaßbar kaltschnäuzig und arrogant der Herr Ex-WDR-Indentant und Kulturhauptstadt-Chef Fritz Pleitgen – geradezu haarsträubende Lügen bzw. Halbwahrheiten, um jede Verantwortung von sich zu wälzen Es ist wirklich unsagbar widerlich.  Ich glaube, ich war von dieser Politiker-Kaste schon lange nicht mehr derart angewidert und abgestoßen. Ein wahrhaft unsägliches, erbärmliches Schauspiel. Zum Speien.

23.03 Uhr: Plötzlich und noch immer ohne jede Erklärung (!) stoppt in der Party-Zone nun endlich, endlich, fünf Stunden nach dem Horror-Desaster, das Gewummer. Man spielt nun Meeresrauschen (!) ein und schickt die Leute sang- und klanglos nach Hause. Bis zu Stunde wissen noch immer Zigtausende junger Party-Gänger nicht, was überhaupt geschehen ist. So will es das sich selbst ohne Scham so nennende „Krisenmanagement„. Ich wußte gar nicht, daß die Richter-Skala des Zynismus nach oben dermaßen offen ist.

Für neunzehn junge Frauen und Männer ist die Party jedenfalls vorbei. Für immer.  – Selbst schuld, ja?

PS: Krododilstränenwerfer und erste kritsche Fragen hier:

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/Das-toedliche-Unglueck-wirft-Fragen-auf-id3279049.html

Hier noch eine Zuschrift aus Maidenhead, London, UK:

Chris Irwin schreibt auf facebook

„It’s not over until the fat bastard(s) owns up.

By strange coincidence on Saturday evening, I was sat at the PC bellowing with laughter at a blog posting made by good mate, philosophy lecturer and scribe extraordinaire: Duisburg resident Reinhard Haneld (aka 6kraska6). A while later, I was prompted from my semi-slumbers during the evening TV news upon hearing the word ‚Duisburg‘ and began to see initial reports of this appalling state of affairs.
Knowing from his blog that he is not shy of attending the occasional odd venue/locale in the eternal pursuit of satisfying his curiosity and that of his ardent readers, I hasten computerwards to establish contact. I was relieved to learn pretty quickly that at least all is well in his household. His daughter set out to attend the party, but could not get in. His wife – a TV reporter – is out there at ground zero covering the carnage.
The following morning, I receive further news and see that he has posted a report listing the events and posing some very heavy questions about responsibility.
The report is available in German on the link (I might translate it later). It seems that person or persons hitherto unknown fucked up big time. The whys and wherefores will doubtless/possibly emerge eventually, not that this will be any consolation to those who are mourning young loved ones.“

Quo vadis, Beinkleid?

22. Juli 2010

Hose der Fa. Baur, Beine unbekannt

EIN LÄNGERES TRAKTAT ÜBER DIE KURZE HOSE

Beim Bikini zum Beispiel, beim BH oder auch beim Reißverschluß weiß man es, glaube ich. Aber wer hat eigentlich das sinnreich ersonnene Kleidungssstück erfunden, das wir als sog. „Hose“ kennen und schätzen? Römische Autoren der Antike haben das raffinierte Doppelröhren-Teil als Alltags-Tracht der wilden Germanen-Stämme beschrieben, halb spöttelnd, in der kalten Jahreszeit dann aber auch schon zunehmend ein bisschen neidisch. Hosenlose Horden gelten in der Moderne bereits als rückständig. Obwohl es m. W. noch keinen bundes- oder gar weltweiten „Tag der Hose“ gibt, wird die zivilisatorische Daseinsberechtigung dieses Beinkleides kaum noch bestritten. Freilich, keine Hose ohne Dornen, will sagen ohne Umstrittenes, Fragwürdiges, ja irritierend Bedenkenswertes.

Ich spreche vom Funktionswandel der Hose! Den nämlich gibt es zu verzeichnen! Grundidee der antiken Beinkleidschneider war es ja wohl ursprünglich, die beiden braven Zwillinge, das stämmige Stand- und sein puppenlustiges Spielbein, mit einem ledernen, später textilen (Jeans!) Schonbezug zu umhüllen, damit es nicht friere (fröre) und vor allem Unbill einer feindseligen Umwelt wohl verwahrt seine Arbeit tue. Oder täte. Dass dabei das stämmige Germanen-, Westgoten- oder Vandalenmännerbein auch den Blicken der Öffentlichkeit entzogen wurde, nahm man billigend in Kauf. Heute fragt sich der konservative Kulturbeobachter indessen schon wieder bang: Quo vadis, Hose?

