Archiv für Dezember 2009

post modern blues

30. Dezember 2009

The Raven: Prof. Laurie Gane

Haah! Yeaah! Aah, Aaaaah! – oh, sorry. Jetzt seid ihr unbeabsichtigt Ohrenzeuge eine Quasi-Orgasmus geworden. Quasi, weil nicht wegen Sex, sondern musikhalber. Kennt ihr das, daß ihr ein halbes Leben lang nach einer gottverdammt obskuren, raren, möglicherweise. nicht mal existierenden, sondern bloß geträumten Platte gesucht, geforscht, gegiert habt – und dann, nach Jahrzehnten, steckt sie, aus den unermesslich gnädigen Weiten des Internet angeschwemmt, und nach dem ihr alle Hoffnung längst aufgegeben hattet, plötzlich doch noch in eurem Briefkasten. Zitternd fummelt man das Teil mit fickrigen Fingern in den Player: Oh Mann! Ob man das noch immer so geil findet wie als twentysomething?

In meinem Fall war die Sache echt kompliziert. In den Achtzigern hatte ich mal einen Trinkfreund u d Kollegen, einen Captain-Beefheart-Experten und Frank-Zappa-Freak, der, damals machte man so etwas, obsessiv Mixtapes für seine Lieben aufnahm. Oft die ganze Nacht lang; Promille-Pegel und Abgedrehtheit der Mucke korrespondierten dann hörbar. Und so bekam ich eines Montagmorgens (!) ein extrem rätselhaftes Tape von ihm, im Tausch gegen 4 Alka Seltzer, glaube ich, eine Handvoll Songs, die mich dann vom ersten Hören an absolut und für Jahre elektrisierten.

Es handelt sich um eine Art Pilotaufnahme, das Fanal einer neuen Musikrichtung, die sich dann leider nie weiter durchgesetzt hat: Postmodern (oder: „Electronic“) Blues. Strange war nun freilich, daß die Band, die das Album aufgenommen hatte (hatte sie denn?), gar nicht existierte! Es kursierte gerüchteweise zwar ein Band-Name („the enemy within“), aber erstens kannte die wirklich niemand bzw. keine Sau, und ausgefuchste Experten dementierten sogar: Dies seien vielmehr eindeutig Tracks des rettungslos dem Heroin verfallene Fleetwood-Mac-Gitarristen Peter Green; andere raunten, bei dem Gitarristen handele es sich vielmehr um den mysteriösen Anonymus mit dem Pseudonym „The Raven“. Aber wer war das, der Rabe? Manche behaupteten, dieser sei im Wahrheit identisch mit dem komplett irren Gitarristen „Snakefinger“ (stimmte nicht!), der wiederum immer mal wieder verdächtigt wurde, Mitglied der legendären anonymen US-Band „The Residents“ zu sein (stimmt wahrscheinlich), die ja auch eine Art „Postmodern Blues“ spielten, manchmal. – Also wie nun? Und wer? Und welche lade- bzw. bestellfähige Adresse? Ähnlich enigmatisch kam das Album selber daher. Dem Vernehmen nach hieß es „A touch of sunburn“. Nur tauchte es unter diesem Titel in keiner Publikationsliste auf. (Wer konnte ahnen, daß man es zu gleicher Zeit unter dem doofen Titel „Two Greens make a Blues“ hätte bekommen können? Und daß es eine andere Mischung gab, die den nicht minder befremdenden Titel „Nietzsche’s Ass“ trug?)

Gleichviel, ob leichter Sonnenbrand, Friedrich Nietzsches Arsch oder die Zwei Greens (nämlich Peter und Mick) aus der britischen White-Blues-Underground-Szene – selbst die ausgebufftesten Platten-Dealer zuckten bedauernd die Achseln. Ich zitierte flehend meine Lieblingszeilen, spielte die Riffs auf meiner Luftgitarre, grölte sogar den einen oder anderen Chorus: Niemand konnte mir helfen; sobald ich die Musik dann auch noch enthusiastisch beschrieb, tippten die meisten, die ich damit belästigte, auf Drogenmissbrauch meinerseits, und daß ich mir dieses Zeug mit Sicherheit nur eingebildet hätte. Hatte ich aber nicht!! Die Platte gibt es wirklich! Und sie ist ein Meisterwerk!

1987 schrieb der Melody Maker, die Platte klinge wie ein Duett von Dr. John und Tom Waits, der mit Dr. Feelgood jammt, nur mit halber Geschwindigkeit abgespielt. Wenn man sich dazu vorstellt, daß Captain Beefheart die Lyrics durchs Megaphon nölt und die Residents den Background-Chor geben, kommt das hin – nur funkiger, treibender, verschwitzter, härter, durchgeknallter, mit unterleibsaufwühlenden Gitarrenriffs, elektrisch verstärkter Blues-Harp und verfremdeter Schweineorgel, und ganz viel mysteriös dröhnender, pumpernder und pluckernde 80er-Casio/Atari-Elektronik, dazu neunmalklug-düstere Texte, die zwischen Caravaggio, Nietzsche und Science-Fichtion-B-Movie mäandern und vermutlich von The Raven inspiriert sind, jenem Kunstprofessor aus South Kensington, den nur seine Mutter und seine Studenten unter dem Namen Laurie Gane kannten. Über ihn heißt es im Booklet: „The Raven kann lesen und schreiben; seinen Hegel spart er sich aber für die Rente auf“.

„I made a call at the endzone / but there was nothing to hear / as just a pre-recorded message: / no one at home…“ raunt es verstörend aus einer von heulendem Wüstenwind untermalten menschenleeren Zukunft. „Post modern blues“ beschrieb eine Zukunft, in der die Menschen keine persönlichen Erinnerungen mehr besitzen, nur gemeinsame Fernseh-Erinnerungen; sie bewohnen ihre Häuser als Touristen und haben allen Grund für zeitgenössischen Blues.

Alles in allem wurde die Zukunft dann doch etwas weniger schlimm: Der Kunstprofessor und Psycholinguist Prof. Laurie Gane vom Roayal College of Art ist sogar über facebook erreichbar. Ob er schon Hegel liest? Ich hab ihm mal geschrieben – vielleicht erinnert er sich noch an die Zeit, als er der Rabe war? Oder wird nur der Anrufbeantworter dran sein, der durchs Megaphon röhrt: No one at home…?

