Archiv für Juni 2011

Was trägt man im Herbst als Papst?

27. Juni 2011

Papst im Ausgehanzug

Es ist heute so heiß Geddo, dass das Wetter endlich mal zur Bevölkerung passt. Selbst Dilara, Gülter, Semra und Emine, unsere eisernen Kopftuchmädchen, lockern und lüften heute den Schleier. Die Sonne knallt dermaßen, dass man nur orientalisch im Schatten sitzen und Pfefferminztee trinken kann. Selbst Eiferer legen Anti-Eifer-Eisbeutel auf. Meinungen und Überzeugungen haben heute hitzefrei. Allerdings nicht bei allen. Meine Freunde von der radikalantiklerikalen Fraktion üben schon mal langsam die Empörungs-LaOla: Olala, am 22. September soll der Papst, nein, nicht im Kettenhemd tanzen, sondern im Deutschen Bundestag sprechen!

Weil mir als Nichtchrist und Jünger des Tao der Gelassenheit kirchenfeindliche Beißreflexe abgehen, war mein erster Gedanke, als ich davon hörte, nicht „Skandal!“, sondern: Was trägt er denn da? Ich meine, käme er mit seinem weiß-goldenen Hemd und violetten Mantelkleid, angetan zudem mit dem hohen spitzen Hut des Kirchenfürsten, das wirkte ja doch schon irgendwie bizarr, oder? Das sähe doch aus, als käme der Weihnachtsmann zur Bescherung! Aber andererseits – der Papst im dunkelblauen Zweireiher und mit Krawatte? Und, als Kompromiss, vielleicht eine dezente, nadelgestreifte Tiara auf dem Kopf? Schon modisch also eine Herausforderung. Von anderen Stilfragen ganz abgesehen.

Was sagt man denn so als Papst vor dem Parlament eines säkularen Staates? Wird er vielleicht was singen? Oder was Lateinisches aufsagen? Und lässt er einen Klingelbeutel herumgehen? Nimmt er die Politiker ins Gebet oder wird er sie beweihräuchern? Ruft er den Gottesstaat aus? Überhaupt: Kommt er eigentlich als Stellvertreter Gottes oder als Chef des Vatikan-Zwergstaates? Geht es also vorrangig um faule Kredite? (Immerhin gehört der Vatikan zur Euro-Zone, lese ich bei Wikipedia. Dort steht übrigens auch, dass der Vatikan-Staat rein statistisch die höchste Kriminalitätsrate der Welt hat – jetzt mal ohne Häme: frappierend denkwürdig, oder?)

Generell befürchte ich einen Würde-Konflikt. Entweder bewahrt der Bundestag seine Würde als Hohes Haus, dann macht sich der Papst lächerlich. Huldigt das Parlament dem Heiligen Vater, wird es geschmacklos. Was also tun? PR-Berater würden vorschlagen: Der Papst muss „sich neu erfinden“. Vielleicht lockerer werden, das Publikum mal überraschen. Er könnte versuchen, den Trick mit den drei Broten und fünf Fischen in der Bundestagskantine vorzuführen oder eine Runde Wasser in Wein verwandeln, das käme im Bundestag besonders gut an. Andererseits könnte das als päpstlicher Papa-Populismus bewertet werden.

Wie ich höre, will eine Handvoll hurmorloser SPDler das Event „boykottieren“. Ich finde das ein bisschen unsouverän. Boykott will mir generell als eine Form unfruchtbarer und phantasieloser Nein-Sagerei erscheinen. Solche Ungezogenheiten sind außerdem pure Wichtigtuerei. Wer mehr Laizismus will, der sollte einen neuen Staatsvertrag mit den Religionsgemeinschaften aushandeln und nicht einem alten Herren respektlos auf die saffianledernen Schnabelschuhe treten. Ich empföhle artiges Betragen, wie es sich gehört: In der Fraktionsbank auf die Knie sinken und „Hosiannah!“ rufen. Das heißt „Herr, hilf bitte“, und das kann ja wohl auf keinen Fall schaden.

Werbung

Sex, Sexismus, Frauenfußball

26. Juni 2011

Doofer Sexismus, aber sehenswert, oder? (Copy-Right: Natürlich der PLAYBOY)

Frauen, das ist inzwischen weltweit bekannt, haben ein Geschlecht. Man darf heute mutig hinzufügen: Und das ist auch gut so! Zwar, Männer haben ja auch eines, und sie sind sogar gemächtig stolz darauf, verstecken es aber auch gern unter Suspensorien, hinter vorgehaltenen Händen (beim Freistoß mit Mauer) oder in der Semantik. 2010 hatten wir z. B. die FIFA-Fußball-WM, klar, und was geht heute endlich ab? Die „FIFA-Frauen-WM“ – ein Turnier, in dem also offenbar ermittelt wird, wer Weltmeister im Frau-Sein wird. Verwirrend, denn die Weltmeisterin im Frau-Sein hieß lange Zeit „Miß Universum“ und die war gar nicht Teil einer Mann(!?)schaft.

Natürlich kann man sich trefflich über den latenten Sexismus der alten DFB-Säcke echauffieren, die noch vor drei Jahrzehnten keinen Zwanziger für den Frauenfußball gegeben hätten, aber Sexismus ist, wie ich an mir selber registriere, hartnäckiger als Haarwuchs an den falschen Stellen. Zwar bin ich seit Jahren Fan des Frauenfußballs, nur – bin ich es auch aus sport- und gender-politisch korrekten Gründen? Oder handelt es sich um einen klandestin-unbewußten Triebimpuls, wie ihn nur die Adepten von Professor Freud aus meiner schwarzen Seele herausgrübeln dürfen? Kann doch sein! In meiner Jugend wurde ich, außer von Cellistinnen, die aber nur selten vorkamen, erotisch stark von Friseurinnen – die man damals noch betörend-sinnenverwirrend „Friseusen“ nennen durfte, ein Wort, das so herrlich säuselte und süßelte – angefackelt. Sie rochen so gut und waren Virtuosinnen der Kopfmassage, und der Kopf ist ja bekanntlich, ahem, nun ja.

