Archiv für März 2010

Im Frühlings-Delyrium

19. März 2010

Mädchenblüte (Bild: A. Mucha)

Zweifellos ein Rätsel der Natur: Die Bäckerladen-Mädchenblüten-Korrelation, auch Bäckerblumen-Konstante genannt. Jeder Statistiker wird es bestätigen: Man mag zum Vergleich heranziehen, was man will – Metzgereien, Parfümerien, Schuhgeschäfte, Baumärkte, egal: Es sind die Bäckereiläden, in denen grundsätzlich die hübschesten, anmutigsten, natürlichsten und nettesten Ladenfräuleins arbeiten! „Im Schatten junger Mädchenblüte“ (Marcel Proust) kauft man gern seine blonden Semmeln, brünetten Mohnzöpfe und süßen Puddingbrezeln und ist, auch als älterer Herr, nicht nur vom Backwerk nachhaltig enchantiert! Warum das so ist, weiß kein Mensch. Nicht mal Wissenschaftler oder Experten.

Fleischereifachverkäuferinnenauszubildende mögen drall sein, rosenwangig, fleischig und derb – Eichendorffsche Anmut versprühen sie fast nie. Parfümeristinnen von Douglas sind nicht natürlich, sie tragen zuviel Kajal und außerdem Strass auf den Acrylfingerkrallen. Schuhverkäuferinnen sind immer frustriert; H&M-Mädels und andere Boutiquen-Girlies wollen zu MTV, Viva oder Germany’s Next Top Moppel, und interessieren sich daher nicht für Kunden. Und selbst von Friseurinnen, die früher, neben Cellistinnen, generell einen starken erotischen Reiz auf mich ausübten, bin ich nicht mehr begeistert.  Heute heißen sie leider oft Sorina, Jackeline oder Chantalle, sie tragen grelle Proletten-Strähnchen, und mit ihrem früheren Privileg – unglaublich gut zu riechen – ist es auch nicht mehr weit her.

Aber in Bäckerläden! Wie goldhäutig zart, knusprig, resch, kross und rank, zum Vernaschen appetitlich, honigsüß, tiefenwürzig, knusperknackig, zum Anbeißen hübsch ist hier nicht nur das Backwerk in der Vitrine drapiert, – nein, über das Angebot regieren auch noch Elfen, Nymphen, Anmutsmusen und Ährenjungfrauen von frappanter Eleganz und selten seelenvollem Charme. Aufgeschlossene Munterkeit verströmend verschenken sie gute Worte und Wünsche für den Tag und geben in die Brötchentüte, als Gratisgabe, solch ein Bündel Lächelblicke mit hinein,  daß selbst graubärtige Misanthropen-Wölfe für den Moment das Zähnefletschen vergessen und sich aufs Frühstück freuen. So wie ich gestern.

Zunächst sollte ich erwähnen, daß die uralteingesessene heimatliche Bäckereiladenkette „Müller“ für mich immer noch die besten, wohlschmeckendsten und authentischsten Sachen feil hält! Erst kommt der Bäcker Müller, dann eine Weile gar nichts, dann der eigene Brotbackautomat, und schließlich der Rest. Insofern könnte Müller theoretisch auch den Drachen Frau Mahlzahn zum Brötchenverkauf einteilen, oder jemanden aus der Schreckschraubenabteilung, ich bliebe dennoch Kunde.

Um so mehr war ich gestern beim Betreten der kleinen Filiale hier im Viertel enthusiasmiert. Fast wären mir wieder rote Ohren und kurze Hosen gewachsen, derart bis zur Verlegenheit geblendet wurde ich von Charme und Schönheit einer jungen Dame, die dort Dienst tat. Sie war ganz und gar von der Art jener blonden Prinzessinnen, die ich in meinen Knabenträumen immer vor wilden Tieren und grausamen Indianern gerettet habe, um sie dann irgendwie zu heiraten, oder so. (Ganz genau wusste ich noch nicht, was man mit geretteten Blondzöpfen anfängt, die einem vor Dankbarkeit um den Hals fallen…)

Versunken in Andacht und Abschweifung hätte ich beinahe vergessen, meine Brötchentüte mitzunehmen! Dafür stand mir noch lange ein leises Lächeln im Gesicht, was freilich, wie wohl die gesamte Hochgestimmtheit, auch damit zu tun hatte, daß gestern bei uns mit plötzlicher Urgewalt der Frühling ausgebrochen ist und die Sonne einem die Hypophyse kitzelt.

