Archiv für Mai 2009

Sprachblondinen verursachen N400!

29. Mai 2009

ÜBER HYPNOTISCHE SÄTZE, DEN N400 UND DIE BLONDINEN VON RIGA

Kennt das noch jemand? Daß man von einem einzigen Satz hypnotisiert und gewissermaßen gekidnappt wird? Mir ging das heute so mit einem irgendwie mysteriösen Satzgefüge von Franz Kafka, das geht so:

Verstecke sind unzählige, Rettung nur eine, aber Möglichkeiten der Rettung wieder so viele wie Verstecke. Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg; was wir Weg nennen, ist Zögern.“

Ich weiß nicht genau, warum, aber diese beiden ominösen Sätze lähmen mich irgendwie, weil, einerseits stimmt meine Lebenserfahrung Kafkas seltsamer Diagnose eifrig nickend zu, andererseits bekomme ich bei jedem Durchlesen einen N400. – Jetzt habt Ihr auch einen N400, oder? N400 nennen die Neuropsychologen einen Ausschlag beim EEG, der immer dann erfolgt, wenn einem Probanden oder Patienten während der Hirnstrommessung ein Satz vorgelegt wird, der in sich semantisch unstimmig ist. „Langbeinige blonde Mädchen träumen von Model-Karrieren“ – das ergäbe im EEG nichts Auffälliges. „Langbeinige blonde Schäfchen träumen von Model-Karrieren“ dagegen gäbe einen Oops?, also einen N400. Was Kafkas Satz betrifft, so tapse ich irritiert in ihm im Kreis herum und zögere, aus ihm wieder herauszukommen. Er erzeugt, was er behauptet. Das ist merkwürdig und selten, vor allem in der Kürze.

Bei langen Texten geht das schon leichter. Ich erinnere mich, während des Studiums eine ungefähr hundertseitige Vorlesung über das Phänomen der Langeweile studiert zu haben; sie stammte vom berühmten Schwarzwälder Seins-Beschwörer Martin Heidegger und war stilistisch dermaßen fädenziehend langweilig, daß sie sich sozusagen gleich selbst zum Beispiel nehmen konnte. Lachtränen und Gähntränen mischten sich beim Augenreiben! Ich weiß nicht, ob der alte Fuchs das beabsichtigt hatte, für Humor war er eigentlich nicht bekannt. Aber unfreiwillige Komik erheitert ja oft mehr als krampfhaft gewollte, oder?

Außer Sätzen, die sich auf Leser-Hypnose verstehen, gibt es noch solche, die praktisch mit Zeitzünder arbeiten; sie bleiben nach der Lektüre erstmal wie tot im Kopf liegen und dämmern schon dem Vergessen entgegen, und dann explodieren sie plötzlich und aus ihnen regnet ein kleines oder größres Häufchen Blödsinnskonfetti. Beispiel gefällig? Hier habe ich eine Zeitungsmeldung von heute, die gleich einen zweistufigen Zeitzünder besitzt, bei mir jedenfalls:

Blondinen gegen Krise. Mit einer Pfingstparade durch Riga wollen hunderte blonde Frauen die durch die Wirtschaftskrise getrübte Stimmung in Lettlands Hauptstadt aufhellen. Mindestens 500 Teilnehmerinnen würden an der Parade am Sonntag teilnehmen, sagte die Chefin des Verbandes blonder Frauen, Marika Gidere.“

Zunächst überlas ich die beiden Sätze achselzuckend, um zum Sportteil überzugehen, denn die begehrte unfeiwillige Komik nistet gern im Stil der journalistischen Sportlyriker. Erst Minuten später setzte ein durch N400 verursachtes Kopfschütteln ein: Wieso, fragte es sich in irgendeinem meiner entlegeneren Hirnareale, soll eine „Parade“  ausgerechnet blonder Frauen etwas an einer Wirtschaftskrise ändern? Die Idee klingt ja wie vom Satiriker und Absurdisten Slawomir Mrozek erfunden! Was soll dieser Quatsch denn? So oder so ähnlich nörgelte es in meinem Kopf noch eine Weile weiter, bis ich dem Gemaule, wie meist, mit einem abschließenden „Die Welt ist eben voller Blödsinn“ ein Ende machte.

Ich ging zur Tagesordnung über. Der nächste Tagesordnungspunkt lautete: Einen zweiten Becher Kaffee trinken. Ich erledigte dies gerade gewissenhaft, als es in meinem Hirn leise „puff“ machte und ein aufgeregt blinkendes Fragezeichen einen neuen N400 ankündigte: Wieso, bitte, warum und zu welchem Behuf braucht es in Lettland einen „Verband blonder Frauen“??! Gibt es das etwa bei uns auch, oder ist das eine baltische Spezialität? Sind dort nicht eh alle Frauen blond? Oder doch etwa eine unterdrückte, wegen ihrer Haarfarbe verfolgte und inkommodierte Minorität? Ist Blondheit dort irgendwie bedroht?  Warum sollten blonde Frauen sich sonst überhaupt in einem Verband organisieren? Zur Weiterbildung? Und sind sie mit dem Verband der Brünetten verfeindet, oder ist das eine Schwesterpartei? – Lauter Fragen stoben auf im Synapsengewitter, und wäre ich in diesem Moment an ein EEG-Gerät angeschlossen gewesen, hätte dieses bestimmt verrückt gespielt! Schon begann meine Phantasie zu wuchern und sich in das Verbandsleben der Letten und speziell der weiblichen, blonden hineinzufräsen, da rief ich dem  davoneilenden Hirnschwurbel gerade noch rechtzeitig ein energisches „Platz! Sitz! Aus!“ zu, um meine Gedanken wieder bei Fuß zu bekommen.

Aber geschafft hatten sie es trotzdem, diese Zeitungstext- bzw. Sprachblondinen, und zwar etwas, was reale Frauen, zumindest allein aufgrund ihrer eventuell vorliegenden Blondheit, gar nicht vermögen: Ich war nachhaltig irritiert! –  Nun gilt es natürlich erst einmal, die weitere Entwicklung der lettischen Wirtschaftskrise zu verfolgen. Wie der Kafka-Franz lehrt: Möglichkeiten der Rettung gibt es wieder so viele wie Verstecke – wenn Riga also demnächst einen Aufschwung meldet, müssen wir wohl über Blondinen umdenken oder wenigstens, meine verehrten Freundinnen, auf jeden Fall mal nachblondieren!

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Protest in scharfem Ton

28. Mai 2009

 

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SCHARFE SCHOTE!

Jetzt hab ich mich doch dermaßen geärgert, daß ich mich habe hinreißen lassen, einen Qype-Artikel zu schreiben! Hier, bitte:

Es gibt ja heute für jede Neigungsminderheit etwas. Bars, Clubs, Shops, Vereine, usw. Aber was tut ein Angehöriger der zugegeben kleinen Minderheit von Menschen, die zugleich Masochisten und Liebhaber von marktfrischem Obst und Gemüse sind, wenn sie eine plötzliche Begierde anwandelt, mal ganz rasch und kostengünstig nach Strich und Faden gedemütigt, angeschnauzt, heruntergeputzt und fertiggemacht zu werden? Wo soll der in Duisburg denn hingehen?! Und wo kann er sich darauf verlassen, wirklich zu jeder Zeit zuverlässig wie der letzte Kehricht behandelt zu werden? Ich meine, Mitmenschen, die gern unter Äußerungen absoluter Verachtung unangespitzt in die Gosse gerammt werden möchten, und möglichst von einer massiv vergrätzten Domina, die den lackschwarzen Gürtel in Unverschämtheit, Dreistigkeit und Pampigkeit besitzt, die haben doch auch ein Recht auf gelegentliche Bedürnisbefriedigung, oder? – Nun, ich hab da einen Geheimtipp.

