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Notizen für die linke Hand

18. Juni 2012

Somewhat spooky
(Quelle: MANDEL NGAN/AFP/Getty Images)

Ouh, oh! Der alte sinistre Märchenmann lurcht durchs Viertel und spinnt skrupellos kichernd sein Garn. Vorsicht, gutgläubige Mitbürger! Der Lügenbeutel geht um! Und der Abend ist so gottverdammt grottenschwül, hier kann alles passieren! – Weh mir, der kleine Mann auf der Straße und draußen an den Bildschirmen: wird natürlich an der Nase herumgeführt, der verlauste, fadenscheinige Tanzbär, das dummliebe Wahlvolk, der bettelarme Otto Normal-Verbraucher, das ewige Opfer, ausgenommen und, Verzeihung: immer „verarscht“ von elegant-smoothen Hütchenspielern in Glenscheck-Anzügen. So; so viel zur Politik. Schluss damit. Schlimmer als Politiker sind nur noch selbstgerechte Politiker-Beschimpfer. Da will ich nicht mittun!

Zu meiner Studienzeit in den 90ern (ich bin Spätentwickler) gab es mal ganz neu einen total hippen, angesagten Studiengang. Wenn man den dann sturweg ging, wurde man Kulturmanager, eine etwas strizzihafte Art kommunaler Intellektualhure mit prospektiver Beamtenanwartschaft. Galt damals als Zukunftsberuf und hat heute ungefähr den Wert von unbeschrifteten VHS-Kassetten, batteriebetriebenen Nasenhaarschneidern und uraltem Adapterschlamassel – kurz, eine triste Mischung aus Werbefuzzi, Schmierenanimateur, Stadtmarketingidioten und professioneller Labertasche (von Guzzi aus Guangzhou). Merke, Jungvolk: Um als Futurama-Ramsch-Trinker zu enden, muss man keinen modischen Scheiß studieren. Bisschen Mittelhochdeutsch und  Turnpädagogik tuns auch.

Dabei fällt mir ein: Hat das noch jemand gesehen? Kürzlich bekam Bob Dylan von Barack Obama eine hochwertige Medaille umgehängt; beängstigenderweise sah mein Held (Dylan, nicht der andere) bei der Zeremonie aus wie ein verwirrter grauer, mit einem zu großen Leih-Smoking behängter Zausel-Emu, den man gegen seinen Willen aus dem Zoogehege befreit hatte. Er krächzte knapp etwas Unhörbares, wandte sich etwas wackelig und fast greisenhaft hüftsteif dem Präsidenten zu und tappte ihm dann mit der flachen Hand ein paar mal ganz zart, begütigend und tröstlich auf den Oberarm, als sei der schwachschwarze Hoffnungsträger gerade aus der Highschool geflogen. Ich hab mir den gespenstischen Clip so oft angeschaut, bis ich am Ende sicher war, ihn bloß geträumt zu haben.

Apropos, um annähernd beim Thema zu bleiben: Ich war bislang der festen Ansicht, ich hätte einmal einen Essay des Pariser Semiologen-Fexes Roland Barthes gelesen, in dem dieser analysiert, warum uns eigentlich heisere oder gar verrucht-verrauchte Frauenstimmen erotisch viel mehr in Wallung bringen als zum Beispiel das glockenhelle Tirilieren singender Nervensägen-Sirenen wie Joan Baez. Besagten Essay fand ich hochinteressant, bis ich heute, nach neuerlicher Durchsicht der Werke des Meisters, feststellen musste, dass er gar nicht existiert. Ich habe dieses Buch, wie so manches, das ich in enthusiastischer Nacht verschlang, leider bloß geträumt. Kann jemand aushelfen?

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Quo vadis, Beinkleid?

