Archiv für November 2009

Man schlage diesem Lumpenpack….

28. November 2009

Kraska könnte motzen...

Häuptling Dicke Lippe hat gesiegt. Das Karpfenmaul und seine Freunde grinsen den Demokraten feist & dreist ins Gesicht: „Wir scheißen auf die Verfassung! Verklagt uns doch, wenn ihr könnt!“ Nun, ich kann die Vergewaltigung des ZDF, die Schändung der Rundfunkfreiheit und die zynische Prostituierung eines Senders, der viele engagierte, demokratisch gesonnene und politisch helle Köpfe beschäftigt, zum Staatssender Adenauerscher Provenienz nur be-, nicht anklagen. Was ich sonst noch kann? Ich könnte François Villon zitieren:

„Man schlage diesem Lumpenpack das Maul / Mit einem Hammer / kurz und klein…“

Da ich mich vor lauter Kopfschütteln nur schwer artikulieren kann, verweise ich ausnahmsweise und verlinke nach linksliberal: Der Kommentar in SPIEGELonline triffts!

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,663699,00.html

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Jour Fixe (10): Die Entrückung des Traurigkeitslehrers Winterseel. Detmold und das Weinen im November

24. November 2009

Satans Neffe im Griff des Advenzkranztanzes (Foto: http://www.glogster.com/media/ 2/3/24/72/3247277.jpg Das Bild ist möglicherweise urheberrechtlich geschützt.)

Im November, dem verregneten Wonne-Monat der tausend Graustufen und der untoten Gedenktagsseelen, findet sich Arnold Winterseel, mein verehrter alter Traurigkeitslehrer, gern im Stadium einer heiter-schwebenden, irgendwie fast bekifft anmutenden Morosität und höheren Subtilverzweiflung, einem illuminierten Zustand, in dem nachtschwarze Melancholie unversehens umschlägt in einen unberechenbar hakenschlagenden Übermut, eine an den Festungen der Götter rüttelnde Hybris, in deren Schwall, Mulm oder Qualm das Irrsinnigste plötzlich das hübsche Gesichtchen der Vernunft annehmen konnte, für wenige, erleuchtete Augenblicke.

In solchen raren Momenten besinnungsfrei abhebender Erhabenheit finden es Leute plötzlich eine gute Idee, sich die Füße 20 cm oberhalb des Knöchels abzusägen und sauber parallel ausgerichtet in den Schuhschrank im Flur zu stellen; sie schenken ihren greisen Müttern Gutscheine für einen VHS-Kurs in Expressivem Nackttanz oder begehren, im gebenedeiten Gnadenstand der Volltrunkenheit wohl verwahrt, völlig unvermittelt des Nächsten Weib Adelgund, in dem sie beim Nachbarn förmlich um deren Hand anhalten. Eine verrückte Zeit! Das Schicksal gähnt verlegen, hinter einem die Gespenster des Totensonntag, vor einem reißt schon das tückische Weihnachtsfest die vielfach bezahnten hundert Mäuler auf. Schweflig grinsend zündelt Bezelbub Gemütlichkeitsglühlichter und tanzt mit Behemoth, dem Neffen des Satans, den Advenzkranztanz.

Ich sehe Doktorvater Winterseel noch vor mir, die Haut gelblich-transluzide und papiernen wie jenes Maispapier der frühen, dick-schwarzen Gitanes-Zigaretten in verrauchten Pariser Existenzialisten-Bistros, wo Schönschreib-Schenie Schang-Pol Satter und Simone de Boudoir sich leidenschaftlich anqualmten und brillante Blicke in verschiedene Richtung warfen, – Winterseel also, wie er elegisch und traumverloren in sich hineinhorchend seinen geliebten Poetry-Schluchzer Renée-Marie-Louise Rilke rezitierte:

