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Entgleister off-mainstream-Text

14. Februar 2013
In-AEgypten-entgleister-Zug

Entgleistes Denken findet immer mehr Freunde (Foto: afp)

Leute, kennt ihr den? „Wie nennt man eine Blondine, die sich die Haare färbt?“ Na? Wie? Haha, genau! Hahaha, haah! Hach! Zum Schlapplachen lustig, oder? Oder? – Nein. Leider nicht. Oder nur insofern, als ultraflache Matt&Plattscherze natürlich unfreiwillig etwas über denjenigen preisgeben, der sie zum Besten gibt. Kürzlich vermutete jemand in einem Kommentar, ich gehöre ja wohl zu den „intellektuell Entgleisten“, worüber ich nicht nur schmunzeln musste, weil mir dieser Verdacht – wie auch derjenige, einen Sprung in der Schüssel zu haben und schon als Kind nicht ganz richtig im Kopf gewesen zu sein – auch schon lange selber gekommen ist, sondern noch mehr deswegen, weil der anonyme Schmähkritiker mit  seiner vermeintlichen Injurie freimütig, wenn auch  wahrscheinlich unwillentlich offenbarte, er für seinen bescheidenen Teil zöge das Denken auf Schienen bzw. in eingefahrenen Gleisen vor – als seien Berechenbarkeit, Redundanz und Fahrplanmäßigkeit herausragende geistige Fähigkeiten. Aber vielleicht glaubt er das ja tatsächlich.

Zum Glauben übrigens – ich prunke hier mit einer off-mainstream-Meinung – gehört eine gewisse Grundintelligenz. Die knappe Mehrheit der Deutschen, die sich für Atheisten halten, haben sich nicht etwa mühevoll durch die prallbunte, zauberhafte und hirnbetörende Welt der Glaubensüberzeugungen hindurch gearbeitet, sie sind nur schlicht zu doof für Religion.  Sie begreifen weder Funktion noch Geschichte oder gar Wesen des Religiösen und auf dieses ahnungsfreie Banausentum sind sie mächtig stolz. Sie glauben sich auf der sicheren Seite, wenn sie zum hunderttausendsten Mal auf der bahnbrechenden Einsicht herumreiten, „dass es Gott gar nicht gibt“. Ach was! Was ihr nicht sagt! Als wenn die Frage der Existenz irgendeine Rolle spielte. Millionen von Lotto-Spielern haben nie im Leben eine Begegnung mit den ominösen, ja numinosen sog. „sechs Richtigen“, warten wie auf den Messias vergeblich auf das Erscheinen der getippten heiligen „Zusatzzahl“ und opfern wöchentlich immense Summen einem offenbaren Hirngespinst, – und sie glauben dennoch fest daran, dass unverdientes Geld auf sie wartet und sie irgendwann total glücklich machen wird. Punkte ich bei denen etwa, wenn ich als naseweiser Aufklärer versichere, dass es „Lotto gar nicht gibt“? Lotto und Gott „gibt“ es genau so lange, wie genügend Menschen daran glauben, so einfach ist das. Gleiches gilt für Einhörner, die einmalige große Liebe und Rentenversicherungen.

Dank der hervoragenden Arbeit des CTV (Centro Televisione Vaticano) habe ich gestern die Abschiedsvorstellung des scheidenden Papstes angesehen, die große Aschermittwochsmesse im Petersdom, und ich war wieder mal ergriffen, zum Teil fast zu Tränen gerührt. Den Einwand, ich hätte sogar damals bei „E.T.“ geweint, wische ich als nichtig beseite! Vielleicht darf man nicht katholisch sein, um, wie ich, einer solchen machtvollen Demonstration kulturellen Gedächtnisses sowohl ästhetischen wie spirituellen Ereigniswert beizumessen.

Ich hör gewiss schon das Gezeter der Neunmalklugen: Was die für komische Sachen anhaben! Und diese Hüte! Und allet auf Latein! Und der joldene Prunk! Da könnt’ma doch Kindergarten für bauen! – Ja und? Was denn? Was wollt ihr damit etwa sagen – dass die Kirche nicht modern ist? Echt? Modern war die Kirche im 5. Jahrhundert. Wäre sie es danach noch gewesen, gäbe es sie heute nicht mehr. Die Kirche ist die größte und ehrfurchtgebietendste Maschine zur Überwindung der Zeit. Von der Taz bis zur Titantic mault die Meute der Geistlosen, Kirche samt Papa sanctissimo seien „aus der Zeit gefallen“. Eben, ihr Schnellmerker, eben! – das ist nämlich denen ihr Trumpf und konkurrenzloses Alleinstellungsmerkmal, das spirituelle Pfund, mit dem sie wuchern! Möge ihr Wuchern Früchte tragen an Gemüt, Gesittung und schönem Schein! Die antikirchlichen Nörgler indes gleichen schlaumeiernden Schildbürgern, die da sagen: „Also in der Renaissance möchte ich nicht gelebt haben – die hatten ja total unmoderne Klamotten damals!“ – Ich hingegen gähne, genieße, schweige und weine.