Die Hose steht heute ratlos am Scheideweg, und zwar besonders als sog. Kurze  bzw., für das weibliche Geschlecht vorbehalten, sogar Sehr Kurze Hose. Seit der Klimawandel uns im Sommer mediterrane oder sogar tropische Temperaturen beschert, hat der deutsche Mann eine Art Zwangsneu-Hose entwickelt: die obsessive, öffentlich-schamlose Kurzbehostheit. Was soll man sagen? Als unterlägen ihre unelegante Stampfer neuerdings einem staatlichen Verhüllungsverbot, entblößt man wie blöd und zwanghaft seine knochigen Knie, wurstigen, wollbehaarten Waden oder madenweißen Magermilchschenkel. Trotz der Proteste internationaler Menschenrechtsorganisationen enden solche Unaussprechlichkeiten unten noch immer gern in weißen, beigen oder braunen Socken. Pfui Spinne! Wollen wir das ästhetisch ausführlicher würdigen? Besser nicht; taktvoll-dezent schlagen wir die Augen nieder und bitten still stoßbetend um plötzliche Schafskälte und die gnädige Rückkehr der seligen Eisheiligen.

Ganz anders wiederum, oft betörend und sinnverwirrend, die heuer, wie mir scheint, faktisch wie modisch im überhitzten Stadtbild mehr und mehr dominierende, extrem knapp sitzende Fräuleinhose, früher kess „Hotpants“ (vgl. auch „Der Name der Hose“!) genannt, ein zumeist aus Jeans-Stoff geschneidertes (man möchte, hehe, eher sagen: beschnittenes), jedenfalls eminent, ja  frappant kontraproduktives Beinentkleidungsbeinkleid, dessen nahezu beinfreie Knappheit den Gläubigen offenbart, dass der Schöpfer – wie es das on dit ja schon lange vermutet –, wenigstens was das beinbezogenen Feindesign angeht, beim Manne nur geübt, beim jungen Weibe aber zur Vollendung gefunden hat. Die Anatomie ist im Prinzip ja die nämliche, aber der ästhetische Effekt ist beim ultrakurzbehosten Jungfernbein ein verblüffend anderer, zumal in der Mädchen-Population dieses Jahres, will mir scheinen, die Beine besonders lang, elegant und hühnchenknusperbraun gewachsen sind. Manche Mädels bringen es, ich kann das als urbaner Biker beurteilen, mit Hilfe eines solchen Entkleidungsstückes zuweilen bis zum mobilen Verkehrsbehinderungsereignis!

Ist eine solche sachliche Feststellung etwa von chauvinistischer Frauenfeindlichkeit geprägt? Ganz im Gegenteil! Fern liegt mir altem Hosenkavalier jede Anzüglichkeit! Die kurze Hose (im Gegensatz zu Horrorhosen-Relikten wie der verflossenen Karotten-, Reit- oder Pumphose) versichert uns vielmehr, dass der früher aus ideologischen Gründen unterschätzte „kleine Unterschied“ noch immer existiert und sich nicht hinwegmodeln oder -mendeln gelassen hat. Das von mir praktizierte Frauenversteher- oder Verehrertum macht vor dem Bein nicht halt. Beine gehören zum integralen Bestandteil femininen Menschentums! Steht, empfehle ich daher der heurigen Mädchenblüte, steht zu euren Beinen!

Beine sind ein Gottesgeschenk – ein paar aufreizend knappe Jeanshosen für sie hat Gott allerdings nicht wachsen lassen, die muß man zur natürlichen Ausrüstung hinzukaufen. Hierfür gibt es aber gut erreichbare Fachgeschäfte.

„The Sting“ zum Exempel ist ein aus den Niederlanden stammendes, im „Forum“ niedergelassenes sowie im Prinzip – so sagen die Töchter – recht empfehlenswertes Bekleidungshandelsunternehmen für junge, schlanke, gut gewachsene Menschen, die sich mit Hilfe der feilgebotenen  div. Markenklamotten figurbetont herausputzen möchten. (Achtung: Die Größen S, M, L und XL beziehen sich eher auf thailändische Maßstäbe!),  Dass modische Kleidung ihre Attraktivität oft durchs Weglassen behauptet, kommt man mit wenig Stoff aus, was der Taschengeldfreundlichkeit der  Hemdchen, Tops & Höschen zugute kommt. Der Öffentliche Raum profitiert: In der Stadt erblühen die Augenweiden.