„Die Dinge sind Geigenleiber,
von murrendem Dunkel voll,
drin träumt das Weinen der Weiber,
drin rührt sich im Schlafe der Groll
ganzer Geschlechter…“,

worauf er sich, zu unsrer grenzenlos sperrangelweit mauloffenen Verblüffung Knall auf Fall verabschiedete, und zwar, wie er noch erklärte, um eine länger ins Auge gefaßte  und bei alltours angelobte Albtraumschiffkreuzwallfahrt nach Detmold anzutreten. „Ha, Detmold! Klar, Detmold!“, krähte unser Einserjurist und von-Guttemberg-Lookalike Sven Aaron Mangold, primanerhaft die Streberfinger schnipsend – er hatte wohl auch von diesen Plätzchen probiert, die Miß Cutie mit ihrer Milchschwester Soffie aus Amsterdam gebacken hatte – „Detmold! Klare Anspielung! Grabbe!“  Hilfesuchend warf ich fragende Seitenblicke auf meinen Freund Fredi Asperger, der zwar ein Autist ist, praktischerweise aber auch einer der sogenannten idiotes savantes, die als wandelnde Logarhitmentafeln, Primzahlenverzeichnisse oder Konversationslexika unterwegs sind. „Christian-Dietrich Grabbe, Schnorrer, Säufer, Nervensäge, Literaturavantgardist des 19. Jahrhunderts. Soll gesagt haben: ‚Einmal auf der Welt, und dann als Drogist in Detmold! – was man später als Frühform nihilistischer Gottesanklage gewertet hat ...“, setzte mich Freund Fredi flüsternd ins Bild.

Während ich über diese Mitteilung noch nachgrübelte, schwoll im Salon bestürztes Gemurmel an: Winterseel war ohne weiteres Wort* (*bzw. soll sein letztes Wort gelautet haben: „Folget mir nicht nach!“) durch die Tapetentür entwichen und entrückt, und hatte uns somit ohne weiteres Beratungsangebot oder Therapieversprechen allein gelassen. Wie nun? Und wie weiter? „Mhhmmm, vlleich eersmoah nbüschen ein’ antütern?“ schlugen Hauke und Hinnerk, die Aquavitzwillinge, schüchtern vor. Ihre verschwiemelten Gesichter, die wie Synchronschwimmer in perfekter Harmonie einen Ausdruck glühweingetränkter Zuckerwatte angenommen hatten, verrieten jedoch, daß sie bereits, und zwar ohne ersichtlichen Nutzen für uns, ziemlich stark „angetütert“ waren, sodaß ihr Vorschlag, bei manchen nicht ohne Bedauern verworfen wurde. Unerwarteterweise war es dann ausgerechnet Miß Cutie, deren Attraktivität sich nach ihrer Nasenbegradigungs-OP ins nahe zu Überirdische gesteigert hatte und bei jüngeren Mitgliedern des Jour Fixe oft genug Anfälle priapistischer Konvulsionen auslöste, Miß Cutie löste sich jedenfalls plötzlich aus der ziemlich schwüllesbischen Umarmung ihrer sinnlich-innigen Milchschwester und durchschnitt unser stickig-verstocktes Schweigen mit ihrer glockenhellen Hochfrequenzschneide-Stimme: „Leute! Hört mal! Was wir brauchen, in dieser dunklen, bedrängenden, gemütsverdüsternden Zeit, dassis… Rauschgold! Rauschgold, Leute! Mut! Courage! Allons enfants! Lasset uns ausschwärmen, um Rauschgold zu schürfen!“

Halb schon getröstet, wenn auch nicht ohne eine gewisse wattige Leere in den Köpfen stob die Versammlung auseinander, um die Parole des engelhaften Beautie-Kids zu befolgen. Allerdings, wird das Projekt, die Mission gelingen? Wir Deprimierten, wir Prokrastinierer, ADSler, Autisten und elegische Borderliner: Wo finden wir denn Rauschgold, jetzt, im Schluchzen der krass naßkalten Novemberschluchten?

Fredi Asperger und ich nahmen die U-Bahn-Linie 7, ein Umweg, aber dafür genügend Zeit, die Wange jeweilen an die Schulter des Freundes gelegt, zu weinen, viel, ausgiebig, ja sättigend zu weinen. Wir weinten, wie es nur Männer vermögen: entschlossen, rückhaltlos und offensiv. Ach, das Weinen im November!