Schön und begrüßenswert ist ja, dass man heute nicht mehr gezwungen wird, katholisch zu sein. Wer dies aber aus freien Stücken dennoch möchte, dem gönne ich von Herzen seine fromme Verzückung angesichts des Stellvertreters Christi und dem ganzen liturgischen Zinnober! Die sich darüber beömmeln, sollen sich mal selber im Spiegel angucken, wenn sie sich Samstagnacht gar nicht mehr einkriegen, weil oben auf der Bühne vier Musikanten einer mittelberühmten Tanzkapelle auf Elektrogeräten herumschrammeln – die Ekstase ist zwar exakt die gleiche, aber oha! – modern…

Übrigens, aus der Zeit gefallen ist inzwischen auch der junge vorlaute Dichter Arthur Rimbaud, der vor mehr als hundert Jahren krähte, es sei nötig, „absolut modern“ zu sein. Ja? Im Ernst?  Also wenn ich mir die danach folgende Moderne ansehe, finde ich das ja eher nicht. Und was die Ästhetik angeht: Ich bin in einem vom Protestantismus verheerten Landstrich aufgewachsen, in dem man Kirchen aus altem Graubrot baute und eminent verhärmte, knorzig-häßliche, freudlose Bronzeengel von Ernst Barlach anbetete. Ich weiß also, was Sinnenhunger ist. Protestantismus: die unvorstellbare Herrlichkeit Gottes durch Tiefgaragen aus Beton erfahrbar machen zu wollen – das nenne ich bizarr!

Nun aber, weil gleich schon wieder Schluss ist, endlich zum Thema: – Papstwitze! Aber dazu ist ja wohl alles gesagt.

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Kirche, Kunst, Wurst

22. Oktober 2010

Protzblitz: der Dom!

Abgesichert durch Geistesmagistertum und Hochkulturjob leiste ich mir gelegentlich entspannungshalber und stimmungsabhängig Anfälle braatzbrutalen Banausentums. An solchen Tagen gönne ich mir die Exzentrizität, megalomanisch bombastischen Kirchenprotz, selbst wenn er steinalt und kunsthandwerklich erste Sahne zu sein scheint, dennoch hässlich und gemein, zumindest undelikat und indezent zu finden. So ist für mich beispielsweise unsere Duisburger Moschee (die größte in Deutschland), von der die harmoniesüchtige Integrationspresse behauptet, „der Volksmund“ (ha!) nenne sie „das Wunder von Marxloh“ (in Wahrheit bloß eine dieser bescheuerten, ekelhaften Medienfatzke-Quatsch-Erfindungen), architektonisch nichts als eine brunzdoofe altosmanische Herrentorte – einfallslos, rückwärtsgewandt und ein Relikt aus der Durchschnarchzeit von Sultan Selim dem Unseligen, auch wenn oder gerade weil sie jüngst neu gebaut wurde. Ein „Wunder“ ist lediglich, dass deutsche Baubehörden so etwas genehmigen! Aber keine Angst, mein Amok-Lauf macht vor dem christlichen Abendland nicht halt.

Der Erfurter Dom zum Beispiel. Mann, Mann, Mann. So eine hybride, offen geistesverwahrloste, beschämend demutvergessene und satanisch hoffärtige Aberglaubensfestung! Todsünde der superbia. Ein ärgerlich motzmördermonströses Monumentalgebirge aus Stein und Bein vulgo eine gigantomanische, petrifizierte Weihrauchvergiftung! Sturblöde, dummdreist auftrumpfende Einschüchterungsarchitektur von Bischof Kinderschreck, patzig und erzkatholisch anmaßend auf den Hügel geklotzt und präpotent selbstverknallt in den mitteldeutschen Himmel geschraubt, menschenfeindlich und gottbesoffen, selbstherrlich, herrisch und hochmögend wie sonst nur der Turm zu Babel oder der Dom zu Köln! Das ist donnich schön! So wohnt nicht Gott, sondern der Anti-Christ. Feige ducken sich die Stadthäuschen unter dem dräuenden, absurd lächerlichen Albtraumschiff. Thüringer und Touristen ziehen bänglich die Kopf zwischen die Schultern, wenn sie zum finstren Mons Trumm hochgucken: „Manno, det Ding lässt sich janichma in eim Stück knipsen, Mensch!

