Posted tagged ‘Metaphysik’

An Old Fart’s Blues

16. Juni 2012

Es perlt

Na, mal wieder Monsum-Zeit im Zwergenwald. Zartgrau rauchtaubenblaue, total verperlte Dämmerstunden in der Nasszelle, zähflüssig wie Rübenkraut auf warmer Margarine. Gehört das denn auch zum sogenannten Leben? In der Schlafwandergruppe: Die junge Zukunftshoffnung am Nebentisch (mademoiselle donneuse la leçons), monopologisiert wie der Dauerregen und redet dabei wie eine Nähmaschine. Monotones Surren, Sticheln, Nadeln. Kommunikativer Kollateralschaden: Singert und pfafft mir Mund und Ohren zu, mit staubgrauem Zwirn. Nerven nadelstreifendünn und fadenscheinig. Dr. Kimble ertappt sich bei Gedankenflucht, dergestalt, dass er sich fragt, was er in dem klebrigen Hier und Jetzt eigentlich ist, macht und soll, was logisch dann freischwimmend schließlich zu funeral-fundamentalen Gedanken über den Tod überleitet und abschweift, oder auch, beispielsweise, warum nicht, zu Gott. Agnostiker mit Stil gedenken durchaus gelegentlich des HErrn, wenn auch nur schüchtern aus den Augenwinkeln schmollend (plus Flunsch wegen andauernder Offenbarungsknappheit).

Obwohl solch metaphysikverliebtes Denken ja selbstredend auch schnell an seine natürlichen, von Immanuel Kant straff gescheitelten Grenzen stößt: Im Grunde geht es bloß um die Frage, wie man es vermeidet, in einem deutschen, beige-grün karierten Pflegeheim zu landen, in dem das Leben unzumutbar und der Tod unerschwinglich ist. Wenn man schon sterben muss, dann bitte nicht im Stuhlkreis mit anderen Demenz-Exzellenzen, besinnungslos in die Hände klatschend und mit einem einfältigen Kinderlied im zahnlosen Mümmelmund. Durch welche Schuld hat man es eigentlich verdient, alt zu werden?

Der neue bundesdeutsche Gesundheitsreport fällt mir da ein, die jüngste Offenbarung des Hippokrates: Die vier apokalyptischen Reiter, Adipositas, Hypertonias, Osteoporosis und der grimme Demenzius auf dem fahlen Pferd, fahren hin über und gegen die Deutschen, auf dass sie diese verderben und definitiv zuschanden reiten. Ach, das Gezwitscher der Ärzte! Und was empfehlen überraschenderweise diese sogenannten, selbsternannten und erzverdammten Ärzte? – Bewegung! Mehr fällt dem Mediziner-Gesindel nicht ein. Ich freu mich schon auf die erste Dementen-Olympiade (paralytic olympics), Diszplinen: Ausbruch aus dem Heim, Hürdenlauf zum alten Zuhause, Verwandten-Erinnern mit Hindernissen. Künftige Medizinhistoriker werden unsere Epoche als die Ära des abgeschmackten Wahns identifizieren, in der „Bewegung“ das definitive Universalremedium für alle Gebresten gefunden zu haben.

Wer glaubt, das Alter, der angeblich schwer eisweingoldene Herbst des doofen Daseins, winke wenigstens, als Trostpreis für Impotenz, Inkontinenz und Indolenz, mit wachsender Toleranz und Gelassenheit, den muss ich enttäuschen. Ihr verwechselt Toleranz mit Resignation und Schwäche. Vitale Senioren erkennt man daran, dass sie an rein gar nichts mehr glauben und ihnen außerdem immer mehr Leute immer verschärfter auf die Nerven gehen. Toleranz heißt bloß, dass man, wie ich, die Zwille in den Schrank hängt und Passanten nicht mehr mit getrockneten Kichererbsen beschießt, sondern es dabei belässt, ihnen trocken hinterzukichern. Mögen sie denken, dieser Kicherer sei der Tod. Vielleicht bewegen sie sich dann ein bisschen, und zwar gerne erstmal aus meinem Blickfeld.