Kommunikation durch verstohlene Seitenblicke: Brunch für Ägerste

18. November 2009

Der mythische Bote (Foto Quelle: Wikipedia / Benutzer123 at de.wikipedia)

Magpie, pie bavarde, gazza, Atzel, Hatzel, Ägerste, Algarte, Agelhetsch, Agerist, Schalaster, Schalester, Scholaster, Schulaster, Schagaster, Aglaster, Agelaster, Agerluster, Heste, Heister, Egester, Hutsche, Kekersch, Hetze, Gackerhätzl, Häster, Tratschkattl und Diebsch: – Nein, das ist kein Dada-Lautgedicht, sondern die Liste der Namen, die man meinen – vom dummen Bauernvolk freilich gehassten und gefürchteten! – geliebten, aber immer wieder auch ehrfürchtig mystifizierten Freunden gegeben hat.

D. h., meine persönlichen Freunde heißen eigentlich Baldur der Prächtige, Schlanke-Heidrun und Klein-Frygga, aber ihr gemeinsame Gattungsname ist Pica pica L. – gestatten, ja, genau, die Elster! Als diebisch verschrieen, als geschwätzig diffamiert, des Singvögelchen-Mordes bezichtigt, immer verdächtig des dämonisch-hexerischen Kontakts mit Nachtwesen, Geistern und Todesgöttern, als Hexen-, Pech- oder Galgenvogel denunziert, führt die Elster ein gemobbtes Leben unter Rufmordbedingungen.
Für die germanischen Wikinger war die Elster Botin von Hel, der Herrscherin der Totenwelt. Die Todesgöttin Hel hatte, zum Zeichen, daß sie tot und lebendig zugleich war, eine halb weiße, halb schwarzblaue Haut. Die Elster trägt ihre Farben. Die dummen Christen haben gehetzt, die Elster sei der einzige Vogel, der bei der Kreuzigung Christi kein Klagelied angestimmt habe. Die Mandschuren hingegen verehren die Elter als Nothelfer, die Koreaner schätzen sie als Freund der unter Hindernissen Verliebten, die Chinesen halten sie für einen Glücksboten, der wahlweise Geld oder netten Besuch ankündigt. Bei den Sioux und den Blackfoot-Indianern galt die gewitzte Elster als Geistwesen, Trickster-Menschenfreund und Verbündeter bei der Büffeljagd.


Unter meinem Küchenfenster zum Hof liegt ein Flachdach, das dient mir zur Tafel, hier bin ich der Gastwirt und bereite täglich den Brunch für die Elstern. Es gibt gerösteten Mais, Saatgut, Käsewürfel sowie Hähnchenklein, Innereien und Fleischreste vom Menschentisch. Gutes vom Vortag halt. Hin und wieder ein aufgebrochnes rohes Hühnerei. Elstern, ihrer Eleganz wohl bewußt, verhalten sich beim Speisen ihrer Abendgarderobe angemessen. Knicksend und hüpfelnd danken sie für den gedeckten Tisch, picknicken manierlich, schnäbeln zierlich und schieben bescheiden, aber nicht ohne Grandezza wieder ab, wenn das Kröpfchen gefüllt ist. Wenn sie in blutigem Fleisch gewühlt haben, putzen sie sich hernach voller Noblesse den Schnabel mit Herbstlaub-Servietten. Elstern können übrigens lächeln, ich habe aber noch nicht herausgefunden, wie sie das hinkriegen.
Schlanke-Heidrun komm meistens zuerst und studiert das Angebot. Sie ist vom letzten Jahr und noch ohne großartige Erfahrung. Klein-Frygga folgt schüchtern, futtert aber für zwei; ich schätz, sie ist erst ein paar Monate alt, vielleicht die Tochter. Nur wenn es Fleisch gibt, gerät auch Baldur, das große Männchen, in Rage, vergisst seine Furcht vor Menschen und Aaskrähen und schreitet mit wehenden Frackschößen anerkennend nickend das Bufett ab. Warum die Elster niederdeutsch auch Scholaster heißt, sieht man an ihm, wenn er mit schräg gelegtem Kopf würdevoll den Inspizienten gibt: Magister Magpie, der Bescheidwisser unter den Vögeln.
Wir kommunizieren miteinander, ganz dem Tao der Höflichkeit hingegeben, durch verstohlene Seitenblicke. Wir tun zumeist so, als bemerkten wir uns nicht. Sie machen das, damit ich nicht denke, ihre Gier wäre größer als ihre Vorsicht. Ich verfahre genauso, damit sie mich nicht für jovial und paternalistisch halten. Baldur und ich sind Parallelgeschöpfe. Wir beide sorgen uns wegen dem Winter, wir denken an den Nestbau, der bald schon beginnen könnte und wir wissen beide, die Balz und alles, demnächst im frühen Jahr, das wird Kraft kosten.