Heute machen mich eher stramm-schenklige, Sport-BH-tragende junge Frauen an, aber das ist falsch, oder? Evtl. sogar verwerflich? Das Fortbildungsmagazin „Playboy“ versorgt den Teil der männlichen Bevölkerung, dem beim Thema „Frauenfußball“ weniger das Herz, als die Hose aufgeht, mit Nackt-Fotos von Fußballerinnen, die selbst ich, gäbe es sie bei Panini, vermutlich wohl eher sammeln würde als etwa bodenlos hosenlose Fotos von Lukas Podolski oder Bastian Schweinsteiger, zugegeben. Auch ich bin „nur ein Mann“. Nebenbei, Frauenfußball ist vielleicht weniger kampfbetont und athletisch, dafür aber anmutiger, technisch versierter und ästhetisch befriedigender. Das liegt letzten Endes vermutlich daran, dass Frauenfußball von Frauen gespielt wird. Und damit sitze ich schon wieder in der Sexismus-Falle, weil ich ganz generell, als bekennender „Hetero“, Frauen ansehnlicher finde als Männer, und zwar ziemlich egal, was sie gerade tun. Selbst beim Trikot-Bügeln oder Beine-Rasieren würde ich Fatmire „Lisa“ Bajramaj, Celina Okoyino da Mbabi oder Kim Kulig wahrscheinlich lieber zuschauen als, sagen wir mal, Phillip Lahm. Schon wieder falsch! Ich soll ja nicht Frauen, sondern Fußball gucken.

Andererseits: Ich würde auch gern saudi-arabischen Frauen beim Auto-Fahren zuschauen, oder iranischen Mädels beim Fußball ohne Tschador, und das wäre, zunächst mal, ein politisch korrektes Begehren. „In Saudiarabien dürfen Frauen noch nicht mal Auto fahren!“ – diesen Satz hört man hierzulande gerade ziemlich oft, wenn die unglaubliche Tatsache ventiliert wird, dass Frauenfußball in Deutschland bis in die 70er Jahre – was? genau! verboten war! Er gefährde nämlich, so noch Sepp Herberger, die „weibliche Anmut“.  Das finde ich ja nun gerade eben nicht, aber könnten wir das Thema „weibliche Anmut“ nicht irgendwie überhaupt mal beiseite lassen? Offenbar nicht. Weil nämlich selbst Emanzipationsvorkämpfer wie DFB-Theo Zwanziger Werbespots genehmigen, in denen sich Spielerinnen mitten im Match die Lippen nachziehen und die Wangen pudern. Haha! Ein bisschen doof sind die Tussen also wohl doch, aber wenigstens nicht „vermännlicht“ wie Mario Gomez und Manuel Neuer, die sich wahrscheinlich noch nicht mal die Beine rasieren, schon gar nicht während des Spiels.

Ist das eigentlich ein Fall von latenter Homophobie? Dass Männer immer Angst haben, Sportlerinnen könnten „vermännlichen“?  Also meine Befürchtung ist das nicht, auch wenn Fußballerinnen mal vergessen, sich im Strafraum die Nägel zu lackieren. Ich verstehe auch nicht, warum so viele Testosteron-Junkies immer Angst vor Lesben haben. Glauben sie vielleicht, sie kriegen irgendwann keine Frau mehr ab, weil die alle ihresgleichen bevorzugen? Wie kleinkariert und kognitiv bierbäuchig! Ich halte es mit dem französischen Philosophen und Sozial-Utopisten Charles Fourier, der bekennender Anhänger des „Sapphismus“ war, was wohl, weniger vornehm, bedeutete, dass er gern bei lesbischem Sex zuschaute, was ich ganz gut verstehen kann. – Aber, warum rede ich bloß die ganze Zeit über Sex? Es geht doch um Fußball!

Nachher gucke ich das Eröffnungsspiel. Ich hoffe natürlich, dass unsere Frauen auf dem Platz gut aussehen. Wobei ich dies rein sportlich und wettkämpferisch verstanden wissen möchte. Andererseits: Würde das Geschlecht GAR KEINE Rolle spielen, könnte ich, wäre es mir nur um „schönen Fußball“ zu tun, ebenso gut auch den FC Barcelona ansehen. Es ist zum Mäuse-Melken – man entkommt irgendwie dem Geschlechtlichen nicht, selbst wenn man altersbedingt schon darüber hinaus ist!

Och nö

26. Juni 2011

Wird demnächst Gärtner*

Keine Ahnung, ob es das heute noch gibt: Als Kinder hatten wir so Blechröhrchen mit Seifenlauge drin. Dort hinein tauchte man eine Art Drahtschlinge am Stiel, und dann konnte man damit bunte Seifenblasen pusten. Begeistert patschten wir in unsere Kinderhände! Die frühe Faszination für das schillernde Nichts bereitete uns so auf die Medien des 21. Jahrhunderts vor. Als Medienkonsument verfüge ich daher heute über ein gerütteltes Maß an Abgebrühtheit. Mir ist schon bewusst, dass das meiste, was ich lese, höre und sehe, aus grobem Unfug, Kasperlkram und aufgeschäumter heißer Luft zusammengesetzt ist. Wie Bob Dylan schon in den 60ern sang: „It’s all phoney & propaganda“. Mit stoischen Gleichmut lasse ich mir täglich den kruden Brei vorsetzen, der von Quoten-Idioten als „Wirklichkeit“ ausgewählt wurde. Gutgläubigkeit hab ich ja schon mit der pommerschen Muttermilch aufgesogen.