I finally got the post modern blues


Werbung

Einmal Festplatte löschen, bidde

28. Dezember 2009

"Sabrina". (Foto: Wikipedia/Autor: de:Benutzer: BS Thumer Hof)

Vielleicht hat es mit Kindheitstraumen zu tun: Weihnachten bleibt für mich assoziiert mit Völlegefühl. Dieses wohnt nahe am Überdruß. Überdruß wiederum ist ein Gefühl, das den Sensiblen aus jeder beliebigen Ecke anfällt. Ich zum Beispiel bin gerade meiner Bildung und meiner hundsverfluchten Kultiviertheit überdrüssig! Da sitzt der Auskenner, Ästhet sowie über Kafka, Proust oder Joyce promovierungsreif parlierende Gelehrte, Brahms-Genießer, Montaigne-Kenner, Kulinariker, Gastrosoph und Vinologe muffelnd in der kalt gewordenen Wohnküche, sieht aus dem Fenster, wie die Elstern in der klirrenden Kälte tot von den kahlen Bäumen fallen und denkt: „Bah! Wie banal das alles!“ Ich er-trakl diese Stimmung nicht mehr! Kirchenkonzerte, Vivaldi-Schnulzen, Bach-Kantaten! Prätentiöses Architektur-Gewichse, versnobten Museums-Scheiß und alle diese sensiblen Fotographien rostiger Industriedenkmäler! Üääaarghs! Hölderlin und Rilke! Von der Romantik bis zum Expresssiomist: Kahles Geäst, Herbstmond undsoweiter. Ach Gott! Und pittoreske Enten auf niederrheinischem Glatteis! Wie berückend bzw. trivial! Ich hab keinen Bock auf Empfindsamkeit, ich schmeiß meine Bildbände weg, ich hör nur noch Punkrock, ich laß mir’n Tatoo auf die Stirn machen: „Banause“, in Schreibschrift!

Wie ich es heute nämlich mal satt habe: Dieses ganze verklemmte erz-kitschige, klischee-beschneite Wahrnehmungsgetue und Poesie-Geflöte! Es gibt Tage, da halte ich Lyrik für eine Stoffwechselerkrankung! Und daß ich Latein & Griechisch kann, Platon im Original lese und Dschuang Dsis Schmetterlingsparabel essayistisch mit Freuds Traumtheorie in Verbindung bringen könnte, das ödet mich auch unendlich  an!

Was aber, wenn einem die eigene Feingeisterei und das Getue der ästhetischen Geschmacks-Freunde mal so richtig auf den Sack geht? Wo kriegt der Altmagister den Kopf frei von dem eitlen Gespreize und der parfümierten Eitelkeit der Feuilletonisten, Hobby-Fotograpen und sich für kultiviert haltenden Halbintellektuellen? Sonnenbank? Fußball? Porno? Filme von Quentin Tarantino? Schon mal nicht schlecht, manchmal aber nicht hinreichend. Semiotiker wie ich können zur Not auch aus koreanischen Bondage-Filmen und BDSM-Pornos noch strukturalen Theorie-Mehrwert schlagen. Heute, wo alles Kultur oder zumindest „Zeichen“ ist, wird das Tiefstapeln zur schier unlösbaren Aufgabe.

Oder? Was bleibt dann?

Meine Nachbarschaftskneipe, neu eröffnet: die „Löschecke“! Jawohl. Sie heißt nicht umsonst so: Hier wird nicht nur den Durst der Garaus gemacht, hier kriegt man bei Bedarf die gesamte Festplatte gelöscht. Und zwar auf die sanfte Tour. (In einer anderen deutschen Bierkneipe bekam ich auch schon mal alles gelöscht, das ist 17 Jahre her, ich hatte ein Bier bestellt, bekam aber – hatte ich undeutlich gesprochen? – stattdessen eine Faust aufs Nasenbein, fiel vor Überraschungsschmerz geistesgegenwärtig auf die Lendenwirbel und das letzte, was bei mir noch gespeichert wurde, war die Spitze eines Cowboy-Stiefels, der mein Gesicht explodieren ließ. Ich büßte damals einen Schneidezahn ein sowie die vertrauensvolle Unbefangenheit, das Betreten deutscher Bierkneipen betreffend.) – In der „Löschecke“ wird so etwas nicht passieren.

Hier ist es gemütlich wie bei Lady Gaga in der verkifften Wohnküche. Hier steht hinter dem Tresen kein kranker Schläger, sondern eine dralle Blondine, die ich gern, verfremdend, Sabrina nennen und, was Gemüt, Frisur und Physis angeht, mit einem drallen Brauereipferd vergleichen würde. Zoten und Anzüglichkeiten, die ihr von den sechs, sieben notgeilen Tresenhelden permanent angetragen werden, prallen an ihr ab wie Prospekte von Diät-Kliniken. Die meisten Gäste, die hier noch Jochen, Olaf, Helmut, Nobbi und Jürgen heißen, benehmen sich manierlich: Starren mit wattigem Grinsen in ihr Bier und schmunzeln ihren letzten verlöschenden Gehirnzellen hinterher; ab und zu wird ein Nachschub-Näpfchen Schnaps geordert; nur Jochen, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem berühmten Hollywood-Nebendarsteller Harry Dean Stanton besitzt,  randaliert schüchtern vor sich hin: Er sei, entnehme ich seinem Gebrabbel, dafür, „die verdammten Escheks, die“ (ich glaube, er meint unsere türkischstämmigen Mitbürger) dazu zu zwingen, Schweinefleisch zu essen, weil „man mussich do anpassn, Mensch“! Unvermittelt auf der schlüpfrigen Spur seiner Assoziationen ausrutschend, fügt Jochen, Sabrina chevaleresk anraunend, hinzu, er würde ihr gern mal „in den Schinken beißen“. Sabrina wird ein Momentchen schnippisch, nimmt den Wunsch aber nicht weiter krumm. Was die Männer hier wollen, ist ihr schon klar – routiniert wird der Stoff gezapft, aus dem die Träume sind…

Was die Männer von sich geben, ist nicht ohne Anstrengung zu verstehen. Nein, Dialekt ist das nicht, aber 15, 20 Bier (es ist übrigens der 27. Dezember, 15.00 Uhr) haben die Wortkiesel rund und schlammig geschliffen. Sie schollern und kollern zwischen den aufgeblasenen Backen. Man döst redend oder redet im Halbschlaf bierwonniger Dämmerung, wer weiß. Wenn Sabrina den blonden Pferdeschwanz schüttelt oder ihren beachtlich stabilen, weißleinern verpackten Bewegungsapparat vorbei schiebt, geht hinter manchen Augenpaaren kurz das Licht an wie die Glut von Zigaretten, an denen heftig gesogen wird (natürlich ist hier „Raucher-Club“!). Die Kneipe besitzt diese pseudo-altdeutsch-zähflüssige Gemütlichkeit aus Kupfer-Imitat, Kacheltisch und Eichenfurnier, endlosschleifend im gnadenlosen 4/4-Takt des „Deutscher Hit-Mix Nr. 12“, der einem längst verlorenes Kulturleergut zurückbringt wie etwa „Tür an Tür mit Alice“ oder die Songs von Jürgen Drews, Bernhard Brinkmann oder Marianne Rosenberg. Rumtata-ta, umpf-umpf. Überall Mallorca, überall die Lie-hie-hie-hi-be. Hier sind alle Weiber schon bildschön getrunken, hier wird jeder Hinterschinken zum anbeißenswerten Allerwertesten. Hach. Da-da-da-dam, dam-dam. Umpf. Mammanochn Bier, bidde. Unn’ Kurzn.  Tresenmänner, Bierkameraden, Hormonknechte. Man zwinkert sich zu, selbst mir, der ich innerlich gerade Amok laufe.