Der Mensch, die Laus. Damit er sich noch kleiner, erbärmlicher und insektenhafter fühle, haben die Erfurter vor dem kathedralen Fossil-Dinosaurier einen weiten, leeren Platz gelassen, so riesig, dass es für ganze Kirchen- oder Reichsparteitage reichte! Man muss sich das mal vorstellen! Ausgerechnet Erfurt, die zipfelmützig verschnarchte „Landeshaupt“-Stadt unmodern beengter Gassen, treudeutscher Touristen-Tristesse und verwinkelter, windschief und haltlos sich aneinander klammernder Fachwerkbutzen klotzt mit einem innerstädtischen Freigelände, auf dem sich sämtliche erzabbauenden Zwerge des Erzgebirges versammeln könnten, um „Hosiannah“ zu schreien.  („Hosiannah“ ist übrigens aramäisch und heißt so viel wie „Herr, hilf bitte!“) Der Herr kommt und hilft aber nicht, ist ihm hier viel zu zugig und ungemütlich. Ich wundere mich aber nun nicht mehr, dass Luther ungefähr hierorts erstmals den Plan fasste, die aufgeblähte Mutter Kirche mal wieder auf den Teppich der menschlichen Realitäten herunter zu holen. Jedenfalls mich, den gewisse spät-byzanthinisch-frühromanische Basiliken (wie auf Torcello in der Laguna della Venezia) schon zu Tränen der Ergriffenheit rührten und an den Rand der Konversion brachten, ließ die monströse Monstranz spirituell kalt wie eine heidnische Hundeschnauze.

Gute Wurst, gutes Karma

Indes: Ganz unten links auf dem frommen Aufmarschgelände unter dem Dom steht in vorbildlich demütiger, wahrhaft christlicher Bescheidenheit eine andere, wesentlich menschenwürdigere Kathedrale thüringischen Kulturschaffens: Ein alter Mann, eng umhüllt von einer dünnen, niedrigen, schief gewachsenen Blechröhre, aus der heraus er ehrliche, ungemein preiswerte Rostbratwürste verkauft, der Region bescheidenen Beitrag zum Weltkulturerbe. Diese Bratwürste sollen ja in ganz Thüringen weltberühmt sein! Also reihten wir uns, von der mühseligen Dom-Besichtigung (diese Freitreppe allein! Eine Bußfertigkeits-Turnübung!) noch flauen Magens, geflissentlich in die Käufermenge ein. (In Erfurt steht man halt Schlange, nicht weil man müsste, sondern weil man es von früher her so gewohnt ist.)

„Und? und?“ beben die Leser vor Ungeduld, „wie ist die denn nun so, diese berühmte  Weltkulturerbewurst?“ – Hm, nun, eigentlich … gar nicht schlecht. Schmackhaft, doch. Leicht und unfettig, die Haut, der Darm, zart wie unschuldige Jungfrauenhaut, das fluffige Brät ohne Phosphat und anderen teuflischen Scheiß- und Schwefeldreck. Eine gottesfürchtige Wurst, wie sie in der Bibel steht: „Dein Wort sei ja, ja, nein, nein.“ Bzw. „Ich hätte – ja, ja! – gern noch so eine!“ Experten, die sich auch gern Glaubenskriege über die einzig wahre Curry-Wurst oder andere Trivialitäten liefern, werden mir sagen können, ob die auf dem Dom-Platz dargereichte Bratwurst auch zu Thüringens Ehre gereicht und „authentisch“ ist.

Als ketzerischer Häretiker, Renegat und Eklektiker, der sich aus jeder Religion nur das beste nimmt, halte ich es hier mit dem Hinduismus: Anderen Leuten was Leckeres zu essen zu geben, macht gutes Karma. Der Dom hingegen machte mir schlechte Laune. Gut, die Orgel war soundmäßig eine Bombe, und es hingen viele so komische halbrunde Bilder an den Säulen, vom finsteren Mittelalter schon ganz eingedunkelt. Sie zeigten im Wesentlichen, dass die Leute früher noch nicht so gut malen konnten. Der düster überschnörkelte Hauptaltar, unter der Last seines frühbarocken Deko-Schmonzes fast zusammenbrechend, offenbarte, dass die gemeinsame Basis aller Glaubenssysteme eine hysterische, überkandidelte  und hirnvernebelnde Art von selfmade-Voodoo ist. Singen, Tanzen, Hühnerschlachten, Bauen – alles der gleiche Wahn.

Im Vergleich also: 1:0 für Thüringer Wurstigkeit!