Den Namen kann ich nicht nennen, er steht nicht dran, aber man kann den Laden gar nicht verfehlen: Masomann geht vom berühmten Duisburger Lifesaver-Brunnen in der Innenstadt einfach zweihundert Meter die Düsseldorfer Straße herunter, dann stößt er schon auf den großen, seit Jahren dort stationierten offenen Stand für Obst und Gemüse. Unter uns Insidern hieß er immer die „Gemüseapotheke“, womit wir müde scherzend auf die Mondpreise anspielten, die das Geschäft für sein – zugegebenermaßen meist ansehnliches, morgens auf dem Großmarkt gekauftes – Grünzeug verlangt. Jetzt werde ich den Stand aber wohl umtaufen:  In ‚Peitschensalon der vergrätzten Domina’ vielleicht oder  ‚Dunk-the-customer-into-the-dirt’ oder so. Ein paar Jahre habe ich diesen Stand relativ häufig frequentiert, widerwillig zwar, denn weder bin ich Krösus noch Graf Leopold von Sacher-Masoch, der berühmte Erfinder der Peitschenlady, aber zuweilen gab es keine Alternative in der Nähe. Jetzt schon, und deshalb habe ich nach Jahren stiller Verärgerung heute beschlossen, dort zum allerletzten Mal vorbeigeschaut zu haben. Das kam so:

Ich brauchte für ein Gratin, das es zur Lammkeule geben soll, möglichst große, frische Kartoffeln etwa der Sorte „Annabell“. Also trat ich zur Auslage des Standes, um mir keck wie der dümmste Bauer zwei, drei der dicksten Kartoffeln herauszusuchen. Ich mußte dazu gar nicht graben und wühlen wie ein Kartoffelkäfer, die drallen Annabellen lagen gleich oben auf. Doch kaum berührte meine Fingerspitze eine der erdigen Bollen, bellte es mit einer Schärfe von ca. 6 Mio SCU (= Scoville Units, Maßzahl für Schärfe) quer übers Gelände: „HIER WERDEN! KEINE KARTOFFELN AUSGESUCHT! JUNGER!! MANN!!!“  Hierzu schnitt die wachhabende Zimtzicke ein Gesicht wie eine Dobermann-Frau, die unter PMS leidet.  Nun habe ich zwar Angst vor Kampfhunden, aber keine vor  impertinenten Frauen mit Manieren-Defizit. Also atmete ich, der ich das Angeschnauztwerden von dieser speziellen Dame eigentlich gewohnt sein sollte, tief durch und dachte bei mir: Nein! „Junger Mann“ läßt sich ein älterer Herr, der theoretisch, was Gott glücklicherweise verhindert hat, der Vater dieser Sauren Gurke hätte sein können, nicht nennen! Noch macht der Ton, und nicht das Marktweibgekeife, die Musik! Also brachte ich zunächst ein matt sarkastisches „Ach! Werden sie nicht?“ vor, um dann die angeschärfte Frage abzuschießen: „Könnten Sie das wohl auch etwas freundlicher sagen – oder kostet Höflichkeit bei Ihnen extra?“

Zitronen-Ziege Doberfrau replizierte aber umgehend, und zwar mit einer Stimme, die, wenn mein Erlebnis verfilmt würde, die Sound-Designer zusammensetzen könnten aus Luftschutzsirene, Kreissäge und gestopfter Posaune: „SIE!!! KOSTET! HIER! GAR NICHTS MEHR WAS! SIE GEHEN! NÄMLICH JETZT WEITER!“  – Das hatte die Doberdomina natürlich geschickt gefinkelt: Stehen bleiben wie ein ausgeschimpfter Schulbub konnte ich ja schlecht, mußte also ihrem Befehlsgebell Folge leisten und, meinerseits leise schimpfend, seitlich am Stand vorbeigehen und mich wie ein geprügelter Hund trollen. Ich hab aber, weil ich ein höflicher Mann bin, der Dame noch versprochen, daß ich allen, die ich kenne, empfehlen werde, um dieses Impertinenz-Center einen möglichst weiträumigen Bogen zu machen. Man mag dort keine Kunden. –

Freilich, wie gesagt, für Mitbürger mit o. a. Sonderneigung kann ich nur sagen: Nichts wie hin! In den Staub, Sklaven!

Vorwärts zur Weltevolution der Knalltüte!

26. Mai 2009
KOREA-NORTH/

Neuerliche ungeheuerliche Provokation! Der durchgeknallte „Kleine Diktator“ ( – der alte Mann im beigen Rentner-Look ganz rechts) von Nordlummerland fordert schon wieder die Weltgemeinschaft heraus: Diesmal mit einer Weltolympiade im Reise-nach-Jerusalem-Spielen. 28 000 Armee-Generäle rennen in der Hauptstadt Pingpong um die Wette, um einen Sitzplatz auf einem der bloß in achtfacher Ausführung in Nordlummerland produzierten und entsprechend begehrten roten Stühle zu ergattern. Wer noch steht, wenn der Diktator zu dirigieren aufhört, wird erschossen oder verschwindet spurlos in einem der streng geheimen, über Google Earth aber mühelos auffindbaren Arbeitslager des Landes. Die geheuchelte Begeisterung der Generäle ist natürlich staatlich verordnet. In Wahrheit freuen sich die Würdenträger nur über ihre volkseigenen Atomschwellkörper-Mützen brandneuester Bauart. – Soeben rezitiert Diktator Sang Sung seine welthistorische Phrase: „Ein kleiner Knall bei jedem von uns, aber ein großer Bumms für die Menschheit!“ Für den Fall, daß die USA Nordlummerland nicht bald aufkaufen, droht der Dikator mit dem Platzen-Lassen mittelgroßer Langstrecken-Knalltüten.

DIE EVOLUTION MARSCHIERT!

Auf dem Gebiet paläoontologischer Angelegenheiten sind nur wenige bewandert. Man kennt den einen oder anderen monströsen Dinosaurier, aber was denen da so für Kleinvieh oder Geziefer um die dicken Säulenbeine sprang, wüssten wir kaum beim Gattungs-, geschweige denn beim Vornamen zu nennen. Eine Ausnahme bildet die Ur-Primaten-Dame „Ida“ der Gattung Darwinius masillae, deren propperes Fossil jetzt beschrieben wurde. Ich hätte das Uraffen-Mädel ja „Madonna“ getauft, weil es nämlich blutjung und steinalt zugleich ist – eine noch mit Milchzähnen ausgestattete Zweijährige, die aber schon vor 47 Mio. Jahren verstarb. Ihr noch tadellos in Schuß befindliches Skelett gibt angeblich Anlaß, die Spezies Darwinius masillae aus der Gruppe der primitiven, relativ doofen  Feuchtnasenaffen (Halbaffen, Makis etc.) in die illustre Gruppe der schlaubergerischen Trockennasenaffen (Vollaffen, Primaten, Klassen-Primusse) zu promovieren, so erklären uns die Wissenschaftler. Dabei hätte ich für meinen Teil das kleine langschwänzige Vieh – das sich hinter einer DIN A-4-Seite verstecken könnte, wäre so etwas damals schon verfügbar gewesen – eher für eine Art Eidechse gehalten. Doch nein, weit gefehlt: Uraffe mit abnorm großem Hirn, wobei uns die journalistischen Edelfedern das Getier wahlweise als „Groß-Cousine“ (stern) oder „Ur-Ur-Ur-Großtante“ (SPIEGEL online) „der Menschheit“ schmackhaft machen wollen.

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Cousine Darwinius masillae soll die Evolution erklären!

Großes Hirn hin oder her, ich finde die possierliche Proto-Primatin überfordert, las ich doch in einer Schlagzeilenmeldung: „Uraffe soll die Evolution erklären“! – Ich soll das nämlich auch, im nächsten Semester, und ich finde das gar nicht so einfach. Schon Franz Kafkas Schimpanse Rotpeter hat in der Erzählung „Bericht für die Akademie“ nicht geringe Schwierigkeiten, seine Menschwerdung zu beschreiben. Und nun ein Uraffe gleich die ganze Evolution! Was, außer ihrem daumengroßen Gehirn, qualifiziert „Ida“ für eine solche Aufgabe? Daß sie dabei gewesen ist? Das ja wohl kaum! – Die Menschen beispielsweise, die 1789 beim Sturm der Pariser Bastille dabei waren, wussten ja auch nicht, daß sie die weltberühmte „Große Französische Revolution“ machten – sie hatten sich bloß über Brotpreise aufgeregt! – Sind wir selbst denn Zeitgenossen unserer Evolution? Sind wir „dabei“? Entwickelt sich denn da noch was?

