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Aus dem Alltag eines Berufsphilosophen

18. Mai 2011
Imannuel Kraska, als Kant

Mit meinem Beruf bin ich etwas verschämt. Dabei bin ich weder Zuhälter, noch Anwalt oder Immobilienmakler. Schamhaft nuschele ich immer was von „Dozent in der Erwachsenenbildung“. Dabei dürfte ich eigentlich ruhig zugeben, dass ich „Philosoph“ bin, denn das hab ich gelernt und das bin ich ja auch, zertifiziert, diplomiert und behördlicherseits ordnungsgemäß abgestempelt. Aber es klingt immer so blöd komisch, entweder prätentiös anmaßend oder, hm, etwas windbeutelig. Sage ich die Wahrheit, heißt es prompt mit kaum versteckter Häme: „Und was ARBEITET man so, als, ahem, … Philosoph?“  Darauf gibt es diverse Antworten mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt. Zum Beispiel könnte ich sagen:  „Ooch, direkt arbeiten tue ich eigentlich nicht, ich sitz bloß am Schreibtisch und unterstreich so in Büchern…“  Mit etwas mehr Lust zur Mystifikation klänge es vielleicht so:  „Tja, morgens nehm ich halt meine Medikamente, schniefe ein paar lines Koks, trinke Kaffee und dann geht’s zur Matinée mit Düsseldorfer Industriellen-Gattinnen, die mir an den Lippen hängen bzw. zu Füßen liegen und mir verstohlen prall gefüllte Sparbücher zustecken...“ –  Die Wahrheit liegt, leider, noch nicht mal irgendwo dazwischen.

In Wahrheit träume ich vor mich hin, prokrastiniere ziellos ins Blaue, grübele konfus über dieses & jenes – bis plötzlich das Telefon läutet. Ou-ou, jemand Offizielles! Vom ***Museum im Kant-Park! „Herr Magister Kraska!“ trompetet der junge Mann, „entschullien’se die frühe Störung! Wie Sie vielleicht wissen, leite ich das Philosophie-Café im *** Museum!“ –  „Gern“ repliziere ich (wg. der Störung), – „leider nicht“ (wg. dem Wissen) und  „viel Erfolg!“ – (wg. des bestimmt ambitionierten Vorhabens). – „Ich habe da so ein spezielles Konzept…“ verrät der Mann. – „Aha?“ antworte ich, mäßig interessiert. – „Jaha, und zwar möchte ich mal die Philosophie so mehr auf die theatralische Ebene heben, wenn Sie wissen, was ich meine…“ – Nö, keinen Schimmer, weswegen ich erstmal schweige. – „Ja, und in diesem Zusammenhang wäre da oder hätte ich mal die Frage, ob Sie vielleicht einen halbstündigen Vortrag über Kants Drei Kritiken halten möchten, draußen da, im Park, im Rahmen so einer theatralischen Performance, am Donnerstag?

Als ich noch jung und heißblütig war, hätte ich entweder zu lachen begonnen oder spontan etwas sehr Ätzendes formuliert. Reif und gelassen geworden, stelle ich hingegen sachdienliche Fragen: „Mit den drei Kritiken meinen Sie aber doch Immanuel Kants 2500-seitiges Hauptwerk, für das er 25 Jahre gebraucht hat? –  Mit Donnerstag meinen Sie übermorgen? – Und mit einer halben Stunde meinen Sie, äh, so… 30 Minuten? Ach so, und mit ‚theatralisch’, dass ich mich im Park verstecke, beim Auftauchen einer von Ihnen geführten Touristengruppe im Kant-Kostüm hinter einem Baum hervorspringe und ein bisschen was vor-philosophiere?“ – Auf jede Frage erntete ich ein „Ja“, wenn auch mit allmählich abnehmendem Selbstbewusstsein. Es gäbe, so der Anrufer, spürbar sich windend, evtl. als Honorar auch so, na ja, sagen wir vielleicht, hm, so … „hundert Euro?“ 

Kurz habe ich durchkalkuliert, was eine bulgarische Nutte bei mir um die Ecke in „Sin City“ für ’ne halbe Stunde ohne Gummi bekommt, dann habe ich abgelehnt. Erstens könnte ich im Rokoko-Kostüm allerhöchstens den dicken schottischen Bonvivant und Erz-Skeptiker David Hume verkörpern, nie und nimmer aber den bucklicht rachichitischen, asketischen Knochenmann Kant; zweitens sind selbst einem Didaktik-Genie wie mir zwei Tage Vorbereitung zu wenig; drittens könnte ich in 30 Minuten gerade mal „Meine verehrten Damen und Herren“ sagen; viertens sind die Zeiten, wo ich mich zu neckischen Spielchen im Park versteckte, seit einem Vierteljahrhundert vorbei. Außerdem, um ehrlich zu sein, für einen Hunni den Affen zu machen – das findet man mit Zwanzig okay, in meinem Alter aber nicht mehr, weswegen ich fünftens, vor allem leider aus Zeitgründen, die geschätzte Anfrage leider ablehnen müsse.

Hinterher hatte ich Skrupel und Grund zum Grübeln: Bin ich jetzt eine Diva geworden? Habe ich Allüren? Ich zog das Tao der Demut zu Rate. Aber selbst dort stand nicht, der Gelehrte („das alte Langohr“) habe sich prinzipiell zum Idioten zu machen.  Ich fühlte mich gestärkt. Es gab mir die Kraft, den Rest des Tages über die geistesverwahrloste Erlebnis-„Kultur“ der Gegenwart angemessen kulturkritische Gedanken zu wälzen. Beschlossen aber habe ich, zur Veranstaltungsreihe „Warum wir Kulturmanager allesamt verrohte Komplett-Idioten sind“ meinen Beitrag zu leisten. Zur Not im Nietzsche-Kostüm, mit dem Hammer in der Hand. – Als ich mein Erlebnis im Seminar-Kreise zum Besten gab, wurde mir versichert, man wäre aber bestimmt gekommen, mit der Kamera, um mich im Kant-Kostüm abzulichten. – Schön, wenn man Respekt genießt!

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