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Ein Traum von Afrika

30. April 2010

Es gab auch schon afrikanische Kaiser! - Fotoquelle: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/66/Bokassa_.jpeg

Ich war beim Kaiser, zur Audienz, schon das zweite Mal. Die Gattin hatte das vermittelt. Waren wir eigentlich in Berlin oder in Wien? Ich weiß es nicht genau. Alles war jedenfalls aus Marmor oder Granit. Das heißt, zunächst handelte es sich um eine zwielichtige Art pornographisches Kabinett, in dem altmodisch, aber nachlässig gekleidete ältere Herren verstohlen mit allerhand skandalösen Unanständigkeiten beschäftigt waren. Plötzlich aber wurde ich aus den beklemmenden Schummrigkeiten dieses Angst einflößenden Ortes in den hell getäfelten Warteraum geführt, von dem aus man schon die mächtige Flügeltür erblicken konnte, hinter der sich das Arbeitszimmer des Kaisers befand.

Ich fühlte mich unwohl in meinem unförmigen lederbewehrten Winterpelz, unter dem ich aber, wie mir siedendheiß einfiel, einen mit Eigelb und Mehl total bekleckerten Pulli trug (ich hatte vortags Kichererbsenpuffer gebacken), so daß ich den blöden Mantel schlecht ablegen konnte. Alle anderen Herren trugen Frack oder Cuts! Ein comme il faut elegant geschneiderter Hofsekretär, so aristokratisch bleich, daß er wie aus einem österreichischen Schwarz-Weiß-Film der 40er wirkte, eilte auf mich zu: „Bestehen der Herr Magister auf dem Thema HipHop?“ wisperte er atemlos vor devoter Arroganz. Ich wechselte einen Rat suchenden Blick mit der als Souffleuse fungierenden Gattin, die energisch, aber unauffällig, also in einer Art gestischem Bühnenflüstern, den Kopf schüttelte. „Nein, nein!“ rief ich daraufhin dem Schranz nach, der schon wieder davoneilen wollte, „nehmen Sie Afrika! Das Thema ist Afrika! Der Kaiser interessierte sich seinerzeit immer sehr für…

So kam es, daß ich, um ein weniges später, vor dem mächtigen, aus lauter Walnussbaum und puren Ebenholz gedrechselten Schreibtisch des Kaisers auf dem Besucherklappstühlchen saß und über meine abenteuerliche Somalia-Reise referierte. Während meines zunächst in schüchterner Heiserkeit (Frosch im Hals!)  vorgetragenen Berichts wurde mir freilich bald schon peinigend bewußt, daß ich eine solche Reise niemals unternommen, vielmehr bloß kürzlich, nach abendlicher, und wohl übermäßiger Lektüre des SPIEGELS, geträumt hatte! Eine einigermaßen peinliche Situation. Der Kaiser, der mich durch das blankgebügelte Fensterglas seiner zwiebelförmigen Audienzbrille gütig anblinzelte, ließ sich nichts anmerken. Um nicht gänzlich dumm dazustehen, leitete ich mein Referat behutsam über zur Biographie meines Urgroßonkels, der in der Tat und familienhistorisch verbürgt einst nach Tanga in Deutsch-Ostafrika gegangen war und dort 1912, glaube ich, einem schwarzen oder irgendwie sumpfigen Fieber erlag. Der Kaiser ließ es sich nicht nehmen, meinem Urgroßonkel hierfür postum eine silberne Verdienstmedaille zu verleihen. Seine Hände zitterten dabei unübersehbar, was mir schlagartig in Erinnerung brachte, daß er nun auch schon überschlägig 130 Jahre das undankbare Reich regierte.

Nach all diesen Aufregungen wieder auf freiem Fuß, bzw. als die Wirkung der Kräuterzigaretten nachließ und ein ziemlicher Hunger-Flash aufkam, fiel es uns am späten Nachmittag schwer, das Erlebte nicht auch wieder unter die belanglosen Traumgespinste zu subsumieren. Fände ich nur die blöde Medaille wieder, die irgendwo in den Untiefen des Futters meiner Winterjacke verschwunden ist! – Aber wie gesagt, das Thema ist Afrika.

In meinem Viertel leben viele Schwarze, welcher Nation oder Ethnie im einzelnen weiß ich leider nie zu sagen. Manche sprechen französisch oder gut deutsch, seltener etwas extrem Hitzig-Kehlig-Gutturales, als hätten sie dicke, heiße Kartoffeln verschluckt und bäten einander nun verzweifelt um ein Schlückchen Wasser. Unter meinen multiethnischen Mitbürgern sind sie bei mir persönlich ehrlich gesagt die beliebtesten: Sie sehen gut aus, bewegen sich wie Halbgötter, haben die süßesten und intelligentesten Kids, hören korrekte Musik und sind überhaupt umwerfend cool. Ihre Kneipe hier ist das „Bistro-Café Paradiso“, ein äußerst karg, ja vereinsheimmäßig ausgestattetes, allerdings mit einem Bob-Marley-Poster einladend geschmückten Etablissement, in dem ausschließlich Schwarze verkehren. Und das bringt mich zu meinem Dilemma.

Ich würde das „Paradiso“ gern mal testen, ja, empfehlen und zum Beispiel demnächst bei der WM die Spiele der afrikanischen Mannschaften hier verfolgen, ich trau mich aber nicht hinein! Nicht, daß man mich abschrecken würde – die Männer machen alle einen freundlichen, fröhlichen und unglaublich entspannten Eindruck. Nie hört man böse Worte oder gar lautes Gebölk. Aber wenn ich jetzt da hineingehe und frage, ob man auch als Weißer Zutritt hätte, fühlen die sich vielleicht versch…pottet? Andererseits weiß ich aus meiner Zeit in Chicago, Illinois, daß es ganz schön blümerant werden kann, wenn man, sagen wir in South Side, als singuläres Weißbrötchen eine Schwarzen-Kneipe betritt und so tut, als sei nichts.

Infolgedessen, ärgerlich an meiner zähen Mixtur aus Neugier und Schüchternheit kauend, umschleiche ich den Laden erstmal, bis sich einer erbarmt und mich zum Ehrenneger ernennt. Immerhin hat mich auch schon der Kaiser empfangen! Ich berichte dann…

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Verliebt, verlobt, verpeinlicht: Bonner Knutschfleckchen heiratet Zonen-Urschel

5. Oktober 2009

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Direkt nach der Konfirmation hat der kleine Guido seine Mutti geheiratet. Trauzeuge Horst „Ödipussy“ Seemeier macht, was er als Chefdiplomat aus dem Land des Lächelns gelernt hat:  gute Miene zum blöden Spiel. Mutti hätte es ja auch schlimmer treffen können. Immerhin hat der Bub ja gute Anlagen (in Liechtenstein und der Schweiz, glaub ich) und in seinem Alter schon den schwarzgelben Gürtel im Krisen-Weggrinsen. Ein Lausbub, Laumann und Blaumacher von Format wird aus dem frisch verpartnerten Sympath mal werden, comme il faut und cosi fan tutte, Kameraden! Der seit kurzem onanie-abstinent lebende Jungjurist freit keine blonde Barbie mit Atomhupen, der läßt sich von oberflächlichen Sex-Äußerlichkeiten gar nicht erst geil machen, der greift sich lieber die solide abgehangene Maultrommel aus der Uckermark ab, die Kartoffel mit dem Pokergesicht (Royal Flunsch!), von der er mit Recht erhoffen darf, daß sie ihn samstagabends, wenn regierungsfrei ist, auch mal ordentlich stramm übers Knie legt. Erwartungsfroh strahlt das Arschgesicht schon mal über alle Backen. Wie ein kaputtes, notdürftig mit Tesa geflicktes, noch mal kurz „ans Netz“ gehendes Atomkraftwerk.