Aber gut, mal angenommen: Wir bescheuerten Fitness-Idioten, allesamt ausgemergelte Bewegungsmelder mit Bundessportabzeichen in ihren goldenen Neunzigern, sitzen nun im Stuhlkreis. Wir sind, was das Schlimmste am Alter ist, in die Hände jüngerer Leute gefallen. Sie klatschen und singen mit uns und führen uns ihren Golden Retriever zu, Emma, eine ganz liebe! Mit zittrigen, arthritischen Händen betatschen wir das blonde Kind, Quatsch, Tier, und erinnern uns wieder. Zum Beispiel an unsere Ex-Frauen. Wollen wir das? Und haben wir dafür dankbar zu sein? Sind wir dafür geboren, so zu enden?

Schon gut, ich hör auf mit dem Schlechte-Laune-Funk. Man soll selbst den Realismus nicht übertreiben. Außerdem: Dauerregen im Juni, Schlafwandergruppe, Gespräche mit der Nähmaschine: Was soll da schon noch Arges kommen? Und jetzt ein Saxofon-Solo.

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Müll & Metempsychose (Materie am falschen Ort)

9. Juli 2011

Materie am falschen Ort: Wiedergeboren als Müll

Metempsychose ist ja gar nicht, wie ich früher geglaubt habe, eine Geisteskrankheit – es bedeutet bloß Seelenwanderung! Pythagoras, der bekannte Erfinder der Dreiecksbeziehung, so erfuhr ich jüngst, glaubte zum Beispiel, man werde fünf Mal geboren, als Mensch, als Tier, als Pflanze, als Ding und als noch irgendwas (nachschlagen!) Vielleicht als Müll? Nein, das kann nicht sein, denn Müll ist ja gar nicht „etwas“. Müll ist vielmehr, wie der Alltags-Semiotiker im kulturanthropologischen Seminar gelernt hat, ähnlich wie „Schmutz“ eine rein relationale Kategorie und bedeutet bloß: Materie am falschen Ort. Über Müll und Metempsychose nachzusinnen, ergibt sich im Geddo reichlich Gelegenheit:

Auf Fahrradpatrouille im Viertel, in lauer Sommernacht, einer sanft entdämmernden schon, in der geheimnisvollen, sehnsuchtsgeschwängert parfümierten blauen Stunde vager Verheißung und unerwarteter Begegnungen, sah ich mich kürzlich am Eck vor dem aufgelassenen Orientcafé unversehens konfrontiert mit einer kapitalen, überaus wohlgenährten und äußerst selbstbewussten … Ratte. Beide wie gebannt wechselten wir, kurz geschockt, wie ertappt, einen langen Blick gegenseitiger Aversion. Dann drehte sie, die Ratte, mir, immerhin der verbrieften Krone der Schöpfung, betont langsam, geradezu pampig arrogant, das fette Hinterteil zu und hoppelte aufreizend träge, in diesem typischen hüftsteifen Humpelgang ihrer Gattung, davon, um sich in ihren komfortabel geräumigen Müllhaufen (zwei Etagen, mit Terrasse, Gäste-WC und Boulevardblick) zurückzuziehen…

Normalerweise erweise ich der sublunaren Tierwelt ein von Sympathie und Neugier, gelegentlich von biedermeierlicher Rührung grundiertes Interesse und nehme schmunzelnd zur Kenntnis, dass nicht jede Spezies in Gottes Schöpfung mit Niedlichkeit ausgestattet ist und zu Streicheleinheiten einlädt, was indes natürlich dennoch schade ist und ein Desiderat bleibt, weil, so haben Forscher herausgefunden, das Streicheln gerade niedlicher Tiere (u. a. auch Menschen-Babies!) im Menschen das Hormon Oxytocin freisetzt, was nicht nur Geburten erleichtert und den Milchfluss der weiblichen Brust befördert, sondern auch ganz allgemein soziale Interaktionen begünstigt, da es, das Hormon, freundlich und kommunikativ stimmt.