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Der gemeine Grüne Atomschwellkopf: Mit Grauem Volkstrott-Vortänzer Vogel (Volkstrottel)

Wahrscheinlich. So hat sich aus einem entlegenen, gewissermaßen cousinenhaften Nebenarm des Homo sapiens sapiens jüngst etwa der sog. Grünmützige Atomknallkopf entwickelt, eine hoch aggressive, sehr spezialisierte Spezies mit abnorm kleinem Hirn und dem typischen bunten Ordensgefieder auf der Brust, deren Populationen sich gern um einen beige-grauen Volkstrottvortänzer-Vogel (kurz: Volkstrottel) scharen, dessen charakteristisches Tschilpen ihnen eine Heidenangst einjagt. Die schwellköpfigen Grünmützen arbeiten, obwohl chronisch halb verhungert, emsig an der Massenvernichtung anderer Gattungen, was sie für ihre verdammte sowie vornehmste Pflicht und Schuldigkeit halten. Ihre zweite Aufgabe im Gefüge der Lebewesen besteht im weltall-weiten Absingen revolutionärer Hymnen auf ihren „geliebten göttlichen Führer“, den grauen Volkstrottel. Als Fernziel streben die kleinen grünen Gesellen die vollständige Umgestaltung der Erde an, deren auffällige Rundungen für sie eine Provokation des amerikanischen Imperialismus darstellen, mit denen der Klassenfeind die Hungerkünste des heroischen nordlummerländischen Volkes verhöhnen will. Eine vollständige Rückführung des dekadenten Erdballs auf seine schon von Marxengelsleninstalinmaodzedongkimilsung entdeckte würfelförmige Grundform ist daher gleichbedeutend mit dem Endsieg aller friedliebenden Kräfte bzw. dero Nachkommen, die den Atomknall überlebt haben werden. Als Banner des Friedens wird dann das steingraue Hungertuch der Revolution auf allen sechs Seiten des Erdwürfels wehen!

Fest vorgenommen haben sich die grünen Knalltüten, nicht den Fehler ihrer Vorfahren, der Neanderthaler, zu wiederholen und auszusterben. Ihre Nuklearwaffen werden ihnen dabei helfen, hoffen sie. Meine Damen und Herren – die Evolution! Und wir dürfen sagen, wir seien dabei gewesen! (Die letzten Primaten machen dann bitte das Licht aus!)

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Das Banner des grauen Hungertuchs der Revolution wird über dem von den Rundungen des Imperialismus befreiten Erdwürfels wehen!

Nachruf

24. Mai 2009
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Farewell, Lovely... Barbara Rudnik (1959-2009)

NACHRUF

Scheiß Tod immer! (Manno!)


 

 

 

Indianer überfallen Lößnitzdackel!

24. Mai 2009
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Auf unsre roten Brüder ist Verlaß: Keine Langeweile in Radebeul

WISSENSWERTES ÜBER KOMMENDE FEIERTAGE (LANGEWEILE)

Waren das Aufregungen in den letzten Wochen! Die Spannung siedete im mittleren Unerträglichkeitsbereich. Wer wird Deutscher Meister? Wird Sandy, Mandy oder Wendy Germany’s Next Top Moppel? Sterben wir alle an der Schweinegrippe? Schägt einer den Raab? Heißt Fiat bald Opel?  Machen wir wieder den letzten Platz beim Eurovision Song Contest? Welcher neue Super-Stern geht am taubstummblauen Plastik-Himmel Dieter Bohlens auf? Wird Hotte „Boring Old Fart“ Köhler noch einmal diese wuschige Zahnfee aus dem Osten besiegen? – Ein „Herzschlagfinale“ jagte das nächste, Tränen des Glücks, der Enttäuschung und Erleichterung wurden der Öffentlichkeit dargebracht, ganz Deutschland tat, was es ruhig öfter mal machen sollte, es hielt die Luft an. Pokale und Schalen wurden geküsst, Trostpreise vergeben, den Eltern und Sponsoren gedankt, und ganz besonders auch den Fans draußen an den Empfängern. Nun ist alles besiegt, besiegelt und besoffen: Deutschland kann wieder aufatmen, durchpusten, Sauerstoff tanken, die Seele baumeln lassen usw. Wunderbar, diese Ruhe. Oder…? Oder? Manch ein Mitglied der „nationalen Erregungsgemeinschaft“ (Sloterdijk) trommelt schon wieder nervös mit den Fingern: Und jetzt? Was kommt jetzt? Jetzt, so steht wahlweise zu hoffen oder zu befürchten, senkt sich das blöde, bleiern-banale Nichts fädenziehender Langeweile über das Land und erstickt alles menschliche Leben!

Manche nennen es Bundesliga-Pause, andere Sommer oder Regenzeit. Noch andere, deren Freud unser Leid ist, nennens Hauptsaison. Die Kollegen meiner Gattin verwenden noch immer den alten, liebenswerten Ausdruck „Saure-Gurken-Zeit“, der entweder, wie das englische season of the very smallest potatoes eine bedenkliche Ernährungslage meint oder eine Verballhornung des jiddischen Ausdrucks „Zóres-und Jòkresszeit“ für „Not und Teuerung“ darstellt, in jedem Falle aber bedeutet, daß man als Journalist noch kreativer sein muß als sonst, wenn man eine einigermaßen ansehnliche neue Sau durchs Dorf jagen will.

Wenn TV-Magazinen nichts Gescheites einfällt, können sie immerhin eine Straßenumfrage veranstalten und nach dem Sinn der bevorstehenden christlichen Feiertage Finxten und Frohen Leichnam fragen. Was haben wir uns an den Antworten der weitgehend ahnungslosen „Generation Doof“ schon be-ömmelt! Die Dummheit der anderen ist ja immer wieder ein ungetrübter Quell der Freude und Seelenerheiterung! Dabei, ich weiß zwar, warum Pfingsten gefeiert wird ( – wir gedenken des Ereignisses, das sich begab, als die Jünger Jesu plötzlich allesamt einen schweren Hau bekamen und ihren Mist nicht nur aramäisch, sondern auch dänisch, finno-ugrisch, uigurisch und auf Bantu predigen konnten; – Pfingsten ist daher auch bekannt als Tag des Zungenredens vulgo der Dolmetscher – Gruß an Chris nach UK!), aber den katholischen Fronleichnam muß auch ich immer mal wieder nach-googeln, weil es sich dabei um eine schon recht abgefahrene theologische Spinnerei handelt: An diesem auch als „Blutfest“ oder „Corpus Christi“ bekannten Fest feiert man die leibliche Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie.

Wenn Ihr auch das nicht kapiert, müsst Ihr halt mal eine katholische Heilige Messe buchen und Euch anschauen, was da abgeht, Freunde! Wenn der Mann mit dem kostbarsten Gewand da vorne auf der Bühne mit so einer Schelle klingelt, die Schale mit den Hostien-Oblaten hochhebt und dabei murmelt: „Hoc est corpus meus“ („Dies ist mein Leib“), dann meint man in diesen Kreisen, sei eben dieser Leib des Leibhaftigen, Quatsch, des Herrn, bzw. der von seinem Sohn, da irgendwie konkret und krass am Anwesen. Das schlichte Volk, des Kirchenlateinischen kaum mächtig, verstand bei der Priesterformel immer nur „Hokospokus“, womit, letzten Endes, darüber auch schon so ziemlich alles gesagt ist.

