Traumkritik
Auch bei Träumen gibt es mehr oder minder erfolgreiche Remakes. Solange das nicht ins zwanghaft Redundante ausartet, ist da gegen ja nichts einzuwenden, auch wenn man sich fragt, was das denn nun wieder soll. – Vor Jahren musste ich, im Traum, als Sechsjähriger, noch im flanellenen Bärchenschlafanzug, in meinem Kinderzimmer eine Doktorarbeit bei Theodor W. Adorno schreiben – mit abgebrochenen Buntstiften auf zweilagigem Toilettenpapier, als Schreibunterlage nur ein grober Sisalteppich zur Verfügung, während Adorno unten mit meinen Eltern am Nierentisch Liqueurwein trank und ungeduldig mit den Fingern auf die Lehnen des 50er-Jahre-Sesselchens trommelte. Er war übrigens taubengrau mit lila Punkten, – der Sessel, nicht Adorno.
Zwei Jahrzehnte später sitze ich in einer altmodischen Druckerei, die eher einem osttürkischen Basar gleicht, und zwar einem, in dem gerade ein Selbstmordattentat stattgefunden hat, und soll, weil es sich um eine Art Workshop handelt, vielleicht aber auch um eine Fortbildung, eine Geschichte schreiben, wobei in der gesamten Druckerei nicht ein einziges Fetzchen unbedrucktes Papier aufzutreiben ist; Schreibgerät gibt es auch keines. Nachdem ich ein furchtbar weinerliches Gezeter angestimmt hatte, des Tenors, ohne Material und Gerät könne ich nicht arbeiten, reichte man mir endlich, höhnisch grinsend, ein Stück Frischhaltefolie und einen lichthellgrau schreibenden, hauchfeinen Drehbleistift: Ich konnte selbst kaum lesen, was ich damit niederschrieb!
Zudem hatte ich meine Lesebrille nicht dabei. Wer setzt denn schon zum Träumen seine Brille auf? Es zog sich dann, dergestalt, dass man mir immer absurdere Surrrogate anbot; in einer Episode sollte ich mit einem komplett ausgelaufenen Filzstift um eine Krankenkassenreklame mit lauter lebensfröhlichen Menschen herum feinziselierte, hochartifizielle Literaturprodukte fabrizieren! Schließlich bestieg ich, entnervt, erschöpft und, wäre ich eine Comicfigur gewesen, gewiß mit lauter Blitzen und Totenköpfen um meinen Kopf herumschwirrend gezeichnet, einen Schusterschemel und hielt eine flamboyante Beschwerderede, in der ich die prekären Verhältnisse scharf verurteilte und vor weiteren Eskalationen warnte.
Das einzige Resultat war, dass man mir mit einer ans Putineske grenzenden Kaltschnäuzigkeit beschied, ich solle nun mal zu jammern aufhören und gefälligst etwas mehr Kreativität an den Tag legen. Kann es mir als Schwäche ausgelegt werden, dass ich unter diesen widrigen, ja niederträchtigen Umständen von meiner Geschichte nur ein einziges Wort ins Wachleben davon- und hinübertrug? Hier bitte dieses Wort. Es hieß: Nopil.
„Was soll das denn heißen?“ fragte die Gattin, der ich zum Frühstückskaffee den ganzen Quatsch brühwarm auftischte. „Ich habe keinen Schimmer“, antwortete ich, „es handelt sich um einen Namen, glaube ich, den Namen eines irgendwie unglücklichen, vom Schicksal hartherzig und mit tiefgefrorener Stiefmütterlichkeit behandelten Menschen…“ – „Du Armer“, murmelte die Mütterliche und bedachte mich mit einer Serie rascher, rhythmischer Schulterklopfer, die sie als „eben selbst erfundene Therapie gegen Verspannungen“ apostrophierte. – Kein Zweifel: Traum und Realität konkurrierten darin, mich nicht ernst zu nehmen!
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4. März 2014 um 6:32 PM
An Seiner statt würde mir auch die ironieverdächtige klanglautliche und fantastisch-infantile Nähe des Namens „Nopil“ zu „Monpti“ sehr zu denken geben.
4. März 2014 um 6:54 PM
Zu denken gibt mir das nicht viel, weil, „Monpti“ musste ich erstmal googeln, und es kann ja wohl nicht sein, dass das Unbewusste aus Unbewusstem besteht, oder? Oder?
4. März 2014 um 6:55 PM
Ungewusstem, sollte es heißen. Und da hat es schon wieder zugeschlagen…
4. März 2014 um 8:01 PM
Du meinst aus Ungewusstem? Das wäre gut, wenn man sich seiner Unwissenheitsbestände so sicher sein könnte. Ich selbst ahnte jedenfalls bis zu jenem Tag, als im Durchzappprogramm Romy Schneider plötzlich ihr „Monpti“ aus dem Lautsprecher säuselte, nicht, dass ich ohne jeden Zweifel bereits als Kind einmal ein paar Szenen aus diesem Film mitbekommen haben musste.
4. März 2014 um 8:09 PM
Hm. Dann gibt es also allerhand Traumatisierungen, von denen man gar nichts, oder, noch toller, nie erfahren wird? Es sei denn durch Nacht & Traum?
4. März 2014 um 8:22 PM
Ich dachte immer, nur durch Nacht & Traum und natürlich plötzliches Sich-unter-den-Tisch-Werfen-und-Zittern.
7. März 2014 um 10:32 AM
Nopil taugt zum Modenamen. Ich höre schon den ganzen Prenzlauer Berg den Namen durch die Straßen rufen. Noopiiil, Noopiiilchen, … Wie bringt man so etwas nur ins Rollen?
16. März 2014 um 1:44 PM
Nopil ist doch ein angemessener Name für Stubenkater. Und Katze + Digitalkamera + Internet — schon ist die Sache mit dem Modenamen geritzt!
16. März 2014 um 1:51 PM
Hier gilt es aber, zuvor die Linguistenkommission einzuschalten: Nicht, dass „Nopil“ in irgendeiner marktrelevanten Sprache so etwas wie „Mistding, verficktes“ bedeutet…