Wiewohl im Herzen Punk, bin ich persönlich allerdings nie auf die Idee gekommen, eine Ratte zu streicheln, zumal dies bei mir, aus einem archaischen, vielleicht sogar epigenetisch verankerten Reflex wohl lediglich Adrenalin und nackte Mordlust freisetzen würde, denn der Ratte bin ich unerklärlich abhold, ich perhorresziere dieses Tier, ich lehne es ab, ich will, dass es weggeht, weil es mich an Mittelalter, Pest und Schwarzen Tod, an Nosferatu und Albert Camus erinnert! Aus Gründen, die Professor Freuds Schüler aus meinen Neurosen oder archetypischen Ängsten herausdröseln mögen, gilt mir sowohl die gemeine Haus- wie die schlankere Wanderratte als Metapher metaphysischen Unheils, vielleicht nur noch mit der fett schillernden, dicken Schmeißfliege vergleichbar, die mich taktlos umschwirrt und indezent gierig auf meinen Tod wartet, um mir, kaum habe ich meine Seele Gott oder dem Nichts befohlen, ihre scheißblöden Eier in meine gerade erst blicklos gewordenen, noch tränenfeuchten Augenhöhlen zu legen.

Eine Ratte aber ist, emblematisch und übercodiert, der Inbegriff drohender Daseinsverdüsterung!  Einmal, früher, als mein Lebenslauf bedrohlich ins Stocken & Kleben geraten war, lag, schwer wie eine Metapher von Günter Grass, eine tote Ratte vor meinem Fenster auf dem Flachdach. Weder konnte ich sie da wegmachen, da ich mich enorm ekelte, noch konnte ich sie dort liegen lassen, weil sie nachhaltig, durch ihre bloße Präsenz, mein Gemüt bleiern beschwerte. Drei Tage haderte ich, bis es mir gelang, den Kadaver zu entsorgen, zitternd vor Abscheu. Aber siehe: Danach ging es in meinem Erdendasein wieder vorwärts, ich lernte eine unerschrockene Frau kennen, die ich heiraten durfte, und alles wurde gut! Das Leben setzte die Segel!

Gewisse Spezies, wenn sie uns auf die Pelle rücken, Wanzen, Läuse und Ratten etwa, geben uns den diskreten Hinweis, dass es bei uns mit der Hygiene nicht zum Besten bestellt ist. Massives Auftreten dieser Gattungen im urbanen Raum indiziert kulturellen Niedergang. Wir werden an den durch Rainer Werner Fassbender thematisierten Dreiklang erinnert: der Müll, die Stadt, der Tod, die drei apokalyptischen Reiter, die allabendlich durch mein Geddo traben. Niemand würde Ratten verübeln, irgendwo in stadtfernen regionalen Feuchtgebieten herumzuwuseln und sich in Gottes Schöpfungsplan irgendwie nützlich zu machen; hier, im urbanen Raum unseres Viertels mit internationalem Flair, wo allerhand Kinder sich verzweifelt bemühen, wenigstens aufzuwachsen, erscheinen sie, die Ratten, mir exorbitant fehl am Platz.

Bedenkenswert ist, dass der längst verblichene reaktionäre Krawallpolitiker Franz Josef Strauß gerade uns, die vorlauten, irgendwie jüdisch-zersetzenden Intellektuellen, dereinst als „Ratten und Schmeißfliegen“ titulierte. Ich wäre weder das eine noch das andere gerne, würde ich seelenwandernd (psychic walking) wiedergeboren. Und was wäre ich gern als Ding? Ein frivoler Vibrator? Ein bescheiden dienstfertiger Schuhlöffel? Ein mysteriöses Fässchen Amontillado? Angesichts meines Lebenswandels fürchte ich, als Müllhaufen wiedergeboren zu werden. Immerhin wäre die Kontinuität gewahrt: halt Materie am falschen Ort.

Grundfragen der Philosophie: Das Tao der Leergutentsorgung

11. April 2011

Demütigend: Trinksünden nach Farben sortieren...

„Mein lieber Kraska“, verabschiedet mich mein langjähriger Hausarzt, „und vergessen Sie nicht: viel trinken!“ Neben „viel Bewegung“ ist dies auch der Rat der „Apothekerzeitung“ („SeniorenBravo“), die ich dann und wann durchblättere. So weit gut und gerne befolgt. Auch Atomkraftwerke liefern ja zunächst mal viel Wärme. Ähnlich wie bei der Nutzung nuklearer Energie fällt jedoch beim Trinken problematische Materie an, deren Entsorgung eine Herausforderung darstellt. Beim Trinken ist dies das sog. Leergut. In ontologischer Hinsicht zerfällt Leergut rasch in zwei Gruppen: das moralisch wie ästhetisch brisante Glasflaschen-Leergut und die harmlosen, ja unter Umständen kleine Freuden versprechenden PET-Mehrwegbehältnisse. Beide Rückstandsformen lassen sich zunächst in Zwischenlagern (Küchenunterbauschrank, Balkon, Terasse), äh, zwischenlagern.