Hei, das wird bestimmt dann zünftig, scheint auch der Feld- und Wiesn-Freund Seebeißer zu schmunzeln, dem man eigentlich selbst Absichten auf Mutti nachgesagt hatte, nach dem er der ollen Urschel neulich vom Oktoberfest extra ein Lebkuchenherz mitbrachte bzw. ihr vor die Füße legte, wo draufstand, also auf dem Herz, nicht den Füßen, „Angelika du bist unsere Beste“ oder so ähnlich. Aber Horst Seemann lächelt tapfer. Als Diplomat kann er ja auch schlecht zum Juniorpartner und neuen Hausfreund sagen: „Warum grinst du Blödmann denn so verschwiemelt?!“ So etwas sagt ein Brautführer aus der Hauptstadt der Bewegung nicht. Daher kann der bengelhafte Spitzbub und verliebt in seine Zukunft winkende Außen-Ministrant in spe auch nicht antworten: „Ich freu mich so auf die Kohabitationsverhandlungen! Ich schätz, ich steh ganzganz kurz vorm ersten Koitus!“ Mutti pliert dazu wie gerade selbstbefriedigt in die Kamera und deutet mit den Händen an, wie groß die Welle ist, die der Guido machen kann. Ganz schön groß, oder? Und länger als Zonen-Urschels erste Banane im freien Westen!

(Für diesen unreifen Beitrag bitte ich um Entschuldigung. Ich weiß nicht, so kenne ich mich gar nicht. Was ist mit mir los? Warum mir zu diesen Nasen bloß noch Zoten & mühsam unterdrückte Obzönitäten einfallen, ist mir schleierhaft. Ich schätz, für Politik bin ich zu hohl, unernst, albern und oberflächlich…)

Irgendwie süß: Westerwelle wahrscheinlich ein Mensch!

30. September 2009
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Klein, aber Juhu! – Der designierte Dingsminister beim Onanieren erwischt! (Keinenglischkönnen ist doch nicht schlimm!)

Ich bin ja neurotischerweise nie gern bei der Mehrheit. Da bin ich etwas affig. Die Mehrheit macht mich nervös. Und was macht die Mehrheit sonst momentan? Das, was bisher mein erklärtes Steckenpferd war: Guido-Bashing ist der allerneueste Hype  im Netz, in den Foren, auf den angesagten Blogs. Guido Westerhase wird jetzt wahrscheinlich irgendwas, etwa Vize oder Außen, und alle sofort so: „Yeaahh!“.  – Das ist gemein! Gehässige Ironiker schießen sich gerade aufs Schiesser-Model Guido Westerwäsche ein! Ich meine, klar, FDP und so, da fällt vernünftigen Menschen-mit-Hirn der Kitt aus der randlosen Brille. FDP geht ja nun mal gaar nicht, und Westerwelle, omg! (...“Oh, mein Gott!“) Trotzdem: Ich denke hingegen kurz mal quer und um die Ecke: Ist er denn nicht aber  irgendwo auch … – süß?

Mein differenzierungsfroher Sinneswandel hat folgenden Grund:  Ich habe den Verbalmüll dieses Mannes ja stets für eine Zumutung gehalten und das arrogant-schnöselig-peinlich-dummdreiste Herrenlaberhandtäschchen aus aknegenarbten Nobelleder für einen elend-unsäglichen Rhetorikkasper, dessen semipolitischen Lautsprechereien – immer im Westerwellenschliff messerscharfer  Auftrumpfgrandezza gehalten! – ungefähr so geistvoll wirkten, als hätte der Mann den Schwarz-gelben Gürtel in Sudoku.

Es verhält sich aber alles eventuell ganz anders, weil Guido nämlich wider Erwarten DOCH eine menschliche Seite hat! Wie? Guido W., der berühmteste Android der Nukleus-6-Klasse – ein … Mensch? Und kein Replikant? Jaa! Das Menschliche am Guidomobil ist nämlich, und das ist wohl süß: Er kann kein Englisch! Hihi! Wie niedlich! – Eigentlich ist das doch gar nicht ehrenrührig! Würde mich z. B., gäbe ich Pressekonferenzen, plötzlich ein ausnehmend zierlicher, latte-macchiato-farbener Journalist aus der Namib-Wüste in der geheimnisvollen namibischen Klicksprache der X!hosa! ansprechen, würde ich vielleicht auch hilflos-doof, verzweifelt herumrudernd und pampig  herumeiern, halb hilfeheischend, trotzdem auch etwas trotzköpfig andeutend, ich sei dieser extrem irren, kaum nachzumachenden Klick-Kick-Knix-Sprache der Busch-Leute nun mal nicht mächtig, und das sei auch gut so! Bon, bzw.: gut. – Aber Englisch? Das saugt man doch mit den Pampers auf, oder? Das kann doch irgendwie jeder, schon aus dem Radio oder wegen diesem dauernden Werbe-Denglish! – Tja, Guido aber mal eben leider nicht. Bums, aus, basta! So what? („Na und?“) Hat man als Außenminister vielleicht Dolmetscher zur Verfügung, oder was? Ich muß doch als Schwarzgelb-Verschieber, Steuerhinterzieher oder Versicherungsbetrüger auch nicht Jura studiert haben, um vor Gericht gestellt zu werden!

Daß jetzt hunderttausend Kleingeister, die das Ti-Äitsch beherrschen, sich euphorisch beömmeln, bloß weil sie irgendetwas besser können als Herr Dr. jur. Guido Westerwelle (Mr Westwave, Esq.), finde ich verständlich, aber wenig sympathisch. Anyhow, I felt in love with Guido (= „gleichviel, ich fiel mit Guido in die Liebe“), als ich auf YouTube vorgeführt bekam, wie der fernstudierte Überflieger und Teleakademiker durch eine simple, von einem britischen Journalisten auf Englisch gestellte Frage aber auch schon dermaßen aufs Bodenpersonal reduziert wurde, daß er beinahe zu weinen anfing! War das nicht süß? Doch, wohl, das war süß!

Plötzlich mutierte die übermäßig vorlaute Streber-Hackfresse zu einem maulaffig-verheulten, innerlich kurzbehosten Schulbuben, der des Hausaufgaben-Vergessenhabens überführt wurde: Halb pupertätsrotzig, halb schmollmundig schuldbewusst verrutschten und entgleisten ihm sämtliche teilprivatisierten Gesichtszüge, will sagen, setzte er ein Gesicht auf genau wie damals, als ihn Mutti beim Onanieren erwischt hatte; die kleinen verschlagenen Blauäuglein hinter der Panzerglasbrille huschten panisch wie Guppies auf Brautschau nach Eingebung suchend im Saal umher, Schweißperlenketten umkränzten in Sekundenbruchteilen die quergestreifte Stirn, schamgepeinigt rollte sich der schweiß-gelbe Schlips, das sonst so freche Beißschnütchen öffnete und schloß sich karpfenhaft lautlos, und dann … dann erlebte man ein überaus seltenes Naturschauspiel: Ein Teil des Gehirns („Projekt 18%“!) von Mastermind Wüsterwille fängt notgedrungen an – zu arbeiten!! Man kann das sehen! Man sieht es! He-she-it works! Knarrend und ächzend beginnen sich die Zahnräder zu drehen, mit durchdringendem Quietschen setzt sich die schwergängige Synapsen-Spieldose in Bewegung, lautlos formen sich Worte, werden buchstabiert, tonlos nachgesprochen, verworfen, dann neu formuliert… Man schluckt, sammelt Speichel, Verzeihung, Mund ist so trocken! Oha. Gleicht kommts ihm! Ein Gedanke, ein Ideelein, ein Schimmer-Tierchen. In atemloser Spannung verfolgt die Bundespressekonferenz den rekordbrechenden Denkversuch des Guinnes-Preisträgers! Fünfhundert polyglotte Ohren spitzen sich aufs äußerste: Kommt da noch was? Ja!