Wenn alle Brückentage abgefeiert sind, ist definitiv Sense, dann ist im Lande große Pause, dann sind Nasebohren, Haareraufen und Nägelbeißen angesagt, – eine Periode oder Phase großer Gefahr im übrigen, denn anthropologische Forscher haben herausgefunden, daß der gemeingefährlichste Unfug unter Humanpopulationen zumeist aus Langeweile veranstaltet wird, wofür der katholische Hokuspokus ja nur ein einfaches Beispiel ist. Aus Langeweile werden Rauschmittel eingenommen, Ehen geschlossen oder gebrochen, Kriege geführt, oder es wird wenigstens von den Nachbarn andauernd gegrillt – meine Terrasse ächzt seit Tagen unter den Miasmen verkohlten, innen noch blutigen Schweinefleisches (von wegen saure Gurken!), oder, besonders perfide, es riecht ganz mörderisch nach verschmorten Sardinen! Das ist doch widerlich! Lassen Sie das! Ich will den feinen Aromen frischen Spargels nachschmecken! Gegen Sie weg mit Ihrem blöden Fisch da!

So, da bin ich wieder, mußte nur eben was über die Hecke rufen. – Befreit vom Zwang, sich über Langeweile zu beklagen, sind an diesem Wochenende allein die Bewohner der wunderschönen Karl-May-Stadt Radebeul bei Dresden. Über diese lese ich heute auf der Wikipedia-Startseite: „Die Wein-, Villen- und Gartenstadt mit ihren acht historischen Dorfkernen und zwei Villenquartieren liegt nordwestlich von Dresden zwischen der Elbe im Süden und den Weinhängen der Großlage Lößnitz im Norden“. So weit, so gut, aber jetzt die Frohe Botschaft für alle Blutsbrüder Winnetous und Apanachis: „Die Schmalspurbahn Lößnitzdackel, die durch den tief eingeschnittenen Lößnitzgrund Richtung Moritzburg und von dort weiter nach Radeburg fährt, wird an diesem Wochenende im Rahmen des Fests wieder von Indianern überfallen“! – Wird das vielleicht Schule machen? Nun, wie wir Medienmenschen gerne sagen: Man darf gespannt sein!

PS: Zum Wochenendausklang für meine agnostischen Freunde noch ein hübsches Liedchen: ERDMÖBEL mit „Einer wie wir“ („If God were one of us“)

 

 

 

 

Alte Säcke bedrohen (evtl.) Schlager-Chanteuse!

23. Mai 2009
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Von Schlappenhüten beherrscht: Bundesrepubik Deutschland (60)

 

Sehr geehrte Bundesrepublik,

die massenmedialen Erregungsstrategen sind total aus dem Häuschen und haben alarmhalber den Kongreß der Quatschologen einberufen: Pünktlich zum heutigen 60. Geburtstag der Bunsreplik muß deren Geschichte neu geschrieben werden!  Der unselige Polizist, der vor 42 Jahren am 2. Juni auf einer Westberliner Demo den Studenten Benno Ohnesorg erschoß und damit versehentlich die studentische 68-Bewegung (samt „Bewegung 2. Juni“, RAF & Co.!) ausgelöst hatte, war nämlich insgeheim unter dem Decknamen „IM Otto Bohl“ ein hochrangiger Stasi-Agent, ein SED-Fritze, eine rote Stalinisten-Socke! Die rechte Sau war also ein linkes Schwein! Oha. Wir waren also doch vom Osten gesteuert, nur, sozusagen, mit Servo-Lenkung. Hochschulreform, Zivildienst,  anti-autoritäre Kindergärten, sexuelle Befreiung, der Ausbau der WC-Türen in den Kommune-WGs: alles von Ostberlin und Moskau gefinkelt und gefummelt, um unsere blutjunge Demokratie zu destablisieren! Man stelle sich das vor! Da wird ja, wie Frau Dr. Erika Fuchs, die legendäre Mickeymouse-Übersetzerin mal schrieb, das Huhn in der Pfanne verrückt! Oder stand das in „Fix & Foxi“? Weiß ich nicht mehr, aber egal jetzt! Es geht um Weltgeschichte!

Für mich, einen der allerjüngsten noch lebenden 68er, ist diese Enthüllung natürlich ein emotionaler Moment, vielleicht sogar ein emotionalster, ja buchstäblichst ein Deutschland-Moment! Schade, daß der Kölner Idiotensender RTL bereits heute abend die Show „Die 25 emotionalsten Deutschland-Momente“ ausstrahlt, da werden sie den neuesten Stasi-Knaller noch nicht drin haben. Dabei ist indessen, laut Ankündigung der Pressestelle, als „Höhepunkt der Sendung: Hans-Dietrich Genscher schenkt den DDR-Bürgern in der Prager Botschaft die Freiheit“. Dieses generöse Geschenk wird man dem unvergessenen Bundessympathieträger mit dem Tapir-Gesicht und den Elefantenohren, weltbekannt durch seine zitronengelben Pullunder mit V-Ausschnitt, die niemand mit solch nonchalanter Eleganz trug, wie der gebürtige Hallenser, natürlich lebenslang mit heftigen Emotionen vergelten. Mir persönlich allerdings ging dieser welthistorische Moment bedauerlicherweise eiskalt am Arsch vorbei, denn zu der Zeit schöpfte ich gerade den Verdacht, meine damalige Frau könnte evtl. „fremdgehen“, und litt daher unter starker Ego-Migräne. Gut möglich, daß sie auch eine Stasi-Agentin war, die mich destabilisieren sollte!

In welchem Ausmaß unser Schicksal von den Ostberliner Schlapphüten manipuliert wurde, ist nämlich noch gar nicht ausgemessen! Wie ich mit nicht geringem Unbehagen in der Magengegend las, hütet … – also ich meinte jetzt natürlich nicht, daß ich das „in der Magengegend“ las, sondern das Unwohlsein ist dort angesiedelt, das mich angesichts der gelesenen Meldung beschlich, nicht wahr! – …hütet die Birthler-Behörde Säcke mit 16 000 (!) ungelesenen, möglicherweise aber hochbrisanten Akten! Die Lektüre war den DDR-Abwicklern der Behörde bislang zu mühsam, denn die Ost-Fieslinge haben die Akten alle zerrissen oder geschreddert, sodaß man die erstmal in jahrzehntelanger Arbeit wieder zusammenpfriemeln muß, wozu offenbar bislang noch keiner die Kraft oder Lust gefunden hat. Begreifen kann man das ja! Ich habe mal einen deutschen Fernseh-Krimi gesehen, in dem ein Kommissar in einer (!) Nachtschicht drei (!) Säcke mit maschinell geschreddertem Aktenkonfetti wieder zur Lesbarkeit zusammengesetzt hat. Der Sprecher der deutschen Aktenschredderindustrie legt Wert auf die Feststellung, daß dies ein Ding der schieren Unmöglichkeit sei!

Nach der letzten Enthüllung wird man der ungeliebten Arbeit, in den alten Säcken zu kramen, nun aber wohl doch mal näher treten müssen. Mir schwant nichts gutes, ich seh schon die Schlagzeilen der nächsten Jahre vor dem entgeisterten geistigen Auge: Fernsehkoch und Hausfrauen-Fürst Clemens Wilmenrod, Lilo Pulver, Romy Schneider und die Jakob-Sisters, Hilde Knef, der heitere Beruferrater Robert Lemke, Hanns Joachim Kulenkampf, Wim Thoelke, der dicke Ludwig „Zigarre“ Erhard, der Kniefaller Willi Brandt, der Schah von Persil und Clementine von Persien: Steckt ihr wahres Ich noch in den Aktensäcken? Wer heute noch lebt von denen, die uns einst regiert oder terrorisiert haben, zittert: Diether Thomas Heck und Ricky Shane, Peter Kraus, Rudolf Schock (!), Dr. Helmut Kohl, Walter Scheel und Dr. Marianne Koch, Frau Professor Mitscherlich nebst Eugen Drewermann und Josef „Kardinal“ Ratzinger: Sie alle könnten fürchten, was da noch ans Licht kommt! Vielleicht müssen sie ihre Orden zurückgeben wie der Steuersparoasen-Wart Zumwinckel, oder alle ihre Goldenen Schallplatten- und Bambi-Verleihungen sowie sämtliche früheren Hitparaden-Notierungen werden revidiert.