Also, wer kann: Frisches Backwerk kaufen und dann ab in den Park, träumen, tanzen, Wolken umarmen.

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Chrash test dummy beim Pizza-Test

17. März 2010

Also, auf was für Quatsch man immer kommt, oder? In jungen Jahren kaprizierte ich mich zu meiner Unterhaltung gern darauf, vor Publikum völlig unhaltbare Thesen und Theorien aufzustellen, und zwar je unsinniger, desto leidenschaftlicher und apodiktischer vorgetragen. So posaunte ich beispielsweise einmal die empirisch sparsam untermauerte Behauptung in die Welt, je schäbiger, billiger, mieser, desolater, primitiver, elender und bastel-improvisierter eine Pizzeria aussähe, desto besser sei zumeist ihre Pizza in kulinarischer  Hinsicht. Dies gälte als Regel zumindest im Ruhrgebiet, basta! (Ist natürlich Quatsch mit Tomatensauce.)

Späterhin unterließ ich solche unreife Thesen-Huberei und schliff meine rhetorische Brillanz lieber an anderen Herausforderungen. – Neulich aber, beim ziellosen Herumkramen in meinem alten Kopf, entdeckte ich plötzlich, daß diese Hypothese anscheinend immer noch irgendwie bei mir herumspukte und allen bisherigen geistigen Frühjahrsputzaktionen zum Trotz auf meinem verstaubten Überzeugungsdachboden überwintert hatte. Das wird jetzt aber mal endgültig überprüft, sagte ich mir streng.

Gestern war es soweit. Ein Objekt hatte ich schon ausgemacht: Der, die oder das „Pizza Man“; ich passiere es fast täglich, denn es liegt am Eingang zu meinem Viertel, strategisch platziert am Schnittpunkt der Sex-Laufhäuser und Großbordell-Komplexe im Hochfelder Norden. Am Tor zu „Sin City“, wie meine Nachbarn von den Bandidos gern sagen. Ich schätze, so manches gepudertes Nutten-Näschen kräuselt sich hier im Vorbeilaufen lüstern angeruchs des lockstoffgetränkten Hefeteigdufts und denkt sich ( – was Näschen halt so denken!): „Ooch,  so eine kleine Handvoll Kohlehydrat schaufle ich mir mal lieber eben rein, bevor ich auf Schicht noch schlapp mache…“

Allerdings weiß ich von früher (– ich bin ja, wie einige wissen, hier von hiesigen Binnenschiffer-Nutten gefunden und aufgezogen worden… –), daß Sex-Arbeiterinnen in der Regel einen Hygiene-Pingeligkeits-Standard besitzen, an dem selbst meine Mutter nichts hätte aussetzen können, und so frage mich daher andererseits, ob je eines der Fräuleins freiwillig auch nur einen einzigen High Heel in diese Siffbude setzen würde. Sie machens bestimmt telefonisch. „Pizza Man“ ist nämlich der Bringer. Also Bringdienst.

So, jetzt ist es also schon fast heraus und ich sags mal mitleidlos knallhart: Liebe Freunde, Gott ist mein Zeuge! Eine fiesere, trübere, vermülltere, beängstigerende, deprimierendere, ja traumatisierendere Pizza-Bude als dieses von Tamilen betriebene indo-italische Kompostat sah ich noch nie von innen! Mein Immunsystem sprang förmlich im Dreieck, kaum hatte ich die Kaschemme gestern um 22.00 Uhr betreten. Am schmierigen Resopal-Tresen des 2qm-„Gastraumes“ hing eine (nur in der Höhe, nicht in der Breite) zwergwüchsige, ‚dunkelheutige’ (haha, Wortspiel-Teufel) Südasiatin und gab etwas von sich, was mich auf akuten, mit schweingrippisch-schleimreichem Auswurf verbundenen Keuchhusten tippen ließ. Hm.  Ich hätte das aufnehmen und an Sound-Designer verkaufen sollen.