Nach quälend anhaltendem Hirnknistern, -knastern und -knuspern krächzt aus dem plötzlich 30 Jahre jünger wirkenden Bübchen-Gesicht, dessen Miene sich dabei zu einem irgendwie Uhu-verschnüffelten, wattig entrückten Übersprungsgrinsen verzieht, ein entschlossenes „….Ääähh…“ heraus. „Well…“ übersetzen die Dolmetscher schon mal. Aber der Außenminister-in-spe („in guter Hoffnung“!) ist noch nicht fertig mit der Pressemeute. Die kriegts jetzt nämlich rhetorisch so fett aufs Butterbrot geschmiert, daß die Schwarte kracht: „…äh….äh… wir sind hier ja, ja, in … äh… Deutschland, und da…, äh…, da sprechen wir Deutsch! Sie da, daheim, Sie sprechen ja da zuhause bei sich ja auch englisch!“ Gut gekontert, finde ich, eloquent und gnadenlos logisch. Seit Hitlers V2 hat keiner mehr dem perfiden Albion gezeigt, wo… dings, äh… („Don’t mention the war!“)

Die Situation ist hochnotpeinlich peinlich, aber erstmal gerettet. Doch hinter Guidos schweißsalbaderter Stirn irrlichtert und nachgewittert es noch. Pinball Wizzard! Es googelt rastlos durch die Synapsen. Guidolein ist ja nicht dumm. Na ja, gut, jedenfalls nicht soo dumm. Daß das jetzt kein Triumpf des Westerwillens war, ahnt er. Irgendwie kommt ihm das Gefühl bekannt vor. Wenn er das Wort kennen würde, würde er es einen Déja vu nennen. Ungefähr so hat er sich kürzlich gefühlt, als seine Rechtsanwaltseltern ihm die Hypothekenschlampe, quatsch, Immobilienmaklertochter als Braut ausgesucht hatten und er gestehen mußte, bereits mit einem Mann verheiratet zu sein. Erwi-hischt!

Ich finde das irgendwie süß. Meine schwulen, intellektuellen Freunde sagen das immer, wenn sie etwas oder jemanden besonders unsäglich finden: „Aber … ist doch irgendwie auch schon wieder süß, oder?“

Nach der Wahl: Schwarz-Geld siegt!

28. September 2009
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Prost Pamp-Ganz! Von der Mitte...

 

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… zum Sack, zack zack!

Sehr verpeilte WählerInnen! Es folgt eine harte, aber verdiente Wählerbeschimpfung. Ihr habt ja wohl ein Rad ab! Das ist nicht euer Ernst, Leute. Ihr habt euch doch verwählt, Mensch! Diese ausgekochten Rosstäuscher und stellvertretenden Karriereleiter sollen euch durch die Krise tragen? Die schubsen euch noch, ihr werdets sehen! Die werden euch ausziehen, würgen, betuppen, vermöbeln, enterben, abziehen und -zocken, ja sogar ausbeinen und abkochen, daß eure Schwarte kracht! Lebendig ausweiden werde die euch, eure Kinder werden sie kaltherzig zum Schuldenabbau als Soldaten nach Amerika verkaufen und die rachitischen Beinchen eurer Enkel werden dennoch unter astronomischen Schuldenlasten zerbrechen. Erst biegen, dann knicken, dann brechen! Lauscht auf das jetzt schon anschwellende winselnde Jammern eurer unschuldigen, zarten Enkel! Ihr habt sie auf dem Gewissen!

Und DAS habt ihr gewollt, mehrheitlich? Man glaubts nicht: Ausgerechnet die nuklearwarnfarbene Wespenkoalition, schwarz-geld, mit der ollen Backbremse Merkel als verbeamteter Diplom-Türstopperin und seiner Unsäglichkeit Guido Lüsterklemme als Schließmuskelmann im Inkompetenz-Center. Wenn ich des selbst-beseligten Triumphal-Grinsens dieses geölten Blitzdurchfall-Schlehmils und präpotenten Herrenausstattergehilfen ansichtig werde, steigen in mir  grün-gallige Westerwellen der Übelkeit auf.  Sagt mal – geht’s noch? Da stehen euch nun schon bummlig über 20 Parteien zur Auswahl, von Bunt über Blöd bis Bibel, – und ihr wählt ausgerechnet die FDP, die Partei der Zahnärzte, Mafia-Anwälte und Golfplatz-Betreiber? Und das, wo selbst die Tierschutzpartei mehr Wirtschaftsverstand und Mitmenschlichkeit besitzt? Ihr seid doch nicht mehr zu retten, ihr seid verloren, wisst ihr, euch hat der Antichrist schon im Sack! Aber mindestens fünfzehnprozentig!

In meinen feuchten Albträumen seh ich das Dreamteam schon öffentlich intim werden: die ignoranzige Schnutenpute aus der ehemaligen doofen Ostzone und das flutschig-flotte Gleitcremeschnittchen aus der Bonner Arroganztagsschule, den famosen Steilkarrieregeneral Vicômte de Vaseline, den Ölprinzen und antibakteriellen Ätzrhetoriker aus der Kabelschmiede künftiger Krawattenmänner des Jahres. Die Schnöde und der Biest. Mörkl und Wetterwende. Örx! Rumpf-Rapunzel heiratet den rammeligen Rumpelstenz und halb Deutschland liegt sich hirnbeschwipst in den Armen, um sein eigenes Verderben zu feiern. Lassen wir eben weiter anschreiben und studieren neue Abschreibemodelle. Wenn wir Glück im Unglück haben, wird der spaßmobile Marktlibero Guido („Sein Hobby ist Lobby“) bloß Außenminister. Wir sind ja eh schon Weltmeister in internationaler Blamage. Und jetzt dann eben mit neuem luftgekühlten Lautsprechersystem. Da kann sich die Welt klimawarm anziehen, da ist was im Anzug! Ein wohlparfumiertes Einstecktüchlein nämlich, das sprechen kann, aber hoffentlich nicht auswendig, sondern immer schön der inwändig implantierten Spieldose nach. Und es wird ein Befremden über die Welt ziehen, kühl wie FCKW und gähnend wie ein Ozonloch: Deutschland, das gehasste, gefürchtete und beneidete Land der dicken Kartoffeln, erfindet sich neu und materialisiert sich als Föhnwelle mit Sprühfestiger. Wir setzen auf die Auftrumpfkarte: Null ouvert! (Na ja, vielleicht ja der richtige Chefdiplomat für eine Weichei-Armee, in der Soldaten, wenn ein Taliban sie im Bazar finster ansieht, eine postraumatische Belastungsstörung bekommen.)

Im Ernst: Fragt ihr euch denn gar nicht, wer euch demnächst von der Wand kratzen soll, gegen die euch dieses unselige Prinzenpaar der semi-politischen Narrenzunft fahren wird? Wenn ihr schon vor Tod, Teufel und dummem Geschwätz, den drei apokalyptischen Reitern aus Berlin, keine Angst habt, fürchtet ihr euch denn wenigstens vor Verarmung, Verblödung und Verstrahlung? Oder beruht eure Wahlentscheidung auf unverbrüchlich-beinhartem Gottvertrauen? Seid ihr gegen Studiengebühren, Steuererhöhungen, Kostenexplosion im Krankheitswesen, gegen Bankenkräche und Börsen-Baissen irgendwo versichert? In welchem medien-ästhetischen Abhärtungs-Camp habt ihr euch stählen lassen gegen die zu erwartenden Pressekonferenzen und Parlamentsreden des gelierten Herrentorts und seiner Plaste-Pampganz und Chef-Mutti?

Habt ihr, Wahlvolk, euch IRGENDWAS GEDACHT bei eurer Wahl? Ihr habt vier Jahre Zeit, mir das zu erklären; bis dahin ist mein Vertrauen erstmal erschüttert. Die Verachtung eines Unpolitischen: Ihr habt sie euch selbst zuzuschreiben! Ich überdenke nun die Option, eine Diktatur anzustreben, für die ich mich als Machtmensch zur Verfügung stellen würde. Ich verspreche euch: Dann wird aber das richtige Wählen geübt, bis die Finger bluten! – 

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"Gestatten, ich bin ein Telefant, Madame..." - Das Meckpommernpumpel und ihr Brandenburger Tor.

Vor der Wahl: Deutschland ein Wackelbild

26. September 2009
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Das Frank-Angela oder die Steinmerkel: Es kommt uns so oder so.

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So fing sie mal an: "Drei Tage Bonn inkl. Fahrt in einer echten Politikerlimousine"

Wie nicht ganz bei Groschen wackele ich seit Tagen hypnotisiert mit dem Kopf. Vierzig Grad, fünfundfünfzig Grad, und wieder zurück. Lentikularfolie. Wackelbild. Der SPIEGEL hatte diese Woche so ein Ding auf dem Titel kleben: Man sieht einen nachgemachten, pseudo-barocken Sessel in einer Art blühender Photoshop-Landschaftskulisse  stehen, und darauf thront, je nach Blickwinkel,  entweder Dr. Acula Merkel (40°) oder der charismatische Aktenautist Frank-Willi Steinhäger (55°). Es handelt sich nämlich um den berühmten Bundeskanzlerthron auf der grünen Reichtagswiese, auf dem wir ja alle gern Platz nähmen, um uns mal als echter Märchen-König von Deutschland zu fühlen, oder wie Alfons der Viertelvorzwölfte von Lummerland. Jedenfalls, egal, darüber steht als Headline: „Es kommt so..“ (40°) bzw. „… oder so“ (55°). Wahlweises Wackelgedackel: Das Frank-Angela oder die Steinmerkel. Wenn man aus ca. 48, 49° guckt, hat man ein vexiervermischt gedopppeltes Hybrid-Moppelchen, das irgendwie an Helmut Kohl erinnert und an hundert Jahre Langeweile. Wie wahl!