Elegant, intelligent, wunderschön und mit miserablem Ruf: So hab ichs gern! (Foto Quelle: Wikipedia / Author: Skarabeusz)

Avis

17. November 2009

Nein, kein Scherz! Zwar sind Bücher keine gewöhnlichen, sondern ganz besondere, aber doch immer noch: Dinge. Und Dinge sind imperialistisch-expansiv. Sie breiten sich aus, füllen allmählich das Haus, umklammern und ersticken Dich irgendwann. Keine Bewegung! riefen mir meine Bücher schließlich zu. Ich war ihr Gefangener geworden! Ich wollte Luft, Raum, Bewegung! Keine Chance, höhnten sie, versuch mal, mit uns umzuziehen! Wir wiegen Tonnen! Wir wollen einen klimatisierten LKW! Und Sherpas noch und noch! – In ihrer schieren Masse fühlten sie sich sicher. Sie irrten sich. Mit letzter Kraft hab ich den Befreiungsschlag gewagt und gebe 60% meiner Bestände zur Adoption frei. Wer herrenlose Bücher zu sich holen möchte – bitte, nur zu. Die Einladung zur Plünderung steht. Kein fake, kein Scherz!

Ode an ein unbekanntes Huhn (Pepi’s Blues)

12. November 2009
PepisEier

Urheber des Fotos: Hühnerflüsterin Tuliparola Kontakt: http://www.proz.com/translator/62859 Bei Qype als Tulpenteufel aktiv; ansonsten Übersetzerin, Dichterin, Emigrantin, Agrarnonne, Eremitin, Tomatenzüchterin, Katzen- und überhaupt Tierfreundin, wenn auch, gottlob, auf unsentimentae Weise. Pepi im übrigen wurde nicht etwa verspeist, sondern mit Rosinen (als Grabbeigabe!!) pietätvoll unterm Birnbaum bestattet. - Das folgende Lied ist all den namenlosen Hühnern gewidmet, die uns mit wunderbaren Frühstückseiern versorgen.


Ode an ein hart arbeitendes, philosophisches Huhn

Ein Huhn, so alte Spruchweisheit, sagt mehr als tausend Worte.
Nicht nur put-put, pik-pik,
in seinem Köpfchen wohnt Metaphysik!
Wie’s durch die Scheibe pliert und stiert: Man
könnte denken,der Vogel
philosophiert!

Pepi, Königin der Legehennen,
entdeckt für sich grad das Erkennen:
Anfang und Ende, Henne und Ei, Leben und Tod,
einerlei.

Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?
Macht’s Erdenleben denn, bitte, noch irgendwo
Sinn?
Das ganze Gackern, Scharren, Umeinanderrennen,
für was denn? Für das? – Ich meine:
Sind denn die Legehennen, jenseits von Hühnerdreck und Körnerfutter,
nicht letztlich auch Frau? Und Mutter?
Umflort erscheint des Huhnes Blick – und die Kinder?
Blicken mit großgelben Augen lächelnd zurück.