Aufgrund der äußersten Knappheit und Kürze der sommerlichen Hosenbeine habe ich mir erlaubt, den Text hierüber etwas länger geschneidert bzw. ausufern zu lassen.

Kraska macht Putz, Stadt machen weg: Hetzefrei

19. Juli 2010

Paranoia aus dem Paralluniversum



Straßenfeger, Müllmann, Putze – alles keine populären Traumberufe! Der Karriere-Wunsch „Ich möchte so gern anderen Leuten ihren Dreck weg machen!“ wird heute nur noch selten geäußert. „Ooch, irgendwas so vielleicht mit Menschen“, murmeln vielmehr unbedarfte Schulabbrecher, verlegen in der Nase bohrend, wenn sie im Berufsbildungszentrum nach ihren künftigen Traumtätigkeiten befragt werden. Ja, schön. Bon. Nur leider, Leute, „Menschen“, – das heißt manchmal halt auch: Idioten, Ferkel, Dreckspatzen,  Graffitti-Spinner oder auch, nur ganz gelegentlich, ausnahmsweise und nicht generalisierend verstanden, südosteuropäische Kulturbereicherer, die in meinem Viertel gern glauben, die Glas-Leergutcontainer seien dazu da, dass man vor ihnen giftigen Elektroschrott, durchgepißte Matratzen, volle Windeln und Essensabfälle ablädt. Sind ja trotzdem auch Menschen, oder? Und keineswegs, wie vor allem meine serbischen, nigerianischen (!) und türkischen Nachbarn lautstark meinen, „alles Schweine, die scheiß Ausländer“!

Dennoch. Kürzlich stellte ich [– mein Gott, ich gehe offenbar zügig dem Status des ordnungsnotgeilen Rentner-Nazis entgegen! Mir fehlt, schätz ich, nur noch der kleinkrempige Pepita-Hut und der beige Popeline-Blouson! –], eine Roma-Frau (rate ich jetzt mal) zur Rede, dergestalt, dass ich bei der einen überquellenden Krempel-Trolley hinter sich her ziehenden Mutter Schmierage, die offenbar glaubte, Orangeschalen, kaputte Toaster und irgendein unentwirrbarer Kabelsalat gehörten bei uns im Grunde auch zum Leergut, mehr oder eher minder höflich anfragte, ob sie denn bitteschön noch alle Tassen im Schrank habe, daheim, in Bulgarien oder wo, zum Beispiel? Schnippisch, knapp und in stark gebrochenen (aber ungeschienten!) Deutsch wurde mir über den Müllhaufen hinweg beschieden: „Stadt holt ab! Stadt machen weg!“

Die Stadt (Duisburg) hat zwar kein Geld, weil keiner mehr nennenswert Steuern zahlt, dafür aber mehr und mehr Leute HartzIV-Versorgung benötigen („Leute! Laßt den Tropf nicht hängen!“), aber bei unseren Mitbürgern mit Migränehintergrund offenbar einen schweren Stein im Brett. Man verlässt sich drauf: Stadt macht schon irgendwie weg! Die Männer [(obs Frauen auch gibt? Weiß ich momentan gar nicht – aber deswegen gleich feministisch-fäusteballend fordern: „Öffnet die Müllabfuhr den Frauen!“ fände ich übertrieben.) der Duisburger Wirtschaftsbetriebe haben bei uns im Viertel immer Extra-Schicht. Ein Rätsel, das mir noch keiner lösen konnte: Wo kriegen dieMenschen ungenannter Herkunft bloß diese Unmassen Müll denn immer her? Sitzgruppen, Elektronik, Computerschrott, vermischt Organisches unterschiedlicher Verwesungsstufen? Na ja, lassen wir den Müll. Stadt macht, wie gesagt, schon irgendwie weg.

Zur Kompetenz der Wirtschaftsbetriebe gehört prinzipiell auch die Beseitigung graphischen Mülls. Der gliedert sich wesentlich in drei Kategorien: a) Stumpfsinnige bzw. uninspirierte sog. Tag-Schmierereien, dann b) mehr oder minder unterhaltsame Kundgebungen politischer oder allgemein lebensratgeberischer Natur sowie persönliche Nachrichten („Dilem, seni seviyorum –  isch liebe disch warum du misch denn nich?“) sowie c) Schablonen-Graffitti, die ich als coole urbane Ausdrucksform der Jetztzeit durchaus toleriere, meistens jedenfalls.