Jochen ist, abgesehen von offenbar bereits obsessiv gewordenen Phantasien, das Gesäß von Sabrina betreffend, immer noch mit dem Thema „Integration“ beschäftigt. Jochen ist nämlich weitgereist, welterfahren. Er war schon mal in Hessen! Und sogar unten, da, dings, da, Bayern! Da hätte er sich auch angepasst! Weil, wer da unten Weißwurscht mit dem Messer schneide, dem würde man aber! Weißwurscht musse nehmlich, sagt Jochen, und stiert Sabrina mit einem dämonisch-bohrenden Harry-Dean-Stanton-Blick an, „zutzeln“! Er versucht, den Vorgang pantomimisch vorzuführen. Trotz beträchtlicher Konsonantenverwaschelung bringt der Jochen das Wort „zutzeln“ dabei noch mit einer betörenden, ja sinnenaufpeitschenden Obzönität zustande. „Noch’n Bier?“ fragt Sabrina, der weiße, blonde Wal am Strand der frauenlosen Männer, kühl zurück. Oh Mann.

Helmut, von Jochen männerverschwörerisch beifallheischend angezwinkert, sagt: „Hä? Ich hab Tinnitus!“, etwa so, wie „Schildkröte“ bei Dittsche (Sonntags, WDR, gegen 23.30Uhr) immer sagt: „Halts Maul, ich hab Feierabend!“

Ach, ist das schön: Hier sitzen und sinnen und, sehenden Auges, sanft narkotisiert, verblöden! Still, manierlich, ohne Randale, zum Möbel werden und später, wer weiß, zur Immobilie. „Fräulein Sabrina!“, hör ich mich nuscheln, „Wärs v’lleich möchlich, ein Phernedbranca auschgeschenkt ssu bekomm? Un’n Alt noch, dann auch?“ – Natürlich ist der Magister hier inkognito, zu ethnologischen Feldstudien. Gerade noch gerade stehen könnend, verabschiede ich mich von der Runde. Ich hab neue Freunde gewonnen. Ich pass mich ja auch an. Ich trinke Bier und beiße in Schweineschinken. Oder ich „zutzele“, haha, haahaah! Festplatte ist jedenfalls leer. Paßt jetzt wieder jede Menge Kultur drauf!

MY PERSONAL JESUS

23. Dezember 2009

Seltenes Originalfoto von Jesus: Geliebt, verehrt und bewundert, aber leider nie wieder erreicht, gilt er heute neben Elvis und Michael Jackson als einer der "drei Unsterblichen"...

Es ist schon ein Weilchen her, daß mir träumte, ich besäße eines der raren authentischen Originalphotos von Jesus von Nazareth, und er hätte auf meine Bitte, es mit einer persönlichen Widmung zu versehen („Für meinen Lieblingsapostaten, Apostel St. Bruno Kraska“), zwar unendlich schwermütig geschaut, aber dann doch schließlich meiner Bitte achselzuckend entsprochen. Sein sanft durchdringender Blick dabei sprach freilich Bände bzw. den Satz (auf hochdeutsch!): „Herr vergib ihm, denn er weiß nicht, was sich tut!“ Mir war das doppelt peinlich, weil mir gerade die Überlegung durch den Kopf schoß, was so ein Autogramm wohl eintrüge, stellte ich es bei eBay ein. Ich schämte mich dafür, denn in meinem Traum konnte Jesus Gedanken lesen und ich spürte deutlich, wie seine Entdeckung, daß er – übrigens genau wie ich! – gar nicht wußte, wie man etwas „bei eBay einstellt“, ihn quälte und irgendwie verunsicherte. Trotzdem behielt ich von diesem Traum das beruhigende Gefühl zurück, daß Jesus und ich gute Freunde hätten sein können, wäre er nicht so ein hohes Tier geworden. Ein Kumpel, dessen Vater GOTT ist, war mir aber doch zu heikel.

In einem anderen Traum erhielt ich mal in der kleinen Druckerei-Klitsche, in der ich arbeitete, Besuch vom damaligen Papst Johannes Paul II., und zwar wollte er fünfhundert Dreifach-Selbstdurchschreibe-Formularsätze bei uns bestellen. Irgend so Zeug für die Steuerklärung des Vatikans oder so. Obwohl er sehr imposant, zeremoniell und in vollem Ornat, mit goldener Tiara, Schärpe, Stola, Umhang sowie Schnabelschuhen aus weinrotem Saffianleder auftrat, erkannte ihn mein Kompagnon, der für die Kundenbetreuung verantwortlich war, nicht nur nicht, sondern nannte ihn auch noch ständig penetrant „Herr Dr. Schmittke“, was zwar respektvoll klang, aber dennoch gegenüber dem Pontifex maximus völlig deplaziert wirkte. Auch dies war mir ungemein peinlich! Mir scheint, Träume mit Religionsbezug sind bei mir immer mit einem Gefühl der schamvollen Verlegenheit verbunden. Moderne Psychoanalytiker mögen das gern mit meiner verstorbenen Frau Mutter in Verbindung bringen.

Obwohl ich dem Christentum (wie jedem -tum, auch dem Brauch-, Volks- und Heimattum!) skeptisch gegenüberstehe, bin ich Jesus-Bewunderer. Jesus war ein echter Frauentyp: Sanft, einfühlsam und sexy, klug, eigensinnig und angenehm unkonventionell. Er sah verdammt gut aus, hatte Charme und bezwingendes Charisma. Gut, er war auch ein Spinner und hat Sachen gesagt, die er, hätte er kritisch-solidarisch diskutierende Berater gehabt, vielleicht noch mal überdacht hätte. Z. B. diesen Quatsch aus der Bergpredigt, daß, wer eine andere Frau begehrlich ansähe, mit ihr bereits die Ehe gebrochen hätte. Daß finde ich weltfremd und humorlos, und auch ein bißchen arg prüde.

