Archiv für Dezember 2011

Biographisches Fragment

27. Dezember 2011

Karge Kindheit

Ich heiße Gernot Riederer und ich hasse den Namen, weil er mich an meine Kindheit erinnert; meine Kindheit verdirbt mir deshalb noch heute die gute Laune, denn sie, die Kindheit, war hart wie Brandt-Zwieback. Von meiner stets stur sturzbetrunkenen Stiefmutter wurde ich stupide mit stereotypen Stabreimen gestillt. Danach ernährte ich mich mühsam von Rabenbrot mit bitterer Tunke. Ein seltener Festtag, wenn Mutter mal unverhofft aus dem Koma aufschreckte und uns im Schnellkochtopf zermatschten Rosenkohl verkochte. Er schmeckte stets nach Hasen-Urin, war aber mal wenigstens eine Abwechslung, wie sonst nur Donnerstag, da kam immer der Milchmann. Wir waren zehn Geschwister, meine Schwester Amelie und ich, sie sechs, ich vier, wegen des Altersunterschiedes. Jeden Abend hockten wir um den Resopal-Tisch, den trüb neonbefunzelten, und benagten frische Birkenzweige. Wegen dieser Mangelernährung peinigte uns die Angst vor kommender Kleinwüchsigkeit, eine der fiesesten Phobien, die es auf der Welt gibt, außer vielleicht der Abneigung gegen Staphylokokken-Salat.

Das schönste Erlebnis mit meiner Schwester (13) hatte ich (7), als wir Hans-Peter Riederer begruben, unseren Wellensittich, für den wir das Sorgerecht teilten und der sich umbrachte, in dem er in den offenen Petroleumofen flog, weil er es in der Riederer-Familie nicht mehr aushielt. Wir betteten unseren kleinen blauen Freund auf geweihter Watte in einer Zigarrenkiste („Sportstudent“), einen frischen O.B.-Tampon als letztes Kopfkissen. Psalmodierend prozessionierten wir dann mit ihm kreuz und quer durch den Gemüsegarten (Rosenkohl!). Meine Schwester rauchte dazu feierlich eine Overstolz-Zigarette, weil dies angeblich zum „protestierten Ritus“ gehörte. Mir konnte man ja viel erzählen, damals.

Allerdings nicht, dass Oma-Berlin „eine längere Reise“ angetreten hatte. Für wie blöd hielt man denn Siebenjährige! Sie war nämlich am Oberschenkelhalsknochen erstickt, nicht ohne zuvor im Hospital, wo wir sie besuchen mussten, meine Schwester und ich, ihre Demenz energisch dementiert zu haben, während sie zugleich, irre kichernd, berichtete, wenn ihr fröre, würde man abends ihr Nachthemd mit Heilspiritus tränken und sie fürsorglich anzünden. Wir waren nachhaltig beeindruckt. – Meine entzündete Oma durchgeisterte noch Monate lang meine Albträume. Dann verschied Vater. Das heißt, genau genommen war er nicht tot, nur immer seltener zuhause. Liebend gern hätten wir, meine Schwester und ich, ihn würdig neben Hans-Peter begraben, aber den Gefallen tat er uns nicht.

Als der intellektuell regsamere unter uns zehn schlug ich meiner Schwester vor, dass wir, falls uns tatsächlich das Schicksal der Kleinwüchsigkeit ereilen sollte, wir immer noch gemeinsam durchbrennen und zum Circus Renz gehen könnten, und zwar beispielsweise als „die phänomenalen Riederer-Twins“. Meine Schwester indes war eine phantasielose Pragmatikerin, die darauf herumritt, bei sechs Jahren Altersunterschied würden wir ja wohl  kaum als Zwillinge durchgehen können. Für mich war das eine Frage der Einstellung! Meine intransigente Haltung in manchen Dingen führte dazu, dass ich außer Mutter und Amelie viele Jahre keine Frau mehr kennenlernte: Man geht nicht fehl, dies für eine Durststrecke zu halten. So schlug ich die Laufbahn eines Gynäkopathen ein.

Heute, als ausgebildeter Tanzlehrer, schaue ich auf diese Zeit mit Wehmut zurück. Wir waren so idealistisch! Ich jedenfalls. Meine Schwester übernahm einen Konsum. Ich hingegen wurde auf ein altgriechisches Gymnasium gegeben, wo wir als Jünglinge splitternackt im Klassenraum stehend die Ilias aufsagen mussten. Rückwärts! Bei offenem Fenster! Hier übertreibe ich etwas. Übertreibungen liegen mir im Artistenblut. Den Rest der Kindheit habe ich verdrängt. Auf dem alten Klassen-Foto erkenne ich niemanden mehr, nicht einmal mich selbst. Aber vielleicht hatte ich auch gefehlt. Die Pubertät habe ich dann geschwänzt, bis auf dass ich mal in Frau Frerkes verliebt war. Sie lebt heute in Argentinen, glaub ich. Wir sind gute Freunde geblieben.

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Ein Weihnachtsalbtraum

23. Dezember 2011

Alles ist erleuchtet! (Ich, im Festtagsschmuck)

Weit oben, jenseits der sumpfig-dunstigen Schwellpolsterauen, verstieg ich mich einst hoch im Schrankwand-Gebirge. Ein hartes, ein reiches Land! Hoch ragten die Buchattrappen, furnierbestandene Plateaus äugten fremdelnd, wie von Munch gemalt, in stummem Schrei, und Schluchten aus eitel purem Resopal gähnten verstohlen! Von Höhenangst und Luftnot gebeutelt, folgte ich dem kargen Weg der Hungerholzwürmer und wilden Staubmäuse, surfte, schürfte und schnob durch nie gesehene Welten aus Repräsentationsgeröll und erblindetem Lebensmüll. Oho ich war ein Abenteurer gewesen! Das Reich der undurchsichtigen Gardinen hatte ich durchstreift, die Herden der Alpenveilchen geweidet, mich als Teppichfransen-Kämmer verdingt und durchgeschlagen; Weihnachtssterne hatte ich gesehen, verdorrte Strohkränze gekaut und in manch trockene Tischkante gebissen! Doch jetzt balancierte ich auf unsagbar öden Graten, rauchte die letzten Luftreserven und leckte darbend den Teer vom Himmelsgewölbe.