 Damit trifft das Nachrichtenmagazin den wetterwendischen Wackelwähler präzis auf den Kopf (obwohl beim SPIEGEL-Titel der kümmerliche Pointenfurz erst abschnarcht, wenn man das Wackelbild ablöst…). – Genau! Es kommt so oder so! Und das ist kaum spannender, als wenn in China irgendwo ein Bild schief hängt. Daß die „Kandidaten“ nur jeweils verwackelte Vexierbilder voneinander sind, war unser Eindruck ja auch schon seit längerem. Frank-Verwalter Steinmeier ist ja bloß der Merkel ihre Kehrseite! Beide „können Kanzler“, kräht der böse Clown aus der Wortspielhölle. Dabei können beide noch nicht mal Politik. Das ist nicht ihre Schuld; der eisgraue Aktenfresser („Oile“) aus dem Hundert-Morgenwald ist im Grunde ein harmloser Mann, dem ich meinen insgeheim gehorteten Vorrat an 100-Watt-Glühbirnen zur Aufbewahrung anvertrauen würde, und die Uckermärkische Spinatwachtel mit dem Pampgun-Gesicht ist ja in Wirklichkeit auch bloß eine Hausfrau, die früher mal im Preisausschreiben „drei Tage Bonn inkl. Fahrt in einer echten Politikerlimousine“ gewonnen hat und dann einfach vergaß, wieder nach Hause zu fahren.

Man soll nicht immer Ressentiments gegen Politiker schüren: Die tun doch nix. Die wollen bloß spielen. Ihr Spiel hat den barocken Titel: Wir haben im Grunde keine Ahnung, woran wir da herumfummeln, aber wir retten qua angeborener Kompetenz jetzt erstmal die Weltwirtschaft, ferner das Weltklima, das System der Rentenversicherung, das kranken Gesundheitssystem, den Frieden in Afgähnistan und alles weitere, und zwar mit Mitteln, die sich seit 40 Jahren schon nicht bewährt haben, aber was sollnwa machen, wir ham ja sonst nix. Wir fahren die Karre an jede verfügbare Wand, machen dabei aber ein triumphierendes Gesicht. Die Kunst der Politik in der Mediengesellschaft: Hauptsache, man verkauft, was überraschenderweise herausgekommen ist, als genau das, was man gewollt hat hat.

 Es kommt so oder so. Es kommt, wie es will. Es kommt, wie es kommt. Und alle so: „Yeaahh!“

 Pathetisch packt mich ein Bürgerlich-Sentimentaler am Sakko-Knopf: Wenn du nicht wählen gehst, verschmähst du die heilige Errungenschaft demokratischer Freiheit! Bürger beachteiligter Länder, denke nur an Iran, würden sich alle sechs Finger danach lecken, freidemokratisch wählen gehen zu dürfen! – Mich erinnert das immer an meine Kindheit: „Andere Kinder, denke nur an Indien oder Afrika, wären froh, wenn sie deinen Spinat hätten!“ (Und ich immer so, im Kopf: „Ich auch!“) – Auch Elli, die Hausbesorgerin, teufelt in diesem Sinne auf mich ein: Herr Kraska! Sie MÜSSEN WÄHLEN gehen! Sonst kriegen Ihre Stimme DIE ANDEREN! beschwört sich mich mit eindringlichem Blick. Auf meine verblüffte Rückfrage: „Welche ANDEREN denn?“ schweigt sie vielsagend, oder, nach der Rechtschreibereform: viel sagend.

 Abgesehen davon, daß ich befürchte, die Systeme, die über unser Schicksal entscheiden (globale Ökonomie, internationale Finanz-Märkte, Weltklima, Energieressourcen-Verteilung, geopolitische Weltmachtinteressen etc.) könnten bei weitem zu kompliziert und strukturbedingt eigendynamisch sein, um sie noch mit den Mitteln herkömmlicher, klassisch nationaler repräsentativer Demokratie steuern zu wollen, hab ich den Eindruck, der imaginäre Wähler, der den Wackelkandidaten vorschwebt, ist auf jeden Fall über fünfzig und dynamischer Frühsenior, der sich vorgenommen hat, wenn wir von der Wanderfahrt in den Harz zurückkommen, mach ich da mal an der Volkshochschule so einen Kurs über Internetz. Mal sehen, was da so drinsteht. – Die impertinente Ahnungslosigkeit und backpfeifig dumm-stolze Ignoranz, mit der Frau Dr. Merkel die Probleme, Interessen, Kompetenzen und Zukunftssorgen der heute 25-bis 35-jährigen  übergeht, wird sich irgendwann rächen, schätz ich. Vielleicht schon am Sonntag? Ach ja, „moine jungen Froinde aus dem Internetz“ dürfen ja schon wählen! Yeaahh!

 Wie ich mich kenne, lasse ich mich am Ende doch wieder breitschlagen und mach zwei Kreuze. Und da ich mich ziemlich gut kenne, glaube ich, das erste Kreuz mach ich bei den Grünen, wenn auch mit einem Gesicht, als hätte ich in einen zugleich sauren, faulen und verwurmten (und daher auch viel zu teuren!) EU-Norm-Bio-Apfel gebissen, einen Apfel, der höchstwahrscheinlich ziemlich weit vom Stamm des Baumes der Erkenntnis gefallen ist. Das zweite Kreuz schenk ich den Piraten, nehme es ihnen allerdings gleich wieder weg, sobald sie tatsächlich eine Partei werden. „PiratenPARTEI“ ist ja wohl das doofste Oxymoron nach „Verein der Vereinsgegner“!

 Ich glaube nicht, daß Sonntag ein weichenstellender Schicksalstag für Deutschland sein wird. Es kommt so … oder so. Wahrscheinlich aber noch ganz anders. 

Heute in der Kanzleramtskantine: Blitzauflauf

24. September 2009

Gestern late-night-comedy mit YouTube, und ich so: multitasking-mäßig voll überfordert! Gleichzeitig irre kichern, Kopf schütteln, flache Hand vor die Stirn schlagen, Haare raufen, lachen, weinen, spotten und schimpfen – das gibt Salat! Aber den reiche ich dann meinen überraschend eintrudelnden Gästen zum Blitzauflauf. So übersetzen nämlich Tom Buhrow und seine sechs Mitzwerge hinter den ARD-Bergen bei den „Tagesthemen“ den Begriff Flashmob.

Wenn schon Frank-Werner Steinbeißer wirkt wie der Merkel ihr verschwiegerter Schwippschwager, dann muß ARD-Ankermännchen Tom Buhrow ihre illegitime Schwousine verschärften Grades sein. Diese backpfeifengesichtige Strunzdummheit frisch gestärkt und kess über die Stirn gebügelt, das verdruckst mopsige, debile Dreistigkeitsgrinsen halbschief in die Backen gedübelt, von Maskenbildner und life-Photoshoppern dann doppelfett übertuscht und blank gespachtelt, strahlen jedenfalls beide Kartoffelnmasken exakt die gleiche blickdicht verrammelte, unbelehrte und unbelehrbare, kackfrech auftrumpfende Ignoranz und Imbezilität in die Kamera, von der sie allen Ernstes wohl glauben, es käme bei volxnahen Kreisen so als „Souveränität“ und „Gelassenheit“ rüber. Oh my god.