Jesus hatte das Glück oder Pech, wie übrigens auch meine Frau Mutter, an Weihnachten geboren zu werden, einer perversen Zeit des Ratenkaufs und der Null-%-Finanzierungen, der Sonderaktionen und Sale-Schnäppchen. An ein Kreuz aus IKEA-Kiefer genagelt, einen Kopfhörer von Saturn oder Mediamarkt als Dornenkrone (Im Player: „Hosiannah! Best of Holy Gospel-Gossip“) über der Stirn, starb der Nazarener bereits drei bis vier Monate später schon wieder, am Karfreitag, war dann aber allerdings auch nur bis Ostersonntag tot. – Eine krasse Biographie! Nebenher wurde Jesus auch bekannt als Erfinder einer gleichnamigen Sandale und als Singer-Songwriter-Composer des Welthits “Always look on the bright sight of life!“ Gäbe es, was Gott verhüten mögen, eine RTL-Show „Deutschland such den Super Religionsstifter“ (Jury: Dieter Bohlen, Bischöfin Margot Käßler sowie Ottfried Fischer), Jesus käme ins Halbfinale, totsicher.

Meine Mutter wäre dieser Tage 85 geworden; Jesus ist bereits 2009 Jahre alt; in meinen Träumen und in meinem Herzen treiben beide ihr Wesen und dürfen ihr Eckchen bewohnen. Ein kleines bißchen froh bin ich aber auch, ihnen entronnen zu sein.

Was Signore Gino Pollo abgeht

19. Dezember 2009

Wieder ein Huhn-Starschnitt der begnadeten Hühnerflüsterin Tuliparola Kontakt: http://www.proz.com/translator/62859 Bei Qype als Tulpenteufel aktiv; ansonsten Übersetzerin, Dichterin, Emigrantin, Agrarnonne, Eremitin, Tomatenzüchterin, Katzen- und überhaupt Tierfreundin, wenn auch, gottlob, auf unsentimentae Weise.

Alavott, Kumpan Kapaun! Ich mein’: Respekt!
Für einen Hennen-Pascha absolut korrekt:
Die Haltung straff, der Hals gereckt,
Der Schopf gefönt, der Kamm geschwollen,
Das seltene Jabot schwarz-braun gescheckt:
Hier geht ein Macho in die Vollen!

Sieh diese Farbenpracht! Die Symbolik der Säulen!
Als trüge man Eulen
Nach Dings, oder lauschte Rilkes Sonetten
An Orpheus,  gesetzt als Operetten-
Cover, schon fast zum Heulen
Äh, schön.

Gräser und Federn, Herbstlaub und Lust,
Heroisches Kikeriki in den Lungen,
Als hätte Rudolf Steiner den Pinsel geschwungen!
Eurhythmik der Gefiederbrust, gehupft wie gesungen:
Fern sei jeder Hahnrei-Frust.

Dies ist Natur, kein Photoshop-Kram,
Hier hat, ich schätze, samstags um halb acht,
Der Schöpfer persönlich sein Genie eingebracht
Und den Gino geschöpft: den Herren-Hahn
Sowie seinen unbedingten Willen
zur Macht,
Bzw. die Sehnsucht der Hennen zu stillen.

Doch wer sich in frommer Demut verneigt
Geht fehl: Der Herrgott hats mal wieder vergeigt,
Hats verbockt, versaut und verschissen.
Die Tragik hinter den schönen Kulissen
Ist huhnübergreifend bekannt:
Da hat mann sich dermaßen in Schale geschmissen,
ist schnieke und schick und beherrscht seine Pose
Doch reimt sich nichts auf dicke,
Sondern alles bloß wieder auf tote
Hose:

Signore Gino fehlts an Bellezza nicht und nicht an Barem,
Doch was ihm fraglos fehlt, das ist ein Harem!

Guerilla Writing

12. Dezember 2009

UNERWARTET TEXTEN – BLITZSCHNELL ABHAUEN.

In zarter Gymnasiastenzeit war ich nicht nur Fan von den Stones und Ton, Steine Scherben, ich sympathisierte sogar herzklopfend mit Befreiungs-Guerillas aller Art. Onkel Ho, Ché Guevara, Vorschütze Mao und Volksmuhadscheddin Abu Simpel, ferner jedwede Tupamaros, Zapateros und Sandinistas: alles im Grunde bloß Fortsetzung Winnetous mit anderen Mitteln! Die Guten durften schießen!

Zeitweilig erwog ich sogar – intellektuell vorerst auf wackligen Fohlenbeinen und politologisch noch pitschnass hinter den langen Ohren –, mich der sich gerade formierenden Stadtguerilla meiner Heimat anzuschließen. Echt! Ich kannte da welche! Mal bloß gut, daß aus dieser RAF-Karriere dann doch nichts wurde, sonst müßte ich heute wie der Dings, ihr wisst schon, dieser eine pummlige alte Mann mit dem traurigen Schnauzbärtchen und dem Seehundsblick periodisch demonstrativ betrübt in zeitgeschichtlichen Talkshows sitzen und fortwährend bekümmerte Reue-Bekenntnisse ablegen, ein ums andere Mal. Als abtrünniger Ex-Hasskasper wär ich in einer öffentlichen Dauer-Reha, und 80 Mio. Fernsehzuschauer wären meine Bewährungshelfer! Ich wäre der Reue-RAFler vom Dienst und müßte mit dem Sohn von Buback öffentlich eine distanzierte, weil beiderseits um die Tragik der Verwirrung wissende Männerfreundschaft pflegen. Und wenn ich mal was erklären wollte, würden mich öffentlich-rechtliche Volkspädagoginnen und Deppen-Dominas wie z. B. Maybritt Illner oder Anne Will mit schneidender Stimme und beißendem Sarkasmus zurechtweisen und mich zwingen, mein Schandhütchen schleunigst wieder überzustülpen. Schaurige Perspektive!

Egal, jedenfalls, widerstrebend zur Vernunft kommend, fand ich später, die Guten sollten lieber doch nicht schießen, bzw. erstmal beweisen, daß sie auch tatsächlich die Guten waren. Außerdem zeigte das Schicksal Ernesto „Ché“ Guevaras, daß das Dasein als Guerillero ganz schön beschwerlich und voller Gefahren ist. Im Kugelhagel irgendwelcher blöder Regierungstruppen in einem wildfremden, mückenverseuchten, touristisch völlig unerschlossenem Regenwald mein junges Leben auszuhauchen, schien mir bald ausgesprochen unattraktiv. Um die Wahrheit zu sagen, ich war wohl eher einbrainstorming-, denn ein street fighting man. Die wenigen offenen Feld- und Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen ich in der Anfangsaufstellung der Protestlermannschaft mitspielte, gingen jedenfalls alle 400 : Null für die Bullen aus. Auf Dauer und lange Sicht war das demotivierend! Ich mutierte vom Brandtstifter zum Biedermann, mein Lieblingscocktail hieß, wenn ihr versteht, was ich meine, irgendwann nicht mehr „Molotow“, sondern „Manhattan“ oder „Marguerita“.