 

Hier die podcast-Version, vom Autor gesprochen, unter Verwendung eines Loops vom Esbjön Svensson Trio („Behind the yashmark“)

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Astro-Zinnober im Retro-Look

3. Oktober 2010

Brandneu: Geozentrismus im Überblick

Ich liebe Berichte, die mit dem Satz beginnen: „Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden…“ – es folgt dann entweder irgendein höherer Blödsinn, etwas trivial Selbstverständliches oder auch weltstürzend Unbegreifliches, das am Ende aber zumeist und zum Glück doch nicht stimmt.

Während ich der sonntäglichen Online-Zeitung gerade entnehmen will, was amerikanische Wissenschaftler denn nun wieder alles herausgeforscht haben, betrachtet die Gattin stirnrunzelnd meinen allmählich ins Barocke spielenden Körperumfang (vgl. „Kugelgestalt“) und konstatiert kritisch: „Du brauchst mehr Bewegung!“ Ich widerspreche eloquent: Unser lieber Planet Erde (Galilei: „Und sie bewegt sich doch…!“) verliere seine annähernde Kugelgestalt doch auch nicht, trotz sogar enormer täglicher Bewegung – immerhin kreist der Erdball in einem Affenzahn, mit 30km pro Sekunde, um die Sonne! Bewegung ist ja also wohl nicht alles!

„Lenk nicht ab!“ insistiert meine schlankere Hälfte, „und außerdem“ – sie zeigt auf den Bildschirm – „ist das ja wohl noch gar nicht erwiesen…“ Zwar meint sie das nicht ernst, aber mir bleibt dennoch vor Staunen der Mund offen stehen: Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt, lese ich, „herausgefunden“, dass Galileis lügenhaft heliozentrisches Weltbild auf einer internationalen Verschwörung gegen Mutter Kirche beruhe und kosmologisch grottenfalsch läge. In Wahrheit ruhe die Erde unbeweglich im Zentrum des Weltalls und bilde den unerschütterlichen Mittelpunkt des Universums („Wie ich! Genau wie ich!“ wollte ich schon triumphieren…), was schon der Augenschein bewiese, da man in alle Richtungen gleich weit ins All hinausgucken könne. Bei dieser Beweisführung wird mir langsam etwas mulmig. Die schon nach 400 Jahren erfolgte Rehabilitierung Galileis durch den Papst, lese ich weiter, sei mithin sofort rückgängig zu machen, sowie bei dieser Gelegenheit auch gleich die schändliche Irrlehre vom kosmogonischen Urknall zu widerrufen.

Demnächst fände, hieß es abschließend, im US-Bundesstaat Indiana ein wissenschaftlicher Kongreß statt, auf dem eine Handvoll herausragender Doctores ihre neuen astro-theologischen Zinnober der verblüfften Weltöffentlichkeit vorstellen wollten. Zwar beschleicht mich der Verdacht, diese amerikanischen „Wissenschaftler“ dürften ihren Doktor an der katholischen Klippschule St. Einfalt-Hinter-den-Wäldern gemacht und sich dabei einen derben Urknall zugezogen haben, – aber falls, wie amerikanische Wissenschaftler demnächst vermutlich nachweisen werden, die Erde eine Scheibe ist, könnte man interessehalber ja mal ’rüberrutschen zu dem Kongreß in Amerika, das bekanntlich gleich hinter Indien liegt. Ich brauch ja eh Bewegung. – Hauptsache, ich verfahr mich nicht.

Wenns ihn nur gäbe (Dies irae)

8. März 2010

Als man noch daran glaubte: Dies irae (Hans Memling)

Schlimm genug so schon, das Leben in der Desorientierungstufe: Als pickliger Präpubertätspumpernickel stiefelt man verwirrt, ängstlich und, innerlich extrem zartbesaitet, trotzig durchs Labyrinth der Lebensanforderungsprofile und weiß nicht recht, wohin mit sich. Und wie behält man die Nase im Wind bzw. wenigstens einigermaßen oben, wenn einem zum Heulen ist? Zwischen Dudelfunk, Doubleschule und Dübeldiplom heißt es: Kleiner Mann, was nun? Man hat ja Gefährdungspotential. Und dann die Hormone! Sie sind im Anfluten und machen schon sofort nichts als Ärger! Soll sich der Knirps lebenslang als Mädelknecht verpflichten und den typischen Krampfdamenkampf aufnehmen? Oder sind verdruckste Klosterklo-Kosereien eine Option? Und wenn man ein süßer Knabe ist, – verdammt! Was heißt das denn? Und „süß“ für wen? Was man in dieser prekären Lage, barfuß auf dem Hochdrahtseil, so dringend braucht wie eine Kettensäge an der Kehle, sind als Pädagogen getarnte priesterliche Sadisten, Betatscher und Vergewaltiger. Soviel dürfte außer jeder Frage stehen.