Die „Kanzlerin“, für die ich früher irgendwann mal sogar für Sekunden so etwas wie eine flüchtige Sympathie empfand, heißt eigentlich Angela Igel: Weil, genau, sie ist immer schon da. Sie hat ersichtlich nicht den geringsten Schimmer, wie das nun wieder alles da zusammen hängt mit diesem Flashmopps und den Spaßpiraten (Frank-Wolfgang Steinhäger sagt immer „Internetz“ dazu), aber sicherheitshalber steht sie schon mal über den Dingen. Säuerlich süffel-süffisant lippenspitzig flötet sie „moine Froinde aus dem Internet“ an, obwohl sie ja da nun noch nie war und zu Menschen unter fünfzig nur Kontakt hat, wenn sie beim Bad in der Masse dargereichte Kinder (ganz junge Union) knutscht, aber die smarte Hausfrau aus der Uckermark weiß schon mal, daß „die jungen Leute aus dem Internet“ mal besser „was fürs Leben lernen“ sollten, und zwar, man glaubt es nicht, indem sie Merkels Slow-Brain-Slogans „besser mal zuhören“ tun. Oha, ja. Götter! Helft mit Blitzen! Man schaue der „Kanzlerin“ im Video, diesen Quaak den Wuppertalern um die Ohren pampend, mal ins Gesicht: Die wie endgültig erloschen plierenden Augen, die mühsam gegen die Schwerkraft kämpfenden schlaffen Hänge-Wangen, die Klappmundwinkel, die bei solchen humorig-überlegenen Sprüchen in die Lächelpose gezurrt werden, für Sekunden (Flashsmile!) – MeineDaamunnherrn: Ihre Unsäglichkeit, Majestät Kretineska I. bittet das Volk zum Blitzauflauf. Eine Produktion der Murksburger Puppenkiste.

Ums mal im O-Ton zu bringen: Wir dürfen „fürs Leben“ etwa folgende Weisheitsperle auf die Zunge legen und „lernen“: „Wachstum schaffen! Weil Wachstum Arbeit schafft!“ In Wuppertal skandiert der Flashmob dazu begeistert „Wachstum! Wachstum! Wachstum!“ und klatscht dazu in die Hände wie eine lustvoll beseligte Gruppe durch Down-Syndrom herausgeforderter Ausflügler auf Exkursion im Narrenmuseum. Jedenfalls ICH wenigstens fühlte mich genauso. Am liebsten tät ich nämlich auch mit, wär doch als Abschluß des Wahlkampfes super: Wir fassen uns alle an den klebrigen Patschehändchen, ja, auch da hinten der unselige Pummel da im spacken, froschgrünen Blazer („Aach? DAS ist „die Kannzelerin“?), und dann tanzen wir um ein kleines goldenes Kälbchen immer im Kreis herum und rufen diesem ermutigend zu: „Wachstum! Wachstum!“

Am Samstag, in Berlin, der Hauptstadt der Bewegung, wär noch Gelegenheit. Die CDU zelebriert ihren cerebralartistischen Wahlkampfklimax dort. Die Kanzlerin kommt auch. Kommt schon wieder. Und alle so: „Yeaahh!“? Doch, ich glaub schon. Auf das Internetz ist Verlaß. Da lernen junge Leute fürs Leben.

Meine Idole (2): Robert Walser

12. Juni 2009
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Sprachmagier und Verkleinerungskünstler: Robert Walser 1878 - 1956

Wer schimpft, weil dieser Aufsatz ihm zu lang ist, der kann entweder nur die blauen Zeilen lesen (mein Text), oder nur die lilanen (Texte von Robert Walser), dann gehts etwas schneller…

Ein kalter, schneereicher Weihnachtssonntag vor 52 Jahren. In der Psychiatrischen Heilanstalt Herisau wartet ein langjähriger Insasse vergeblich, daß ihn sein Freund und Vormund zum regelmäßigen Spaziergang abholt. Schließlich macht sich der zarte, zerbrechliche alte Mann im abgetragenen Anzug allein auf, legt den Schal um, nimmt den Hut und geht in den Schnee hinaus. Der Schlußakt eines langen Verschwindens: Der Großmeister taoistischer Selbstverkleinerung hatte sich schließlich, schweigend und klaglos, ins Nichts begeben. Man findet seinen Leichnam in einer Schneewehe, seine zagen Spuren schon halb verwischt, als hätte das Weiß einer leeren Seite schließlich die Spuren der Schrift verschlungen, endgültig.

Nachrufe erscheinen keine. Der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neben Franz Kafka wohl größte Künstler deutscher Kurzprosa, der Poet, Humorist, Ironiker und unvergleichliche Sprachmagier Robert Walser stirbt, ohne daß die Welt davon Notiz nimmt. Man hatte ihn längst vergessen. Der Schweizer, der zwischen 1908 und 1933 mehr als zweitausend funkelnde, zauberhafte “Prosastückli”produziert hatte, dazu drei traumschön-melancholische, abgründig komische und ironisch-tiefsinnige Romane, überdies zahlreiche gekonnt verhauene und verhuschte Gedichte, Dramolette, Szenen, Meditationen, dieser scheinbar unerschöpflich kreative Vielschreiber und Sprachtheater-Magier verstummte 1933 für immer. 1944 sagt er rückblickend: »Meine Welt wurde von den Nazis zertrümmert. Die Zeitungen, für die ich schrieb, sind eingegangen; ihre Redaktoren wurden verjagt oder sind gestorben. Da bin ich ja beinahe zu einem Petrefakt geworden.«

Ein versteinertes Fossil blieb er nicht; die 70er Jahre feierten seine Wiederentdeckung; heute kann man, staunend, schmunzelnd, kopfschüttelnd, und wenn man vom Fach ist, neiderfüllt, seine meisterhaften Miniaturen, Glossen und Meditationen lesen und in aller Bequemlichkeit süchtig werden nach dem skurrilen Charme dieses verschrobenen Meisters.

Das eher unscheinbare literarische Genre, das Walser zu ungeahnten Höhen führt, ist die von ihm zärtlich als»Prosastückli« bezeichnete Kurz- und Kürzest-Prosa. In den dreissig Jahren bienenfleißiger Produktion entsteht diese ganz eigentümliche poetische Prosa-Welt aus ironisch gebrochenen Idyllen, künstlich auf »altklug« frisierten Meditationen, szenischen Sprachgrotesken und absurden Trivial-Dramoletten, aus hochkomischen Alltagsbeobachtungen, sehr speziellen Reise-Skizzen und allerhand kauzigen Besinnungsaufsätzen, ferner pseudo-naiven und skurrilen Nacherzählungen von Werken der Weltliteratur oder auch Groschentrivialromanen und Kintopp-Rührstücken, außerdem fiktiven Briefe, Szenen, Porträts realer oder fiktiver Personen, – eine nicht abreißende, endlose Flut kleiner und kleinster geistsprühender Meisterwerke, oft nicht mehr als ein oder zwei Buchseiten lang, deren Lektüre in der Tat süchtig zu machen imstande ist, sofern man einen etwas subtileren Humor hat.

Robert Walser, 1878 in Biel geboren, zog es nach kurzer Schulzeit und abgebrochener Banklehre aus der Schweizer Provinz in die große Welt. Er folgte seinem Bruder Karl, der eine Karriere als gefragter Graphiker, Maler und Buchillustrator begonnen hatte, erst nach Stuttgart, dann nach Berlin, wo er selbst erste Gedichte und Prosa-Texte, dann seinen Erstlingsroman veröffentlichte. Im Windschatten seines Bruders gerierte sich Robert im großbürgerlichen Berlin mit Kniehosen, Trachtenjoppe und wildem Haarschopf als eine Art Schweizer Hirtenbüebli und literarisches Naturburschen-Wunderkind, als eine Landei-Rarität mit Esprit und Witz, verstrubbelt, naiv und frech, eine belustigende Kuriosität in den Bildungsbürger-Salons etwa der kultivierten jüdischen Verleger, Kunsthändler und -Kulturmagnatengebrüder Bruno und Paul Cassirer, in denen Robert bald wie Karl zu Gast ist. 
Hört mal von einem Dinner, das er dort selbst besucht, erlebt und, wenn man so sagen darf, in typischer Manier »ver-walsert« hat ( – man lese seine Texte laut, langsam, mit schweizerischer Bedächtigkeit und, wenn man kann, mit Schweizerakzent, – am besten einem möglichst bedächtigen, langfädigen und knarzigen, mit viel Kehllauten und Rachenkrächzern, oder?)