Nur ganz manchmal schaue ich irritiert auf den Kalender (schon wieder 1. April? War doch gerade erst…) und blicke mich nach verborgenen Kameras um. Verstehe ich Spaß? Das ist so ein Gefühl wie in dem Film „Die Truman-Show“, wo einer in einer inszenierten Reality-Soap aufgewachsen ist und dann fällt plötzlich ein Scheinwerfer vom Himmel über der Kleinstadt. So ein Erlebnis latenten Veralberungsgefühls hatte ich gestern bei der Lektüre einer Nachricht (SPIEGELonline, schätz ich mal), derzufolge sich demnächst die Machthaber Afghanistans, Pakistans und des Irans zu einer Konferenz treffen wollen, und zwar, um über die „Bekämpfung des Terrorismus“ zu debattieren. Vertreter Somalias und des Sudans sollen auch teilnehmen; nicht gemeldet, aber doch wahrscheinlich wird sein, dass auch Repräsentanten Tschetscheniens, der syrisch-libanesischen Hisbollah und der Hamas aus Gaza mit am Tisch sitzen.  Bloß Gaddafi ist momentan verhindert. – Kinder, das wird was geben! Oder wie der Korrespondent der „Bäckerblume“ gern schreibt: Man darf gespannt sein!

Menschen, die so etwas ernst nehmen, wundern sich auch nicht, wenn Mario Barth Bildungsminister wird oder die Jahreshauptversammlung des Dachverbands der Taschendiebe über den verbesserten Schutz des Privateigentums diskutiert. Wenn dereinst eine Weltrepublik gegründet wird, dann wird sie Absurdistan heißen. So, Schluss jetzt, ich muss Nachrichten gucken – man will doch informiert sein, oder? Nee, war bloß Spaß. In Wahrheit heißt die Antwort: Och nö.

[Da die WordPress-Technik zur Zeit bei Bildunterschriften herumzickt, trage ich hier die Foto-Quelle nach: Das BIld stammt vom Tierheim Kronach, dem ich viel Erfolg bei der Vermittlung des säuberlich ausgewogenen, schwarz-weißen Ziegenbocks wünsche. Gärtner werden ja immer gesucht…]

Konsequent inkonsequent (Text mit Zwinker-Smiley)

23. Juni 2011

Menschen kommen und gehen en passant wieder; manche begleiten einen ein Weilchen. Der einzige, mit dem man sein Leben lang zusammengepfercht bleibt, ist man selbst. Da stellt sich natürlich, wenn der erste Zauber der Verliebtheit verflogen ist, leicht Langeweile und Überdruss ein: Man kennt sich, durchschaut sich, man ödet sich an und verabscheut sich, oft zudem mit gutem Grund. Dem Selbst-Ennui lässt sich aber vorbeugen, indem man sich immer einmal wieder überrascht – etwa durch radikale Inkonsequenz. Konsequenz wird, ähnlich wie Logik, zumeist weit überschätzt. Konsequent sind Zwangsneurotiker, Selbstmordattentäter und Betreiber russischer Inkasso-Büros. Leute, die von einem Konsequenz verlangen, wollen auch, dass man „immer ganz der alte“ bleibe und kapriziöse Widersprüchlichkeiten gefälligst unterlasse. (Wie in der Bibel: „Deine Rede sei ja, ja, nein, nein“. – Und keinesfalls „ja aber“, „jein“ oder „mal sehen…“!) Das sind übrigens dieselben Leute, denen man Ironie generell durch Zwinker-Smileys anzeigen muss.

Zu meinen sorgfältig gepflegten Inkonsequenzen gehört, mich über Kleinigkeiten aufzuregen, die mich definitiv nichts angehen, ja, gegen die ich eigentlich gar nichts haben dürfte. Für mich gehört solche Reizbarkeit zu den Symptomen ungebrochener Vitalität; die Gattin meint, dies sei eher ein Anzeichen cholerischer Sklerose oder schleichender nörgelrentnerischer Verspießerung. Wie dem auch sei, ich bin zum Beispiel „eigentlich“ ein passionierter Drogen-Freund. Ich kapriziere mich auf die Überzeugung: Drogen sind eine zweifellos gute Gabe Gottes oder zumindest ein Geschenk der Natur, verfeinert durch kunstreich angewandte Chemie und menschlichen Erfindungsreichtum. Ohne Drogen wäre m. E. die Menschheit längst ausgestorben,  weil wir einander ohne gezielte Bewusstseinseintrübung gar nicht ertragen würden. Wer nähme schon die monotone, schmutzige und unbelohnte Arbeit des Existierens auf sich, gäbe es keine Substanzen, mit denen man sein Belohnungssystem kitzelte? Was spricht also gegen Drogen – außer der erzverlogenen, durch und durch verheuchelten, im tiefsten Grunde zynisch-verdorbenen Drogen-Politik unseres Landes? – So anarchisch und geradezu subversiv ist mein Überzeugungshaushalt gestrickt! Einerseits.

Denn warum echauffiere ich mich dann aber andererseits dermaßen über den frappierend schwungvollen Drogenhandel, der seit vier Wochen direkt vor meiner Haustür offensichtlich aufs Glänzendste floriert? Und dann noch in meiner ehemaligen Stammkneipe! Normalerweise schaue ich, wie es sich für einen Weltmann gehört, diskret beiseite, wenn Mitbürger lässliche Gesetzwidrigkeiten begehen. Bin ich denn Ethik-Kommissar? Schwarzfahrer, Mundräuber, Ladendiebe und sogar Vor-den-Augen-von-Kindern-bei-Rot-über-die-Ampel-Geher haben von mir nichts zu befürchten. Ich liege auch nicht den lieben, langen Tag im Fenster und schreibe Falschparker auf.

Allerdings verlange ich aus ästhetischen Gründen, dass Verstöße gegen die Öffentliche Ordnung und das Strafgesetzbuch diskret und dezent vonstatten gehen. Ostentativ und impertinent zur Schau getragene Kriminalität behagt mir nicht; sich damit zu brüsten, ein Tunichtgut zu sein, finde ich geschmacklos. Ich mag auch keinen Gangsta-Rap. Ebenfalls überwiegend ästhetisch motiviert ist meine latente Abneigung gegen Männer vom Typ „extrem schmieriger Schiffschaukelbremser“, vor allem, wenn sie hordenweise auftreten und uniformiert sind (Glatze, schwarze Ballseidenhose mit drei weißen Längsstreifen, im Winter Kunstlederblouson). Bin ich eventuell doch ein bisschen Rassist? So klammheimlich, tief in der Mördergrube meines Herzens? Würde ich mich weniger mopsen, wenn der Drogen-Handel in wurzeldeutschen Händen läge? Oder bin ich hochnäsig, nur weil ich meine Rauschmittel beim französischen Weinhändler kaufe und nicht in der bulgarischen Drogerie-Spelunke? Das glaube ich eigentlich nicht. Aber bei meiner Inkonsequenz weiß man natürlich nie.