Schminke er sich umgehend! Werfe er sich verkleidungshalber rasch in erstbeste Frauengewänder und eile zum Trefpunkt (sic)!“ – erging der Befehl an mich. Im Schminkraum herrschte das typische Chaos. Obwohl ich abdeckte, pinselte, schmierte, spachtelte und Schlieren wischte, bis mir schlecht wurde, ich bekam die Frau nicht hin, weder Vamp noch auch nur Mutti, sah in meiner Kittelschürze eher aus wie ein trauriger Musikal-Clown mit derangierten Glitzerapplikationen. Wie sollte ich so zum Agententreffen? Weh mir, in der Vitrine klirrten die Gläser. „Er kriegt es nicht hin! Er kriegt es nicht hin!“ wisperte die Nippes-Innung, und tausend schielende Engel bliesen die grause Blockflöte und summten ergrimmt: „Hängt ihn! Hängt ihn an die nächste Edeltanne!

Unten stieg die Mutter erschöpft von der Gänsebrust und rief: „So wartet doch! Ich muss mir noch den Bratendunst aus dem Haar bürsten!“ Der Vater gestikulierte wegwerfend und kippte fortwährend hochkonzentriert kleine Schnäpse hinunter. Zunächst lustige, dann zunehmend auch Noten in Moll-Tonarten schwirrten um seinen hochroten Kopf. Oben vom Gebirg herab, wie durch ein umgedrehtes Fernglas, erblickte ich meine Schwester, die opportunistische Schlampe, wie sie indolent Gedichte herunterleierte und dabei dauernd lauernd nach Geschenken gierte. „Meine Schwester ist ein Fisch“, schoss es mir durch den Kopf. Mir ward zugleich unerklärlich edelmütig und ekelhaft elfenhaft zumute, wie nach zuviel Kräuterlikör, wiewohl zugleich, wie beiläufig, auch Mordgedanken kamen und gingen. Familienmassaker! Wann, wenn nicht jetzt? Gleich kommt die Langspielplatte mit dem Karpfen-Konzert! „Am Himmelsrand gibt’s keine Scheuerleisten“, dachte ich und merkte dem Gedanken an, dass er an kargen Almen nagte.

Untertage tobte der gnadenreiche Festtagstango. Verwandtschaften strömten in rauen Massen in die stickichte Stube, verflochten sich in der Sitzgruppe zu einem Rattenkönig, schnatterten und schnäbelten schamlos, die Reptilienmischpoke, Lemuren, Lurche, langustenhafte Lumpentanten und Ludertunten. Ich sehnte mich nach Marzipankartoffelbrei mit Vollbart und 50 Stimmungskanonen, aber daran war nicht mal zu denken! Ich saß ja fest, oben im Schrankwandgebirge, ließ die feinstrumpfbehoste Seele baumeln und formte stumm die Worte der Weihnachtsgeschichte, ahmte dabei, alle Viere von mir gestreckt,  pantomimisch den Stern von Bethlehem nach und betete insgeheim inbrünstig um wenigstens  drei Weise…

 Später hat es geheißen, ich sei schon am Heiligabendvormittag (was für ein Wort!) betrunken gewesen, hätte wirres Zeug geredet und sei persönlich ja wohl nun bestimmt am wenigsten berechtigt, über Vaters Schnäpse Sottisen zu schnörkeln. Der Alb ist noch nicht beendet, aber was kann man tun außer hoch in der Schrankwand zu sitzen und zu warten, bis es vorüber geht?

Tragikotzteske

20. Dezember 2011

Kim Jong-Un is lookin' at you!

Tragikotzteske? Aber wie soll man das denn nennen, wenn man etwas irre komisch findet, was einen zugleich total traurig macht und das außerdem im Grunde abgrundtief zum Kotzen ist? Gestern die Nachrichtenbilder aus Nordkorea: Das Volk in Klage-Brigaden angetreten zum Heulen und Haareraufen. Einerseits musste ich lauthals lachen, angesichts der unfaßbar laienhaft, fast schon subversiv schlecht gespielten Pappmaché-Trauer in Reih & Glied, die ungefähr so authentisch wirkte wie die geschminkten Warenprachtattrappen, die der Gesalbte Große Führer so unermüdlich zu besichtigen pflegte. Was muss er verehrt worden sein, dieser kümmerliche bebrillte Nacktmull in seiner durchfallfarbenen Popeline-Uniform! Ein Volksvorbeter warf sich sogar auf die Knie und hämmerte mit den Fäustchen auf den Marmorboden eines Platzes ein, wahrscheinlich um als vorbildliches Klageweib groß rauszukommen!

Andererseits wurde mir ganz schwer ums Herz, dass ein stolzes Volk mit eindrucksvoll alter Hochkultur sich derart verblöden und demütigen lassen muss, um kollektiv den Affen zu machen für diesen miesen Wicht, Mörder und Folterfürsten, dem jeder anderthalbte Mensch auf Erden die Pest an den Hals gewünscht hat. Man fremdschämt sich leise seufzend und gruselt sich. Himmel, strahlender Azur! War das zum Speien!