“O, in Gesellschaft zu gehen, ist gar nicht so ohne. Man zieht sich hübsch an, wie es einem die Verhältnisse, in denen man vegetiert, gestatten und begibt sich an Ort und Stelle. Der Diener öffnet gleich die gastliche Pforte. Gastliche Pforte? Ein etwas feuilletonistischer Ausdruck, aber ich liebe es, mich im Stil kleiner Tagesware zu bewegen. Ich gebe mit soviel Manier, als ich kann, Hut und Mantel ab, streiche mein ohnehin glattes Haar vor dem Spiegel noch etwas glätter, trete ein, stürze mich dicht vor die Herrin des Hauses, möchte ihr die Hand gleich küssen, gebe indessen diesen Gedanken auf und begnüge mich damit, eine vollendete (?) Verbeugung vor ihr zu machen. Vollendet oder nicht, vom geselligen Zug hingerissen, entfalte ich jetzt eine Menge Schwung und übe mich in den Tönen und Sitten, die zu den Lichtern und Blumen am besten zu passen scheinen.

»Zum Essen, Kinder«, ruft die Hausfrau aus. Schon will ich rennen, ich erinnere mich aber rasch, daß man so etwas nicht tun soll und zwinge mich zu einer langsamen, ruhigen, stolzen, bescheidenen, gelassenen, geduldigen, lächelnden, flüsternden und schicklichen Gangart. Es geht vortrefflich. Entzückend sieht mir da wieder einmal die Tafel aus. Man setzt sich, mit oder ohne Dame. Ich prüfe das Arrangement und nenne es im stillen ein schönes. Wäre noch schöner, wenn einer wie ich irgendetwas an der Dekoration auszusetzen hätte. Gottlob, ich bin bescheiden, ich danke, in dem ich jetzt zugreife, zugable und messere und löffle und esse. Wunderbar schmecken einem gesunden Menschen solch zartsinnig zubereiteten Speisen, und das Besteck, wie es glänzt, die Gläser, wie sie beinahe duften, wie sie freundlich grüßen und lispeln. Und jetzt lispelt auch schon meinerseits eine ziemlich ungenierte Unterhaltung. Nimmt mich bald einmal selber wunder, wo und wie ich’s hernehme, dieses Weltbetragen, derart Essen zum Munde zu führen, und dazwischen parlieren zu können.

Wie doch die Gesichter purpur anlaufen, je mehr Speisen und Weine dahergetragen werden. Schon könnte man satt sein, wenn man wollte, aber man will nicht, und zwar in erster Linie aus Schicklichkeitsgründen. Man hat weiter zu danken und weiter zu essen. Appetitlosigkeit ist eine Sünde an so reichbesetzten Tischen. Ich gieße immer mehr flüssige und leuchtende Laune in die allezeit, wie es scheint, durstige Kehle herunter. Wie das anhumort. Jetzt schenkt der Diener auch noch aus dicken Flaschen schäumende Begeisterung ein… Und nun prosten alle, Damen und Herren, einander zu, ich mache es nach, ich geborener Nachahmer. Aber stützt sich nicht alles, was in der Gesellschaft taktvoll und lieblich ist, auf die fortlaufende Nachahmung? Nachahmer sind in der Regel glückliche Kerls, so ich. Ich bin in der Tat ganz glücklich, schicklich und unauffällig sein zu dürfen. Und jetzt erhebt sich der leichte Witz, die Zunge wird lose, das lachende Wort will jedesmal an die sorglose, süße Ungezogenheit streifen. Es lebe, es lebe! Wie dumm! Aber das Schöne und Reiche ist immer ein ganz klein wenig dumm. Es gibt Menschen, die plötzlich lachen müssen beim Küssen. Das Glück ist ein Kind, das ‘heute’ wieder gottlob einmal nicht zur Schule gehen braucht. Immer wieder wird eingeschenkt, und das wie von unsichtbarer Geisterhand Eingegossene wird hinuntergeschüttet. Ich schütte geradezu unedel hinunter. […] O, ich freue mich über das alles, ich Proletarier, was ich bin. Mein Gesicht ist ein wahres, hochrotes Eßgesicht, aber essen Aristokraten etwa nicht auch? Es ist dumm, allzu fein sein zu wollen. Die Eß- und Trinklust hat vielleicht einen ganz aparten feinen Ton des Umgangs. Das Wohlbefinden bewegt sich möglicherweise noch am zartesten. Das sage ich so.

Was? Auch noch Käse? Und noch Obst und jetzt noch einmal einen See von Sekt? Und nun steht man auf, um vorsichtig nach Zigarren angeln zu gehen. Man spaziert durch die Räume. Welche Weltsicherheit. In reizenden Nischen setzt man sich ungezwungen und eng neben die Damen nieder. Alsdann, um es nicht ganz zu verlernen, schritthüpft man zu den Likörtischen, um sich in Wolken von Genüssen von neuem einzuhüllen. Der Herr des Hauses scheint fröhlich. Das genügt, um sich wie sonnenbeschienen vorzukommen. Lässig und witzig redet man zum weiblichen Geschlecht, wenn man kann. Immer zündet man sich neue Zigarettenstangen an. Das Vergnügen, einen neuen Menschen kennen zu lernen, tippt einem an die Stirne, kurz, es ist ein beständiges, gutes, dummes, behagliches Lachen um einen herum. […] Gewöhnt an das Schwelgen, bewegt man sich mit einer behäbigen Sicherheit und mit dem Mindestmaß an Formen im Glanz und im Menschenkranz einher, daß man leise und glücklich staunen muß, es im Leben so weit gebracht zu haben. Später sagt man gute Nacht, und dem Diener drückt man mit Gewicht sein in mancherlei Hinsicht redlich verdientes Trinkgeld in die Hand.”

Solche Szenen, mag ihnen Selbsterlebtes oder Phantasie zugrunde liegen, zeigen neben scharfer Beobachtungsgabe vor allem die enorme mimetische Wendigkeit der Walserschen Sprache. Auf engstem Raum kann er ein Gewirr von Stimmen entstehen lassen, mit Idiomen, Jargons und Nuancen spielen, Abschweifungen sich verlaufen lassen, in beliebige Rollen schlüpfen, Kanzlei- und Kontordeutsch mit Trivialkitsch und Zeitungsphrase mischen, gekonnt unbeholfene, nachgerade unglaublichste Satzgetüme -hervordrechseln und -schnörkeln, und immer, wirklich immer beschleicht den Leser dabei das leise Gefühl, von Walser ein wenig verulkt und veralbert zu werden, auch wenn man zuweilen gar nicht recht weiß, woran man das festmachen soll. Diese omnipräsente und doch irgendwie schwer greifbare Ironie kultiviert Walser mit Bedacht und er amüsiert sich ungeniert und maliziös über die Kritiker, die sich hierdurch verwirren lassen, wie etwa in folgendem Gesprächsbericht:

»In Bezug auf meine Schriftstellerei vertraute er mir mit einer belachenswerten Gebietermiene und -stimme an, er vermöge nicht klug daraus zu werden, er begreife jedesmal nicht, ob ich es ehrlich mit meiner Sprechweise meine oder nicht. Er weiß also nicht recht, ob er mich für aufrichtig oder für unaufrichtig halten soll, womit er natürlich weder seiner Intelligenz noch seiner Gemütsart das allerbeste Zeugnis ausstellt.

‘Du sollst dichten und schreiben, mein Lieber, daß es mir leicht einleuchtete’, besaß er mir gegenüber die Unverfrorenheit, zu beantragen. Es ist klar, daß mir der Antrag als eine Lächerlichkeit vorkam… ‘Da du’s zu etwas brachtest, so sei doch ruhige. Erfreue dich deines Eszuetwasgebrachthabens’, erwiderte ich und meinte ihn besänftigen zu müssen, doch er mißtraute mir, wie er mich auch jetzt noch in der denkbar ausgedehntesten Art und Weise mit seinem Mißtrauen bekränzt, krönt, schmückt und auszeichnet.