Es sei denn, es handelt sich um Mitteilungen aus einem psychopathologischen Paralleluniversum, das aus lauter barthaarfeinem Irrsinn und purer Propheten-Paraoia gesponnen ist wie das komplett realitätsabgekoppelte Wahnsystem der Islamerer. Von einem Transformatorenkasten bei mir um die Ecke lächelt mich da neuerdings mütterlich-einladend eine Kopftuch tragende Frau an und ermutigt mich: „Stoppt Antiislamhetze!“ Okay, pour-quois pas? Hetze find ich nicht gut. Hetze ist Müll. Sire, geben Sie Hetzefrei!

D’accord. Nur, nebbich, unsere Islamerer im Viertel kenne ich: Sie flanieren ostentativ im Freitags-Kaftan durch die Hood, ausgerüstet mit Häkelkappe und hennagefärbtem Vollbart, und finden, gegen Frauenunterdrückung vorzugehen, sei typisch westlich-verwerfliche „Antiislamhetze“.  Das Burka-Verbot etwa, das kürzlich vom französische Parlament verabschiedet wurde, ist für sie solche „Hetze“. Nun ja. – Vielleicht möchte man die Diskriminierung und Versklavung der Frauen zum Weltkulturerbe erklären lassen? Da wäre ich dagegen, schätz ich, genau so, wie mir das Recht, „Scheiss Juden“ an deutsche Wände zu schmieren, wenig schützenswert erscheint. Generell liegt die Zeit, in der mir das Beschmieren von öffentlichen Mauern mit bescheuerten, weil einseitigen und unterkomplexen Polit-Botschaften sinnvoll erschien, ca. 40 Mio. Jahre hinter mir.

Um die Stadt hetzefrei zu machen, würde ich die Wirtschaftsbetriebe Duisburg gern bitten: „Sie da, mit dem super Chemie-Dings, können Sie diesen Müll mal wegmachen, da?“ Aber ich weiß, dieser Service ist kostspielig und aufwändig. Im Grunde wäre wohl Bürgersinn gefragt. Und eine klare Vorstellung davon, was man an unseren Wänden dulden darf, und was nicht. Ich befürchte, das geht gerade flöten…

Man mache das weg da! Ich geb euch gleich was von wegen "scheiss Juden"...!

Nervt: Ödes, doofes, uninspirierstes Tag-Geschmiere

Blumen für den Schwarzen Block

Porträt eines Stadtindianers („Alors on danse…“)

10. Juli 2010

Alter-Mann-tanzt, denn so hieß er, war nicht immer ein Killer gewesen. Zum Killer wird man nicht geboren, das erfordert eine éducation sentimentale, das braucht einen Bildungsroman mit schroffen, kolportagehaften Windungen und Wendungen,  mit extra viel Scheitern, noch mal ordentlich scheitern, dann schon besserem Scheitern, hat also mit Format zu tun, mit Stehvermögen, moralischer Beweglichkeit und raschem, zupackendem Geist. Wer auf dem Zenit seines Lebens zum Killer avanciert, wird ein Wolf, ein Heroe, ein Charismatiker, vor allem, wer mit Stil tötet, mit ästhetischer Raffinesse und viel Sinn für das Ungewöhnliche, Grausame und Bestialische, das uns in seiner bittersüßen Musikalität ganz melancholisch macht, wenn der Soundtrack stimmt. (Am besten von Ennio Morricone!)

Ein stilvoller Serienmörder besitzt, wie schon Thomas de Quincey in seiner erleuchteten Studie „Der Mord, als schöne Kunst betrachtet“, zeigte,  jenes Je-ne-sais-quois, die fast schon zärtliche Originalität, Präsenz und Präzision, die seine Ausstrahlung so bezaubernd und unwiderstehlich macht. Das eisige Herz eines Jägers! Wenn Alter-Mann-tanzt die Szene betritt, halten die Frauen die Luft an und am Tresen rückt man respektvoll zur Seite: Ihn umweht eine Aura aus Einsamkeit, Verlorenheit plus eine Spur unsägliches Geheimnis, von früher, aus der Vergangenheit noch. Alter-Mann-tanzt hat, als er noch anders hieß, Unaussprechliches gesehen oder sogar getan, niemand weiß Genaueres. Aber wer verstohlen sein Halbprofil betrachtet, die aus Stein gemeißelten Züge, das wie aus kaltem Schmalz gespachtelte Doppelkinn, den unerbittlichen Basiliskenblick aus schmalen Trinkeraugen, der weiß Bescheid und denkt sich seinen Teil. Hier steht ein Matador, ein Töter, einer, dem einst das „¡Viva la muerte!“ betrunkener Apachen im Ohr gellte und das schauerliche Blöken blutgieriger Kampfstiere im Staub der Arenen.