Die optische Besonderheit der gekachelten, offenbar seit Jahren ungelüfteten, fettverußten Besucher-Nasszelle bestand indes darin, daß man hier, wie nirgends sonst in der Welt, Bakterien praktisch schon mit bloßem Auge erkennen konnte. Hier sind sie groß genug! Panisch tastete meine Hand nach dem Sagrotan-Desinfektionspray, doch das lag zuhause im Bad. Beim Versuch, mir gedanklich eine Pizza zusammenzustellen, funkte mir deshalb ein geheimes Alarmzentrum meines Gehirns schon ständig Fluchtimpulse dazwischen, Blaulicht! Blaulicht! Blaulicht!, bis ich es anherrschte: „Ist ja gut jetzt! Laß mich mal in Ruhe! Ich will hier den Helden spielen und im Selbstversuch eine Pizza probieren!“

Aus dem hinteren Kabuff, zwischen überquellenden Mülleimern und verklebten Tupperware-Kisten, die allerhand Organisches beherbergten, schlurfte ein beleibter Tamile herbei, der mich mit müden Augen musterte und ergeben meine Bestellung erwartete. Gemütvoll wischte er sich die Hände am fettfleckigen, schmutzstarrenden T-Shirt ab und machte sich dann an die Arbeit; zwischendurch, nachdem er kassiert und das Geld in eine Kasse gestopft hatte, fragte er irgendwas wie „oluppie?“ – und als ich meinen Olivenwunsch bestätigte, kratzte er sich kurz den Bauch, dann  den Schopf, schlurfte nach ganz hinten, lange mit der Hand in eine Tupperdose, kramte darin herum, um dann, die schwarzen Knödelchen in der Faust, zum Ofen zurück zu waten und sie dort auf die Pizza zu schmeißen. Ähnlich wurde mit Knoblauch verfahren. Ich schickte ein Stoßgebet zum Pizzagott, daß der Ofen heiß genug sein möge, die mutmaßlichen Riesenbakterien, Viren-Tiere sowie fibrösen Fibrillen (K. Valentin) halbwegs totzumachen, dann nahm ich die Pappsarg mit meiner Pizza in Empfang und schob ab nach Hause, den besagten Test durchzuführen.

Nach meiner überspannten Theorie hätte die Pizza wirklich grandios sein müssen! Leider, trotz großzügigem Einsatz von Geschmacksverstärkern, Antioxydationsmitteln und Ersatzaromen, war sie dies nicht. Auch meine nachträglichen privaten Doping-Ergänzungen, Kapern, Sardellen, Oregano usw., halfen dem Fladen nicht über die Unterer-Durchschnitt-Hürde. Kostenabrechnung: 1 mittelgroße Pizza mit 1 Zusatzbeilage (davon 1/3 tatsächlich gegessen): 5,00 Euro + 12 Stunden Diarrhoe. Nutzen: Einsicht. Nie mehr blödsinnige Theorien aufstellen. Schmuddel-Pizzerien meiden.

Geld. Langweilig, aber wichtig…

12. März 2010

Klar, das glaubt man jetzt nicht. Philosophen, Essayisten und ätherische Schöngeister, die eine Hymne auf ihren Steuerberater schreiben, gibt’s eher selten. Ich bin so einer und schrie b grad auf dem Qype-Forum dieses:

Geld, Geld, ja, ja. Dolle Sache, weiß ich. Wenns fehlt, kann das schon mal sehr ärgerlich sein und schwer nerven. Ich kenne das gut. Die da oben, die Reichen und Superreichen, die Gesellschaftsverhältnisse und ihr da draußen alle seid ausnahmsweise aber mal nicht schuld daran, daß ich fast nie Geld besitze. Meine relative Mittellosigkeit beruht nicht zuletzt nämlich auf einer meiner höchsteigenen Psycho-Macken: einer ausgeprägten Verwaltungspapierkramphobie. Vom Belege-Sortieren, Sachen-Abheften, Korrespondenz-Ordnen, Auszüge-Kontrollieren und Policen-Betreuen sowie vom Sachen-für-den-Steuerberater-fertig-Machen bekomme ich übeltrübgrünen Hautausschlag, furzgräsigen Hirn-Schwurbel und da unten, Herr Doktor, da knapp unterm Brustbein, so ein ganz, ganz komisches Stechen, Ziehen, Grimmen und Grummeln!