Das Sein und das Nichts, das Ich und das Du, Leib und Seele und raus bist
du! Verwehrt
blieb dem Nachwuchs
die große Lebensfeier. Sie endeten schnöde, – als Spiegeleier.
Sünde und Lohn, Liebe und Hohn, Freiheit und Fron, ich ahne schon:
Das süße Sein, es kann
so schweinisch hühnerfeindlich sein!
Doch vom Denken beflügelt weitet Pepi gekonnt
ihren huhnbedingt engeren Horizont:
Als brutzelnde Pracht in der Pfanne zu landen,
noch dazu hier, in den westlichsten Niederlanden,
ist nicht zu verachten! Und keine Schanden!
Man kann das auch anders betrachten!
Zwar, sicher, das Dasein ist hart, doch andrerseits blieb es
den Eierchen auch erspart!
Ungeschlüpft und frühvollendet gerieten sie doch
zum Glück:
als labendes, nährendes
Bauernfrühstück.

Du kannst es nennen
Wie du willst: das Tao der
Legehennen
Ist, wie du siehst,
nicht das Erkennen, es ist in Wahrung
aller Würden: unsre Nahrung.
Leider ist nicht nur das Ei verderblich,
auch Mutterhenne Huhn ist sterblich,
weswegen Pepi, hör ich, jüngst
verschieden.

Ruhe du nun, Huhn,
in Frieden.
Zu deiner Totenfeier
Futtern wir andachtsvoll
Spiegeleier!

PS: Oh heiliges Huhn!  Geflügelte Mutter des
Duftenden Spiegeleis,
wir verehren dich,
– ohne Scheiß!



A Polaroid Snap Shot from Charlotte Road, Sin City: 11/2 09, 7.05 pm

3. November 2009
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Warten auf das SEK. (Foto: DPA)

A Polaroid Snap Shot from Charlotte Road. 11 /02 2009 / 7.05 pm

Meister Sun Tsu schreibt in der Kunst des Krieges: „Jene, die sich als erste am Schlachtfeld einfinden und den Gegner erwarten, sind entspannt; jene, die als letzte am Schlachtfeld eintreffen und sich übereilt in den Kampf stürzen, verausgaben sich.

 Ich weiß nicht, ob hier alles nach Sun Tsus Plan läuft. Als ich am Montag abend die Charlottenstraße passiere, bietet sich mir ein beunruhigendes Bild. Vor ihrem Headquarter ist ein 30, 40 Mann starker Trupp Bandidos aufgezogen, einige 1%er, außerdem Prospects, Supporter. Harte Blicke. Stumme Umarmungen, wenn ein neuer Brother eintrifft. Die Männer sind angespannt, ernst, nüchtern, konzentriert lehnen sie an der Hauswand. Wachsam. Kein Alkohol. Ihnen gegenüber, kaum eine Armeslänge entfernt auf dem Bürgersteig SEKler in schwarzer Kampfmontur, Maschinenpistolen im Anschlag, den Lauf etwa in Kniehöhe der Bandidos zielend. Jetzt, zwei Tage nach dem Gewaltausbruch, scheinen sie sich stark genug zu fühlen. Sie stehen breitbeinig und grinsen. Tatüü, ta daa: Die Staatsgewalt ist auch schon da. Zwei Tage zu spät, aber mit wiedergewonnenem Selbstbewusstsein und frischen Hosen. Schwer zu sagen, was das SEK jetzt hier gegen wen verteidigt.

Die Tür zum Fat Mexican ist weit offen. Rock der härteren Gangart ist von drinnen zu hören. Man demonstriert: Soo schlimm waren die Verwüstungen durch den Hell’s Angels-Überfall nun auch wieder nicht. Man wechselt harte Blicke. I’ll gonna kill ya, versprechen sie. Sure I’ll do, no kiddin’! Manche dieser Blicke wirken dunkler und bedrohlicher als das dunkle Auge im Lauf der MP. Noch hat die Nacht nicht begonnen.

Frisch aus da hood…

2. November 2009
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Hochfelder Lichtspiele (Foto: DDP)

Echt wahr: Grad hatte ich mir genügend Mut angespart, mal die Einladung anzunehmen und meine Nachbarn zu besuchen. Was soll schon passieren, dachte ich. Zwar bin ich nur Drahtesel-Biker, aber ich bin andererseits auch weder Bordell-Kunde, noch brauch ich derzeit eine Waffe, und meine Drogen gibt’s legal im Fachhandel. Ich muß also heikle Dinge gar nicht ansprechen und kann in Ruhe die neue, heiße Kaffeemaschine testen, die es im Fat Mexican gibt.