Theologie im Kinderzimmer (Frag den Hodscha)

23. Juni 2011

Schmeißt Allah mit Büchern? (Foto-Quelle: Wikimedia Commons)

Freitags, da mach ich immer allgemeine Fragestunde. Mirko, mein serbo-deutscher Nachhilfeschüler darf fragen, was er will. „Auch über dich, Lehrrärr?“„Klar!“ – „Also ch’ab ich Frage: Warum bistu nich Muslim, Lehrrärr?“ Darüber haben wir nun schon tausendundeinmal gesprochen, aber es will einfach nicht in den kleinen kurz geschorenen Quadratschädel, weil, der Hodscha hat gesagt, ein Muslim weiß alles, was man wissen muss, und da ich in Mirkos Augen jemand bin, der nahezu alles weiß (sogar die Geheimnisse achtjähriger Knaben), muss ich in seinen Augen logischerweise auch Muslim sein. Eigentlich spreche ich nicht gern über Religion, um keine Verwirrung zu stiften, aber Mirko hat einen ähnlichen theologischen Forscherdrang wie ich mit acht Jahren. Er lässt nicht locker, denn er sorgt sich um mich: „Aberr wie kannstu nich an Allah glauben! Denn tuter dich mit Blitze verschmettern!“ Ich erkläre ihm, dass der Hodscha, von dem er das hat, vielleicht was falsch verstanden haben müsse, denn da hätte Allah ja wohl allerhand zu gewittern, weil nämlich ein paar Milliarden Menschen nicht an ihn glauben.

Mirko lässt sich erstmal aufmalen, wie viel Nullen eine Milliarde hat und macht große Augen. Da der Hodscha anscheinend nicht viel auf dem Kasten hat, übernehme ich widerstrebend den Religionsunterricht. „Weißt du denn überhaupt“, fragt also der jovial-liberale Toleranz-Onkel Kraska, „wie der Koran entstanden ist?“ Mirko nickt selbstgewiss: „Is von Himmel geregnet auf ersten Mann, wo geboren wurde, wie heißt noch?“ „Adam“, souffliere ich und bohre nach: „Wie jetzt? Allah hat den ersten Menschen mit Büchern beschmissen?“ Mirko muss  grinsen, weil er die Vorstellung auch ein bisschen lustig findet, nickt dann aber ernsthaft: „Hmm, aber nur mit die gelb-roten!“ (Beim ihm zuhause steht die „offizielle“ Koran-Prachtausgabe in Rot und Gold auf dem Wohnzimmerbuffet.) – Also gut, erzähle ich dem jungen Mann mal vom Propheten Mohammed (hat er noch nie gehört – in der Sonntagsschule von diesem Hodscha möchte ich ja mal Mäuschen spielen!), von Mekka und Medina, vom Erzengel Gabriel und von der Entstehung des Koran. (Im Stillen schüttle ich über mich selbst den Kopf: Hab ich jetzt hier Koran-Schule, oder was?)

Mirko möchte wissen, ob Mohammed in Serbien wohnt. „Eher nicht“, erkläre ich, „der ist seit mehr als dreizehnhundert Jahren tot.“ – „Der hats gut!“ murmelt mein Koran-Schüler. „Wie bitte?“, ich fasse es nicht. „Möcht ich auch gern, gestorben haben...“ träumt Mirko weiter, der momentan nämlich lieber tot wäre, weil er ewig Stress mit Papa und Mama hat, die Geschwister doof sind und die Mitschüler ihn immer schubsen. Doch dann gewinnt sein theologisches Interesse wieder oberhand: „Lehrrärr, ch’ab ich noch Frage: Kann Gott auch sterben?“ Ich wechsle einen kurzen Blick mit dem Nietzsche-Porträt bei mir an der Wand und antworte ausweichend: „Na, das darfst du gerade MICH nicht fragen…“„Aber Lehrrärr, du hast gesagt, ich darf ALLES fragen!“ protestiert er empört. – „Schon, sicher, aber da ich nicht an Gott glaube, kann er für mich doch auch nicht sterben…

Mirko ist kreuzunglücklich und insistiert: „Lehrrärr, wie kannstu nich an Gott glauben, wo hat dich doch gemacht!?“ Ich bestreite das: „Also, mich haben meine Eltern gemacht…“ Mirko weiß zwar noch nicht genau, wie Kinder entstehen, aber dass es etwas mit Vater und Mutter zu tun hat, scheint ihm plausibel. Ich setze nach, weil ich der Versuchung nun doch nicht widerstehen kann, einen zarten Keim des Zweifels ins fromme Kinderherz zu pflanzen: „Schau, du hast gesagt, Adam war der erste Mensch, wo, äh, ich meine, DER geboren wurde?“ Er nickt. „Und wer hat ihn geboren?“ „Is von seine Mutter geboren“ läuft mein Disputpartner prompt in die Falle. „Aha!“ triumphiere ich.