Heute, inzwischen präsenil und altersmild, wie das Jahrhundert, dessen „Nuller Jahre“ sich schon wieder dem Ende zuneigen, es verlangt, finde ich manche neuen Guerilla-Formen schon wieder gut, zum Beispiel guerilla marketing, oder noch sympathischer:guerilla gardening. Da besetzen urban kultivierte, konstruktiv-anarchistische Mitbürger im Schutze anonymer Neumond-Nächte Mittelstreifen von Avenuen, Baumscheiben in Alleen oder Brachgelände in der gentrifizierten Nachbarschaft, und pflanzen dort irgendwas hin, begrünen die Metropolen-Wüsten und lassen, unbefugt und ohne behördliche Sondergenehmigung, hundert Blumen blühen. Ich finde: Hier mischen sich trotzige Subversion und kommunaler Bürgersinn in einem glücklichen Verhältnis! Das scheint mir das gleiche Prinzip wie im Falle des Banksy-Trupps, der nächtens in Museen einbrach, nicht um Bilder zu stehlen, sondern um frische hinzuhängen.

Man mag mich indes einen reaktionär gewordenen Spießer heißen, wenn ich bekenne: Was ich nun überhaupt nicht ausstehen kann, was mich vielmehr nervt und schon gefährlich reizt, das ist guerilla shopkeeping bzw. -catering! Hierbei handelt es sich um eine subtil-sadistische Form der Kunden-Veralberung und Gäste-Vergraulung, bei der man sich auf möglichst bizarre, unmöglich memorierbare Öffnungszeiten kapriziert, die man, zu Zwecken zusätzlicher Verwirrung, noch andauernd, freilich in unregelmäßigen, niemals voraussehbaren Abständen, wie Börsennotierungen, ändert. Das bedeutet: WARUM man jeweils IMMER vor verschlossenen Türen steht, entnehme man dem je aktuellen Aushang, der die brandneuen Öffnungszeiten verlautbart, die voraussichtlich bis irgendwann gelten, oder möglicherweise auch nicht. Unser Schicksal ist in Allahs Hand. Und Allah hat viel zu tun.

Über das „Mondial“ würde ich ja nur zu gern mal in klassischer Qype-Qualität berichten – immerhin, durch die Glasfront blinkt ein schniekes Café, es handelt sich zudem um die – offenbar zu multikulturellen Zwecken verpachtete, kommunal subventionierte – Gastronomie des renommierten Hochfelder Stadtteil-Kulturzentrums „Alte Feuerwache“ in der Friedenstraße, nur: Ich komme da nie hinein! Sage und schreibe FÜNFMAL stand ich, zu unterschiedlichen, aber völlig normalen, verkehrsüblichen Zeiten, in je verschiedenen Monaten, vor verschlossener Tür! Das heißt, nein, einmal stand sie, die Tür, im Oktober, versehentlich auf. Leer gähnte der Laden. Als ich hineinspähte, ihr werdet’s nicht glauben: – versteckte sich der Betreiber oder Service-Mann, meiner als eines potentiellen Gastes ansichtig werdend, – blitzschnell hinter dem Tresen!!! Guerilla shopkeeping! Ich erwischte, es war kurz vor High Noon, den scheuen Barkeeper trotzdem irgendwann. Er sprach ein bißchen deutsch. Meine Anfrage, ein kleines Frühstück (türkisch: „Kahvaltı“) betreffend, beschied man mir bedauernd mit der achselzuckenden Ausflucht, „Kaffe“ sei ‚ – um 11.30 Uhr!!!– “’noch nicht’ da“…
Derzeit, nach dem Stand von heute morgen, sind die Öffnungszeiten gerade: dienstags bis freitags von 17.00-22.00 Uhr, außerdem sonntags 10.30 – 13.00 Uhr; – wahrscheinlich aber nur, falls Vollmond auf den zweiten Sonntag nach Ramadan und zugleich der erste Freitag des Monats auf ein ungerades Datum fällt. Oder falls die Pächter nicht gerade Heimaturlaub machen, oder Siesta, oder fasten oder irgendwas.
Allah bilir! Wundere ich mich, nach viermonatiger Beobachtung, daß dieses gastronomische Schmuckstück, selbst wenn es mal zufällig geöffnet ist, stets durch gähnende Leere glänzt? Nein, die Lebenserfahrung, multipliziert mit multi-ethnischer Weltläufigkeit, flüstert mir den Grund ins Ohr. Ich sag ihn euch aber nicht!

Wahrscheinlich wäre es nämlich in höchstem Maße political uncorrect und kommunal-integrationspolirisch unerwünscht, zu erwähnen, daß die Pächter ihre gastronomischen Erfahrungen evtl. bzw. vermutlich beim Betrieb kleinerer Wüsten-Karawansereien in trocken gefallenen Oasen gewonnen haben, wenn überhaupt. Da ich noch an den Wunden laboriere, die ich mir zugezogen habe, als Regierungstruppen mir kürzlich die„Rassismus“-Keule übers Ohr zogen, ziehe ich mich, dies nur schüchtern erwähnend, blitzschnell wieder zurück.
It’s guerilla writing, dear!

Buster Keaton der Utopie: Anti-Giraffe und Quittenkompott

9. Dezember 2009

Schräger Phantast, "sapphischer" Feminist, Anti-Philosoph: Charles Fourier, 1772-1832

Auszug aus dem neuen Text auf  dem „denkfixer“-Blog:

„…auf der Erde hat es bislang zwei Schöpfungen gegeben. Die erste, eine Versuchsschöpfung, ist Gott im Überschwang der Schöpfungslust ein paar Nummern zu groß geraten, was wir an Saurierskeletten und Fossilien abmessen können; per Sintflut hat er sie wieder ausgewischt. Der zweite Versuch ist auch noch sehr mangelhaft; für Stagnation und Dürftigkeit ist jedoch die menschliche Gesellschaft verantwortlich. Wenn sie nach Fouriers Prinzipien sinnvoll umgestaltet wird, geht es mit den Schöpfungen wieder voran, von denen dann noch 14 weitere zu erwarten sind, eine schöner als die andere. Eine eigentümlich inverse Theodizee: Die Existenz des Bösen, Häßlichen und Gemeinen, sagen wir beispielsweise: von Spinnen, Ratten und »130 Arten ekligen Gewürms«, die versalzene Ungenießbarkeit des Meerwassers, die Unwirtlichkeit vieler Landstriche, ja selbst das schlechte Wetter Mitteleuropas sind Spiegel, in denen Gott den Menschen vorhält, wie sehr sie mit Gewalt, Vernunftkult und Triebrepression auf den falschen Weg geraten sind. Wenn die menschliche Harmonie auf der Erde verwirklicht wird, zieht das kosmische Veränderungen ungeahnten Ausmaßes nach sich. Durch gewisse planetarische und geoklimatische Transformationen hindurch wird es dann die 14 weiteren Schöpfungen geben. Es werden präzis 549 neue Tierarten entstehen, davon sieben Achtel zähmbare und nützliche.