22. Juli 2010

Hose der Fa. Baur, Beine unbekannt

EIN LÄNGERES TRAKTAT ÜBER DIE KURZE HOSE

Beim Bikini zum Beispiel, beim BH oder auch beim Reißverschluß weiß man es, glaube ich. Aber wer hat eigentlich das sinnreich ersonnene Kleidungssstück erfunden, das wir als sog. „Hose“ kennen und schätzen? Römische Autoren der Antike haben das raffinierte Doppelröhren-Teil als Alltags-Tracht der wilden Germanen-Stämme beschrieben, halb spöttelnd, in der kalten Jahreszeit dann aber auch schon zunehmend ein bisschen neidisch. Hosenlose Horden gelten in der Moderne bereits als rückständig. Obwohl es m. W. noch keinen bundes- oder gar weltweiten „Tag der Hose“ gibt, wird die zivilisatorische Daseinsberechtigung dieses Beinkleides kaum noch bestritten. Freilich, keine Hose ohne Dornen, will sagen ohne Umstrittenes, Fragwürdiges, ja irritierend Bedenkenswertes.

Ich spreche vom Funktionswandel der Hose! Den nämlich gibt es zu verzeichnen! Grundidee der antiken Beinkleidschneider war es ja wohl ursprünglich, die beiden braven Zwillinge, das stämmige Stand- und sein puppenlustiges Spielbein, mit einem ledernen, später textilen (Jeans!) Schonbezug zu umhüllen, damit es nicht friere (fröre) und vor allem Unbill einer feindseligen Umwelt wohl verwahrt seine Arbeit tue. Oder täte. Dass dabei das stämmige Germanen-, Westgoten- oder Vandalenmännerbein auch den Blicken der Öffentlichkeit entzogen wurde, nahm man billigend in Kauf. Heute fragt sich der konservative Kulturbeobachter indessen schon wieder bang: Quo vadis, Hose?

Die Hose steht heute ratlos am Scheideweg, und zwar besonders als sog. Kurze  bzw., für das weibliche Geschlecht vorbehalten, sogar Sehr Kurze Hose. Seit der Klimawandel uns im Sommer mediterrane oder sogar tropische Temperaturen beschert, hat der deutsche Mann eine Art Zwangsneu-Hose entwickelt: die obsessive, öffentlich-schamlose Kurzbehostheit. Was soll man sagen? Als unterlägen ihre unelegante Stampfer neuerdings einem staatlichen Verhüllungsverbot, entblößt man wie blöd und zwanghaft seine knochigen Knie, wurstigen, wollbehaarten Waden oder madenweißen Magermilchschenkel. Trotz der Proteste internationaler Menschenrechtsorganisationen enden solche Unaussprechlichkeiten unten noch immer gern in weißen, beigen oder braunen Socken. Pfui Spinne! Wollen wir das ästhetisch ausführlicher würdigen? Besser nicht; taktvoll-dezent schlagen wir die Augen nieder und bitten still stoßbetend um plötzliche Schafskälte und die gnädige Rückkehr der seligen Eisheiligen.

Ganz anders wiederum, oft betörend und sinnverwirrend, die heuer, wie mir scheint, faktisch wie modisch im überhitzten Stadtbild mehr und mehr dominierende, extrem knapp sitzende Fräuleinhose, früher kess „Hotpants“ (vgl. auch „Der Name der Hose“!) genannt, ein zumeist aus Jeans-Stoff geschneidertes (man möchte, hehe, eher sagen: beschnittenes), jedenfalls eminent, ja  frappant kontraproduktives Beinentkleidungsbeinkleid, dessen nahezu beinfreie Knappheit den Gläubigen offenbart, dass der Schöpfer – wie es das on dit ja schon lange vermutet –, wenigstens was das beinbezogenen Feindesign angeht, beim Manne nur geübt, beim jungen Weibe aber zur Vollendung gefunden hat. Die Anatomie ist im Prinzip ja die nämliche, aber der ästhetische Effekt ist beim ultrakurzbehosten Jungfernbein ein verblüffend anderer, zumal in der Mädchen-Population dieses Jahres, will mir scheinen, die Beine besonders lang, elegant und hühnchenknusperbraun gewachsen sind. Manche Mädels bringen es, ich kann das als urbaner Biker beurteilen, mit Hilfe eines solchen Entkleidungsstückes zuweilen bis zum mobilen Verkehrsbehinderungsereignis!