Dabei, beseligende Dialektik des Irrsinns, es besteht gar kein Anlass zu großer Trauer, denn siehe: Es ward ein Nachfolger geboren! Ein Reichsverweser! Kim Jong Un, der feiste Punk im Mao-Anzug, ein schwer mopsiges Diabetes-Mondgesicht, von dem die Geheimdienste greinen, sie wüssten nichts über ihn. Stimmt doch gar nicht! Wie die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur vermeldet, wurde diese Made in Eigenspeck „vom Himmel geboren“! – Schade, dass er nicht vom Himmel gefallen ist – ein Fettfleck im Stadtzentrum von Pjöngjang wär doch ein hübsches Befreiungsdenkmal. (Mir ist gerade aufgegangen, wie wahnsinnig politisch Joseph Beuys’ „Fettecke“ damals gewesen ist, und wie prophetisch.)

Man muss sich das Foto von dem Knilch mal richtig anschauen – ein Meditationsbild! Nein,  vielmehr ein Suchbild! Wo nur hat man je eine solche plump arrogante, blickdicht dumpfe, fischkalt fiese, verschlagene Killer-Fresse schon mal gesehen? Ach ja, der Türsteher von der Shanghaier Triaden-Bar „Zur Goldenen Wasserfolter“, stimmt, der sah so ähnlich aus. Ich weiß, Vater Lavaters gute alte Physiognomik steht nicht mehr hoch Kurs. Aber diese Visage? Kommt, Leute, ehrlich, jetzt mal in echt!

Angeblich ist der Mongo-Molch in der Schweiz ausgebildet worden. Fragt sich, in was. In Geld-Verstecken? Tausend Taschenmesser-Torturen? Schoko-Wettfressen? – Ach, ich merke, ich echauffiere mich. Du sollst nicht unflätig werden, heißt es in der Bibel. Schließlich besteht kein Anlass zur Hochmut: Wir Deutsche wissen ja, was es heißt, einem Irren zu folgen. Aber gleich eine Dynastie draus machen? Bei der Himmelssturzgeburt vom Hl. Kim-Vater sollen zwei Regenbogen am Himmel gestanden haben. In Braunau am Inn war es ein riesiges Hakenkreuz. Auf Zeichen des Himmels ist Verlass. Wenn man sie denn zu deuten wüsste.

50 Wörter für Schnee (Aber 366 dagegen!)

20. Dezember 2011

Wetterkitsch für Kinder (Foto: Wikipedia)

Ich bin zwar kein Inuit, hab aber auch 5o Wörter für Schnee: Dreckszeug, Matsche, Ärgernis, Lästigkeit, Verkehrsgefährdung, Naturkitsch, Wetterblödsinn, Scheißwetter, Überflüssigkeit, Mistpampe, Räumpflichtgeröll, Moppelkotze. Die restlichen 38 Bezeichnungen sind geheim und gehören zum Arcanum der Schwarzen Fluchkunst, die bei Strafe sofortiger Straßenverkehrsverhexung durch Frau Hölle nicht ausgesprochen werden dürfen. – Ich begreife erwachsene Mitbürger nicht, die, den Daumen tief im kindischen Flunsch, alljährlich bangen, barmen und quengeln, ob es denn heuer bloß wohl auch noch weiße Weihnachten geben werde. Dabei haben sie mit Weihnachten gar nichts zu tun. Ob da Jesus oder Kindkaiser Kim Jong-Un geboren wurde, ist ihnen schnurz. Hauptsache, es liegt Ende Dezember überall gefrorenes Schmutzwasser herum! Das ist nämlich unabdingbar für die Gebrüder-Grimm-Stimmung provinzieller Heimeligkeit, die das Bratapfel-Kernstück des deutschen Gemütlichkeitsterrors bildet. Nirgends offenbart sich die infantilistische Regression der Weihnachtszeit grauser als im Schneekult.

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Vollends außer Rand und Band gerät der Schneekult im sog. Wintersport. Ab Dezember/Januar kennt das öffentliche Rentnerfernsehen keine Politik mehr, keine Kultur und nicht mal mehr Wettkochen: Rund um die Uhr wird Wintersport gesendet. Menschen stellen sich auf Bretter und rutschen Berge herunter. Das ist so spannend wie Frau Frerkes beim Hemdenbügeln zuzugucken. Ich würde ja lieber mal sehen, wie es gelingt, auf dem Fahrrad unfallfrei über die Graupelpisten zu schlittern, wenn man zur Arbeit muss. Aber das zeigen die Herren Wintersportfanatiker natürlich nicht. Soll ich in meinem Alter vielleicht auf dem Snowboard zur Schule?

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Das einzig Gute an Schnee ist, dass man schnell nasse Schuhe bekommt. Nasse Schuhe liebe ich über alles, davon kann ich nie genug bekommen; besser sind nur noch eiskalte Füße. Darauf könnte ich Loblieder singen! Übrigens, das einzige Wintergedicht, das ich auswendig kenne, ist vom genialen Wuppertaler Diplom-Psycho Eugen Egner und geht so: „Winter. / Unpraktische Jahreszeit.“ Gut, das ist jetzt nicht episch, aber Schnee ist auch nicht episch, sondern bloß zweieinhalb Monate Kopf-zwischen-die-Schultern-Ziehen, Zittern und Warten, dass es irgendwann vorbei ist. Soundtrack dazu: Henry Purcell, Zitter-Arie („The Cold Song“) aus „King Arthur“: „Let me, let me, / Let me, let me,/ Freeze again…/ Let me, let me, / Freeze again to death!“

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Googelt mal zwischen Schneeballsystem und Schneewittchen: Es gibt auch noch Faulschnee, Sulzschnee, Blutschnee und Büßerschnee. Das sagt ja wohl alles! Schneeekel!