Miko grübelt, aber dann fällt ihm ein, dass es noch ein anderes Gebiet gibt, das ihn brennend interessiert: „Lehrrärr, wie kriegt man Babies?“ – Da ich mir nicht sicher bin, ob sich mein Lehrauftrag auch auf Sexualkunde erstreckt, antworte ich knapp: „Indem man grüne Erbsen isst.“ Mirko ist begeistert. „Stimmt nicht!“ jubelt er, „Gar nicht! Ch’ab ich gleich gemerkt! Du willst mich Scherz machen!“ –  Ich zuck die Schultern: „Dann frag doch deinen Hodscha!“ – Jetzt bin ich mal gespannt…

Wer saugt uns Fett ab (Arme haben)

22. Juni 2011

Hat ihr Fett weg: Frau Mustermann

Eigentlich bin ich ein zierlich-zimperlicher, mädchenhafter Knabe, ein Typ mit der Anmut, Beweglichkeit und Eleganz eines schmächtigen Matadors. Bevor jemand laut zu lachen beginnt:  Natürlich nur innerlich! Faktisch und „tragischerweise“ stecke ich im falschen Körper, denn äußerlich bin ich in einem Grizzly-Körper gefangen, mit einem, nein, leider nicht Waschbrett-, sondern Waschbär-Bauch (dem Embonpoint eines außergewöhnlich gut genährten Waschbärs!) und dem Stiernacken einen deutschen Metzgers begnadet, breit, schwer und Ü100-Kilogigantisch,  und ich bewege mich mit der Dezenz einer überladenen Dampfwalze. Der einzige Sport, außer Schach, für den ich die richtige Figur hätte, wäre Sumo-Ringen. Ein mäßig tapferes Schneiderlein im Körper eines Menschen fressenden Riesen! Meine Stirn ist zwar noch glatt und sorgenfaltenfrei wie die eines glücklichen Idioten, aber wenn ich Fotos von mir zu Gesicht bekomme, sehe ich, wie das Gewicht der Existenz sich an meine Mundwinkel gehängt hat und meine ungeweinten Tränen über den Weltlauf sich in Säcken gesammelt haben, die mir dass Aussehen eines schwermütigen Walrosses verleihen.

Jedenfalls entgehe ich der Schmach nicht, im Dasein zu viel Platz einzunehmen. Ich bin der klassische Kandidat dafür, „etwas an mir machen zu lassen“. Wie mir „die Medien“, und nicht nur die privaten, derzeit unentwegt ins Ohr trompeten und ins Auge tröpfeln, gilt es schon als bedenklich Schluffi-haft und hart am Rand der Verwahrlosung, wenn man „nichts an sich machen lässt“. Fettabsaugung, Lider-Korrektur, botoxikologische Unterfütterung, Haartransplantation, Abnäher hier und da. Staunend verfolgte ich Interviews, in denen Menschen verschiedenen Geschlechts stolz berichteten, sie wollten nun endlich mal „etwas für sich tun“ und „legten sich dafür unters Messer“. Im Schnitt (ha!), schien mir, lassen Männer meistens etwas weg machen, Frauen hingegen etwas hinzufügen.

Möglicherweise unterschätzen diese Menschen einfach die Kraft der Suggestion? Gerade las ich – zugegeben nicht ohne klammheimliche Bewunderung, in gewisser Weise – von einem überführten Sexualverbrecher, der sich von „hunderten“, und, wie es heißt, „besonders hoch intelligenten“ Frauen sexuelle Gefälligkeiten erschlichen bzw. ergaunert haben soll, indem er vorgab, „keine Arme zu haben“.  Also, ich glaube, ich könnte das nicht! Wie geht denn so etwas? Das erfordert doch nicht nur enorme Chuzpe, sondern schier übermenschliche Disziplin, oder? Ich hätte die nicht. Dabei würde es mir schon reichen, zehn mittel-intelligenten Frauen suggerieren zu können, keinen Bauch zu besitzen…

Verblüffenderweise erinnert dieser Vorgang an die Weisheit altrömischer Stoiker, welche die Maxime „Haben, als hätte man nicht“ propagierten. Also beispielsweise, man hat Kohle ohne Ende, verhält sich aber, als krebste man knapp unter dem Existenzminimum herum. Diese eingebildete Armut kann man sich selber, aber auch anderen suggerieren. In dieser Hinsicht sind wir alle wie die „Hunderte hoch intelligenter Frauen“ – wir lassen uns den ungeheuerlichsten Quatsch vorzaubern und machen auch noch mit.  In meiner Heimatstadt, die demnächst den Jahrestag der Loveparade feiert, schauen wir zum Beispiel seit Jahren ohnmächtig zu, wie die letzten freien Kultureinrichtungen kaputt gespart werden, weil ja kein Geld da ist. Dabei betragen Kulturausgaben nur 3% (!) des Haushalts, und Duisburg hat noch nicht mal Rüstungskosten! Wir müssen halt sparen, allerdings nicht etwa, weil wir keine, sondern weil wir zu viele Arme haben.

Ich bitte herzlich, dies nicht als politisches oder ökonomisches Statement zu werten, wenn ich naiverweise noch immer über die Hunderte von Milliarden  staune, die gegenwärtig in der „Euro-Krise“ verbrannt werden. Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, ich weiß. Es wird ja auch bloß Geld ausgegeben, das wir gar nicht haben. Damit kenne ich mich eigentlich aus, denn ich gehöre wie Griechenland den Banken und lebe von Geld, das ich nicht besitze. Mein Kulturetat ist allerdings höher – schon, weil ich nichts an mir machen lasse… 

 

Über das Halten von Meinungen

17. Juni 2011

Meinungslos und vollbeschäftigt: Der Magister wandelt im Beruf des Nichts-Tuns

„Bei uns auf Kummerland, der Insel der unruhigen Seelen und unzufriedenen Seligen, herrscht Beschäftigungsnotstand. Die Zeit ist aus den Fugen und allzu verfügbar. Sabattikalisten, Dauerrentner, Langzeitpausierer, ausgebrannte Beamte: Wie die nur zähflüssig verrinnende Lebenszeit hinbringen? Süße Sahne des Überdrusses, fade Suppe des Ennui. Gewiss, man kann französische Bulldoggen mit immer größeren Fledermausohren züchten und versuchen, ihnen das echolotgesteuerte Fliegen beizubringen, man kann kennerisch provençalische Rohmilchweine sammeln, mollige Wollschweinwolle zu drolligen Pullovern verstricken oder beflissen sein Lebensrisiko durch das Ausprobieren bizarrer Trendsportarten erhöhen. Ob aber topmodische Übersprungshandlungen die Spanne auch bis zum Exitus ausfüllen?