Was uns die Medien derzeit, gut eingespeichelt und vor lustvoller Sensationsgeilheit sabbernd, präsentieren, ist ein wirklich kotztrauriges Bild: Lehrer, Schuldirektoren, Priester, kurz, die üblichen Verdächtigen (Heuchelpfaffen), die sich, offenbar serienweise und systematisch, an den ihnen anvertrauten Kindern vergehen. Haben wir es nicht immer geahnt? Inwändig vor Geilheit kernschmelzende Zölibatszwiebeln toben ihre ranzigen Lüste an Schutzbefohlenen aus. Das paßt in unser Bild, oder? Schon ätzt und hämt die Presse von Hodenwaldschule, Dionysios-Gymnasium und Regensburger Dreckspatzen. Mensch, manno, trägt denn jeder gottverfluchte Pfaffe rosa Spitzenreizwäsche unter der Soutane? Ach, Freunde. Zugegeben, vielleicht ist das Snobismus, aber ich hasse es, und mir wird übel, wenn Gemeinpläze, Klischees, Vorurteile der übelsten Art – … tatsächlich stimmen!

Weil ich massenkompatible Klischees nicht mag, hab ich sogar kurz erwogen, aus purer Lust an der Provokation, die Kirchenmänner zu verteidigen. Da ich, der notorisch leibhaftige Anti-Christ und diplomierte Überzeugungsheide, der Sympathie mit Benedix’s Leuten nun echt unverdächtig bin, dachte ich, – ich, der ich (dreimal „ich“ = 666 = der Satan!), diesmal als Literaturwissenschaftler, sehr wohl weiß, daß das Klischee vom geilen Pfaffen so alt ist wie das vom Ewigen Juden –, es könnte für Kenner hübsch denkanstößig wirken, und wäre eine gute Idee, mal die Selbstgerechtigkeit der Ankläger in Frage zu stellen. Daraus wurde aber nichts.

Ich bin, wie gesagt, und wer mich kennt, weiß und bezeugt es, kein Christ. Im Gegenteil, und das praktiziere ich im wesentlichen auch. Deshalb, genau aus diesem Grunde, bin ich aber ein Jesus-Fan. Meine Lieblingsstelle im Neuen Testament, einem, wie ich finde, ansonsten weithin ziemlich überschätzten Buch, ist diese: Frauen hassende Fanatiker zerren zeternd eine Nutte (Maria Magdalena) vor Jesus. Er soll ein Hinrichtungsurteil absegnen. Der Rabbi Joshua ben Nazareth ist verstört und traurig. Verlegen kritzelt er mit einem Stöckchen Schriftzeichen in den Straßenstaub. Schließlich, nach langem, gedankenvollen Schweigen, stößt er hervor: „Wer von euch ohne jede Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“

Nun, das Idyllische an der Geschichte: Niemand wirft.

Heute werfen alle, auch die Sünder. Die Heuchler. Die Selbstgerechten. Ich werfe lieber nicht, denn ich weiß aus gerammelt gesammelter Lebenserfahrung, daß die sexuelle Begierde eine ungeheure, kaum zu bändigende, gefährliche Macht darstellt. Ihr zu erliegen widerfuhr schon Großen, Klugen und Frommen. – Da es aber zu jeder Meinung ein „andererseits“ gibt: Was treibt eigentlich das unsäglich uneinsichtige, ignorante, menschenverachtende institutionalisierte Pfaffenpack dazu, derart verstockt auf den Aufklärungswunsch der Öffentlichkeit zu reagieren? Wie üblich, wird heruntergespielt, vertuscht, verharmlost, geleugnet und, in der Logik des erwischten Kriminellen, der Vorwurf an die Kritiker zurückgegeben. Ihre Peinlichkeit, Nichtswürden Bischof Mixa, das Idol aller Hausierer, Kesselflicker und fahrenden Betrüger, äußerste sich dahin gehend, wir, die sog. „68er“ mit unserer Liberalisierung des Sexes, seien Schuld daran, daß zölibatäre Priester die Finger nicht von ihren Schützlingen ließen!

Die Opfer werden mit Ausflüchten und leeren „Entschuldigungen“ abgespeist. Fast neige ich dazu, den Katholischen Kirchenoberen zu wünschen, ihren Gott gäbe es wirklich. Sie scheinen wohl nicht daran zu glauben, sonst müßte ihnen vor Angst schon das nackte Grauen ins Gesicht geschrieben stehen.

Tao des schönen Sterbens

23. April 2009
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Christoph Schlingensief, öffentlich krank

ES MAG VERSTÄNDICH SEIN, ABER IST ES AUCH … SCHÖN?