Aus dem Bauch gedacht (Kleine Hasen)

20. Dezember 2011

Too much of Glühwein tonight (Dancing with de Sade)

Karneval in Absurdistan. Das Herz der Lustigkeit liegt in NRW. Hier werden wir seit irgendwann nur noch von starken Frauen regiert, das heißt von Hühnern, statt von Gockeln. Ist jetzt alles besser? Gewiss, schon irgendwie. Kuschliger, spontaner, vor allem aber noch mal 25% brunzdussliger. Ich weiß gar nicht, wen ich bezaubernder finde, die Ministerpräsidentin, die Bildungsministerin? Oder doch die Gesundheitsministerin? Die will jetzt die Nikotin-Kartuschen für E-Zigaretten verbieten. Oder nee, jetzt nicht gerade verbieten, vielleicht, eventuell, sondern apothekenpflichtig machen wie Nikotin-Pflaster. – Dann gibt es nur am Büdchen noch schädliche Zigaretten. Oder führt man die künftig auch in der Apotheke? „Ich hätte gern eine Dosis Aspirin-Brause und ein Päckchen HB, und, ach, vielleicht bisschen Hustensaft noch…“? Die Volksgesundheit jubelt und tanzt auf dem Ladentisch. Was Frauen evtl. tatsächlich besser können: Symbolischen Politaktivismus, der praktisch nichts kostet. – Apropos Hühner: Die kriegen weiter ihre Antibiotika. Scheiß auf Gesundheit!

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Der ulkige Schurke, der uns jahrelang mit seinem Besichtigungsfimmel begeisterte („Kim Jong Il is looking at things“): not longer available. Looking at grass roots now.  Falls im Kim-kommunistischen Kaiserreich von Nordlummerland denn überhaupt noch Gras wächst. Es ist wie in Serienkiller-Filmen: Kaum ist ein Unhold beseitigt, steht der nächste Irre schon hinterm Vorhang: Kim Jong Un, das neue Un-Wort des Jahres, der mopsgesichtige Mondprinz aus Nirgendstan. Man stelle sich vor, es hätte damals die Alliierten nicht gegeben: Wir würden heute von Adolfs Enkel Gernot-Kevin Hitler beherrscht!

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Wir müssen schon wissen, was wir wollen. Ein Bundespräsident hat die politische Wohlfühlfunktion, mit gütig-verständigem Gesicht Kindergärten zu besuchen, Weihnachtsansprachen zu halten und Staatsgäste zu empfangen. Wie soll er diesen hochbezahlten Job machen, wenn er ständig von der Medien-Meute wie der letzte Lump durchs Dorf getrieben wird? Dass das Politiker-Dasein eine gewisse soziale Devianz mit sich bringt, ist unumgänglicher Effekt der Rolle. Und was denn jetzt? Ich möchte bitte nicht, dass unser Land von einem asketischen Moral-Jakobiner repräsentiert wird! Das wäre dem Durchschnitt der Bevölkerung auch kaum angemessen. Wenn Herr Wulff lieber bei seinem reichen Schrotthändler-Freund in Florida Urlaub macht als in einer ökologisch betriebenen Jugendherberge auf Amrum – was schert mich das? Und wenn er gute, väterliche Freunde hat, die ihm nach der teuren Scheidung Geld leihen, freut mich das für ihn. Nicht, dass mir der Mann sonderlich sympathisch ist, aber im Amt ehren wir ja auch nicht die Person, sondern unsere Verfassung und damit uns selber. Ich muss gestehen, dass mich das allenthalben populär herumschwappende, hysterische Moralgetue ein bisschen langweilt. Schon grad, wenn die SPDler, die Komplizen des ollen Gazproll-Mannes Schröder, dabei die Trommel rühren.

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Ich bin einerseits so demütig, zuzugeben, von Politik nichts zu verstehen, andererseits arrogant genug, zu glauben, dass dies bei Politikern nicht anders ist. Selbstgewissheit ist, um sinngemäß ein Wort von Wolfgang Herrndorf zu zitieren, „das, was in kleinen Hasen wächst, wenn sie nachts allein durch den Wald hoppeln“.

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Heute letzter Seminar-Abend. Irgendwie schlittern wir unbeabsichtigt in die Apokalypse. Man überbietet sich in sinistren Prognosen über kommende Krisen und Katastrophen. Vergebens versuche ich, die Zukunft ins Heitere zu ziehen, aber letztlich ist es Klaus, der uns rettet: „Immerhin“, strahlt er Ruhe aus, „wir werden das alles nicht mehr erleben!“ – Entspannt gehen wir in den Weihnachtsurlaub. – Ah! zwei Wochen nichts denken!

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Apropos Seminar: Klamm hocken wir im abgeranzten, überheizten, dennoch zugigen, trist neon-befunzelten Zumutungsambiente (i. e.VHS-Raum) auf rachitischen 70er-Jahre-Möbeln und genießen die schmucklose Atmosphäre, die irgendwo zwischen nordkoreanischen Verhör-Zimmern und Kafkaeskem Albtraum changiert, und Heike flötet ansteckend fröhlich: „Also, ich weiß nicht, irgendwie find ich das hier schon wieder fast gut!“ Jetzt wussten wir aber einen Moment nicht, ist sie bloß die abgebrühteste Positiv-Denkerin der hiesigen Philosophen-Elite – oder aber schon dermaßen snobistisch, dass wir mit unserem Alltagssarkasmus hoffnungslos hinterher humpeln? Ein Engel durchflog den Raum.

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Ich weiß, ich bin bestimmt der Einzige, der sich diese Frage stellt, weil sie ihn quält, und zwar, weil gerade der „Nussknacker“ auf arte tanzt, ob es eventuell sein könnte, dass Tschaikowski ein unfassbarer Kitsch-Beutel war? Jedenfalls stelle ich hilfsweise die Behauptung in den Raum, dass er der erste Komponist war, dessen Musik man anhören kann, dass ihr Urheber schwul war. Wobei letzteres für mich kein Werturteil darstellt. Ich tanzte auch zu Sarabanden des Marquis de Sade!

An alle Facebook-Freunde: Kraska gehts gar nicht so.

15. Dezember 2011

Ooo, ooh: Kraska wird krank!