Der von mir geschätzte Wiener Kaffeehausliterat Peter Altenberg hatte sich in seinen jungen Jahren sicherheitshalber ein ärztliches Attest ausstellen lassen, daß er zu regelmäßiger Berufstätigkeit zu sensibel sei. So etwas ähnliches benötigte ich auch: „Bescheinigung: Herr Magister Kraska ist aus idiosynkratischen Gründen leider prinzipiell nicht in der Lage, seine Unterlagen in Ordnung zu halten und ist insofern zu 100% pflege- bzw. betreuungsbedürftig“.

Ein mir nahe stehender Mensch, die Chefin persönlich, konstatiert mitleidlos kühl: „Quatsch mit Soße! Du hast keine Phobie. Du bist einfach bloß ein alter Schlamper!“ Ja, Ma’am, da ist etwas dran. Aber daran ist ja gerade die Phobie schuld! Ich versuch doch mein bestes, kaufe Ordner, Tacker, Klarsichthüllen, einen Locher, sogar so Klebezettel und alles, und Stifte sowieso. Ich liebe Büromaterial. Ich kann nur auf Dauer nicht damit umgehen. Gründe hierfür weiß vermutlich die Psychoanalyse. Mein Herr Vater war ein geborener „von und zu Aktendeckel“, und obwohl der arme Mann davon nichts mehr mitkriegt, rebelliere ich wohl unbewusst noch immer gegen ihn. Was kann ein armer 68er-Junge schon werden, wenn sein Vati Leiter des städtischen Ordnungsamtes war?

Ein Schlamper, ein Chaot, ein Wirrmichel, einer, der alles verbaselt, vergisst, verlegt, verkramt, verschiebt, stapelt, gelegentlich umstapelt, dann erneut verkramt, irgendwann später noch mal überraschend unterm Sofa wieder findet, um es dann schließlich endgültig zu versemmeln und zwar auf nimmer Wiedersehn. Und das sind nur die wichtigen Unterlagen! Rechnungen öffne ich grundsätzlich erst bei Mahnstufe Drei, und mancher meiner Gläubiger weinte schon Tränen des Glücks, wenn er zwei Jahre nach Fristablauf eine vergessene Rechnung unverhofft von mir plötzlich doch überwiesen bekam.

Ein guter Hausvater und Ökonom, der mühelos mit Aktien, Wertpapieren, Staatsanleihen und Kommunalobligationen jongliert, ohne daß ihm je etwas unters Sofa fällt, wird mir zu einer Therapie raten. Leider aber habe ich aufgrund einer Zwangsneurose stark phobisch-agressive Abneigungen gegen Psychotherapeuten und bin daher amtlicherseits anerkannt therapieresistent. „Therapie!“ schnaubt die Chefin, „du brauchst keine Therapie, du musst nur einfach mal MACHEN!!“ Bedauerlicherweise schaut sie, die Verehrungswürdige, dabei so streng wie weiland meine Frau Mutter, was mich automatisch rebellieren läßt. Ich schalte auf „doof“, was mir nicht schwer fällt.