Ist eine solche sachliche Feststellung etwa von chauvinistischer Frauenfeindlichkeit geprägt? Ganz im Gegenteil! Fern liegt mir altem Hosenkavalier jede Anzüglichkeit! Die kurze Hose (im Gegensatz zu Horrorhosen-Relikten wie der verflossenen Karotten-, Reit- oder Pumphose) versichert uns vielmehr, dass der früher aus ideologischen Gründen unterschätzte „kleine Unterschied“ noch immer existiert und sich nicht hinwegmodeln oder -mendeln gelassen hat. Das von mir praktizierte Frauenversteher- oder Verehrertum macht vor dem Bein nicht halt. Beine gehören zum integralen Bestandteil femininen Menschentums! Steht, empfehle ich daher der heurigen Mädchenblüte, steht zu euren Beinen!

Beine sind ein Gottesgeschenk – ein paar aufreizend knappe Jeanshosen für sie hat Gott allerdings nicht wachsen lassen, die muß man zur natürlichen Ausrüstung hinzukaufen. Hierfür gibt es aber gut erreichbare Fachgeschäfte.

„The Sting“ zum Exempel ist ein aus den Niederlanden stammendes, im „Forum“ niedergelassenes sowie im Prinzip – so sagen die Töchter – recht empfehlenswertes Bekleidungshandelsunternehmen für junge, schlanke, gut gewachsene Menschen, die sich mit Hilfe der feilgebotenen  div. Markenklamotten figurbetont herausputzen möchten. (Achtung: Die Größen S, M, L und XL beziehen sich eher auf thailändische Maßstäbe!),  Dass modische Kleidung ihre Attraktivität oft durchs Weglassen behauptet, kommt man mit wenig Stoff aus, was der Taschengeldfreundlichkeit der  Hemdchen, Tops & Höschen zugute kommt. Der Öffentliche Raum profitiert: In der Stadt erblühen die Augenweiden.

Aufgrund der äußersten Knappheit und Kürze der sommerlichen Hosenbeine habe ich mir erlaubt, den Text hierüber etwas länger geschneidert bzw. ausufern zu lassen.

Sex & Metaphysik: Platonische Perversionen leicht gemacht

30. Januar 2010

Schwer verkopft: Erotologe Platon, der Herr ohne Unterleib

Lange Zeit, seit 2003, kursierte sie nur als Gerücht, als vage Erinnerung an einen Skandal, an eine unfassbar unseriöse, unverschämte und dreist verständliche  Vorlesung, bei welcher der Dozent seine ZuhörerInnen angeblich nicht nur mit Mengen billigen Weins betrunken und wehrlos machte, sondern sich, die Zuhörerschaft schwindelig redend, auch noch anmaßte, den großen Gipsheiligen Platon, den Oberpriester und Standeshalbgott der Philosophen-Zunft, vom Sockel zu holen und zügellos der Lächerlichkeit preiszugeben. Dieses legendäre Symposion über Platons „Symposion“ machte das mutmaßliche psychopathologische Elend eines antiken Neurotikers sichtbar, der aus Angst vor dem Tod den Selbstmord empfahl und mit seiner kranken Metaphysik das erotische Leben Europas für Jahrhunderte vergiftete.