Wir werden die Evolution der Anti-Ratte, des Anti-Löwen und der Anti-Krokodile erleben, die Verwandlung Europas und der nordpolaren Gebiete in eine Sommerfrische, die Aufforstung der Wüsten und die Umwandlung des Meerwassers in ein limonadenähnliches Getränk namens »Zedernsäure«. Die Nähe der harmonisierten Menschheit werden Tiere suchen, die bislang noch zu scheu sind, sich nutzen zu lassen, namentlich das Zebra, der Strauß und der wegen seines Fleißes löbliche Biber. Verschwinden werden hingegen »die Klapperschlange, die Bettwanze, die Millionen Insekten und Reptilien, die Seeungeheuer, Gifte, Pest, Tollwut, Lepra, Geschlechtskrankheiten, Gicht«. All diese Widrigkeiten waren nur Reflexe des Schmutzes, des Unrechts und der Gewalt, die unsere erbärmliche Gesellschaft, die sog. Zivilisation, in sich angesammelt hat; häßliches, gemeines, schädliches Getier ist ein von Gott in der Natur angebrachtes Zeichen, uns unsere eigene Häßlichkeit und Gemeinheit vor Augen zu führen; sie verlieren in der Zukunft ihre Funktion. Korrigiert werden bei der Gelegenheit auch gewisse »Schnitzer Gottes« bei der Schöpfung, unbequeme Meerengen und verkehrsungünstige Gebirge beispielsweise, auch unwirtliche Temperaturen, unfruchtbare Gebiete und ähnliche Webfehler der zweiten Schöpfung. Die globale Nachbesserung von Klima, Boden und Geostruktur wird für die 2 Milliarden dann lebenden Menschen ungeheure Reichtümer bringen, höchste Lebensqualität und wundervolle blühende Landschaften, dazu köstliche neue Früchte, leckere Fischsorten, delikate Quittenkompotts und, sieben Achtel des Jahres, schönes Wetter für alle. – Ich sehe Sie schmunzeln. Zugegeben, so isoliert erwecken solche Voraussagen einen gewissen Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Autors….“

Der gesamte Text ist dort als pdf-Datei ausdruckbar! Blogadresse:

http://reinhardhaneld.wordpress.com/

Sensationell: Kraskas anderes Ego schreibt auch!

8. Dezember 2009

Der Durchblicker: Zwerg Allwissend im Billy-Regal (erklärt die Welt...)

Es wird gemunkelt: Hinter den Kokshalden, hinter den sieben Stahlkombinaten, hinter dem Industriequalm der Montan-Montage wohnt Kraskas Dr. Jekyll: Der Zusammenhangsaufklärer, Traurigkeitslehrer, Rätselschleifer und lustige Rechtdenke-Mönch Reinhard Haneld. Hier in Duisburg zelebriert er seine klandestinen Geheimzusammenkünfte, um einer winzigen, im Grunde handverlesenen und stark überalterten Elite freier Geister die Geheimnisse der Philosophie zu erklären. Er kennt dabei weder Rücksicht noch Gnade. Er guckt Frau Sophia unter den Rock und schaut, was des Kaisers neue (oder altehrwürdige) Kleider wert sind.

Reinhartd Haneld ist der Bruce Lee des Denkkampfsports; er vereinigt den Sex-Appeal von Frau Hannelore Elsner mit der erkenntnisfördernden Galligkeit von Hannelore Hoger. Reinhard Haneld ist gewissermaßen der Charles Bronsen-Rächer jener, die an philosophischen Texten schon immer verzweifelten. Kurz melancholiert er auf der Mundharmonika, aber dann schießt er schon, blitzschnell, aus dem Hinterhalt.

Nun fragen immer wieder auswärtige Virtual-Freunde: Da will ich mal dabei sein! Nur: Wie soll ich denn bloß nach Duisburg kommen? Und wo krieg ich das Tickett für diese geheimen Denk-Parties? Und gibt das in Duisburg überhaupt Herbergen?

Alles nicht nötig, Freunde. Bruno Kraska hat sich entschieden: Er trennt sich von seinem Autor! Der krieg jetzt einen eigenen Blog! Die Adresse ist:

http://reinhardhaneld.wordpress.com/

und der Blog heißt mit halb gequälter Lustigkeit: „denkfixer„. Dort wird der Herr Magister Dr. Jekyll in loser Fortlaufenheit (?) seine rund hundert Vorträge, Aufsätze und Texte zur freien und kostenlosen Lektüre veröffentlichen, Texte, die sich mit Büchern und Autoren, Philosophie und Alltagsfragen befassen, Texte, die jeden Leser und jede Leserin auf Anhieb pro Stück und Stunde um ca. 24% klüger machen.  Und ihnen Atem und Nachtschlaf rauben!

Der Reigen beginnt mit einem Vortragstext über „Laienphilosophie„, also mit der Beantwortung der Frage, warum sich ganz normale, intelligente, geistig gesunde Menschen dennoch mit Philosophie beschäftigen sollten und was evtl. dabei herauskäme.

Hernach folgen weitere Texte: Über die Philosophie des Reisens etwa, über den Genuß, die Sinne und den Tod, aber auch Würdigungen unserer Lieblinge: Montaigne, Stirner, Nietzsche, Robert Walser, Samuel Beckett, Jorge Louis Borges usw. – Und alles ohne Kosten und Verpflichtungen! Dafür erwarte ich orntlichen Beifall, Nachbarn!

Nebenbei kann, wer sich für so was interessiert, Licht in das Dunkel der Frage bringen, welch Geistes Kind eigentlich Magister Kraska ist. Denen, die lesen mögen, wünsch ich viel Spaß. Den meisten anderen mach ich demnächst eine Zeichnung!

Ohne: Mu!

6. Dezember 2009

Wenn ich, der Sechs-Tage-Mönch und urbane Welteinsiedler, aus meiner Klause hinaus in eben diese Welt trete, was, versorgungshalber oder zu Berufszwecken (der alte Mann muß Lehrgut wegbringen!), sich immer mal wieder als notwendig erweist, muß ich durch eine Tür, an der ein japanisches Rollbild mit einer Kalligraphie hängt, gleich links neben Teekanne, Trinkschale und meinem Katana. Mit breitem Tuschepinsel, energischer Geste und in vollendeter Ästhetik geschrieben, wirkt das Schriftzeichen zugleich machtvoll, rätselhaft und anmutig beschwingt. Die Silbe aber, die es anzeigt, heißt: Mu (oder, auf mandarin: Wu). Mu wähle ich zu meinem persönlichen Wort des Jahres. Es bekommt den Oscar, den Grammy, den World-Word-Award. Ladies & Gentlemen: Mu!