Daß ich dennoch oberhalb der absoluten Prekariatsgrenze lebe, verdanke ich, neben der Chefin, die immer das Schlimmste verhindert, nicht zuletzt einem sehr guten, empfehlenswerten Steuerberater: Heinz Pudell. Ihn, den ich seit 27 Jahren kenne, bewundere ich ein bißchen, denn er ist das Gegenteil von mir. Er liebt Zahlen, kennt sich mit den Knifflichkeiten des Steuerrechts aus, hat Sinn für Verwaltungspapierkram und bezahlt ein paar Top-Leute dafür, daß sie ihm alles immer schön abheften. Er hat in seiner finanzamtlich wohlfundierten Karriere eine Art künstlerische Kreativität entwickelt, die in diesem Beruf eher selten zu finden ist. Alles, was ich verabscheue, was mich ängstigt oder anödet, macht er mit Leidenschaft und Engagement. Und bei ihm herrscht tadellose Ordnung. Gestern rief ich an, weil ich plötzlich eine Handelsregister-Urkunde brauchte aus einer geschäftlichen Unternehmung, in die ich in den 80ern (!) mal verwickelt war; das war in meinem 5. Leben. Jetzt führe ich ca. das neunte und finde natürlich keine Unterlagen mehr. Für Pudell & Partner kein Problem. Nach wenigen Stunden hatten sie mir, ohne zu maulen oder auch nur die Stirn zu runzeln,  das Uralt-Ding aus ihrem Keller gekramt und säuberlich kopiert..

Da ich, ohne die damalige Kreativität und Gewitztheit meines Steuerberaters heute vermutlich unter der Brücke lebte, ohne Laptop und Internetz, möchte ich ihn heute loben und weiterempfehlen. Er und seine Partner und Leute sind gut. Richtig gut. Von mir 12 Punkte, oder fünf Sterne, oder so (kann nicht so mit Zahlen…) Ich hoffe, er liest dieses Lob. Daß er es sorgfältig abheftet, da bin ich mir sicher!

Da gäht därr Post ab durrch där Däcke, liebä Froindä!

8. März 2010

Familie Poplski (Mitte: Gründer Achim Hagemann als Pavel, daneben Cousinetschka Dorota aus der Telefonzentrale)

Wer das noch nicht gesehen/gehört hat, hat den Trend verpennt: „Hey, hey, wos is därr los!“ plärrt Pavel Popolski frenetisch in den brutalstslawisch losfetzenden Bläser-Funk der eineiigen (wenngleich nur durch karierte Saccos verähnlichten) Sauf-Zwillinge Henjek & Stenjek hinein;  der kleine Brudärr Janusz, ohne Alk extrem schüchtern und verdruckster Träger beige-farbener Pullunder mit Rautenmuster, „därr trubste Tasse därr Fammillje“, pumpt den pulsierenden E-Bass, der blinde Bruder Danek, der sein Piano in der Rumpelkammer stehen hat, weil er ja ohnehin nichts sieht, singt verdächtige Hits, Bruder Merek läßt die „Stratocastrvic“-Guitarre jaulen, Pavel trommelt wie der Teufel in Krakow, Bruder Tommek, der „Tiger von Zabrze“ gibt den polnischen Ersatz-Elvis, und dann „gäht därr Post ab, liebä Frroinde, abärr  durrch die Däcke!“ Tante Baisha bringt aus der Küche frischen Bigos-Eintopf, der gute, 100% reine Sobieski-Vodka fließt in Strömen („heite muss ich vielleicht mal eine kippen, liebä Frroindä!“), – kurz die Losung heißt wieder „Nastruwko!“ Bzw.: Party, bis der Doktor kommt.

Die heißeste und schärfste slawische Schönheit der Familie Popolski, Cousinchen Dorota („aus der Telefonzentrale“), in die ich etwas verliebt bin, stretcht ihren hinreißenden Super-Body ins rote Schlauchkleid chansonniert einem Gänsehaut auf die Unterarme, und „in därr Kuche“ auf der Eckbank versucht Aufnahme-Leiterin Tante Apollonia stoisch-realsozialistisch, den Überblick zu behalten. Das ist nicht einfach, denn es sendet die „komplett bekloppste“ chaotische  Vollblut-Popmusiker-Familie Popolski, „aus därr Wohnzimmer in därr Plattenbausiedlung von Zabrze“, und Kenner wissen, jetzt steppt definitiv der Bär, jetzt gibt’s kein Halten mehr, jetzt ist pop-polnische Funk-Polka angesagt, bis das Kondenswasser von der Schrankwand tropft!