Huii, boah. Beim Wäscherei-Metzger Joh. Ferkel GbR ist heut Jubeltag! Jubiläumschemie! Heut gibts mal kein Morgen, und die Mikroben tanzen auf dem Tisch. Manche taumeln schon: Sagrotan auf ex, Flatrate, totaler Koma-Tango. Ist es Zeit für Wick-Medi-Neit, intravenös? – Schwindeln jetzt, mal ehrlich, war das noch mal transitiv oder intransitiv? Dativ oder Dings? Mich schwindelt jedenfalls, weil ich tief im Viszeralen viral mich herausgefordert fühle. Vor den Augen tanzen Milliarden Fibrillen, Bakteriokokken, Legonellen, Playmobilyten, das ganze Programm der eklichten Kinderkrankheiten! Ich fühl mich wie gemasert, gerötelt und vermagendarmt. Herr Doktor, ist es ein Wurm oder ein banaler Konfekt? 

Nachricht an alle Facebook-Freunde: Ich aß heute Blutwurst mit Pampe! Ist das gut oder etwa schlecht?  Was hilft? Homöopathie? Teewurst mit Rum? Mein Existenz-Status nach Professor Heidegger: ontologisch blümerant. Sein-zum-Tode usw. Es geht zu Ende mit mir, freilich, na gut, schon seit zwanzig Jahren, falls das denn Grund zur Hoffnung lässt. Habituell verkeimtes Auto-Immun-Syndrom (nach Dr. Sjögren), bin gegen mich selbst allergisch. Einmal mich im Spiegel geschaut, schon mobilisiere ich alle Abwehrkräfte. Was hilft denn gegen mich? Das fieseste am Narzissmus, selten beschrieben, ist, wenn man alt, dick und schwach wird. Hässlichkeit! Wen noch lieben? Die Gattin, okay, ja. Aber wird sie mich noch wollen, dieses Häufchen, bzw. diesen dicken Berg von Elend, wo ich bin? Nicht jeder Matratzen-Gruftie ist ein Harry Heine!

Wobei mir Nachruhm jetzt mal ausnahmsweise völlig wurscht ist. Alle Heizungen auf fünf, und ich friere wie ein Schneider in der Arktis, oder, Gegenteil, oben oder unten, Antarktis, egal. Fühl mich wie ein bedrohter Eisbär – der Lebensraum schmilzt! Scheiß Gefühl. Mein Schreibtisch fühlt sich klebrig an. Mikro-Organismen verhöhnen mich! Ich versuche, ein naturwurzeliges Reinhold-Messner-Gesicht zu machen, ein vollbärtig wetterzerfurchtes, optimistisches, unzerstörbares Heldengesicht, um mir selber aufzuhelfen, aber es will nicht gelingen, ich bin halt Neurastheniker, temperaturempfindlich und Diplom-Hypochondrist. Mein attestiert krankes Herz spielt TripHop, bedrohlich schleppende, wummernde Beats, Synthiziser auf der Intensivstation, Schicksalsmelodie. Mein Spiegelbild kann sprechen. Es sagt: Du wirst sterben! Früher oder später. Und dann sagt der Wetterbericht noch, jetzt würde aber mal bald richtig Winter! Ich bin dann mal weg, fürchte ich.

Wenn ich morgen noch am Leben bin, melde ich mich, in der Gewissheit, dass diese Nachricht ungefähr 15 Freunden ein „Gefällt mir“ abringen wird. Wenn es einem so geht, wie mir, wär man natürlich gern eine Opernsängerin. Was hat Violetta in „La Traviata“ noch schön gesungen, als sie fast schon tot war. Ah, ach!

Mit Punkt und Komma

15. Dezember 2011

Wenn man anfängt, kleine Tiere zu sehen...

Der Film „Contagion“ ist eigentlich der Rede nicht wert. Ein Virus wird an die Wand gemalt, dann weltweit viel gehustet, und am Schluss, nach ein paar Millionen Toten, die man aber nicht persönlich kannte, wird alles wieder gut. Dabei ist das einzig wirklich Gute am Film, dass Gwynneth Paltrow gleich am Anfang stirbt. – D. h., eine Dialog-Szene habe ich aber dann doch notiert: „Ich bin Journalist! Ich SCHREIBE!“ – „Du schreibst nicht, du bloggst. Bloggen ist Graffitti mit Punkt und Komma!“  – Nur dass Graffitti von mehr Leuten gesehen werden.

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 Erotik im Geddo. Zwei Testosteron-Tonis auf der Straße: „Aber voll, escht, Bruder, ich schwör, heut Abend nachher schlaf ich bei die mit der!“ – „Aboo, Alter, machma, gibs die ma richtich!“ – Die beiden sehen mir so aus, als würden sie lieber zu zweit gehen, heute Abend. Dicke Hose, aber letztlich sehr, sehr dünnes und schüchternes Ego. Ich radle vorbei, langsam genug, um mich einzumischen: „Aber Bruder, vergiss nicht: Wer ficken will, muss freundlich sein!“ Man schaut mir halb empört, halb mit neugierig fragendem Interesse hinterher. Sag keiner, die Jugend sei nicht wissbegierig.

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 Wie viel Karat hat eigentlich so ein Durchschnittsmensch? Mit IQ oder BMI hat das nichts zu tun, oder? Gerade werden im Fernsehen „hochkarätige Künstler wie Peter Maffay“ angekündigt. Dabei hat der kleine alte Mann bloß hohe Umsätze, bzw. Absätze. – Wenn man wie ich Phoenix ohne Ton laufen lässt und es ist gerade Bundestag, sieht man eine Menge hochkarätiger, indes überraschend geschmacklos angezogener Frauen sowie beunruhigend viele vom Alkohol stark verwüstete Gesichter. Manchmal überschneidet sich das sogar. Außerdem ist es bei Männern im Bundestag offenbar unüblich, den Bauch einzuziehen. Wär also eigentlich was für mich, so ein Mandatsjob. Wird aber nichts, hab zuwenig Karat.