Nehmen wir beispielsweise Frau Vicki Leandros („Theo, wir fahrn nach Lodz!“): Gerade hat sie ihre fünftausendste Langspielplatte vollgesungen und ist über die Texte, die ihr neuerdings die bekannte fromme Heulsuse Xaver Naidoo geschrieben hat, so begeistert, daß sie verlautbart hat, sie gedenke, „keinen Nebensatz davon wegzunehmen“. Zwar sind deutsche Schlagertexte bekanntermaßen ohnehin nebensatzarm, aber trotzdem: Wird Vicky Leandros, die weiße Rose aus Athen, die heute in Lüdenscheid wohnt oder wo, dabei bleiben können, wenn die alten Säcke ihr Geheimnis preisgeben? Das ihnen selbst innewohnende Geheimnis der Säcke, meine ich – denn ob die graeco-niedersächsische Chanteuse ein Geheimnis hat, wissen wir ja noch nicht. Aber wenn – ich steh bereit, die Geschichte der Republik neu zu schreiben!

Euer Geschichtsklitterer „IM Ernst“.

Herzliche Grüße sind manchen zu lang!

22. Mai 2009
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Hoffentlich nicht bald ein dicker Fisch...

Beschämende Einsicht, bestürzendes Bekenntnis: Ich habe zugenommen. Meine Jeans kneift! Früher hat sie nie gekniffen! Die Weite der Jeans, die ich jetzt bestellen muß, findet sich in der Spalte „zierlich & schlank“ leider nicht mehr.  Man mag mir die üblichen Versündigungen unterstellen: Disziplinloses Schlemmen und Zechen, Sportmuffelei, Mangel an kalorienzehrenden Ausschweifungen und andere Verwahrlosungserscheinungen. Ich sehe das ein und bin angemessen zerknirscht. – Andererseits gilt es ja nun nicht gerade als Aufreger der Woche, wenn ein Herr meines Alters mal zunimmt. Das kommt vor. Später wird es ja wieder besser! Jedenfalls hat mal eine Ärztin zu mir gesagt: „Haben Sie etwa schon einmal einen übergewichtigen 90-jährigen gesehen?“ – Seither grüble ich, der diese Frage spontan verneinte, wie sie das eigentlich gemeint hat. Heißt das, irgendwann wird man von alleine wieder klapperdürr? Werde ich im Kreis der Greise meine alten Jeans auftragen können?

Ein gewisses, nicht ganz untröstliches Frohlocken verursacht mir immerhin die Tatsache, daß ich die Phase christlicher Seefahrt untätowiert überstanden habe. Auch meine Zeit im Knast (1 Nacht bei der Stasi, Bhf. Friedrichstraße; 1 Nacht in Split, Ex-Jugoslawien) war insgesamt zu kurz, um mir den Körper mit Illustrationen dekorieren zu lassen. Mein ständiges Zu- und gelegentliches Abnehmen würde mir sonst Gemütsnöte ganz eigener Art auferlegen. Nicht ohne Bangen registriere ich nämlich den Optimismus junger Leute beiderlei Geschlechts, sich Schriftzüge und Ornamente auch auf Körperregionen tätowieren zu lassen, die im Laufe  des Lebens traurigen, aber unabänderlichen Transformationen unterliegen. Manches Segelboot verwandelt sich da im leidigen Fortgang der Biographie zum Containerschiff, mancher Drache schnurrt zur Eidechse zusammen, und welche semantischen Wandlungen diese chinesischen oder japanischen Schriftzeichen durchmachen, die man sich im Zustande jugendlich gesegneter Unverschrumpeltheit einst hat stechen lassen, läßt sich doch gar nicht absehen!

Diese Sprachen sind doch eh so knifflig! Wenn man im chinesischen Mandarin zum Beispiel einen Satz in der falschen Tonart singt, bedeutet er gleich was ganz andres, also z. B. statt „Hochverehrter Meister, ich bin glücklich, Ihr Shaolin-Kloster kennenzulernen“ kommt dann so etwas heraus wie „Du kriegst gleich derbe auf die Nuß, Opfer!“, was der etwas übelnehmerische Chinese möglicherweise als Affront versteht und gleich mit einem Boxer-Aufstand beantwortet. Mit den Schriftzeichen könnte das doch so ähnlich sein! Ich hätte Angst, wenn ich mir beispielsweise Dschuang Dsis berühmte Schmetterlingsfabel hätte tätowieren lassen, daß da heute stünde: „Zwanzig Prozent Rabatt auf alles außer Stiernacken“, und ich wüsste noch nicht einmal etwas davon und schlösse lediglich aus dem respektlosen Gekicher meiner Stamm-Geisha, das etwas nicht stimmt mit mir.

Einen Scherz mit Tattoo-Bezug hörte ich auf St. Pauli, wo ich eine zeitlang wohnte, um unter Leitung des KPD/ML-Vorsitzenden Ernst Aust Landtagswahlkampf für die maoistische Partei (Parole: „Hoch die Faust / für Ernst Aust!“; Wahlergebnis 0,1%) zu machen. Eigentlich müßte ich kurz um die Einnahme einiger Schlummer-Schnäpse bitten, wie ich sie damals bereits intus hatte, sonst ist es vielleicht nicht witzig. Jedenfalls hörte ich einen Hafen- oder Werftarbeiter über sein Gemächt prahlen, das er sich mit dem Schriftzug „HrzGraKnpl“ hätte tätowieren lassen. Nach einer dramaturgischen Pause, in der die Kneipenrunde geschlossen einen Köm kippte, fuhr er fort: „Aber wenn er s-teht, dann s-teht da ‚Herzliche Grüße aus Kons-tantinopel!’“ – und alles brüllte vor Lachen. Jedesmal, wenn neue Touris aus der Herbertstraße in die Eckkneipe trudelten, machte er den Witz noch einmal, daher hat er sich mir recht haltbar eingeprägt. Noch heute, wenn ich Jung-Machos mit gewissem Migrationshintergrund sehe, die, wie man heute in gewissen Kreisen sagt, „auf dicke Hose machen“, dann denke ich im Stillen immer: Na, – ob das wohl für eine Postkarte von zuhause reicht? (Vielleicht gerade mal für „Split is’n Hit“, aber doch nicht für „Yaşasın Galatasaray Istanbul“!)

Auf dem Zenit meiner Lebensweisheit, den ich längst überschritten habe, kam es mir vor, als sei mir praktisch nichts Menschliches fremd. Heute versteh ich schon immer weniger. So fällt es mir schwer, den Geisteszustand einer jungen Frau nachvollziehend auszumessen, von der anläßlich einer Tattoo-Messe berichtet und gezeigt wurde, daß sie sich auf die beiden Oberarme jeweilen das fotorealistische Porträt ihrer Mutti (links) und ihres Vatis hatte anbringen lassen. Also, eine Dame, die jedesmal, wenn sie sich von mir wegdreht, mir nicht nur die sprichwörtliche kalte Schulter, sondern höhnischerweise auch noch das grinsende Gesicht meiner Schwiegermutter zeigte, wäre ich wohl nicht bereit, zu ehelichen.

Der große mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin war nicht verheiratet, auch wohl nicht tätowiert, aber zugenommen hat er nicht zu knapp: Der Askese-Prediger wurde schließlich so dick, daß er seinen Schreibtisch im Scriptorium halbrund aussägen lassen mußte, um noch dran zu kommen. Als Mönch hatte er es gut: Er mußte nur eine längere Kordel für seine weite Kutte besorgen, und sich nicht mit den Größentabellen der Jeanshersteller herumschlagen. Leider wurde er nur 49 Jahre alt, sodaß er die finale greisenhafte Dürreperiode deutlich verfehlte. Man hat seinem Leichnam, heißt es, mit einem Kran aus der Kammer geborgen. Er hinterließ ein umfangreiches theologisch-philosophisches Werk. – Heutige Körperschmuck-Sammler hinterlassen oft schon eine derart kunstvoll tätowierte Haut, daß sie diese vorsichtshalber einem Museum vermachen. Inwieweit dies zu Lebzeiten bereits ihr Selbstwertgefühl hebt, ist mir nicht bekannt.