Von der Nachbarin Frau Drepzcewynski aus dem elften Stock wird schon mit dem Besenstil gegen die Decke geklopft, aber egal. Wer einmal im Läbänn war eingeladen auf Party in Wohnzimmer von Familljä Popolski, därr weiß, was heißt FEIERRN! Nasdruvko! Die Popolskis („if you can make it in Zabrze, you can make it anywhere!“) sind, gar keine Frage, der heißeste, wahnwitzigste, groovendste, wüstete Pop-Act, der aus dem eigenen Wohnzimmer sendet. Den Popolskis liegt es im Blut. Das liegt an Opa Popolski. Hört, liebe Freunde, die unglaubliche Geschichte:

„Die wohl unglaublichste Geschichte aus der Welt der Popmusik gelangte in der jungsten Vergangenheit endlich ans Licht der Öffentlichkeit: So gut wie alle Top-Hits der letzten Jahrzehnte sind geklaut! Die eigentlichen Urheber der Songs sind die Mitglieder einer vollig unbekannten, verarmten Musikerfamilie aus Polen: Der Familie Popolski! Nachdem „Der Familie Popolski“ sich 2008 erfolgreich in das laufende Programm des WDR chackte, um der verblufften Weltöffentlichkeit die Wahrheit uber die eigentlichen Urheber der Popmusik zu verkunden und sich hieran eine Tournee in ausverkauften Konzerthallen in der gesamten Republik anschloss, hat sich der Familie nun zuruckgezogen, um aus dem schier unerschöpflichen Fundus des Opa Popolski weitere Schätze der Popmusik fur ihr Publikum freizulegen. Und jetzt sind sie zuruck!- „From Zabrze with Love“ ist Name und Motto eines Abends, an dem „Der Familie Popolski“ zuruck auf der Buhnen geht, um nicht nur weitere Originalversionen verhunzter Pophits sowie Klassiker aus dem Schaffen der Popolskis zu präsentieren, sondern auch eine Abend in Liebe und Harmonie mit der Publikum zu verbringen.

Wer das Glück hat, die Familie Popolski auf YouTube (szypko, szypko!), im WDR-Nachtprogramm, oder, zweifellos am ratsamsten, live zu sehen, dem rufe ich ein beherztes „Nastruwko!“ zu.  – Gään wir eine kippe, libärr Froinde!

Folge 1 der neuen Popolski Staffel – direkt aus Zabrze! Teil 1/3:

Teil 2: http://www.youtube.com/watc… Teil 3:http://www.youtube.com/watc…

Wenns ihn nur gäbe (Dies irae)

8. März 2010

Als man noch daran glaubte: Dies irae (Hans Memling)

Schlimm genug so schon, das Leben in der Desorientierungstufe: Als pickliger Präpubertätspumpernickel stiefelt man verwirrt, ängstlich und, innerlich extrem zartbesaitet, trotzig durchs Labyrinth der Lebensanforderungsprofile und weiß nicht recht, wohin mit sich. Und wie behält man die Nase im Wind bzw. wenigstens einigermaßen oben, wenn einem zum Heulen ist? Zwischen Dudelfunk, Doubleschule und Dübeldiplom heißt es: Kleiner Mann, was nun? Man hat ja Gefährdungspotential. Und dann die Hormone! Sie sind im Anfluten und machen schon sofort nichts als Ärger! Soll sich der Knirps lebenslang als Mädelknecht verpflichten und den typischen Krampfdamenkampf aufnehmen? Oder sind verdruckste Klosterklo-Kosereien eine Option? Und wenn man ein süßer Knabe ist, – verdammt! Was heißt das denn? Und „süß“ für wen? Was man in dieser prekären Lage, barfuß auf dem Hochdrahtseil, so dringend braucht wie eine Kettensäge an der Kehle, sind als Pädagogen getarnte priesterliche Sadisten, Betatscher und Vergewaltiger. Soviel dürfte außer jeder Frage stehen.