Ein nostalgischer Trend gewinnt hier neues Interesse: Das Halten von Meinungen. Meinungen sind fröhliche, vitale Hausgenossen. Das Leben mit ihnen beugt wirksam Alterserscheinungen vor – Selbstzweifel, Ironismus, Differenzierungssucht werden nachweisbar reduziert! Gesunde, bereits stubenreine Meinungswelpen bekommt man am besten bei renommierten Züchtern (Süddeutsche, FR, taz, ZEIT, F.A.Z.-Feuilleton), aber dann geht’s erstmal zur Meinungsschule. Grundkommandos („links!“, „rechts“, „Fortschritt!“) müssen gelernt und eine Charakterprüfung („politcal-correctness“-Siegel) abgelegt werden. Gut erzogene Meinungen reagieren auf Stich- und Reizworte, haben einen guten Jagdinstinkt, was Abweichler angeht, und heben durch ihre nie erlahmende Beißfreude die Laune ihrer Besitzer. Amerikanische Forscher haben nachgewiesen, dass Meinungen in der Lage sind, Komplexität zu reduzieren, Ich-Schwäche abzubauen und resignative Tendenzen („Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen!“, Shakespeare, Hamlet) aufzuhalten.

Mancher jung gebliebene Senior will das Herumtollen mit seinen Meinungen gegen keine andere Lebenslustbarkeit mehr eintauschen (Aber bitte daran denken: Kleinere „Hinterlassenschaften“ [z. B. In Leserbrief- und Kommentar-Spalten] werden selbstverständlich diskret entfernt!). Besser als jeder Blindenhund gibt eine Meinung Orientierung und Halt im Chaos des Daseins, sorgt im unaufgeräumten Denkhaushalt wieder für Stabilität und Redundanz, fördert Gemeinschaftsgefühle und verhilft zu mehr Selbstbestätigung, die gerade der älter werdende Körper benötigt…“ –

– so in etwa träumte mir am frühen Morgen ein Artikel in der Apotheken-Rundschau oder wo. Aus solch dumpfer Wirrnis erwachte ich nur unvollständig und in der vagen Furcht, auch bei mir hätten sich vielleicht Meinungen niedergelassen. Offenbar war das aber nicht der Fall. Aufatmend versenkte ich mich beim Morgenkaffee in das XIX. Buch der esoterischen Schriften des Dschuang Dsi, wo es heißt: „Der Philosoph sprach: ‚Habt Ihr denn noch nicht vernommen, wie der höchste Mann sein Leben führt? Er vergisst seinen Leib und kümmert sich nicht um seine Sinne. Ziellos schwebt er jenseits des Staubes der Welt und wandelt im Beruf des Nichts-Tuns.’“ Sich in diesem Beruf vervollkommnen sei das höchste Ziel! – Meine Meinung!

Peinlichkeit. Religiöser Zwiespalt

14. Juni 2011

Honneckerin der Evangelen: Hodscha Käßmann

Was mir zu denken gibt: Heute habe ich meinem achtjährigen serbischen Nachhilfeschüler Mirko, der, soweit er weiß, Muslim ist, weil es a) zuhause kein Schweinefleisch gibt und er b) jeden Sonntag zum Hodscha geschickt wird, um den Qu’ran (immerhin auf serbisch, nicht auf arabisch!) auswendig zu lernen, eine Geschichte von Janosch vorgelesen, in der zwei dumme Brüder vorkommen, die „den ganzen Tag in der Kneipe sitzen und den Mädchen nachpfeifen“. – „Äh. Lehrrärr“, sagt Mirko, „ch’ab ich Frage, darf ich?“ – „Klar! Nur zu….“ – „Ahrrmm, äh, … sind Brüder … Muslime?“ – Ich, vorbildlich neutral, antworte, dass Janosch, der Autor, meines Wissens katholisch (und das heißt: schlimm!) erzogener deutscher Pole sei, der inzwischen auf Teneriffa lebe, Atheist sei und Muslime wahrscheinlich gar nicht kenne. – Mirko, als Kneipenwirtssohn nicht gänzlich ohne Lebenserfahrung, macht ein skeptisches Gesicht. Ich seh es ihm an: Er glaubt, Janosch kennt die Muslime DOCH!

Mirko kann übrigens auch einfach nicht glauben, dass ich kein Muslim bin. Das will ihm nicht in den kurz geschorenen Quadratschädel. „Weiß ich schon, gibt auch Ch’christ und so, aber…“ … Aber in seinen ehrfürchtigen Kinder-Augen weiß sein Lehrrärr praktisch alles – ich kenne sogar die bestgehütetsten Geheimnisse achtjähriger Buben! –, und „ein-Mann-der-alles-weiß“ ist für ihn praktisch definitionsgemäß gleichbedeutend mit einem Muslim. So lehrt es der Hodscha. Allerdings und andererseits: „Gibt Kinder wo hassen richtich den Hodscha“, fügt Mirko nachdenklich hinzu. – Ich: „Wieso denn das?“ – Er:  „Weil haut Kinder an der Kopf und sss’wiebelt immer so an die Ohren, wenn nich gut gelernt Qu’ran!“ Letztlich bloß  gut, dass ich „Ungläublicher“ bin, weil vor Christen hat Mirko, obwohl er „Atheist“ für ein schlimmes Schimpfwort hält, schlimmer als „Hurensohn“ jedenfalls,  nämlich noch mehr Bammel. Die essen nicht nur Schwein, sondern auch ihren Herrgott und trinken sein Blut. Voll eklig!

Und dabei kennt er Gottes Nervensäge noch nicht, die achte & echte ägyptische Plage, den Weib gewordenen Zorn Gottes, die zwischenmenschliche Posaune von Hannover, die penetranteste Betschwester und unsäglichste seiner Post-Apostelinnen: Frau Margot Käßmann! –  Natürlich erzähle ich Mirko nicht von ihr, denn ich will ihm keinen Schrecken einjagen oder seine unschuldigen Kindernächte mit Alpträumen belasten! Klar, ich könnte ihm drohen: Wenn du bei mir nicht gut lesen, schreiben und rechnen lernst, holt dich die schwarze Frau Käßman! Sie wird dich armen beschnittenen Muslim-Knaben solange umarmen, küssen, mit Dialogen überschütten und dich mit klebrig-süßem Gesabbel vollschleimen, bis du an Erbrochenem erstickst!