Die Besichtigung solcher Zwischenlager bei Freunden ist oft eine Quelle persönlichkeitsstruktureller Erkenntnisse. So habe ich einen zur Monomanie neigenden Bekannten, der eine ganze Armada immer gleicher Absinth-Flaschen sein eigen nennt, deren systematische nächtliche Entleerung er durch soldatisch aufgereihtes Leergut gewissenhaft dokumentiert. Irgendwann aber ist das Lager mit Leergut voll überfüllt. Der sentimentale Stolz und die zärtliche Rührung, die Flaschenstapler angesichts ihrer Sammlung empfinden mögen, wird von der Gattin, der Putzfrau usw. möglicherweise nicht geteilt. Dann schreit das gläserne Tagebuch nach Entsorgung.

Wie demütigend und moralisch niederdrückend kann diese empfunden werden! Da trabt oder radelt man dann, mit Reisetaschen und LIDL-Tüten voller grell scheppernder, schrill klirrender Flaschen beladen zum öffentlichen Flaschen-Container-Ensemble und muss in übel beleumdeter Gegend gleichsam coram publico mit hochrotem Kopf die keineswegs stummen Zeugen des eigenen Alkohol-Missbrauchs auch noch in Weiß-, Braun- und Grünglas sortieren und sich wie unbeteiligten Passanten dabei die Ungeheuerlichkeit eigener, in letzter Zeit stattgehabter Enthemmung offen legen. – Selbst die ethnologisch interessante Tatsache, dass es Volksgruppen im Geddo gibt, die auch erblindete Fernseher, Computer-Geraffel und sogar kaputte Toaster (!) taxinomisch dem Flaschen-Leergut zuordnen, kann nicht hinreichend erheitern. – Wie oft kehrt man mit leeren Tüten, aber tränenvollen Augen, mit guten Vorsätzen geschwängert, in sein Heim zurück, wo ein leer geräumter Balkon seinen Besitzer höhnisch mit den Folgen prospektiver Abstinenz vertraut macht!

Beginnende Leergutsammlung beim Magister (mediterran orientierter Genusstyp)

Wie schön, wie gemütserhebend und aufbauend hingegen das entsorgsame Verbringen luftig-leichter PET-Flaschen zum Leergutautomaten! Prall gefüllte Tüten demonstrieren hier nicht Lasterhaftigkeit, sondern vorbildliches Gesundheitstun. Schaut her, ich bin ein enormer Wassertrinker, Saftkonsument oder, in meinem Falle, wenigstens Verbraucher von zig Hektolitern Cola light! Beschwingt betritt man, enorm aufgeplusterte Saftsäcke schwenkend, das liebenswürdige Entsorgungshäuschen beim Discounter. Gern reiht man sich in die Warteschlange und beobachtet schmunzelnd, wie exotisch-esoterische Mitbürger so hartnäckig wie vergeblich versuchen, Eckiges (Tetrapack, Kanister, Toaster) ins Runde zu pfriemeln, weil sie die Betriebsanleitung des eigentlich idiotensicheren Schluckautomaten nicht mitgeschnitten kriegen. Ei, wie erheiternd die Freude, dass man selbst zumindest seine Muttersprache Denglish beherrscht! Kostenlos fühlt man sich erhoben und geborgen im Heimatlichen.

Dann endlich steht man vor dem elektronischen Schluckspecht und füttert ihn gekonnt (Barcode muss immer nach oben zeigen!), immer hinein, Flasche um Flasche in den blinkenden, surrenden und rödelnden Schlund. Der dankt es durch hervorragendes, reibungsloses Funktionieren. Kein Stau, kein „Flasche nicht erkannt“ auf dem Display. Man hat ja daheim vorsortiert! Man bedient sich des Automaten, in dem man ihn bedient, und kann dabei noch über Metaphysisches meditieren, denn was wir sehen, ist nur das Diesseits des Leergutautomaten; das Jenseits bleibt uns wie immer verborgen. Was sind wir? Wo gehen wir hin? Was wird aus uns da? – so mag sich bang auch eine leere Flasche fragen, die, wie der Patient in den Tomographen, in die mysteriöse Röhre geschoben wird. – Nun, das Jenseits ist ein großer Raum, in dem man von seinen individuellen Eigenschaften befreit (ent-etikettiert) wird, dann wird man auf das bisschen Substanz zusammengepresst, das man als Flüssigkeitsbehälter mal darstellte und schließlich wird man neuerlicher Verwendung im kosmischen Kreislauf der Materie zugeführt. Also, als Taoist kann man damit leben. Den anderen Dummies erzählt man halt, die Flasche würde im Jenseits wieder „aufgeweckt“ und somit „auferstehen“, um dann als Flaschengeist- oder Engel im Leeguthimmel herumzuwimmeln…