Prahlhans als Küchenmeister

21. Mai 2009
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Darauf wären wir nie gekommen: Wilmenrods "Gefüllte Erdbeere"

MUTTIS HEINZELKOCH: GIGOLO ALS KÜCHENMEISTER

Ey Kids, kommt mal kurz von der Tanzfläche! Daddy-O will wieder von früher erzählen! – Tscha, Kinners, wir wollen mal ein Jubiläum feiern. Vor ziemlich fast genau 45 Jahren war das, da ging eine Ära zu Ende, die wir heute als legendär, wenn nicht mythisch bezeichnen dürfen: Am 16. Mai 1964 hieß es im Fernsehen zum allerletzten Male „Ihr lieben, goldigen Menschen!“ bzw. „Verehrte Feinschmeckergemeinde!“ – der erste Fernsehkoch Deutschlands gab nach 11 sensationell, ja, epochal erfolgreichen und die Kultur der Bundesrepublik prägenden Jahren den Löffel ab. Nur drei Jahre später legte er auch Messer und Gabel nieder und brachte sich um, in der – möglicherweise irrigen – Annahme, er sei an Krebs erkrankt: Clemens Wilmenrod, Erfinder der „gefüllten Erdbeere“, des „Toast Hawaii“ und des „arabischen Reiterfleisches“ sowie permanenter Schrecken und Albtraum (nightmare in residence) meiner Kindheit. Während samstags bei Fernseh-Familie Kraska während der „Sportschau“ Sprechverbot herrschte, brach an jedem Freitag um 21.30 Uhr Muttis Ausnahmezustand aus: Da saß sie mit gespitztem Bleistift über einem zentimeterdicken alten Taschenkalender, um jedes heilige Rezeptwort mit zu stenographieren, wenn es wieder hieß: „Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch“.  Was der joviale, immer etwas ölig wirkende Mann auftischte, wurde regelmäßig, in der Interpretation meiner jungen, wg. Armut kulinarisch unerfahrenen Mutter, zur mittagstäglichen  Realität. Ich bin, so gesehen, gastro-ästhetisch durch eine harte Schule gegangen. Manchmal war es okay, aber manchmal auch das Grauen (Marlon Brando als Colonel Curtz in ‚Apocalypse now’: „The horror! The horror…!“).

Unser mit dem Charme eines geübten Heiratsschwindlers und Vorstadt-Strizzis ausgestattete Fernsehkoch gehörte zu einem Typus, der in gewisser Weise stilbildend für die junge Bundesrepublik wurde: Ein Windbeutel, Scharlatan und Schaumschläger, ein Durchmogler, Phantast und kreativer Taugenichts, ein roßstäuscherischer Autoverkäufer, wortverdreherischer Versicherungsvertreter oder Friseur, der gegen Aufpreis auf einer Glatze Locken drehen konnte. Es versteht sich, daß Wilmenrod vom Kochen im Prinzip kaum Ahnung hatte, denn er war gar nicht Koch, sondern bloß arbeitsloser Schauspieler, und er hieß noch nicht mal Wilmenrod, – Carl Clemens Hahn kam lediglich aus dem gleichnamigen Örtchen im Bergischen. Seine in schwarz-weiß ausgestrahlte Koch-Show bestritt er selbdritt: Zunächst war da der Maestro höchstselbst, der das Reden und Anekdoten-Drechseln besorgte und oft eine Schürze trug, auf der er selber, schmeichelhaft karikiert, abkonterfeit war; sodann Hahns Frau Erika, die das Schnibbeln, Putzen, Raspeln und Bruzzeln besorgte, ungenannt, anonym und im Hintergrund – nur ihre Hände kamen versehentlich mal ins Bild –, sowie schließlich der berühmte elektrische Infrarotgrill ‚Heinzelkoch’, der auch im Abspann immer erwähnt wurde und bei Loriot, leicht verfremdet als Kombi aus Haartrockenhaube und Staubsauger („Es bläst und saugt der ‚Heinzelmann’, wo Mutti sonst nur Blasen kann“) eine zotig-parodistische Widergeburt zeitigen sollte. Erika Hahns Hände waren freilich evtl. schon das unverzichtbar tragende Personal: Als Wilmenrod einmal vor laufender Kamera eigenhändig und ungedoubelt eine Pute tranchieren sollte, gab es ein Massaker, das das Grauen der damaligen Edgar-Wallace-Filme mühelos toppte!

Wilemrods kulinarische Koch-Kreationen atmeten den unvoreingenommenen, konzentrierten Wahnsinn eines gebrannten, aber auch begabtem Kindes, das im Begriff ist, die Welt neu zu erfinden. Oder in die Luft zu sprengen, je nachdem, was an Zutaten zur Verfügung stände. In der späten Nachkriegszeit („Wir hatten ja nichts!“) war Wilmenrod „vor nichts fies“, wie wir im Ruhrgebiet sagen,und nichts war vor seiner Experimentierlust sicher – er kochte ungeniert mit Dosengemüse, Ketchup,Glutamat-strotzenden Saucenbindern oder Tüten-Suppen, wobei er das jeweils Zusammengerührte großzügig mit phantasievollen, auratisch nach weiter Welt schmeckenden Namen garnierte oder überbuk: Das „arabische Reiterfleisch“ erwies sich dabei als simples gebratenes Hack, der „gefüllte Erdbeere“ war lediglich eine Mandel appliziert und dem schlichten panierten Schnitzel verlieh er generös den hochmögenden Grafentitel „Venezianischer Weihnachtsschmaus“ (Ich glaube, Loriots legendärer „Kosakenzipfel“ und das „Schnitzel Florida“ waren auch von Wilmenrod inspiriert…). Auch eine noch heute gebräuchliche Gastro-Marotte verdankt Wilemenrod die Existenz: Fiel dem Koch ausnahmsweise nichts ein, wurde halt irgendwas, was gerade da war, auf eine Scheibe Weißbrot geworfen und mit Käse überbacken. So entstand u. a. der unsterbliche „Toast Hawaii“, den ich, ich gestehe das, heute noch, mit gewissen Abwandlungen, goutiere.

Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, der berühmte „Käse-Igel“, unverzichtbarer Party-Snack der Adenauer-Jahre, ging ebenfalls auf Wilmenrods Kreativität zurück. Was sich allerdings hinter Gerichten wie „Würstchen mit Austern“, „flambierte schwarze Banane“, „Zwiebelsuppe Renée“, „Tessiner Fischschnitzel“ oder „Päpstlichem Huhn“ verbarg, weiß ich nicht mehr, und da ich kein Steno beherrsche, kann ich die Notizen meiner Mutter (Lukullus habe sie selig!) nicht entziffern. Ich entsinne mich nur noch mit Entsetzen eines bei uns oft gegessenen Auflaufgerichtes, das Seelachs oder Kabeljau mit gekochten grünen Dosenbohnen kombinierte und beides im ‚Heinzelkoch’ mit einer derben Schicht gebutterten Paniermehls überkrustete. Es war, nun, … speziell.

Fairerweise muß man erwähnen, daß wir Deutschen heute noch immer über sauren Nierchen mit Pumpernickel brüten würden, hätte uns der Blender und geflunkerte Weltmann Wilmenrod nicht mit kulinarischem Fernweh infiziert. Er verwendete als erster den kurz  zuvor noch als „jüdisch“ verfemten Knoblauch, briet gern mit Olivenöl und schwärmte weltläufig von italienischer Pizza und Pasta. Daß die sog. „Fresswelle“ in Nachkriegsdeutschland bruchlos in die massentouristische „Reise-Welle“ überschwappte, war nicht zuletzt das Verdienst von Wilmenrods gefinkeltem Kosmopolitismus. Er hat den stabilsten, widerständigsten Hort deutscher Xenophobie geknackt – die Angst vor fremdem Essen! Ewiger Dank an Schwindelkönig Wilmenrod, nicht Schmalhans, sondern Breitmaul als Küchenmeister!