Margot K., die approbierte Honneckerin der Evangelen, Star der Kirchentage und eine der beliebtesten Deutschen überhaupt, ist eine herausragende Strategin der Geopolitik. Vor allem ist sie Afghanistan-Expertin. Mit den Taliban etwa, empfiehlt Frau Käßmann unermüdlich, als protestantische Kaltmamsell Knall auf Fall auf jedem Podium hockend, müsse man „gemeinsam beten, anstatt sie zu bombardieren“. Überhaupt sei Krieg immer ganz böse, und wenn schon mal ein Feind begegnete, solle man diesen durch Küssen, Backe-Hinhalten und Vollschleimen erledigen! Zu diesem debilen Schwachsinn bleckt sie die überkronten Pferdezähne, grinst keck unter ihrem flotten Pony hervor und freut sich diebisch, dass man sie bei ihrem Geschwafel auch noch beflissen noch abfilmt.

Zum Glück fragt mich Mirko nicht nach Frau Käßmann. Was sollte ich als ehrlicher Mensch antworten? Dass die Deutschen frenetisch eine dusslige Kuh verehren, eine Art weiblichen Hodscha, der/die wegen Trunkenheitsfahrt ihren Job verlor und seither als bewunderte Demonstrativ-Bußfertige ein um das andere Mal alle drei Monate ein besinnliches  Schwafelbuch veröffentlicht, peinlichsten Unfug redet (mit oder ohne Alkohol), und penetrant ihre trotz mittelalterlicher Ideologie ostentativ zelebrierte „Modernität“ zur Schau stellt, um unsere Ohren zu zwiebeln? Soll ich denn den Knaben an jeder Integration hindern?

Als ein offensichtlich atheistischer Reporter Frau Käßmann fragte, was sie denn mit ihrem billigen Hurra-Pazifismus über das Ende der Hitlerei denke, und dass sie ohne die Opfer der Alliierten ihren Scheiß wohl kaum frei verbreiten könnte, grinste sie saublöd in die Kamera und patzte pampig: „Ach, da sag ich nichts zu, Sie schreiben ja doch, was sie wollen…!“ – und stöckelte modern, aber unbelehrt, schnippisch davon. – Jetzt zittere ich vor dem Tag, an dem Mirko mich fragt, was eigentlich „Peinlichkeit“ bedeutet. Da ich der Mann bin, der alles weiß, werd ich ihm antworten müssen. Oder soll ich sagen: „Frag doch deinen Hodscha!“?  

Noch schwerer wäre freilich die Frage zu beantworten, warum ich es von Herzen gern hätte, wenn Frau Käßmann direkt nach Afghanistan flöge, um dort „mit den Taliban zu beten“. DAS würde ich wirklich ZU GERN sehen, vallah…!

Moment verpennt

13. Juni 2011

 

Mozart mit Kopfhörer (Gemälde von Anna Maria Dusl für "Falter")

Immer wieder gern gehört wird das Stück „4’33“ von John Cage, eine dreisätzige Komposition, bei der alle Instrumente schweigen („tacet“). Das Stück gibt es für Klavier, Kammer- sowie Sinfonieorchester. Ich bevorzuge die machtvoll schweigende („tutti“!) Londoner Orchesterfassung, die ich oft auflege und so laut drehe, dass sie eigentlich alles andere übertönen müsste. Leider funktioniert es nicht – die Straße will einfach nicht, wenn ich das mal so lautstark ausdrücken darf, ihre Fresse halten! Ich beklagte dies schon öfter, in letzter Zeit nicht nur aus rentnerhafter Ruhebedürftigkeit, sondern auch aus richtig gewichtigen Gründen: Ich soll nämlich Texte von mir einsprechen und hab dafür eigens ein teures Profi-Mikrophon-Headset von Sennheiser auf den Kopf geschraubt bekommen. Wenn ich aber meine elaborierten Klügeleien (von Augustinus bis Zoroaster!) später abhöre, klingt es immer, als hätte ich Kiplings Dschungelbuch vertont, sofern man als Dschungel akzeptiert, dass dort türkisch gebellt, Arabesk-Musik oder Gangsta-Rap gespielt und die Rolle kreischender Papageienschwärme von dauerfußballernden Kindern übernommen wird.

Ich meine, wer will schon erklärt bekommen, warum Hegel meinte, das Wirkliche sei das Vernünftige, wenn dann auf der Soundspur ewig das doofe Geddo lärmt? Die Straße ist zwar nie vernünftig, aber immer verdammt wirklich! Man stelle sich vor: Die zart-filigrane Abstraktionsarchitektur von Immanuel Kants „Kritik der“ leisen, quatsch, „reinen Vernunft“, und dann brüllt ständig einer dazwischen: „Du blöde Votze, ich hau dich zu Brei, du Nutte! Ich frag zum letzten Mal: Wo ist das Geld“? Das ist doch weder pädagogisch noch didaktisch als wertvoll einzustufen, Wirklichkeit hin oder her. – „Kinder, so kann ich nicht arbeiten!!!“

Aber jetzt, heute, Pfinxen, Montag. Ich erwache verkatert (hatte Pfinxen mal wieder mit Vatertag verwechselt, passiert mir jedes Jahr) um 6.00 Uhr morgens in meinem Schlaf-Büro und: ……….. es herrscht himmlische, ja göttliche Stille! Mein Hirn spielt alarmierende Musik ein (Eminem: „…the mike is yours and you’ve got only ONE SHOT, ONE OPPORTUNITY“!) und empfiehlt senile Bettflucht. Jetzt oder nie! Ran an den Schreibtisch, Hörbücher produziert, garantiert ohne Nebengeräusche! Negergeräusche? Nein, nein, Nebengeräusche. Natürlich bin ich es gewohnt, spontane Impulse noch mal reflektierend zu überdenken. Als ich zehn Minten später damit fertig bin, ist es 9.30 Uhr. Auf dem Hörbuch-Track nur weißes Rauschen, untermalt mit John Cage. Immerhin. Es war einfach zu ruhig zum Arbeiten.