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 Gerade kommt im Laufband mit den Eilmeldungen: „Westerwelle sieht Fortschritte in Afghanistan“. Ich meine, ich bin natürlich kein Arzt, oder so, aber wenn man anfängt, Stimmen zu hören und so komische Sachen (kleine Tiere, große Forschritte) zu sehen, die kein anderer wahrnimmt, sollte man seinen täglichen Konsum doch mal überdenken. Oder, wie es im modernen Quatschsprech gern heißt: „professionelle Hilfe suchen“. „Professionelle Hilfe“ ist ein Euphemismus für Klapse oder Entzug. Vor zwanzig Jahren habe ich auch mal, wegen überbordenden Liebeskummers, professionelle Hilfe gesucht. Da saß ein dicker, bebrillter, stark behaarter Psychoanalytiker und wartete, streng nach Freud, darauf, dass ich zu ihm eine Übertragungsliebe entwickelte. Es funktionierte aber nicht, weil meine Freundin deutlich hübscher gewesen war.

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 Forscher haben einen Zukunftspreis bekommen, weil sie was über „organische Halbleiter“ ausgeknobelt haben. Damit kann man z. B. auf extrem kleinen Bildschirmen Bilder in hoher Qualität betrachten. Spitzenzukunft: Wenn apple und amazon auf Zack sind, kann ich bald Spielfilme auf meiner Armbanduhr gucken!

Deutsche Vokabeln (II, mit Bonus-Wort)

12. Dezember 2011
Aus meinem Vokabelheft

Eine deutsche Vokabel, die der in das Hiesige hereinschneiende Ausländer häufig hört, schon in der Flughafen-Lounge, wenn er dort evtl. mit einer attraktiven Mitreisenden ein galantes Gespräch anbahnen möchte, dann aber so schwer über die ungeschmeidigen Lippen bringt, dass er am Gelingen jener Anbahnung schier verzweifeln möchte, ist zweifellos: Beckenbodenmuskulaturtraining, ein Wort, mühseliger zu sprechen als zu tun, was es bezeichnet. Obwohl: Bis vor ein paar Jahren wusste ich auch nicht einmal, dass es so etwas gibt und ich das auch habe, diese spezielle Muskelgruppe, die man in der Beckenbodenmuskulaturtrainingsgruppe in Schuss halten kann oder sollte, wenn man später, in hohem Alter, noch Vergnügen an Kontraktionen empfinden möchte; wenn nicht, kann man aber auch Atemübungen machen. Es ist nicht zu fassen, wie viel Menschen 50, 60 Jahre alt werden müssen, bevor sie entdecken: Sie haben noch nie richtig geatmet! Wie? Was? Das sei ein ganz und gar anderes Thema? Ach was! Hier spricht wohl der superschlaue Beckenbodenmuskulaturtrainingsgruppenleiter, oder? Wie mich die Pedanten nerven! Mit der Wüstenrot-Wehrsportgruppe nach Brasilien, aber dann einen Puff nicht von einem Schwimmbad unterscheiden können, so etwas haben wir gerne! Im Alter habe ich gottlob noch besseres zu tun, als in Beckenbodenmuskulaturtrainingsgruppenleiterseminare zu rennen – ich sitz lieber im Hobbykeller und bastele deutsche Wörter mit Sekundenkleber und mache über der Tube schöne Atemübungen. Dum-dum-Delirium, fallera!

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Verrückte Welt, in der man von Leserinnen (na gut, immerhin Profi-Leserinnen) gesagt bekommt, was man schreiben soll. Frau Lakritze empfahl mir, das Wort verdrießlich zu traktieren, was ich ohne Verzug, auch ohne Verdruss in Angriff nehme. Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass man manche Worte nicht aussprechen kann, ohne das passende Gesicht dazu zu schneiden? Bei verdrießlich, besonders wenn man es auf der zweiten Silbe etwas hypochondrisch in die Länge zieht, unterläuft einem unvermeidlich so ein weh-grämliches Zahnschmerz-Gesicht mit Zwischen- bzw. Untertönen von Magendruck und Weltverachtung. Probiert das mal: verdriiiiiiießlich. Man schlüpft in das Wort und, traun, schon mutiert man zum Miesepeter, zur Spaßbremse, zum Nörgelrentner. Einem Schauspieler, der gern in einem skandinavischen Film engagiert werden möchte, von Lars von Trier oder Aki Kaurismääki etwa, dem empföhle ich, vor dem Casting rund achthundert Mal mit Emphase dieses Wort zu deklamieren: verdrießlich.

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Eine hübsche Petitesse fand ich vor Jahren in einer alten Schachtel auf dem Dachboden: mieselsüchtig. Ein Adjektiv, das noch mit Goethe zur Schule gegangen ist. Im Internet von heute wird es als „Fremdwort aus dem Österreichischen“ gehandelt. Ha! Es bedeutet so etwas ähnliches wie nörglerisch, grantelig, von negativen Einstellungen umdüstert. Mieselsucht wird aktuell nicht mehr gern gesehen. Selbst verkrebste Greise in ihren Siechenheimen müssen heute scheinfroh in die Hände klatschen und ganztags kindische Lieder singen, oft unter Anleitung bulgarischer Pflegerinnen mit Damenbart! Die letzten Männer, die der Mieselsucht noch sarkastische Grandezza zu verleihen wussten, waren Waldorf und Stattner, die beiden Opas aus der Muppet-Show. Allein, speziell im Salzburgischen freilich, wo das Wort mieselsüchtig unter den berühmten Salzburger Kropfzwergen noch dieser Tage gebräuchlich sein soll,  hat es die Bedeutung „schwächlich“, „kränklich“. Damit das auch noch gesagt ist und dereinst jenem Unerschrockenen nützen und frommen möge, der sich ins Salzburgische traut. Ist ja auch nicht alles eitel Nockerln dort.