Was uns die Medien derzeit, gut eingespeichelt und vor lustvoller Sensationsgeilheit sabbernd, präsentieren, ist ein wirklich kotztrauriges Bild: Lehrer, Schuldirektoren, Priester, kurz, die üblichen Verdächtigen (Heuchelpfaffen), die sich, offenbar serienweise und systematisch, an den ihnen anvertrauten Kindern vergehen. Haben wir es nicht immer geahnt? Inwändig vor Geilheit kernschmelzende Zölibatszwiebeln toben ihre ranzigen Lüste an Schutzbefohlenen aus. Das paßt in unser Bild, oder? Schon ätzt und hämt die Presse von Hodenwaldschule, Dionysios-Gymnasium und Regensburger Dreckspatzen. Mensch, manno, trägt denn jeder gottverfluchte Pfaffe rosa Spitzenreizwäsche unter der Soutane? Ach, Freunde. Zugegeben, vielleicht ist das Snobismus, aber ich hasse es, und mir wird übel, wenn Gemeinpläze, Klischees, Vorurteile der übelsten Art – … tatsächlich stimmen!

Weil ich massenkompatible Klischees nicht mag, hab ich sogar kurz erwogen, aus purer Lust an der Provokation, die Kirchenmänner zu verteidigen. Da ich, der notorisch leibhaftige Anti-Christ und diplomierte Überzeugungsheide, der Sympathie mit Benedix’s Leuten nun echt unverdächtig bin, dachte ich, – ich, der ich (dreimal „ich“ = 666 = der Satan!), diesmal als Literaturwissenschaftler, sehr wohl weiß, daß das Klischee vom geilen Pfaffen so alt ist wie das vom Ewigen Juden –, es könnte für Kenner hübsch denkanstößig wirken, und wäre eine gute Idee, mal die Selbstgerechtigkeit der Ankläger in Frage zu stellen. Daraus wurde aber nichts.

Ich bin, wie gesagt, und wer mich kennt, weiß und bezeugt es, kein Christ. Im Gegenteil, und das praktiziere ich im wesentlichen auch. Deshalb, genau aus diesem Grunde, bin ich aber ein Jesus-Fan. Meine Lieblingsstelle im Neuen Testament, einem, wie ich finde, ansonsten weithin ziemlich überschätzten Buch, ist diese: Frauen hassende Fanatiker zerren zeternd eine Nutte (Maria Magdalena) vor Jesus. Er soll ein Hinrichtungsurteil absegnen. Der Rabbi Joshua ben Nazareth ist verstört und traurig. Verlegen kritzelt er mit einem Stöckchen Schriftzeichen in den Straßenstaub. Schließlich, nach langem, gedankenvollen Schweigen, stößt er hervor: „Wer von euch ohne jede Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“

Nun, das Idyllische an der Geschichte: Niemand wirft.

Heute werfen alle, auch die Sünder. Die Heuchler. Die Selbstgerechten. Ich werfe lieber nicht, denn ich weiß aus gerammelt gesammelter Lebenserfahrung, daß die sexuelle Begierde eine ungeheure, kaum zu bändigende, gefährliche Macht darstellt. Ihr zu erliegen widerfuhr schon Großen, Klugen und Frommen. – Da es aber zu jeder Meinung ein „andererseits“ gibt: Was treibt eigentlich das unsäglich uneinsichtige, ignorante, menschenverachtende institutionalisierte Pfaffenpack dazu, derart verstockt auf den Aufklärungswunsch der Öffentlichkeit zu reagieren? Wie üblich, wird heruntergespielt, vertuscht, verharmlost, geleugnet und, in der Logik des erwischten Kriminellen, der Vorwurf an die Kritiker zurückgegeben. Ihre Peinlichkeit, Nichtswürden Bischof Mixa, das Idol aller Hausierer, Kesselflicker und fahrenden Betrüger, äußerste sich dahin gehend, wir, die sog. „68er“ mit unserer Liberalisierung des Sexes, seien Schuld daran, daß zölibatäre Priester die Finger nicht von ihren Schützlingen ließen!

Die Opfer werden mit Ausflüchten und leeren „Entschuldigungen“ abgespeist. Fast neige ich dazu, den Katholischen Kirchenoberen zu wünschen, ihren Gott gäbe es wirklich. Sie scheinen wohl nicht daran zu glauben, sonst müßte ihnen vor Angst schon das nackte Grauen ins Gesicht geschrieben stehen.