Fußball gucken im Geddo

8. Juni 2011

Wer nun? Wie nun? Was nun? Wieder nichts mitbekommen... (Foto: REUTERS)

Zur Strafe, weil Branko unsere Stammkneipe verkauft hat und wieder mit dem Truck zwischen Valencia und Zagreb unterwegs ist, hocken wir alle in seinem Wohnzimmer unter der gerahmten Koran-Sure und trinken Warsteiner. Der Couchtisch biegt sich unter aufgefahrenen Gerichten. Es gibt Fleisch mit Buttersauce, Fleisch mit Käse-Sauce und Fleisch mit Fleischsauce, dazu serbischen Rinderschinken und Lammwurst. So ist das bei Berg-Serben. Ein kleines Schüsselchen Salat ist auch dabei – mit ungeschälten Gurken! „Keine Panik“, brummt Branko, der Ruhe-Bär, „die sind frisch aus Novi Pazar.“ – Sportrentner Horst murmelt: „Datt isset ja, watt mir bissken Sorgen macht…“ und nimmt lieber Rinder-Niere.

Ich versuche, wenigstens mit einem Auge das Spiel Aserbeidschan gegen Deutschland zu gucken, wegen dem wir eigentlich zusammengekommen sind. Hören kann man vom Kommentar nichts, weil der alte Vlado gerade von der Schwarzarbeit zu uns gestoßen ist, mit beachtlicher Schlagseite und großem Erzählbedürfnis, weil, er hat Fliesen gelegt, und da das eine trockene Angelegenheit ist, hat er „alle ch’albe Stunde nur ein Pinneken“ hausgebrannten mazedonischen Schnaps (ca. 55%igen, soweit man das in etwa abschätzen kann) getrunken. Ich kann es nicht lassen und rechne ihm vor, dass das bei zehn Stunden Arbeit aber auch schon eine ganze Flasche Slivo bedeutet. „Nä…“, winkt Vlado ab, „bei Arbeit nur Pinneken. Das mit Flasche war ärrs danach“. – „Na, die Fliesen möchte ich sehn“, hake ich etwas hämisch nach. Sportrentner Horst war mal Handwerksmeister und belehrt mich, um Präzision bemüht: „Die Fliesen, weisse, Proff, die sinn eintlich nich datt Problem – aber die Fugen! Die Fuuugen!

Während Horst mich, den ungebildeten Geisteswissenschaftler, in die Geheimnisse des Fliesenlegens einweiht, beginnt Vlado unvermittelt und laut stark von seiner Militärzeit in der jugoslawischen Armee zu erzählen und hampelt vor dem Fernseher herum, um den Parade-Stechschritt vorzuführen. „Datt se dich mit deine ma knapp einsfümmunnfuffzig überhauppt genomm ham…“ wundert sich der Sportrentner, während ich versuche, Vlado zur Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen, weil ich noch immer was vom Spiel sehen will. „No, genommen scho“, mutmaßt Serbo-Bayer Branko, „nur Gewehr ch’am se ihm nich gegeben, weil ch’at immer so auf  Boden geschleift…“ Vlado startet zu einer langen verworrenen Anekdote, der ungefähr zu entnehmen ist, er sei streng genommen eigentlich bei der Marine gewesen, habe aber wegen „Knappheit von Schiffe“ zumeist in der Kaserne hocken müssen und sei „praktisch immer besoffen“ gewesen. „Nix Geld, aber immer besoffen!“ kräht er ein ums andere Mal, haut mir vor Begeisterung auf die Schenkel und fuchtelt wild vor dem Bildschirm herum.

Ich werde langsam quengelig, weil ich vom Spiel echt nichts mitbekomme. „Wieso?“ fragt Vlado treuherzig, „steht zweinull fir euch. Ch’annst du doch zufrieden sein, Proff. Ihr Deutsche seid nie zufrieden! Immer bloß ch’ewinnen, ch’ewinnen…“ Ich versuche zu erklären, dass es meiner Meinung nach der genuine Sinn des Fußballspiels sei, dass man gewinnen wolle; außerdem wolle ich nicht zusehen, DASS oder gar DAMIT Deutschland gewinne, sondern WIE. „Mir egal, wer gewinnt“, wirft der Sportrentner in die aufbrandende Debatte, „Hauptsache et is dann Deutschland oder der MSV!“  Branko bringt Frischbier und erzählt, dass er in seiner Zeit als Wirt mehrere Müllsäcke voll Warsteiner-Kronkorken gesammelt habe, weil, da stehen nämlich so Nummern drin und damit kann man was gewinnen. „Vielleicht hab ich schon Auto“, sagt er versonnen. Da ich als Magister das Belehren nicht lassen kann, merke ich an, dass er die Korken dann aber auch einschicken müsse. „Kannst du vielleicht über Internet machen?“ fragt er mich hoffnungsvoll.

Vlado ist jetzt auf dem Fußball-Tripp. „Bei uns in Dorf friher“ erzählt er träumerisch und haut mir auf die Schulter, „war zehn Häuser und elf Jungen! Wir ch’aben IMMER gewonnen!“„Ja klar“, sag ich bissig, „weil euch die anderen elf gefehlt haben. Außerdem, nebenbei, kannze ma die Finger von mir lassen? Da wo ich herkomm, fassen sich Männer nicht dauernd an!„Ach, is doch bloß Freundschaft“ verteidigt Horst seinen Freund. – Inzwischen hat Aserbeidschan ein Tor erzielt. Wir jubeln kurz solidarisch, auch wenn Branko meint: „Das ham die bestimmt gekauft!“„Wieso denn“, wird er zurechtgewiesen, „das ist noch nicht in Serbien!“ Die Erörterung der Frage, ob Mazedonien, Montenegro oder aber Slowenien („Nä, datt war Handball“ weiß der Sportrentner bescheid) Weltmeister der Sportkorruption sei, läuft noch, da ist das Spiel vorbei. Ich glaube, wir haben gewonnen. Beim Abschied heißt es: „Proff, schön, dasse gekommen biss! Lass uns bald ma wieder schön Fußball gucken. Vielleicht bei die Fraun, demnäx.“ Na, da wird was los sein.