Heikles Thema heute! Vorab: Ich mag Christoph Schlingensief. Der sympathische Wirrkopf mit dem adrett verwuschelten Schopf und den blanken, lebensvollen Augen, der seine Karriere als Aufnahmeleiter bei der „Lindenstraße“ begann, hatte immer eine so charmante Art, einem auf dem Senkel zu gehen! Auch für den größten Quatsch („Deutsches Kettensägen Massaker“, „Tötet Helmut Kohl“) konnte man ihm nicht böse sein, weil sein ganzes vorlautes theatralisches Getue, Gewürge und Gefrickel immer mal wieder auch überraschend Sinn machte. Außerdem ist er Oberhausener, also praktisch ein Junge aus der Nachbarschaft. Katholisch zwar, aber auf angemessen verquälte, verschwurbelte und mit Gott hadernde Art.  Theater-Leute haben ja oft Sinn fürs Katholische, wg. der visuellen Unterhaltungswerte. [Es mag ein reichlich schlechtes Licht auf mich selbst werfen, wenn ich bekenne: Ich persönlich fands auch gut an ihm, daß ein unangepaßter, schräger Intellektuellenvogel ausnahmsweise mal nicht schwul war…] Außerdem hat er eine unsentimentale, denkwürdige Theater-Arbeit mit Behinderten und Kranken gemacht, ohne diese für seine eigene Reputation auszubeuten. Also weder Zyniker noch affiger Gutmensch: Gar nicht so einfach, sich da hindurchzulavieren! Kurzum: Nervig manchmal, okay, aber unterm Strich für mich sicher einer von den Guten!

Aber nun zum Aber. Schlingensief (47) ist krank, todkrank. Lungenkrebs. Ein Lungenflügel wurde schon entfernt, im anderen gibts Metastasen. Gut möglich, daß Christoph Schlingensief bald stirbt. Nach schwerer OP und Chemo sieht er schon ziemlich scheiße aus, er ist bleich, hat tiefliegende brennende Augen und er weint viel – und zwar häufig und gern vor laufenden Kameras. Der habituelle Selbst-Inszenierer hat es für gut befunden, seine höchst privaten Schmerzen, seine Ängste, seine Verzweiflung und sein Elend vollrohr öffentlich auf alle erreichbaren Bühnen (TV, Print-Medien, Buch) zu kotzen. Schonungslos, ungefiltert, nicht ohne Larmoyanz und Peinlichkeit. Was mich ärgert: Meine Neugier ist noch immer größer als meine Geschmackserziehung zuläßt: Ich habe Christoph Schlingensiefs gestern erschienenes Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ gekauft und gelesen – und ich bin unangenehm berührt.

Natürlich möchte ich niemandem vorschreiben, noch nicht einmal bewerten, wie sich jemand zu Krankheit und Tod stellt, wenn er selbst davon betroffen ist. Nach meinem Eindruck machen es die meisten Menschen mehr oder weniger still ab, mit sich, der Familie, ein paar Freunden, wenns hochkommt. Man zieht sich zurück aus dem Trubel und leckt seine Wunden stilvoll, wie ein kranker Wolf oder ein alter Indianer. Kaum einer, den ich je kannte, rannte, als er erkrankte, laut schreiend durch die Straßen auf den Marktplatz, um dort eine Bühne zu erklimmen, sich in der Raserei hiobsmäßiger Verzweiflung die Haare zu raufen, das Hemd zu zerreißen und mit blutiger Brust hinauf zum Himmel zu schreien: „Gott! Warum nur! Warum ich? Warum jetzt schon?“ Da ich, obwohl ein alter zauseliger Emo, der auf Beerdigungen immer als erster losflennt, dennoch ein etwas herzloses Verhältnis zum Tod habe, ist es mal gut, daß ich nicht Gott bin, – ich würde dem Schreihals und kleinen Häwwelmann nämlich kühl antworten: „Ja – was? Warum nicht du? Und wann, wenn nicht jetzt? Wann wäre es denn genehm?“