Wenn man seinen Mut zusammen nimmt und zu fragen wagt, wie viel er denn schon so … na, ja, gekillt hätte, verwandelt sich das Gesicht des herzlosen Jägers in eine Maske verstockten, ja bockigen Schweigens. Es verhält sich nämlich so, dass Alter-Mann-tanzt jetzt in facto, de jure und in flagranti im Grunde noch gar niemandem das Leben nahm. Das lässt sich aber erklären! Das ist nicht lustig! Alter-Mann-tanzt hat eine Hemmung: Er tötet grundsätzlich keine Frauen – entweder sind sie ihm „zu niedlich“ oder „zu süß“, wie er unmerklich errötend zwischen den schmalen Lippen hervorpresst, oder er schreckt vor den grässlichen hysterischen Schreien zurück, welche Frauen vor ihrem bevorstehenden Ermordetwerden legitimerweise auszustoßen pflegen. Somit fallen freilich schon mal fuffzich Prozent der Menschen, wie Alter-Mann-tanzt murmelt, als Opfer flach.

Der Rest wären dann, nach Adam Riese, praktisch Männer. Männer zu töten wäre im Grunde kein Problem, oft sogar nur zu berechtigt und vom Publikum sogar mit freundlichem Beifall bedacht. Ich könnte Namen nennen! Andererseits macht, wer Männer tötet, unvermeidlicherweise Frauen weinen. Witwen, weibliche Waisen, verwaiste Mütter, Schwestern, Töchter, Cousinen, Liebhaberinnen, Konkubinen und Kebsweiber  etc. weinen heiße Tränen um einen, der es vielleicht gar nicht verdient hat, aber das weibliche Herz hat bekanntlich seine Gründe, die über den Verstand gehen.

Alter-Mann-tanzt haßt es aber, wenn Frauen weinen. Er findet das abstoßend. Seine künstlerische Sensivität wird durch Weibertränen unerträglich affiziert. Es geht also einfach nicht! Alter-Mann-tanzt, von dem es heißt, er sei der einzige namentlich bekannte Schriftsteller der 70er Jahre, der seine Karriere mit einer 25-jährigen Schreibblockade begann, wurde zum Killer mit Tötungshemmung. Alter-Mann-tanzt scheut als Ästhet das Hässliche und Gemeine brutaler Gewalt, das Blutgesudel, das Eingeweide-Geschmadder, die Stirnhirnspritzer am Schrank, kurz, die ganze forensische Sauerei, die hinterher ja auch einer wegmachen muß!

Zum Glück gibt es das phantasievolle Geistesverbrechen: Alter-Mann-tanzt tötet in Gedanken, und da aber dann ohne Gnade, scheinbar wahllos: Prominente, Fernseh-Nasen, Politikoffkys, Krämerseelen, Taxi-Fahrer, Eckensteher, Nervensägen, Plumpmadams im Service-Bereich, Männer mit rosa Hemden und eingeschweißten Plastiknamensschildern am Bund der knitterfreien Bundfaltenhose, mediale Schwachköpfe, Buchmarktschreier, Gangster-Rapper, Schwulenfunktionäre, Banker, Wichtigtuer, infame Imame, konvertierte Kopftuch-Tussen, Schläger, Jungkriminelle, Zuhälter, Cabrio-Fahrer mit Deko-Blondinen, Dealer, Augenbrauenzupfer, Stalker, Schwätzer, aufdringliche Bescheidwisser, humorlose Langeweiler – Alter-Mann-tanzt macht keine Unterschiede und keine Gefangenen, sein Skalpell arbeitet schnell, seine Kettensäge fetzt, seine Pumpgun pumpt (Blei oder bleifrei), seine Kordel drosselt ohne Erbarmen.

Man muß sich den alten Stadtindianer als einen bösen, aber durchaus glücklichen Menschen vorstellen. Das Töten tut gut und sorgt für einen ausgeglichenen Seelenhaushalt. Oder, wie er selbst, sich das Blut von den Händen wischend, mit grimmigem Lächeln zwischen Zähnen, einen zeitgenössischen Hit zitierend, zugibt: Alors on danse…“