Er hat es offenbar geistig noch nicht so weit gebracht, um zu wissen, daß der Mißtrauische stets demjenigen indirekt schmeichelt, den er solcher Bedenklichkeit würdigt. Weil ich es zu nichts brachte, fürchtet er mich. Was für eine unermeßliche Sottise! Was für eine innere Armut im äußeren Hauseigentümerzustand! Er ist ein Gemachter, ich nicht. […] Er sieht, daß ich immer lache, wenn ich ihn sehe. Ich tu es nicht laut, sondern bloß so mit dem Gesicht.«

Trotz beachtlicher Anfangserfolge als literarischer Debütant macht Robert Walser keine Karriere. Er will nicht. Für die“Eszuetwasgebrachthabenden”, die “pomadisierten Gorillas”und “Hauseigentümer” hat er nur feinen Spott übrig. Der struppige Naturbursche aus den Schweizer Bergen, als den er sich stilisiert, besucht lieber eine Kammerdiener-Schule, läßt sich treiben, träumt vergeblich von einer Karriere als Schauspieler, verbummelt sich in Aushilfsjobs und geht schließlich in die Schweiz zurück, um dort in mönchischer Armut und Askese seine Beiträge für Zeitungen und Magazine in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Tschechoslowakei zu schreiben; in Prag wird Franz Kafka einer der leidenschaftlichsten Bewunderer Walsers.

Eine sehr eigentümlich und auffällige, von Walser gegenüber allem und jedem eingenommene Haltung ist die der übersteigerten, man möchte sagen frenetischen, mitunter beinahe hysterischen Affirmation, einer geradezu zügellosen, entfesselten und losgelassenen Weltbejahung und -bejubelung, mit der schon deshalb irgendetwas nicht stimmen kann, weil ihr Ton so überspannt und exaltiert ist. Wenn die sokratische Urform der Ironie darin besteht, sich in verstellender Absicht kleiner zu machen, als man ist, dann betreibt Walser die Totalisierung dieser Ironie, bei der die Welt vorauseilend und gewissermaßen präventiv rundum über den grünen Klee gelobt, bejubelt und behudelt wird, nur damit… – sie einem nichts tut!

Walsers Haltung ist sogar noch eine dialektische Halbdrehung subtiler, indem er sie demonstrativ vorführt, eigens auf sie verweist und uns damit gleichsam sagt:

Seht her, so winzig, bescheiden und demutsvoll muß man sich machen, wenn man nicht riskieren will, von der Wirklichkeit und den Gewalthabern darinnen zertreten zu werden! Vielleicht ist es diese ironische Überspanntheit, die Walter Benjamin zu dem etwas kryptischen Satz angestiftet hat, Leute wie Walser klängen immer wie geheilte Verrückte, womit er eventuell meinte: irgendwie unheimlich in ihrer beschwörenden Oberflächlichkeit.

Das Ich der Walserschen Prosa ist aus Furcht und Weltüberempfindlichkeit sicherheitshalber vorweg grenzenlos begeistert, hat vor lauter beflissener Ja-Sagerei und übereifriger Zustimmung zum Weltwirklichen als Ganzem und im Einzelnen etwas geradezu unheimlich Rotwangiges, Glühendes, hysterisch Überdrehtes; diese Affirmation ist derart vorauseilend und vorwegnehmend, hyperbolisch hochgestapelt und kompromißlos, daß sich jeder so Angesprochene auf Anhieb unbehaglich, nämlich irgendwie nicht wirklich ernstgenommen fühlt und unwillkürlich nach dem Haken an der Sache sucht. Eine sonderbare Form der Ironie, und natürlich eine sehr spezielle Art von Humor, für die nicht jeder ein Sensorium besitzt.

Die überdrehte Affirmation richtet Walser nicht nur gegen -Personen und Typen, beispielsweise etwa seinen Lieblingsfeind, den arrivierten, tüchtigen, geschäftlich erfolgreichen »deutschen -Eheherren«, Hauseigentümer und»Eszuetwasgebrachthabendem«, den er gern einen »pomadisierten Gorilla« tituliert und scheinheilig wegen seiner Gewichtigkeit bewundert.

Als Pose oder gestische Attitüde hält Walser die ironische Affirmation auch gegenüber der Literatur, dem Theater oder den Genres des Unterhaltungskitsches aufrecht. Scheinbar findet er alles wunderbar, und wenn er etwas verabscheut, dann macht er das damit deutlich, daß er es als über alle Maßen wunderbar anhimmelt. Das zeigen seine Weltliteraturnacherzählungen oder seine schrägen, ziemlich sinnfreien und zumeist pointenlos verläppernden Miniatur-Dramolette, in denen aufgemotzte Sensationsknalligkeit mit assoziativer Unkonzentriertheit wetteifert und insgesamt oft eine Stimmung herrscht, als hätten Samuel Beckett, Karl Valentin und Helge Schneider darauf getrunken, gemeinsam ein Stück zu schreiben.

Ein Beispiel: Die Groteske »Darf man…?«

Darf man sein Versprechen brechen? ·
Tragödie in wenigen Zeilen von einem Neuling, d. h. von mir

“Es ist da einmal so ein Mädchen gewesen.

Wo hab’ ich denn jetzt meine Gedanken?

Groß ist zur Zeit die Not des Gedanklichen. 
Ich reibe mir die Stirn und sinne nach.

Sie besaß etwas, das sie niemand anvertrauen durfte, so eine Art Makel, wiewohl ich nicht gerade sagen will Schandfleck.

Es hat sich einmal ein hochbegabter junger Mann wegen etwas Belastendem erschossen.

Ich halte mir gegenwärtig eine Masseuse.

Von dem Fräuleinchen wäre zu sagen, daß sie einen Herren liebt, von dem sie wiedergeliebt wurde.

Weil sie nun vor der Welt, d. h. der Gesellschaft, die die Welt bedeutet, etwas sehr Fragwürdiges zu verbergen hatte, wodurch sie ihm wahrscheinlich Unglück, bescheidener gesprochen, Verdruß gebracht und geschenkt hätte, so tat sie was?
Sie sprach zu ihm: ‘Du kannst mich unmöglich heiraten.’ 
‘Gut’, gab er zur Antwort, ‘so heirate ich dich also nicht, du Überallesgeliebte. Da ich dich aber nicht heiraten darf, so bleibe ich ledig.’

Er küßte sie daraufhin stürmisch, will sagen ungestüm, mit einer eigentlichen Unerlaubtheit, die sie ihm verzieh, indem sie ihrerseits vorbrachte:

‘Ich liebe dich auf ewig, d. h. Liebster, solange ich bei Atem bleibe, d. h. bis der liebe Gott mich zu sich ruft in seine denkbar sinnreich ausgeschmückte, tadellos möblierte Wohnung.’

Auch sie küßte ihn ihrerseits, wobei sich ihre Nase auf seinem geliebten Gesicht ein bißchen umbog.

Sie verabschiedeten sich aufs innigste und gingen ihrer Wege, stets ihres Versprechens tapfer eingedenk, daß sie sich nur lieben, aber nie ehelichen wollten.

Durften sie sich ein solches keckes Versprechen aber auch geben? Durften sie ein so hochgeartetes Problem, eine so schwierige, aufopferungsvolle Aufgabe auf sich nehmen?

Was sagt hierzu die gute Natur?
Die Allmutter?

Jahre flogen dahin, d. h. die Zeit ging vorwärts, Schritt um Schritt, marternd langsam.

Wohl hielt das Fräulein ihr Wort, nicht aber ihr Begehrter, den sie nicht nehmen durfte, weil eine dunkle Macht, so eine Vergangenheitslast auf ihrem schneeweißen Hals lastete.

Fast muß ich hier ein wenig lachen, aber ich halte mir das Nastuch vor den Mund mit den schwellenden Lippen, mittels derer ich eben eine Banane aß.

Tugendumflügeltes Fräulein, ich lobpreise dich, und zum Wortbrecher sage ich einfach nichts als dies eine:

‘Schändlicher Schuft!’

Es verhielt sich mit ihm so: seines Versprechens müde, bewarb er sich um die Gunst einer Vonirgendwohergelaufenen.
Sie erwies sich als wunderhübsch.

Und er schloß mit ihr einen Bund auf Lebenszeit, eine Art Schutz- und Trutzbündnis, der Uneingedenkliche, und mit strahlendem Freudengesicht trat er mit ihr zum Altar, indes kleine Kinder ihm und ihr Kränze, die die Lebenslust geflochten zu haben schien, zu Füßen warfen, und indes in ihrem Kämmerchen die Treugebliebene, vom Geschehnis in Kenntnis gesetzt, und von der Orgel umbraust, die den beiden ins zukünftige Glück das Geleit gab, vor Wehmut verging, womit ausgesprochen ist, daß sie etwas sehr Gescheites vollbrachte, nämlich vom enttäuschungsreichen Leben abtrat, indem sie sich aus ihrer Zärtlichkeit einen Strang zurechtband, oder indem sie am gegebenen Wort erstickte.