Die stilbildende Medienpräsenz des deutschen Hausfrauenlieblings zerbrach an der Geldgier des Maestros – oder an der Scheeläugigkeit der Neider beim WDR, je nachdem, von wo man guckt. Denn nachdem es mit dem ‚Heinzelkoch’ so gut geklappt hatte, hievte Wilmenrod immer unverfrorener und dreister Markenprodukte auf den Küchentisch, um lauthals Reklame zu machen. Der Erfinder des „Toast Hawaii“ ist, zumindest in Deutschland, auch der Erfinder der Schleichwerbung und des product placements gewesen, sowie, natürlich, der überflüssigsten aller Televisions-Genres nach dem Soft-Porno: der Koch-Show. Jedenfalls, die deutsche Hausfrau, damals noch vom Ehe-Vati vertreten, witterte Kommerz und Unredlichkeit, und da man Geldgier noch dumpf als Juden-Laster und undeutsch im Hinterkopf hatte, wurde Clemens Wilmenrod abserviert. – Bei mir bleibt der Mann dennoch unvergessen; er ist mir als Kind (also als ICH ein Kind war, nicht er!) derart auf die Nerven und den Magen gegangen, daß ich ihn quasi inkorporiert habe, wohl auch ins Herz geschlossen, wie alle, die sich an eine Kindheit in den 60ern erinnern.

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Unvergessen: der Prahlhans als Muttis Küchenmeister

 

 

 

 

 

 

 

 

Herr Willemsen, Frau Klum, MILFs und farbige KlebeTapes

21. Mai 2009
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Unter uns: Hier sind MILFs unter sich

PFLASTER STATT LASTER: MAN SAGT NICHT „MILF“ ZU MADONNA!

(Ein Wort zum Vatertag)

Es gibt Menschen, über die ich mich nie zu einer eindeutigen Meinung durchringen kann. Finde ich Roger Willemsen nun gut oder doch nicht so? Ich weiß es nicht. Immer dieses hin und her! Einerseits schreibt er ganz eloquent, andererseits sitzt er immer in TV-Talkshows und  zelebriert ein derart schwuchtelig-weicheiriges Frauenversteher-Getue, wenn ich das so unverblümt sagen darf, daß man sich unwillkürlich fragt, was bloß Frau Willemsen sen. mit dem kleinen Roger gemacht hat. Das nervt oft. Ein kleines Sternchen hat er aber bei mir jetzt geerntet, denn er hat die Mädchenscharführerin und Mannequin-Dompteurin Heidi Klum „eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil, die kleine Mädchen zum Weinen bringt“ genannt, und das ist zwar ein wenig uncharmant, verrät aber durchtrainierte Urteilskraft. „Germany’s Next Top-Moppel“ ist in der Tat ein Gesamtkunstwerk an vollkommener, hundertprozentiger Geistesverwahrlosung. Es gipfelt konkurrenzlos in der Pissnelken-Kommandeuse mit dem Sauerkrauthaar und der Quietsche-Entchen-Stimme, der man diese auf dem internationalen Markt erfolgreiche Normnase ins Gesicht gebügelt hat, Madame La Klüm, die eine massive, zu hundert Prozent durchgehärtete Doofheit mit einer so aufreizend nichtswürdigen, grund- und bodenlosen Anmaßung verbindet, daß ich schon lachen muß, wenn ich das Schnütchen des auf Cremeschnitte getrimmten Plunderteilchens nur auf der Mattscheibe erblicke. Das „Knallchargen-Pathos“ (Willemsen) der Domina spielenden Anziehpuppe wirkt einfach unwiderstehlich belustigend!

Natürlich hätte Willemsen die Frau Eiskaltmamsell auch eine MILF nennen können. Ich schätze Max Goldt nicht zuletzt für die Meisterleistung an Diskretion, in der „Titanic“ drei Seiten über MILFs zu schreiben, ohne jemals auszusprechen, was dieses Wort bzw. Akronym bedeutet! So etwas muß man erstmal können! Die Männer und Frauen, die Weltläufigkeit mit universalem Halb- bzw. Basiswissen paaren, werden mir mit stillem Schmunzeln zustimmen, daß „man so was eben weiß“, aber man spricht nicht darüber! Auch ich beweise gentlemaneske Dezenz und weltläufiges Universalauskennertum, in dem ich konzediere, daß das Wort MILF seit einiger Zeit zu meinem passiven, aber nicht zu meinem aktiven Sprachschatz gehört. Ich denke nicht einmal „MILF“, selbst wenn ich so verehrungswürdiger  Damen wie Marietta Slomka, Silvana Koch-Merian oder Ursula von der Leyen ansichtig werde! Oder Sandra Maischberger, Iris Berben und Hannelore Elsner, um die Brünetten nicht auszuschließen.

Möglicherweise gebricht es mir in meinem Alter schon an Testosteron, um so etwas wie MILF wenigstens im Stillen zu denken, wenn ich eine sehe? Einem solchem Mangel könnte ich natürlich mit einem Testosteron-Pflaster abhelfen, wenn ich neben den Nikotin-Substitutionspflastern und den Dolo-Tapes noch ein Stück unbeklebte Haut finde. Dolo-Tapes sind Klebestreifen, die neuerdings auf schmerzende Körperteile gepappt werden, wobei die Farbe (!!!) der Streifen ausschlaggebend für die heilende Wirkung sein soll. Meine Heilpraktikerin hat mich mit leuchtend gelben beklebt, weil „gelb“ gut sei für die lymphatische Schadstoff-Ableitung. Als ich behutsam anmerkte, ich verfügte aber auf dem Rücken, in Höhe der Lendenwirbelsäule, nicht über Farbrezeptoren, sodaß es meines Erachtens völlig gleichgültig sei, welche Farbe die Streifen besäßen, versetzte sie schlagfertig, die Lichtwellen wüssten das schon! Ich wiederum wusste gar nichts davon, daß ich nicht nur rückwärtig, hinten unten, über eine lichtempfindliche Lendenregion verfüge, sondern diese auch noch so sensibel ist, mithilfe einiger durch Sakko, Hemd und T-Shirt dringenden Lichtstrahlen die Farbe der Kleber erkennen zu können!

Die belebte Natur steckt voller Überraschungen! Ich glaube, auch Wesen wie die Klum haben von der Natur gewisse Empfindlichkeiten mitbekommen. Wenn Frau Klum von Scheinwerferlicht getroffen wird, beginnt sie zum Beispiel, schrill zu quietschen, sodaß auftauchenden Fressfeinden oder Model-Konkurrentinnen das Blut in den Adern gefriert! So gleicht die Natur das Defizit aus, das die Dame in intellektueller Hinsicht aufweist. Pflaster zur Substitution von Intelligenz gibt es ja leider noch nicht.

Wenn Frau Heidi Klum, statt zu quietschen, mal sprechen muß, läßt sie das durch ihren Manager und Sprecher erledigen. Er ist auch ihr Vater und erlitt, wenn man der BILD glauben soll, neulich einen Schlaganfall, spricht aber schon wieder. Was hatte er zu verlautbaren zu den Angriffen Roger Willemsens? „Heidi hat solchen Leuten nichts zu sagen“, verriet er der Presse pampig. Das glaube ich wohl. Aber Roger Willemsens Schandmaul funktioniert ja auch nur schriftlich. Ich habe mal eine Fernseh-Sternstunde erlebt, da sollte Willemsen in einem Pariser Hotel Madonna interviewen. Madonna war schon im MILF-Alter, aber noch nicht auf dem Kabbala-Trip, und sammelte auch noch nicht arme Neger-Kinder. Sie verströmte eine so ungeheure eisig-dominante Erotik, daß Roger Willemsen wie ein weiches Frühstücksei im Konfirmationsanzug wirkte und aufs Schuljungenhafteste nur unverständliches Gestammel herausbrachte. Er sah dabei aus wie eine akute Hormonellen-Vergiftung! Vielleicht, aber das konnte man durch den Anzug nicht sehen, trug er ja ein lichtundurchlässiges Testosteron-Pflaster auf dem Rücken und konnte die ganze Zeit über nur denken: MILF, MILF, MILF….