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Als Bonus-Track, Dreingabe für alle Nekromanten, Gastronauten und Spagyriker, Thaumaturgen, Theosophen und Obertoncineasten serviere ich, bevor es endgültig ausstirbt, als Gruß aus der Vokabel-Küche noch dieses Amuse-Gueule: intrikat. Hors de doute ein schmuckes, ja kleidsames Wort, wenn auch etwas abgehangen; der verbale haut goût schmückt aber ungemein. Es macht einen Unterschied von ca. 3,8G (= Guttenberg, intern. Maßeinheit für Blender-Vokabeln) ob man sagt: „Von diesem Gebiet hab ich null Ahnung“, oder wägend das Kinn reibt, um nach angemessener Bedenkzeit zögerlich zuzugeben: „Nun wohl, dies ist eine intrikate Materie, für wahr…“ Die Vokabel ist aber auch von zaubrischer Wirksamkeit, wenn man gar nicht weiß, was sie bedeutet – sie ist aus sich heraus irgendwie delikat, intrigant und intrinsisch undurchsichtig, flirrend und verwirrend, genau wie das, was sie bezeichnet!

Vorsicht: Freunde!

12. Dezember 2011

Ist auch bloß von der Versicherung...

Der Erzpole und geniale Multischlauberger Stanislaw Lem (1921-2006), er war Kybernetiker, Literaturwissenschaftler, Futurologe und Welttraumfahrer, hatte ein schwieriges Leben – er litt unter zu hohem IQ. Seine Zeitgenossen mieden ihn, weil sie dachten, IQ könnte vielleicht ansteckend sein. Ist es aber nicht, erwiesenermaßen. Den gleichen Quatsch, über den Lem schon in den 60ern kicherte, betreibt man heute immer noch.

Ich erinnere mich dunkel einer Lem-Geschichte, aus den Sterntagebüchern oder vielleicht eher den Robotermärchen, wo der Held, ein Versicherungsvertreter, – ich erzähle aus dem Gedächtnis –, um nach dem rechten zu sehen auf einen Planeten geschickt wird, auf dem blecherne Roboter die Macht ergriffen haben, welche die schleimbeutelig-fleischernen Menschen gnadenlos verfolgen und über sie ein übles Blechterror-Regiment errichtet haben. Zahllose Versicherungsrechercheure verschwanden bereits spurlos.  Dem Helden gelingt es aber nach einigen Verwicklungen, den machthabenden Zentralcomputer zu hacken, und es stellt sich heraus, dass alle terroristischen Roboter-Blechmänner auf dem Planeten in Wahrheit verkleidete menschliche, bloß fremdgesteuerte Versicherungsvertreter sind, die aus Anpassungsdruck und Opportunismus nur so tun, als seien sie Roboter-Rebellen.

Rund einhundertdreissig NPD-Fritzen, lese ich, seien in Wirklichkeit Versicherungsvertreter Verfassungsschutzagenten, wobei ich felsenfest glaube, die Zahl wurde sehr, sehr stark nach unten abgerundet. Jetzt kann man die braune Pest leider nicht mehr verbieten und in geschlossene Anstalten verbringen, weil das alles pensionsberechtigte Staatsangestellte sind, die nur unser bestes wollten.

Fürderhin werde ich also meine besten Freunde bitten, meine schlimmsten Feinde zu spielen, damit ich meine Gegner wenigstens jederzeit unter Kontrolle habe. Dies gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, das ich einfach brauche, um meinen Freunden Vertrauen schenken zu  können, denn, sehen wirs mal so: Feinde kann man auf der Gehaltsliste führen – Freunde sind unbezahlbar. Ein Staat, der sich Freunde kaufen müsste, wäre zweifellos verabscheuungswürdig. Einer, der seine Organe für hoffnungslos geistesverwahrlost hält, aber gewiss auch. Lästige Logik ist hier völlig unangebracht und möge freundlichst unterbleiben!

Leitete ich ein Unternehmen, das ein begehrtes Produkt feilbietet, würde ich als erstes ein ernsthaftes Konkurrenzunternehmen gründen und ordentlich stark machen, denn auf diese Weise bin ich, aus intimer Kenntnis, der Konkurrenz immer einen Schritt voraus. Theoretisch jedenfalls, es sei denn, mein eigenes Intrigenspiel überforderte mich kognitiv, das wäre dann doof und gäbe eine schlechte Presse, weil betrogene Betrüger selten mit Hochachtung zu rechnen haben.

Bleibt eine Frage zur Chaos-Theorie: Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings, wie es immer heißt, einen Tsunami auslösen kann, was passiert dann, wenn ein paar Millionen Mitbürger kollektiv und simultan den Kopf schütteln?

Deutsche Vokabeln (I)