Auch moralphilosophisch ist die automatische Leergutentsorgung eine mehrwertvolle Übung – bekommt man doch auch noch sündenentlastendes Pfandgeld zugeschrieben und kann dieses sogar, für Christen interessant, die vielleicht was zu büßen haben, per Knopfdruck spenden. Mit leeren Taschen und vollem Herzen trollt man sich, insgleichen gewissensrein und seelenstark im Bewusstsein, nicht nur auf, sondern auch für das öffentliche Wohl getrunken zu haben. Die kleinen Freuden des Alltags – es sind gar nicht wenige, wenn man sie nur zu finden versteht.

Vollautomatischer Schluckspecht: Ein Stück schöner Moderne

Das Jenseits: Zutritt verboten!

 

 

Sex & Metaphysik: Platonische Perversionen leicht gemacht

30. Januar 2010

Schwer verkopft: Erotologe Platon, der Herr ohne Unterleib

Lange Zeit, seit 2003, kursierte sie nur als Gerücht, als vage Erinnerung an einen Skandal, an eine unfassbar unseriöse, unverschämte und dreist verständliche  Vorlesung, bei welcher der Dozent seine ZuhörerInnen angeblich nicht nur mit Mengen billigen Weins betrunken und wehrlos machte, sondern sich, die Zuhörerschaft schwindelig redend, auch noch anmaßte, den großen Gipsheiligen Platon, den Oberpriester und Standeshalbgott der Philosophen-Zunft, vom Sockel zu holen und zügellos der Lächerlichkeit preiszugeben. Dieses legendäre Symposion über Platons „Symposion“ machte das mutmaßliche psychopathologische Elend eines antiken Neurotikers sichtbar, der aus Angst vor dem Tod den Selbstmord empfahl und mit seiner kranken Metaphysik das erotische Leben Europas für Jahrhunderte vergiftete.

Und jetzt die Sensation: Das Manuskript der Skandal-Vorlesung ist jetzt öffentlich zugänglich! Und zwar auf dem Blog „denkfixer“:

http://reinhardhaneld.files.wordpress.com/2010/01/platon22.pdf

– man kann es sich als pdf-Datei herunterladen und sich bei ein, zwei Glas Wein zu Gemüte führen. Die akademische Welt steht natürlich Kopf: „Dieser Herr ist eine Schande für den gesamten Denkerstand! Verbrennt seine schändlich respektlosen Texte!“ heißt es allenthalben, aber Digitales brennt ja zum Glück nicht. Höchstens auf den Nägeln – wie dieser Vortrag über einen mumifizierten, aber immer noch infektiösen Denkleichnam beweist. Das Schönste: Zum ersten Mal wird einem mal verständlich, amüsant und ohne falschen Respekt erklärt, was es mit der sogenannten „platonischen Liebe“ denn eigentlich auf sich hat! Guckt mal rein, Ihr hellen Köpfe!

Ode an ein unbekanntes Huhn (Pepi’s Blues)

12. November 2009
PepisEier

Urheber des Fotos: Hühnerflüsterin Tuliparola Kontakt: http://www.proz.com/translator/62859 Bei Qype als Tulpenteufel aktiv; ansonsten Übersetzerin, Dichterin, Emigrantin, Agrarnonne, Eremitin, Tomatenzüchterin, Katzen- und überhaupt Tierfreundin, wenn auch, gottlob, auf unsentimentae Weise. Pepi im übrigen wurde nicht etwa verspeist, sondern mit Rosinen (als Grabbeigabe!!) pietätvoll unterm Birnbaum bestattet. - Das folgende Lied ist all den namenlosen Hühnern gewidmet, die uns mit wunderbaren Frühstückseiern versorgen.