Um gar nicht erst ein Geheimnis draus zu machen: Mu bedeutet soviel wie „nichts“, „ohne“, „-los“. „Musen“ beispielsweise heißt, weil „sen“ das Wort für Kabel oder Draht ist,  „drahtlos“. Ein im Japanischen normales, allgegenwärtiges Präfix: Mu. Hirnlos, planlos, ohne Ambitionen, ruhmlos, vermögenslos, unbegabt, unbekannt, arm, angstfrei: alles Wörter, die man mit „mu“ bilden würde. „Ohne“. Ganz banal eigentlich; zugleich aber, und darum tuschen das Generationen von daoistischen oder zen-buddhistischen Kalligraphie-Mönchen immer wieder auf Reispapier, ist dies ein hoch philosophisches, zur Meditation geeignetes Schriftzeichen. Im Grunde bedeutet es nämlich, und gerade zur Weihnachtszeit: „Du musst dein Leben ändern!“

„Mu“ besagt: Räum auf! Laß los! Befrei dich vom Schwall der Dinge! Schaff Leere! Geh den Weg des Kriegers: gegen IKEA, gegen Designer und Möbel-Dealer, gegen den Imperialismus des Zeugs und der Sachen! Hör auf, zu sammeln und Geraffel zu horten! Nichts übertrifft an Schönheit den weiten, weißen, leeren Raum! Bring den angesammelten Lebensmüll zum Container! Du brauchst das alles nicht! Befreie dich, werde leicht, reise mit Nomadengepäck! Wer schon mal, wie ich, versucht hat, mit ca. acht- oder elftausend Büchern umzuziehen, für den wird „mu“ zur Sehnsuchtsvokabel: Ach! Besäße ich doch allein Reis-Schale, Wanderstab und Regen-Pellerine! Wäre ich doch nur ein daoistischer Mönch! Der Weg wäre dann einfach bloß Weg, und nicht Ziel, und der alte Mann müßte auf ihm nicht als unwürdiger Greis beim Kisten-Schleppen schwitzen, er wanderte leicht und mit Anmut, und er nähme wenig Welt-Platz weg!

Apropos Wanderstab. Schon die Shaolin-Mönche wußten aus alltäglichem Simpel-Gerät effiziente Waffen zu schmieden. So auch aus „mu“ („wu“). Ich erkläre das.

Es gibt eine Art von heimtückischer Verbal-Gewaltfalle, die wir als „Fangfrage“ bezeichnen. „Haben Sie jetzt aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?“ ist so eine. Vielleicht habe ich gar keine Frau, und/oder/aber ohnehin würde ich sie natürlich nicht schlagen, indes: Wie soll ich antworten? „Ja“ wäre falsch, weil ich nicht mit etwas aufhören kann, was ich nie begonnen habe; „nein“ hieße indessen, ich würde meine Frau, hätte ich eine, noch immer schlagen! Unentrinnbare Zwickmühle? Eine solche logische Zwickmühle, als Aufgabe dem Nachdenken aufgetragen, heißt im Zen-Buddhismus: Koan.  Der berühmteste Koan: „Höre das Klatschen der einen Hand!“ Oder anderes Koan: „Hat der Hund Buddha-Natur?“ Jede rationale Antwort wäre falsch, läge daneben, machte dich zum Idioten. Es sei denn, du hast Anteil am Licht und würdest als  Antwort tief ausatmen und sagen: „Mu“. Hieße dann: Falsch gestellte Frage. Frage ohne Antwort! Frage, über die ich vorsichtig hinweg steige wie über eine Nacktschnecke auf den Waldwanderweg im Sommerregen, Molluske, die ich zwar nicht mag, aber auch nicht töten möchte: Mu! Ohne.

Wenn man schon, wie im Leben, oft gezwungen ist, einem abfahrenden Zug hinterherzuhetzen und dabei einen ziemlich peinlichen, slapstick-haften Dick&Doof-Eindruck zu hinterlassen, sollte man dabei nicht auch noch einen zementschweren Koffern hinter sich herzerren. Oder? „Guck bloß mal den Dicken da, was der für Zeug mitschleppt!“ heißt es da mit gnadenlosem, irgendwie aber auch berechtigtem Spott. Da ich solche und andere Lebensweisheiten ungemein schätze, in der verwirrenden Hektik mitteleuropäischen  Existenzgewusels aber auch immer wieder mal vergesse und aus dem Auge zu verlieren neige, hängt an meiner Tür eben dieses kalligraphische Rollbild und sagt: Mu. (Mu und ’raus bist du!)

Wer solche oder ähnliche Japonnaiserien  ab und zu braucht, der wende sich tunlichst an die Firma „Doppelte Glückseligkeit OHG“ in Berlin, oder, wenn das zu weit weg ist, nutze man deren Online-Shop:

http://www.japancom.de

Zu ziemlich un-japanisch (mu!) zivilen Preisen bekommt der interessierte Teilzeitasiate hier nahezu alles, was er braucht, vom Kimono über die Tatrami-Matte bis zum Tai Chi-Schwert oder zum handkalligraphierten Rollbild. Der Versand klappt tadellos zuverlässig und ist überhaupt so rasch und präzise, wie der Schwertstreich eines Samurai. Huaaah! – Und es komme mir jetzt keiner mit dem nahe liegenden Gemeinplatz, dies seien doch auch schon wieder Dinge! Das Zeichen „mu“ ist wie eine Daten-DVD: Es ersetzt ganze Bibliotheken! Nichts zu besitzen und daraus einen Kult zu machen, das führt wahrlich zu „Doppelter Glückseligkeit“! – Man akzeptiert auch Kreditkarten.

Integrierte Kopftuchmuttis und von der Sprachpolizei gesuchte Diskriminelle treffen sich bei LIDL

2. Dezember 2009

Vollintegrierte Kopftuchmutti: W. Buschs Witwe Bolte

Kürzlich wurde ausgerechnet ich von einer offenbar stark hysterisierten Sprachhilfspolizistin des „Rassismus“ bezichtigt, weil ich in einem launigen Stimmungsbericht aus der Nachbarschaft u. a. von „watschelnden anatolischen Kopftuchmuttis“ erzählte. Ja, was? Und? Erstens werde ich eher die Verkehrssprache wechseln, als daß ich stattdessen „korpulente, kinderliebe Damen in korrekt konservativ-islamisch-anatolischer Dörflerinnentracht“ sage;  zweitens wimmelt es hier von diesen meines Erachtens ziemlich präzise beschriebenen Erscheinungen, drittens sind weder Anatolier noch Muslime eine „Rasse“, deren Inferiorität man satisfaktionsfähig behaupten könnte, noch würde ich viertens so etwas jemals auch nur im Traum tun. Also, so what!