Aber nix ist, bzw. der Himmel über der Hood ist schon wieder blaulicht-beleuchtet und es riecht nach Street Fightin’ Men. Das Fat Mexican hatte bereits „Besuch“ – weniger friedlichen und freundlichen, nämlich die Hell’s Angels. Zwischen dem Großbordell „Laufhaus 26“ und dem Bandido Place  gabs die nächste Runde Rockerkrieg. Baseballschläger, Dachlatten, Totschläger, Tränengas-Kartuschen, Molotow-Cocktails. Das Vereinsheim der Bandidos wurde verwüstet. Wenigstens waren diesmal keine Todesopfer zu beklagen. Trotzdem, die Lage ist angespannt.

Was mich angeht, ich bin nicht Quentin Tarantino, ich bin von Gewalt nicht unbedingt fasziniert, aber entgangen ist mir nicht, daß die Rocker zig mal besser ausgerüstet, effizienter organisiert und rascher vor Ort waren, als die Polizei, deren SEK-Kräfte gerade noch rechtzeitig eintrafen, um sich sagen zu lassen, sie mögen sich heraushalten. Ein Polizeisprecher dazu: „Das haben wir denn auch getan“.

Der Presse entnehme ich, an einem durchschnittlichen Samstagabend hätte man in ganz Duisburg rund 20 Streifenwagen im Einsatz. Die MCs mobilisieren, wenn’s  sein muß, innerhalb von 30 Minuten zwei-, dreihundert motorisierte Kräfte. Mir gibt das zu denken.

Ein stark dramatisierter, alarmistischer Bericht auf SPIEGEL online:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,658720,00.html

Keine Ahnung (Dim Sum)

1. November 2009
Dimsum_breakfast_in_Hong_Kong

Dim Sum (Quelle: Wikipedia). Die Bälle rechts hab ich auch gegessen!

Die Seuche ist wohl am Abklingen. Aber es ist noch nicht lange her, daß Teenies bei uns eine sonderbare verbale Epidemie mit sich herumschleppten: den Keine-Ahnung-Virus. Jeder geäußerte Satz mußte mindestens dreimal von dieser sinnfreien Floskel unterbrochen werden. Das ging etwa dann so, über das Outfit einer Lehrerin: „Also voll krass irgendwie so, ich finde, keine Ahnung, also wo die ihre Klamotten her hat, keine Ahnung, aber das ist so voll daneben, wie die rumläuft, ich glaub, keine Ahnung, die ist Zeuge Jehova oder was, echt, keine Ahnung, aber…“. Lustig war dies insbesondere, weil das Jungvolk dieser Altersklasse sich ja tatsächlich zumeist durch eine erfrischende, aber auch umfassende Ahnungslosigkeit auszeichnet. Im Laufe des Lebens versucht man dann später, bestenfalls, den mitgebrachten Berg von Ahnungslosigkeit abzuarbeiten.

Eine meiner persönlichen Ahnungslosigkeiten betrifft das tiefere Geheimnis ostasiatischer Kulinarik. Obschon ich mich für vergleichsweise weltläufig halte und daher bereits unerschrocken allerhand jenseits meines Tellerrandes Gelegenes genascht habe, blieb ich in dieser Hinsicht doch ein staunender Provinzler. Zwar weiß ich (ein beträchtlicher Teil meines Weltwissens stammt aus dem Fernsehen oder der Presse!), daß man beispielsweise in China gar nicht „A17“ oder „C75“ speist, sondern eher gedämpfte Hühnerfüße, Klöpschen aus gehackten Rindersehnen, Entenzungen oder delikates Wasserkastanien-Gelee an gebackenem Schweinedarm; man knuspert in Wahrheit gar keine ledrig-fasrigen, mit Ananas und Bambus versetzten Ententeile aus Styropor-Kartons, sondern lieber knackigfrische Röstkakerlaken aus Thailand, seltsam „schwarze“, irgendwie verweste Eier, ferner auch Fischkopf-Tofu aus Hainan oder man streut sich gleich gänzlich Undefinierbares oder köstlich Unaussprechliches über die mandschurischen Reisnudeln!