Ode an ein hart arbeitendes, philosophisches Huhn

Ein Huhn, so alte Spruchweisheit, sagt mehr als tausend Worte.
Nicht nur put-put, pik-pik,
in seinem Köpfchen wohnt Metaphysik!
Wie’s durch die Scheibe pliert und stiert: Man
könnte denken,der Vogel
philosophiert!

Pepi, Königin der Legehennen,
entdeckt für sich grad das Erkennen:
Anfang und Ende, Henne und Ei, Leben und Tod,
einerlei.

Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?
Macht’s Erdenleben denn, bitte, noch irgendwo
Sinn?
Das ganze Gackern, Scharren, Umeinanderrennen,
für was denn? Für das? – Ich meine:
Sind denn die Legehennen, jenseits von Hühnerdreck und Körnerfutter,
nicht letztlich auch Frau? Und Mutter?
Umflort erscheint des Huhnes Blick – und die Kinder?
Blicken mit großgelben Augen lächelnd zurück.

Das Sein und das Nichts, das Ich und das Du, Leib und Seele und raus bist
du! Verwehrt
blieb dem Nachwuchs
die große Lebensfeier. Sie endeten schnöde, – als Spiegeleier.
Sünde und Lohn, Liebe und Hohn, Freiheit und Fron, ich ahne schon:
Das süße Sein, es kann
so schweinisch hühnerfeindlich sein!
Doch vom Denken beflügelt weitet Pepi gekonnt
ihren huhnbedingt engeren Horizont:
Als brutzelnde Pracht in der Pfanne zu landen,
noch dazu hier, in den westlichsten Niederlanden,
ist nicht zu verachten! Und keine Schanden!
Man kann das auch anders betrachten!
Zwar, sicher, das Dasein ist hart, doch andrerseits blieb es
den Eierchen auch erspart!
Ungeschlüpft und frühvollendet gerieten sie doch
zum Glück:
als labendes, nährendes
Bauernfrühstück.

Du kannst es nennen
Wie du willst: das Tao der
Legehennen
Ist, wie du siehst,
nicht das Erkennen, es ist in Wahrung
aller Würden: unsre Nahrung.
Leider ist nicht nur das Ei verderblich,
auch Mutterhenne Huhn ist sterblich,
weswegen Pepi, hör ich, jüngst
verschieden.

Ruhe du nun, Huhn,
in Frieden.
Zu deiner Totenfeier
Futtern wir andachtsvoll
Spiegeleier!

PS: Oh heiliges Huhn!  Geflügelte Mutter des
Duftenden Spiegeleis,
wir verehren dich,
– ohne Scheiß!



Ein Wien-Erlebnis mit Prominenz-Bezug

11. Juni 2009
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Glückspilze treffen ihn am Naschmarkt: Herrn Grandits gibt es wirklich!

BANALER ZUFALL ODER METAPHYSISCHE KOINZIDENZ?

Weil ich übermorgen nach Wien fliege und hier für zwei, drei Tage den Rand halten muß, sende ich heute eine Wiederholung aus meinem Qype-Schatzkästchen, einen Beitrag mit Wien-Bezug, in dem auch Prominente mitspielen:

„Nee, schon klar. Ich würde das auch nicht glauben. So Geschichten gibts ja vielleicht im creative writing-Kurs, aber nicht in wirklich. Ich habe „gute Freunde“ (ha!), die sich bestimmt jetzt hämisch die Hände reiben und kichern: „Ey, guck mal, Kraska mystifiziert schon wieder! Der kann keine simple Städtetour machen wie Millionen andere auch, nee, der muß gleich wieder den Papst beim Tango treffen!“ – Und schwören nützt auch nichts? Ach, dann glaubt doch, was Ihr wollt, jedenfalls habe ich ein irres Erlebnis zu referieren…

Ich weilte also in Wien. Neben verwirrend vielen exotischen Völkerschaften hat es dort ganz glücksgelegentlichselten noch den charakteristischen, von mir bis zur Abgötterei verehrten Typus des Wiener Grandseigneurs: Gebildet, distinguiert, ungemein höflich, zuvorkommend, mit schier phantastischen Manieren und wirklich echtem, wirklich umwerfendem, auf Takt und Herzensbildung basierenden Charme. Dieser Typ Mann, den ich vom Fleck weg heiraten würde! (Und das als Mann, der ja noch nicht mal ansatzweise homosexuell ist!)