Mein Problem mit Schlingensiefs Selbstentblößungen betrifft nicht so sehr die „Tyrannei der Intimität“, also die Tatsache, daß er dem Zeitgeist entsprechend offensiv, ja brutal mit dem herumtratscht, was besser privat bliebe (ich führe auch nicht gern Wartezimmergespräche mit Senioren, die ihre mehr oder weniger fiesen Krankheiten zum Lebensinhalt machen – ich find mich selbst schon eklig genug!), – sondern daß er es offenbar für extrem ungerecht hält, daß er todkrank ist – wo er doch noch so viel vorhatte! Er will, er will, er will! doch noch so viel: Pizza essen gehen, heiraten, Kinder zeugen, im Fiebersumpf von Kamerun ein Opernhaus bauen (echt! im Ernst! Ein Schlingensief muß doch „Spuren hinterlassen“!), nachdenken, herausfinden, wer er ist, und weiß der Teufel noch, was alles. – Ja und? Wessen Problem ist das? Ohne wen hat er denn da seine Rechnungen und Pläne gemacht? Wenn Orientalen muselmanischer Richtung persönliche Zukunftspläne, und sei es nur ein Wirtshausbesuch am nächsten Tag, verabreden, flechten sie immer ein: Inşallah! Was so viel heißt wie: Falls mir nicht Gottes Hand dazwischen funkt und mich arme Eintagsfliege vorher auf die Tischplattte klatscht. Damit ist, Gottesglaube hin oder her, nämlich allezeit und immer zu rechnen, da wir, und zwar wir alle, eben ausnahmslos sterblich sind. Und ziemlich empfindlich. Wir gehen halt leicht kaputt. Auch wir ganz besonderen Menschen, wir Künstler, Gelehrte, Schönheiten und Daseins-Adlige, auch wir Ausnahmebegabungen, Genies und Unverzichtbare … selbst wir, ohne die die Welt kaum noch Grund hat, sich weiterzudrehen, werden sterben, und zwar, wie man so sagt: früher oder später.

Der Tod ist in unserer Geselschaft nahezu das einzige, was gerecht verteilt ist: Er ereilt jeden, und die meisten zur Unzeit. Aber was heißt das, Unzeit? Wer will das beurteilen? Wann ist es genug? Schließlich gibt es auch Menschen, die die Zeit zum Sterben versäumten: Nietzsche, der stolze Verherrlicher der Gesundheit und Souveränität, starb nach elenden, demütigenden Jahren als dementer Pflegefall. Walter Jens, der einst so brilliante, intellektuelle Rhetoriker ist jetzt das, was er auf keinen Fall werden wollte: ein in Windeln liegender, hilfloser greiser Alzheimer-Patient ohne Verstand. 

Die alten Griechen priesen diejenigen glücklich, die im Vollbesitz ihrer Kräfte, in Schönheit und mitten im Kampf aus dem Leben gerissen wurden. So dumm war das nicht. Weder Dummheit noch Fanatismus kann man auch den stillen Betrachtungen nachsagen, die der ehrwürdige Mönch Yoshida Kenkô dem Thema widmete:

„Wie die Ameisen scharen sie sich zusammen, eilen nach Ost und West, laufen nach Nord und Süd. Menschen von hohem und niederen Stande, Alte und Junge haben ein Ziel und haben ein Haus, in das sie heimkehren; abends gehen sie schlafen, und am Morgen stehen sie auf. Aber was treiben sie denn? Sie sehnen sich nach einem langen Leben, und sie streben unaufhörlich nach Gewinn. Welches Glück erwarten sie denn, während sie sich so plagen? Nichts als Alter und Tod stehen ihnen bevor, und sie kommen schnell, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Worüber freuen sie sich etwa, während sie auf Alter und Tod warten? (…) Dumme Leute jammern über Alter und Tod. Sie möchten, daß alles ewig währe, und sie wissen nichts von dem Gesetz der Hinfälligkeit alles Irdischen.“ [Yoshida Kenkô, „Betrachtungen aus der Stille„]

Man kann etwas lernen – ohne sich moralisch über andere erheben zu wollen. Ich tadele Schlingensief nicht. Wir überaus Mitteilungsbedürftige und Ausdruckssüchtige sind alle ein klein wenig narzißtisch gestört. Schlingensief, seit 25 Jahren daran gewöhnt, um sich und seine diversen Drolligkeiten maximalen Medien-Wind zu machen, Provokationen zu säen und öffentiche Aufmerksamkeit zu ernten, mit extra viel Theaterdonner irgendwelches Gekasper und post-Beuys’sches Sozialgemache anzuzetteln; gewöhnt auch daran, 24 Stunden am Tag auf erleuchteten Bühnen, vor laufenden Kameras und offenen Mikrophonen zu leben; begierig danach, den eigenen Namen täglich landauf landab, von Burma bis Bayreuth genannt zu hören; gesalbt, geölt und zu heiß gebadet in den Wassern massenmedialer Aufmerksamkeit – kann wohl gar nicht anders. Er will, wie Jean-Baptiste Molière, unbedingt auf offener Bühne, vor Publikum sterben. Seinen privaten Tod als Schaustück inszenieren. – Mein Gottt, soll er. Wir werden ihm den Applaus nicht verweigern, nur …

… das Tao des guten, bescheidenen Abschieds geht anders. Stiller Rückzug will rechtzeitig geübt werden. Für die Anhänger des Tao im japanischen Mittelalter war das nicht nur eine ethische, vielmehr noch eine ästhetische Frage.