Jahrzehnte blieb mir all dies, trotz xenophiler Aufgeschlossenheit, ein Buch mit sieben Siegeln bzw. acht Kostbarkeiten. Wenn Metropolitiker aus Hamburg und Berlin lässig über die besten Dim-Sum-Läden der Stadt parlierten, fühlte ich mich ausgeschlossen, und drückte, die gelbe Gefahr des Neides mühsam herunterschluckend, mir gleichsam an der harten Glasscheibe meiner Unkenntnis die Langnase platt.

Ob daß FOK MON LOU mir nun meine lukullischen Bildungslücken stopft? Keine Ahnung. Visavis vom Spielcasino, in der Kneipe, die früher „Im Büro“ hieß, dann eine Pizzeria war, zwischendurch als „Kongreß-Stübchen“ firmierte und dann leer stand, haben jetzt Chinesen aus Malaysia ein kleines einfaches Restaurant eröffnet. (Ich habe überhaupt das Gefühl, allein chinesische Entrepreneurs lassen sich von der allgemeinen Krisendepression nicht unterkriegen – die unternehmen noch was!) Das gemischt rustikal-germanische und italo-indonesisch-mediterran-niederrheinische Ambiente unterm gemütlichkeitsabweisenden Neon-Himmel verleiht dem Etablissement den globalisierten Charme planetarischer Beliebigkeit:  Während man herinnen seine Acht Undefinierbarkeiten löffelt bzw. stäbelt, mag draußen Mumbay sein, Kuala Lumpur oder Singapoore, es ist egal. Man fühlt sich wie in einer interstellaren Raststätte an der Daten-Autobahn. Per Anhalter durch die Galaxis!

Die unternehmerische Zuversicht der Betreiber drückt sich zuweilen in den Speise-Namen aus: Wer Appetit hat, kann „Gute Zukunft“ bestellen, den Feuertopf „Wahre Liebe“ oder den „Ball der Hundert Blumen“. Größere Kenner als ich bekommen vielleicht glänzende Augen, wenn sie hören, daß man sich auch auf „Chau-Fan nach Yuen-Chow Art“ versteht, „Mui-Choi-Kau mit Mui-Choi“ anbietet und „Chau-Ho à la Hong Kong“ zubereiten kann. Eine fulminante Liste exotischer Dim-Sum-Köstlichkeiten wird – erstmals in unsrer Stadt! – auch empfohlen. Neben den erwähnten Entenzungen, Schweinedärmen und Hühnerfüßen darf der Liebhaber durchaus Ungewohntes kosten: Rettichkuchen mit Räucherfleisch, Saures Gemüse im Schweinemagen, frittierte Seetang-Röllchen oder Lauchgemüse mit Schweineblut. Mmmh, lecker, vielleicht. Die Portionen sind durchweg üppig, preiswert und, was mich irritierte, überwiegend sehr fett. Muß das so? (Keine Ahnung!)

Das Personal ist flink, höflich und zuvorkommend. Dem wissbegierigen Westler steht man nach Kräften Rede und Antwort. Ich hatte unter anderem so Klößchen aus zerkleinerten Rinderbestandteilen, die frappierend nach chloriertem Fichtennadel-Badeschaum schmeckten. Meine Frage, womit man es da denn wohl zu tun hätte, beschied man mit dem geheimnisvollen Lächeln Asiens und einem geflüsterten „sin chinesisch Kräuterrh“. Je nun, immerhin, so in etwa hatte ich auch schon vermutet.

Im übrigen serviert man einen hervorragenden, soliden, perfekt temperierten deutschen Grauburgunder zum Rätsel-Mahl. Wenn Gäste anwesend sind, was im Gegensatz zu anderen China-Restaurants in Duisburg durchaus vorkommt, handelt es sich des öfteren um Original-Chinesen. Das will mir als ein gewisses Authentizitäts-Merkmal vorkommen. Aber was weiß ich schon? Des Chinesischen nicht mächtig, könnte man mir auch weis machen, FOK MON LOU hieße: „Ich habe keine Ahnung“.