Ein Beispiel wollt Ihr? Nun, ich weiß nicht, vielleicht kennt  jemand den Herrn Ernst A. Granits – dieser soignierte, stoppelkurz-silberhaarige, kluge, reifere Herr moderiert die 3Sat-Sendung „Kulturzeit“ und ist u. a. bekannt für intelligente, auffallend uneitle, fast schon in Gespräche ausartende Interviews. Ich sehe den Mann oft, im Fernsehen, und ich gestehe: Von allen TV-Nasen ist er mir eine der sympathischsten. Da er einen ausgeprägten Akzent hat (ist der Wienerisch? Oder typisch für Graz? Oder Salzburg? das weiß ich nicht…), und wohl auch noch aus anderen Gründen kam mir dieser gewisse Herr Ernst A. Grandits, während ich in Wien herumtrabte und div. Sehenswürdigkeiten würdigte, des öfteren in den Sinn. Mal hier, mal da. Nicht obsessiv, aber immer mal wieder. So. Daran ist ja jetzt nichts Ungewöhnliches, oder? Nein.

Nun schlendere ich mit der Gattin am Montagabend über den Naschmarkt. Die Stände werden gerade abgeräumt, es ist leider Feierabend. Die abertausend Naschereien haben uns aber Appetit gemacht, und so schnüren wir am Rande des Naschmarktes herum und halten nach einem einladenden Restaurant Ausschau, und während wir noch diskutieren, strahle ich einen Passanten an, mit mutmaßlich völlig entrückt-dämlichen Grinsen und sage: “Guten Abend, Herr Grandits!“ , denn, glaubt’s nun oder glaubt’s nicht, da steht der am Naschmarkt, in persona, im vollen Glanze seiner austriakischen Höchstselbigkeit, ein paar Sackerl mit Delikatessen in der Hand und… ist ein wenig irritiert. Man sieht, wie er kramt: …Kenn ich den?  S o l l t e  ich den kennen? Ich erinnere mich nicht! Haben wir zusammen studiert, vielleicht? Oder ist das der Ex-Mann von der…hm… na….Dings?

Inzwischen sind wir etwa 15m voneinander entfernt stehengeblieben, der Herr Grandits an der Ampel, ich an der Gattin, die meinen plötzlichen Ausbruch von Enthusiasmus zu verstehen versucht, während ich stammele: „Hör mal, ist das irre! Ich glaub das nicht! Das ist DER GRANDITS! Da eben, der da, da hinten, da! Und den hab ich jetzt grad mal gegrüßt, weil, den kenn ich aus dem Fernsehen und…“ Nun ist die Gattin ja bekanntlich selber beim Fernsehen und deswegen vollkommen unbeeindruckt, und ich muß ihr erklären, warum es eine geradezu metaphysische Koinzidenz der Ereignisse darstellt, daß ich praktisch gerade erst in Wien an den Herrn Grandits gedacht hätte, und jetzt wäre der da praktisch exakt in der Wirklichkeit vor mir gestanden und… [Ich erwähnte wohl auch die ähnlich gelagerte Diskussion, die Karl Valentin im Sketch „Orchesterprobe“ mit dem von Liesl Karlstadt gespielten Dirigenten führt, ob es nämlich ein bloßer Zufall oder doch bedenkenswerte Fügung sei, daß am Sendlinger Tor, grad als er mit einem Bekannten über Radfahrer gesprochen hätte, eben ein solcher vorbeigekommen sei.] Jedenfalls redete ich, hin und wieder mit frenetischem Enthusiasmus auf den Herrn Grandits deutend, auf die Gattin ein, um ihr die Sensationalität dieses Zusammentreffens zu erläutern. Sie versteht manchmal meine Aufgeregtheit nicht, sie hat ein anderes Temperament.