Blöde Sprachpolizei! Die treibt mich noch in den semantischen Untergrund, wo ich dann, in dunklen Ecken mit Gleichgesinnten um brennende Mülltonnen herumstünde und heiser flüsternd verbotene Wörter austauschte. „Mohrenkopf, Zigeunerschnitzel, Negerkuss, Kümmeltürke, Jubelperser, Russennutte, Kosakenzipfel“, so hörte man mich dort evtl. trotzig murmeln, und nachts wohnte ich in düstren Kellern illegalen Punk-Konzerten der Diskriminellen-Szene bei, auf denen „Zehn kleine Negerlein“ gesungen und performt würde, und zwar von den Drei Chinesen mit dem Kontrabaß!

Ansonsten steh ich zu dieser Art ost- oder südanatolischen Traditionsmuttis nicht anders als zu düsseldorferisch protzreichen, edelbajuwarischen Damen mit eisenhart gesprayter Silberlocke, Trachtenhut und teurem Lodenmantel. Ich nehme Abstand und zeige meine Missbilligung auf die denkbar dezenteste Weise (für zwei Sekunden hochgezogene rechte Augenbraue) . –  Obwohl mich im Straßenbild vieles nervt, bin ich indessen im praktischen Alltag von höflich-gelassener Laissez-faire-Toleranz, – auch wenn ich ja persönlich an der Einschätzung festhalte, daß die Frauen mit Türban, Hijab, Burka oder diesem kleidsam-bodenlangem, beige-braunen Popeline-Mantel nicht zur Speerspitze der Frauenemanzipationsbewegung gehören. Und ich, ich bin halt seit Jugendjahren ein schüchtern am Rande beifallklatschender Sympathisant der Frauen und ihrer Emanzipation.

Ich gehe noch einen dreisten Schritt weiter, als sei ich ein mit Freisprech-Einrichtung ausgestatteter Seiltänzer im Zirkus Sarrazini, und behaupte: Die meisten Klischees, die man so über integrationsunwillige Mitbürger, Hartz4-Opfer und Unterschichtler mit Frühstücksbier und Flachbildzeitung im Kopf bewegen kann, fänden, wenn man es darauf anlegte, in meinem Viertel – das ich auch nicht mehr ironisch „Geddo“ nennen darf, weil das die Judenverfolgung irgendwie leugnet oder verherrlicht oder was –, fänden dort also durchaus gewisse Bestätigung in Form zahlreicher Belegexemplare.

Allerdings eben dann auch wieder gerade nicht bzw. nicht nur! Immer mal wieder unterläuft die Realität das Klischee auch, und das gibt mir oft die kleine Dosis schmunzelnden Tagessüßstoff, die man braucht, um trotz allem bei Laune zu bleiben. Dafür ist die LIDL-Filiale an der Brückenstraße genau der richtige Ort. Personal und Kundschaft „international“ nennen hieße Griechen nach Athen tragen. Hier herrscht Diversität wie beim Turmbau zu Babel. Hier kaufen Kümmeltürken ihren Kümmel, deutsche Süffel ihren Schnaps, Paki-Paschtunen Pasta, Bantus aus Burkina Faso oder Burundi bunkern Buletten, und Roma Sinti neuen Preisvergleichs-Piraten. Preiswerter als bei LIDL geht praktisch kaum, das wär schon geklaut. (Daß die sensationellen Preise dieses Discounters sich u. a. einer ziemlich gnadenlosen, überfordernden Ausbeutung des Personals verdanken könnten, ist ein Gedanke, der mir flüchtig, aber regelmäßig, beim Betreten und Besichtigen der Filiale durch den Kopf schießt. Aber vielleicht ist das ja auch ein Klischee? Ein Vorutrteil, eine rassistische Invektive gegen Discount-Unternehmen?)

Jedenfalls erlebe ich beim dreimal wöchentlich absolvierten LIDL-Besuch manchmal Vorurteilsdurchbrechungen, die ich gut finde, weil sie das Differenzierungsvermögen schulen. Zwei davon zum Schluß. Ich stehe in der kilometerlangen Schlange vor der Kasse, die entsteht, weil LIDL seine Kunden mit der gleichen Hochachtung behandelt wie sein Personal. Vor mir eine „Kopftuchmutti“ mit grossfamilientauglichem Masseneinkauf im Wagen. Na, denke ich gerade noch vorurteilsbeladen, die wird am Ende wieder umständlich mit zusammengekratzten 2-Cent-Münzen bezahlen (die kriegen von ihren Männern nie Papiergeld in die Hand!) und die Kassenfrau zum augenrollenden Wahnsinn treiben und den ganzen Verkehr auf… – da wendet sich die Frau zu mir um, registriert meinen Single-Einkauf und spricht, freundlich und in akzentfreiem Deutsch: „Wenn Sie nur diese zwei Teile haben, lasse ich Sie gerne vor!“ Errötend stecke ich mein Vorurteil wieder in die Brieftasche und danke mit dienernder Höflichkeit.

Noch schöner fand ich freilich einen anderen Vorfall. Warum, kann ich gar nicht erklären, aber er erheitert mich schon seit zwei Wochen. Wir stehen, abermals wartend, im Pulk vor den zusammengeketteten Einkaufswagen. Die sind bei LIDL manchmal defekt und schlecht gewartet. Manchmal kriegt man seinen Pfandeuro nicht wieder, oder das Kettenschloß klemmt. Vor mir ruckelt eine tief verschleierte Ganzkörperorientalin mit nachlassender orientalischer Geduld vergeblich an ihrem festsitzenden Wagen. Zornig funkeln die schönen Augen unter den tiefschwarzen Brauen. Ein Bild rassiger Exotik! Doch dann entfährt der Dame, laut und klar, in perfektem, ungefärbten Deutsch ein tiefempfundes: „Manno! Was ist das denn hier für ein gottverdammtes, verficktes, saublödes Scheißteil!“ DAS ist für mich ein Stück Integration. In einer fremden Sprache spontan, fließend und korrekt fluchen zu können, ist nämlich ein Beweis dafür!  Ich war über diesen Wutausbruch so begeistert, daß ich die Dame spontan hätte umarmen und küssen können. Aber das wäre ja nun doch zuviel des integrativ Distanzlosen.

Ob ich ihren schönen Schimpfwortfluch hier überhaupt im Netz zitieren darf, ist natürlich fraglich. Man darf heute keinesfalls alles sagen, was man will. Womit dieser Besinnungs-Aufsatz wieder von vorne beginnt.