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Zen-Garten: Die Welt ist auch schön, wenn wir weg sind!

 

 

 

Kürzlich in Afrika…

18. März 2009
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MC Benedix "das Sechzehntel"

GANGSTA-RAPPER AUS ROM SCHWÄRZT NEGER  AN!

Ist es politisch korrekt, zu sagen, aus Afrika kommen komische Geräusche? Ich glaub schon, denn es geht ja nicht um das, was mein Vater noch gewissensbißlos „Negermusik“ nannte. Den ressentimentgeladenen Satz „Mach gefälligst die scheiß Negermusik leiser!“, den ich in meiner rebellischen Rock’n’Roll-Jugend leider noch reichlich zu hören bekam, benutzen heute die schlimmsten Rassisten nicht mehr. Heute sind Musikhörer auf beiden Ohren farbenblind: Ob Roy Black, Jack oder Barry White, Joel Grey, Adam Green, Roberto Blanco, James Brown, die Blue Man Group, die Violet Femmes oder die Red Hot Chili Peppers: Wir hören die Farbe schon gar nicht mehr raus. – Aber jetzt mal was ganz anderes: Lebt eigentlich der nervige, alte Wirrmichel noch?

Klar lebt der, pumperlgsund und puppenlustig sogar, wie es nur der ausgestopfte Reliquiensack aus der Heiligen Geisterbahn hinbekommt: Benedix „das Sechszehntel“, Vize-Vorsitzender des Universums vulgo Stellvertreter Gottes, Plage der Menscheit und Narrenprinz beim traditionsreichen katholischen Lach- und Schießverein. Er hat sich grad vom Kurienchor St. Bitterindenfeldern wieder vorsingen lassen, was in der Bibel über die sieben Plagen steht, die der Chef einst den Ägyptern schickte. Angemacht und aufgekratzt ließ er daraufhin seine Schranzen, Knappen und Pagen den vatikanischen Flieger satteln, bestieg diesen und rief: „Ich will verdammt sein, wenn die Zeit nicht reif ist für eine neue Plage! Afrika, ich komme über dich!“

Kaum gesagt, schon passiert: Ein flottes rotes Mützchen auf dem Kopf, seine schneeweiß gebügelte Schlafrockkutte umgetan, wackelt der große greise Weiße Mann des Gangsta-Rap die Gangbangway herunter, küßt den Boden des vor Freude erbleichenden Schwarzen Kontinents flüchtig auf beide Backen und will sofort mit dem Geräusche-Machen anfangen. Aber was auf die Schnelle aufsagen? Ratloses head scratching! Die Gemeinde steht schwarz und schweiget. Einfach den erstbesten Hirnschrott, der durchs Gebälk der St. Alzheim-Basilika rieselt? But’s your turn now, dude, you’ve got only one shot, one opportunity, das Mic ist auf, die Crowd will grooven und dancen!  Also wirft MC Benedisc den Geräusche-Werfer an: 

Yo! Holla, Niggah, Whigger und Wanker! Liebe Homies, Honks und Hustler! Schwestern, Chicks, Chalas und Bitches! Pimps, Pussys und Papisten! Fuck you bzw. gesegnet sei mein Name! Ich bin MC Bigdix the Semiquave, the Original Gangsta from Rome, euer Ticker, euer Dopeman, peace! Ich höre vollkrasse bad news: Ihr seid alle scheiße krank, derbe sick, yo! Struggelt mit AIDS und so, ihr Muthafuckah. Mann, mann, 22 Milionen AIDSies, das ist fett, yo, Opfer, ich will euch nicht dissen, aber da seid ihr echt fett gefickt, word? Aber apropos, bros & sistas: Ihr seid selber schuld, homies, ihr habt euch sick gefickt, habt euern magig stick zu oft den mamacitas gesteckt, yeah! Und jetzt die hook, die punch line, Leute:

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Die Jugend hört Geräusche – aber versteht sie die auch?

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Finger weg von Kondomen! Schluß mit Schnackseln!

Kondome machen AIDS, machen alles schlimmer,

Kondome helfen nie und nimmer

Kondome sind des Satans Säckchen.

Ein jeder trage doch sein Päckchen,

Fuck the WHO! Fuck the WHO!

Denn gefickt, ihr Niggah, seid ihr sowieso!“

Schmunzelnd entschwebt Big Popa Bonehead dem kranken Kontinent. Er ist mit sich zufrieden. Noch immer findet er für die Probleme der Zeit eine zeitgemäße Sprache. Und das seit 2000 Jahren! Es ist zum Heulen … schön. 

Bleibt ein letzter frommer Wunsch: Lieber Gott, laß ihn sich angesteckt haben…!