Man trug die Standhafte und Ehrenfeste in einem Sarg zum Haus hinaus.”

So zu tun, als könne man etwas nicht besonders gut, was man in Wirklichkeit vollkommen beherrscht, ist bekanntlich ein bewährtes Mittel der performativen dadaistischen Komik, das heute in Deutschland beispielsweise den Mülheimer Jazz-Musikalclown Helge Schneider auszeichnet; Walser scheint es vielleicht erfunden zu haben, Karl Valentin hat es mit Liesl Karlstadt auf die Varieté-Bühne gebracht. In Walsers Selbstbeschreibung klingt das folgendermaßen (laßt Euch nicht davon irritieren, daß er fast immer von sich in der dritten Person spricht):

»Dann und wann trug seine wie aus einer Art von Eingeschlafenheit quillende Geschicklichkeit den Stempel berechneter Naivität oder gekünstelter Ungekünsteltheit«.

»Die Eitelkeit veranlaßte ihn, eine Reihe von in jeder Hinsicht unspannenden, harmlosen Büchern zu schreiben, die keiner zu lesen imstande war, ohne zu denken, hier gefalle sich einer in Veröffentlichungen, um zu nichts als zu der Beweiserbringung zu gelangen, er sei kein eigentlicher Schriftsteller«

Ende der 20er Jahre ist Robert Walser erschöpft, ausgebrannt, psychische Probleme nehmen zu. Er hört Stimmen, fühlt sich verfolgt, verliert zusehends den Boden unter den Füßen. Zunächst freiwillig zieht er sich in eine Psychiatrische Anstalt zurück – ab 1933 verlegt man ihn gegen seinen Willen nach Herisau und läßt ihn nicht mehr gehen. Ohne Freiheit aber, sagt er, könne er nicht mehr schreiben. Er verstummt konsequent und unwiderruflich, schreibt ab 1933 außer ein paar sachbezogenen Briefen keine Zeile mehr. Euro-Taoistischer Weiser, der er ist, fügt er sich schweigend in die Disziplin der Anstalt, in der er wie ein Zen-Mönch lebt:

Hellwach, konzentriert, aber stumm, klebt er gewissenhaft Tüten, hilft den Pflegerinnen bei Haushaltsarbeiten, meditiert und wandert. Er sieht zu, wie die Welt ihn vergißt, ohne etwas dagegen zu tun. Fast ein Vierteljahrhundert lebt er in selbst gewählter Isolation. Daß er, wie manche behaupten, eine psychische Erkrankung nur vorgespielt hätte, um sich zu verbergen, ist sicher ein Mythos. Doch wer Walsers wache, gletscherblaue Augen sieht und ihren durchdringenden Blick, der weiß auch, er war bei intaktem Verstand und Geist interniert. Es kümmerte ihn nicht. Seinem Projekt des Kleinerwerdens und Verschwindens (selbst seine Schrift wurde in den letzten Schaffensjahren immer winziger, war am Ende nur noch knapp milimetergroß!) kam es ja entgegen…

Ach, es wäre noch so viel über diesen seltsamen Heiligen, Alltagsphilosophen und skurrilen Sprachbastler zu erzählen! Leider ist schon dieser Beitrag von geradezu obzön unschöner Länge! Wer mehr wissen will über Robert Walser und einige seiner Texte vorgelesen haben möchte, kann ja bei mir eine HörBuch-Doppel-CD bestellen. Oder sich Robert Walsers Bücher (erschienen bei Suhrkamp) besorgen!

PS (Persönlicher Satz / Postscriptum):

Daß mir zuweilen der Walser-Robert in seiner Sprachspielmeisterlichkeit, mit der er seine mäandernden Satzschnörkelketten drechselt, bei aller gebotenerweise errötenden Bescheidenheit wie ein großes, daher kaum je zu erreichendes Vorbild erscheinen möchte, behandele ich als ein kaum zu verbergendes Geheimnis, daß zu offenbaren ich mich hiermit schüchtern erdreiste.

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Mikrograph und Ironiker Walser

 

Meine Großtante und der senfgasgelbe Lautsprecher

24. März 2009
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In memoriam: Elisabeth Haneld † 1953

IN MEMORIAM: 

ELISABETH HANELD

Meine Groß- und Patentante Elisabeth ist schon lange tot, sie starb, von Krieg, Hunger und Nazi-Terror zermürbt und ausgezehrt, schon ein Jahr nach meiner Geburt. Ich kenne sie nur als Familienmythos: Die Malerin, Musikerin und engagierte Pädagogin, die entschiedene Antifaschistin, die 1935 oder 36 gemeinsam mit ihrer Freundin und Lebensgefährtin, einer Schulrektorin, den Staatsdienst in Berlin quittierte (wohl war nach dem Nazi-Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 ihre Stellung unhaltbar geworden), aus der Stadt verschwand und untertauchte. Zehn Jahre hausten die beiden in einer Hütte oder Laube südöstlich von Berlin, zwischen Erkner und Buckow, dort, wo Bertolt Brecht seine „Buckower Elegien“ schrieb. Ohne Lebensmittelkarten, hungernd, vom Nazi-Apparat gesucht und verfolgt, unter den Feuerstürmen der alliierten Bomberflotten verbrachten sie ihre besten Jahre  mit dem Kampf ums nackte Überleben.

Uns blieben ein paar Bilder und Zeichnungen, einige Fotos und ihre Violine…

Jetzt, nach fünf Jahrzehnten, erreichen mich plötzlich zwei „Zeichen“ aus der Vergangenheit. Zum einen bin ich bei Internetrecherchen über eine Notiz im Fürstenwalder Amtsblatt auf den Namen der beiden Frauen gestoßen – und damit auf das Grundstück, auf dem versteckt sie das III. Reich überstanden!  Zum anderen tauchte ein kleines Skizzenbuch meiner Großtante wieder auf, das sie in den Untergrundjahren benutzt hatte. Elisabeth H. war in der Hauptsache Landschaftsmalerin, sie liebte die Märkische Schweiz mit ihren Wäldern, Hügeln und schilfbestandenen Seen, Gegenden, deren Stimmungen sie immer wieder aufs neue zu Papier brachte. Am Ende gibt es nur noch wenige Blätter mit Skizzen: Der strenge Katastrophenwinter 1944/45 schlägt sich nieder in toten, schneebedeckten und frosterstarrten Bäumen und Sträuchern. Dann ist Schluß. Es folgen nur noch leere Blätter.

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Winter 1944/45: Das Ende ist gekommen

Oder, nein, eines, ganz hinten, ist noch benutzt. Eine der seltenen Porträtskizzen Elisabeths: Auf Papier von der Farbe der senfgasfarbenen Nazi-Ausgehuniform hat sie die Fratze von Joseph Goebbels karikiert. Lakonisch steht unter Fanatikerfratze mit den brennenden Augen: „Der Lautsprecher„. – „Wollt ihr den totalen Krieg?“ hatte der gekreischt, und zigtausend Stimmen haben zur Antwort „Jaaa!!“ gebrüllt. Sie haben ihn dann ziemlich postwendend bekommen, ihren totalen Krieg, und ein Berlin, unbewohnbar wie der Mond. 

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Der senfgasgelbe "Lautsprecher"

Meine Mutter, selbst noch ein halbes Kind, von den Nazis zur Knochenarbeit bei der Straßenbahn gepreßt, mußte morgens auf dem Weg zum Depot über die zum Abtransport zurechtgelegten Leichenstrecken der Berliner Bombenopfer steigen. Die meisten waren im Feuersturm auf Kindergröße geschrumpft und verkohlt. Mit der Erinnerung hat sie noch 60 Jahre leben müssen, oder dürfen.

Meine Großtante hat das Nazi-Pack überlebt, immerhin. Die Erinnerung an Menschen, die sich vom „Lautsprecher“ weder einschüchtern noch verführen ließen und es wagten, „Nein!“ zu sagen, gehört zu den Dingen, die uns die Geschichte ertragen lassen.