Wahrscheinlich hat Willemsen getan, was Heidi Klum bestimmt lieber vermeidet, nämlich sich selbst im Fernsehen angeschaut. Die Schmach mit Madonna, die das Weichei kühl lächelnd zum Frühstück verspeiste, hat er nicht verwunden, weshalb er sich jetzt an kretinesken Gummi-Entchen schadlos hält. Seine hübsche Tirade gegen das gewesene Top-Model endete übrigens vergleichsweise frauenfeindlich. Aber frauenfeindlich ist Heidi Klums Show ja auch (und der Begriff MILF ohnehin!). Ich hätte ansonsten die Idee für eine Therapie: Einfach mal ein fettes Tape über die Quaak-Schnute kleben! Die Farbe wäre, denke ich, in diesem Falle egal.


Ich überlebte das Lächeln Enver Hoxhas!

20. Mai 2009
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Kraska und der Diktator versuchen sich gegenseitig niederzugrinsen

 

 

BEIM AUFFINDEN EINES ALTEN FOTOS…

 

Das Fernsehen wiederholt ja auch schon mal was! Deshalb, und weil ich heute wohl Fußball gucke, ein älterer Beitrag aus dem Qype-Kästchen:


Ich schätze, die meisten unter Euch Erwachsenen fühlten sich nicht brüskiert, äußerte ich die Annahme, daß auch Ihr auf eine stattliche Anzahl größerer  oder minderer Dummheiten zurückblicken dürftet: Das Leben erfreut sich zahlreicher Gelegenheiten, Fallgruben und Fettnäpfchen bereitzuhalten, in die hineinzutappen und sich lächerlich zu machen zu den unvermeidlichen Stationen auf dem Weg zur Reife gehört. Manchmal ist das ein langer Weg! Auch ich bin erst durch den Schaden klug geworden, den ich selber angerichtet habe! Kein Grund, vor Scham im Erdboden zu versinken! – 

 

Die Frage ist, habt Ihr von den beschämendsten Momenten Eurer größten Lebensblödheit auch ein … Beweisfoto? (Hochzeitsfotos zählen jetzt mal nicht, und auch nicht die freizügigen Bilder, zu denen Ihr Euch mal in der Nacht nach der Weihnachtsfeier habt überreden lassen…)

 

Ich habe ein solches peinliches Fotodokument von mir gefunden, und weil der Mann, dem ich auf diesem Bild frenetisch grinsend die Hände schüttle, vor wenigen Monaten einhundert Jahre geworden wäre, zeige ichs mal vor:  Der Mann rechts, der voller Freude über meine enthusiastische Bereitschaft zu rückhaltlosem Personenkult wohlwollend und huldvoll zu mir emporstrahlt, ist der albanische Diktator Enver Hoxha [1908-1985], der mit seinem Clan (und seiner Geheimpolizei) das wunderschöne Land an der adriatischen Ostküste vierzig Jahre lang terrorisierte und unter seiner Fuchtel hielt. 

 

Ähnlich wie der nordkoreanische Geistesbruder Kim Il-sung schuf Hoxha eine verführerische Mixtur aus Befreiungskrieg-Mythen, Nationalismus und militantem Linkskommunismus, angereichert mit stalinistisch-maoistischem Personenkult um seine eigene Person. Wer sich nicht verführen ließ, wanderte ins Arbeitslager, wurde erschossen oder zu Tode gefoltert. Orthodoxe Christen und Balkan-Muslime wurden gleichermaßen verfolgt; auf die illegale Einführung von Bibel oder Koran stand die Todesstrafe, und Enver Hoxha war stolz, Herrscher des „ersten atheistischen Staates der Erde“ zu sein. Natürlich war das trotz allen Terrors Quatsch, Propaganda und Selbstbetrug. Die Partei schaffte es nicht einmal, die jahrhundertealte Tradition der Blutrache zu beseitigen, von der die stolzen Shqipetaren, Nachfahren der lllyrer und Besitzer einer einzigartigen Kultur und Sprache, bis heute nicht lassen wollen.

 

Daß Enver Hoxha nicht in gleichem quantitativen Umfang zum Massenmörder wurde wie Stalin, Mao Zedong oder Pol Pot, lag lediglich an der lummerländischen Winzigkeit Albaniens, seiner Isolation am Rande Europas und der überschaubar kleinen Bevölkerung. Dabei war Hoxha, meinem bescheidenen Eindruck nach, der intellektuellste unter den stalinistischen Diktatoren, er war Lehrer gewesen, kein Bauer, und er verfügte durchaus über einen gewissen leutseligen Charme. (Hierüber mag ich mich freilich täuschen: Lloyd Jones schreibt in seinem Roman „Der Mann, der Enver Hoxha war“: „Ich hatte davon gehört, daß Menschen, die ein Lächeln über Envers Gesicht huschen sahen, später zu ihrer Überraschung oft erfuhren, daß er ihre Hinrichtung angeordnet hatte.“

 

Ich darf also mit einem gewissen demütigen Glücksgefühl sagen: Ich habe Enver Hoxhas Lächeln überlebt! Ob das auch der Fall gewesen wäre, hätte ich nicht sehr bald danach die Heimreise angetreten? Den Job als deutscher Sprecher von „Radio Tirana“ bekam ein anderer Genosse, zum Glück. (Meinesgleichen waren damals die ersten und einzigen Deutschen seit dem Sieg über die Nazi-Besatzung, die unsere Heimat in Albanien vertraten).

 

Hoxha starb 1985.   Zwei Jahre später nahm die Bundesrepublik zur (damals noch) Sozialistischen Volksrepublik Albanien diplomatische Beziehungen auf. Der „Sozialismus“ brach bald danach wie ein Kartenhaus zusammen. Als die Deutsche Botschaft 1990 ihr eigenes Gebäude bezog, stürmten tausende Albaner das Gelände, in der Hoffnung, nach Deutschland zu entkommen. Die bronzene Statue Hoxhas auf dem zentralen Skanderbeg-Platz in der Hauptstadt Tirana wurde heruntergerissen, der Leichnam des Diktators aus seinem pompösen „Heldengrab“ exhumiert und zivil bestattet. Trotzdem zeichnen immer noch Spuren Hoxhas das Land: Da sind die zigtausenden von kleinen Betonbunkern, deren Bau Enver befahl und die das Land wie Pickel überziehen; und an manchen Berghängen prangen da noch immer die kilometerlangen monumentalen Steininschriften: „Rrofte Partia e Punës e Shqipërisë me ne shoku Enver Hoxha në krye!

 

Ich blieb damals ratlos zurück. Ich hatte gar nichts von Diktatur und Terror bemerkt! Albanien war ja nicht Nordkorea, sondern ein sonnenverwöhntes mediterranes Land mit einer (scheinbar) entspannten, lebenslustigen jungen Bevölkerung, die, so schien es mir, fröhlich und freiwillig hinter ihrer Führung stand… –  Aber was kapiert man schon mit 23? Und woran erkennt man, daß die trinkfesten Genossen, die einen auf der Reise umsorgen, von der Geheimpolizei sind? Natürlich ist mir aufgefallen, daß das Privilegiertenviertel, in dem ich wohnte, von schwerbewaffneten Elitesoldaten mit gezückten Maschinenpistolen bewacht wurde. Für oder besser:  gegen wen diese Waffen gerichtet waren – das war mit Sicherheit eine der naheliegenden Fragen, die ich mir nicht gestellt habe. Wie auch die nicht wirklich, warum in einem Land, in dem Eselskarren noch immer Luxus waren, die Partei-und Staatsführung grundsätzlich in einer Kolonne schwerer, gepanzerter Mercedes 500-Limousinen über die kaum gepflasterten Straßen bretterten.

 

Lenin, Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot, Kim Il-sung, Enver Hoxha, Saddam Hussein – die Geschichte hat die großen Diktatoren und Menschenfresser des 20. Jahrhunderts verschlungen und auf den berühmten „Müllhaufen der Geschichte“ gespiehen. Ihre Namen, ihre Gesichter kennt man noch. Die Hunderte von Millionen Opfer haben in der Regel weder Namen noch Gesichter. Aber sie sind es, derer wir gedenken sollten: Um ihretwillen müssen wir wach bleiben – und zusehen, daß wir den Enthusiasmus unserer Jugend in bessere Bahnen lenken…