Aus der Perspektive des Wiener Prominenten sah es wohl eher so aus: Da scheint ein offensichtlich hilfsbedürftiger Irrer Fürsorge zu benötigen! Fragend sieht er zu mir her. Ich wiederum hebe entschuldigend die Hände, gestikuliere erklärend – was die Sache noch wirrer macht. Der Fernseh-Seigneur, schon in mitmenschlicher Sorge, macht ein paar Schritte auf mich zu… – und ich auf ihn. Ich möchte ihm gern erklären, inwiefern ich keineswegs völlig bescheuert sei und auch gar kein Provinztrottel, der gleich erstürbe, wenn er einen Menschen, den er aus dem TV kenne, in der Wirklichkeit träfe, – während wiederum der Herr Grandits wohl denkt, er muß einem armen Provinz-Depperl aus der Patsche helfen, und so reden wir eine kurze Weile aufeinander ein – ich stammle immer wirreres Zeug (“Wissen’s, Sie! Ich kenn…, i hob, i woaß, i liab Sie praktisch – meine Verehrung! – wegen denen Ihra Sendung und bin praktisch a Fan, und dann hab i Sie auf der Strassen gsehn und da hab i denkt, ich grüß, aber i woaß natürlich, daß SIE MICH net kenna derfa und…“

– und der wunderbare Herr TV-Geheimrat oder Gnä’ Herr Professor wirft seinen sahnigen (aber nicht die Spur selbstgefälligen!) Bariton an und sagt: “Danke. – Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ Jetzt bin ich VÖLLIG daneben. Geradezu schon debil und wie nicht mehr ganz zurechnungsfähig grinse ich das Intellektuellen-Idol nun praktisch fast fanatisch an, strahle, kichere wie doof und stammele: “Äh, nee, nein, äh. Danke, ich glaub, Sie können mir nicht helfen, mir kann wahrscheinlich keiner…“ – worauf dieser wunderbare Mann, anstatt sich achselzuckend wegzudrehen, freundlich und fürsorglich nachhakt und sagt: “Nun, aber ich habe Sie mit Ihrer Frau Gattin über dem Stadtplan grübelnd gesehen und dachte, vielleicht suchen Sie etwas?“

Da hab ich dann gestanden, na ja, schon, ja, in der Tat, ein nettes Restaurant suchten wir gewiß, und… – und der Herr Grandits fragt huldreich-geduldig: “Etwas Österreichisches? Und net zuu teuer?“ Ich kann nurmehr stumm nicken, während das Fernsehidol nachdenkt, blinzelt, stirnrunzelt und offenbar ernsthaft (wegen mir!!!) grübelt und dann spricht und das Orakel kundgibt: “Naa … da gehns doch zum Horvath! Des is reell, des is österreichisch und des is bezahlbar!“ Worauf die televisionäre Berühmtheit mir dann auch noch ganz unprätentiös, aber journalistisch präzis den Weg zum Wirtshausm  weist und beschreibt … – zu dem wir uns dann auf den Weg machten, nachdem ich dem Herrn Grandits noch ein Lächeln hinterhergeschmissen hatte, das, wäre ich eine einigermaßen hübsche Frau gewesen, ihm eventuell hätte hypothetisch den Abend hirnzerstäubend versüßen hätte können.

Der Weg dann zum Gasthaus war echt hart… – für die Gattin. Obwohl sie praktisch DABEI gewesen war, mußte sie sich von mir ungefähr fünfzehnmal die Geschichte anhören, wie ICH in Wien zufällig an den Herrn Grandits aus dem Fernseh gedacht hätte und dieser dann urplötzlich dagestanden wäre. Und daß er uns einen Weg zum Gasthaus gewiesen… Unglaublich! Oder? Oder? Liebling! Denk doch mal! Das war DER Grandits!!! DER aus dem Fernsehen! [Das vielleicht absolut Grandioseste an der Gattin ist, daß sie in diesem Moment, wiewohl vollkommen im Recht, NIEMALS sagen würde: Na und? MICH kennst Du auch aus dem Fernsehen! – – Ich habe halt eine sehr STOLZE Frau!] Das „Horvath“ war dann übrigens auch tatsächlich recht gut!

Die Frage ist freilich: Werde ich nun jemals noch den Herrn Grandits im Fernsehen erblicken können, OHNE Mitzuschauern die Geschichte zu erzählen, wie ich diesen verehrungswürdigen Mann mal am Wiener Naschmarkt getroffen habe und er mir einen Restauranttipp gab? Es gibt Koinzidenzen, die ließen auch einen metaphysisch Unmusikalischen erschauern…“