12. Dezember 2011

Aus meinem Vokabelheft

Es gibt Wörter, die einen, sofort wenn man sie liest, umgehend wissen lassen, dass man auf irgendeine sei es offene, sei es heimtückische Weise betrogen werden soll. Ein solches Wort ist: lichtdurchflutet. Kein normaler Mensch, der seine Groschen beieinander hat, benutzt dieses Wort! Es wurde ausschließlich für Makler, Inneneinrichter und anderes Immobiliengelichter hergestellt, um Bauerntölpel hereinzulegen oder wehrlose Witwen mit Feng-Shui-Spleen zu betören, ein Wort, das seinen windigen Charakter mit Lava-Lampen, Lametta und Lavendel-Raum-Deo teilt. Wozu Inneneinrichter da sind, möchte ich ja auch mal wissen. Wer ist denn zu blöd, sich selber ein paar Möbel und etwas Geraffel ins Zimmer zu stellen? Lichtdurchflutet entstammt jedenfalls, glaub ich, der beschränkten Phantasie von ausgebrannten Herstellern von Margarine-Werbefilmen, wo immer diese intakte blonde Familie unter einem Apfelbaum im Garten sitzt und Margarine frühstückt. Manchmal vielleicht zur Abwechslung unter einer Kastanie oder einem Walnussbaum, auf jeden Fall ist es immer das gleiche pausbäckige Gesundheits-Pack, das sich auf Teufel komm raus Brote schmiert, immer bloß Margarinebrote, mit nichts weiter drauf, weil das gute Laune macht. Die Szene ist generell lichtdurchflutet, weil Margarinestullen im Dunklen nicht schmecken und zu sehr an schlechte Zeiten erinnern. Ansonsten sind die Wartezimmer von Psychotherapeuten natürlich zwangsläufig lichtdurchflutet, weil Ikea-Möbel viel Sonne brauchen, um nicht zu Staub zu zerfallen; hinter der Polstertür lauern indes in dunklen Höhlen gescheiterte Freud-Jünger darauf, dass man zu ihnen eine Übertragungsliebe entwickelt. Deprimierend.

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 Ein Wort mit verblüffender Ausstrahlung ist Klemmbrett. Es spiegelt das irgendwie verklemmte, klamme, ängstlich sich anklammernde Bürokratenseelchen perfekt wieder, das mit einem solchen ängstlicherweise ausgerüstet ist, weil es immer in der Furcht lebt, dass seine Zettelwirtschaft durcheinander kommt; beklemmend verklammert damit das dünne, dennoch kaum zu bohrende verholzte, blickdichte Brett, eine ärmliche, eckige, sperrige Existenz, das Laptop des kleinen Mannes, die Wichtigkeitsattrappe einer verbohrt bestirnten Papier-Existenz: Voilà, un Klemmbrett! Wort, Gegendstand und Wichtigmann bilden eine Einheit, derart fulminant und desaströs zu gleich, dass ich schon lachen muss, wenn ich bloß das Wort höre: Klemmbrett. Außerdem klingt es wie ein preußischer Kasernenhof-Imperativ, schnarrend und herrisch: Klemm, Brett! Und Brett klemmt natürlich aufs Wort.

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 Ein Adjektiv, das mich als Kind auf unklare, vage Weise geängstigt, oder doch merklich beunruhigt hat ist fleischfarben. Ein gleißnerisches, listiges, verschlagenes Transen-Wort, das so sinnlich-konkret herausgeputzt ist, in Wahrheit aber gar nichts besagt, denn Fleisch hat ja gar keine Farbe! Bzw. alle möglichen Farben von dunkelbraun über tiefrot bis fast weiß, je nachdem ob rare, durch oder medium. Wie also nun? Unsere Mütter trugen fleischfarbene Hüfthalter. Heute halten Hüften von alleine oder sie werden ratzfatz durch künstliche ersetzt. Wer sich nicht entblödet, ein fleischfarbenes Trikot zu tragen, offenbart seine heuchlerische Gesamtverfassung – er will nackt aussehen, aber nicht nackt sein. Man stelle sich das vor: Fake-FKK! Ein ganzer Strand mit Leuten, die fleischfarbene Badekleidung tragen (und jeden Tag einen Ton dunkler?). Wer möchte denn so etwas? Wer fleischfarben sagt, meint eigentlich mitteleuropäisch-hautfarben, also so ungefähr käsig-beige-rosa. Warum Frauen früher immer Unterwäsche von solcher Farbe trugen, habe ich nie verstanden. Schwarz war verrucht, lila war nuttig, chamois war mondän: fleischfarben war nur Mutti.

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 Wäre letzteres womöglich eine frivole Behauptung? Frivol, wiewohl und obschon ein sittlich motiviertes, anstandsgeschwängertes Wort der Mahnung und Kritik, wird nicht mehr viel verwendet, ja kaum noch verstanden, weil der dem Wort zugrunde liegende Straftatbestand uns irgendwie abhanden gekommen ist. Das Wörtchen grassierte in der Zeit, als Lieder wie „Püppchen, du bist mein Augenstern“ oder „Ich möchte’ dein Badewasser schlürfen“ die Charts stürmten. Sein Strumpfband zeigen, Champagner aus Pumps trinken, sexualitätsbezogene Songs grölen – das galt mal als frivol. Später, nach dem Krieg, wars mal grade noch frivol, wenn man auf Opas Beerdigung eine flotte Polka auf dem Schifferklavier spielte. Und heute? Im Zeitalter des schwülen Digital-Porno, der schwulen Schwundminister und schwadronierenden Schwindeldoktoren schwand uns der Sinn für das schwierige Wort. Nun ist es fast fort. Wie gern wär ich noch ein bisschen frivol!

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Vielleicht, indem ich hartleibig und uneinsichtig weiterhin die bezaubernde Vokabel Friseuse verwendete? Was für eine brausepulverhafte, süß-selig säuselnde, sirrende, sirenenhafte Sehnsuchtsvokabel! Schon das Wort duftete berauschend, erregend, auf Jugendliche sogar beinahe aufpeitschend. Jetzt ist es schnöde verboten wie Negerschnitzel und Zigeunerkuss; wers noch gebraucht, gilt als uncharmant und altbackener Hagestolz. Friseuse – das reimte sich auf nichts, das war sanft, liebenswürdig und schmiegsam wie, äh, wie…Wie liebte ich das Wort einst und die holden Weiblichkeiten, die es mit Würde trugen! – Friseurinnen? Wie hört sich das denn an! Man sagt doch auch nicht Friteurin, Diseurin oder Chanteurin! Für die Kopfmassage bei einer Dame, die ich noch Friseuse nennen dürfte, zahlte ich voll Aufpreis! Und, um mal etwas frivol zu werden, ich sag zu einer Möse auch nicht Möhrin! Ach, die alten Wörter! – Demnächst möchte ich über die famose Interjektion ach etwas schreiben. Ach!