Und jetzt die Sensation: Das Manuskript der Skandal-Vorlesung ist jetzt öffentlich zugänglich! Und zwar auf dem Blog „denkfixer“:

http://reinhardhaneld.files.wordpress.com/2010/01/platon22.pdf

– man kann es sich als pdf-Datei herunterladen und sich bei ein, zwei Glas Wein zu Gemüte führen. Die akademische Welt steht natürlich Kopf: „Dieser Herr ist eine Schande für den gesamten Denkerstand! Verbrennt seine schändlich respektlosen Texte!“ heißt es allenthalben, aber Digitales brennt ja zum Glück nicht. Höchstens auf den Nägeln – wie dieser Vortrag über einen mumifizierten, aber immer noch infektiösen Denkleichnam beweist. Das Schönste: Zum ersten Mal wird einem mal verständlich, amüsant und ohne falschen Respekt erklärt, was es mit der sogenannten „platonischen Liebe“ denn eigentlich auf sich hat! Guckt mal rein, Ihr hellen Köpfe!

Brennende Lust: Nacktes Nackenwerfen vs. Feminismus

20. August 2009
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Fast menschenleer: Ein Strand in der City

Derzeit beginnen zeitaktuelle Kolumnen-Texte gern mit einem Zitat von The Loving Spoonful: „Hot town, summer in the city, / my neck’s gettin’ dirt and gritty“ – warum auch nicht, liegt doch nahe bei 37° C im Schatten! Außerdem ists ja ein schönes altes Lied. Ich fang trotzdem mal anders an: Stellt euch einen einsamen Sandstrand vor – nahezu menschenleer liegt er unter der Sonne; bis auf das gelegentliche leise Vorübertuckern eines Schiffes ist es himmlisch still; kein Kindergeschrei, kein hektisches Geplantsche, keine sportgeilen Muckibengel mit Beachball, die einen andauernd immer mit Sand bestäuben. Die Sonne erzeugt mediterranes, wenn nicht sogar nordafrikanisches Flirren, doch ein zwar wüstenhauchwarmer, aber doch erfrischender, kräftiger Wind fächelt Annehmlichkeit zu. Wohin man da fliegen muß? Nirgendshin, das geht mit dem Rad, ist bei mir um die Ecke, im Ghetto, am Rhein.

H ier kann man völlig ungestört sich sonnen, meditieren, den Schleppkähnen auf dem Rhein zusehen oder, auch wenn das hier im Viertel der hundert Nationen etwas exotisch wirkt, ein Buch lesen. Ich für meinen Fall hatte ein Buch der feministischen US-Philosophin Judith Butler mit dem Titel „Die Macht der Geschlechternormen“ dabei, weil ich das für ’nen Vortrag lesen muß. Ich habe ja auch einen Beruf, da ich vom Bloggen oder Qypen nicht leben kann. Leider konnte ich mich am Strand auf die Geschlechternormen und ihre Macht nur schwer konzentrieren, da ein junger Mann die Gunst der Menschenleere und Ungestörtheit nutzte, um von seiner Freundin Erotik-Fotos zu schießen. Heute heißt das so: „Komm, Chloé-Sandrine, Baby, wir machen heut ein mal ein sexy Foto-Shooting, ja?“. Vielleicht wars auch nicht seine Freundin, sondern ein Profi-Model, denn das bis auf gewisse Zonen knusprig grillhähnchen-farben bronzierte Fräulein, das lediglich mit einem großzügig aufgeknöpften weißen Herrenhemd bekleidet war, zeigte körperbaulich gesehen vorzüglich gestaltete Anlagen. Man möge mir das verzeihen oder nicht, aber da, wie gesagt, ein kräftiger Wind ging, der das besagte Hemd in reizvolle Flatterhaftigkeiten versetze, geriet meine Feminismus-Lektüre irgendwie ins Schlingern, weil, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht gleichzeitig! Etwa ein Auge dem theoretischen Feminismus, und eines der praktischen Frauenschönheitsverehrung widmen. Das gibt, vor allem in der prallen Sonne, Hirnschwurbel!

Der Fotograph war jedenfalls mit Sicherheit kein Profi, sonst würde er ja nicht grad seine Bilder „schießen“, wenn die Sonne, im Zenit ihrer weißen Mittagsglut, der Mademoiselle Modelle völlig unschmeichelhaft senkrecht auf den Schädel brennt. Da ich mir hinter meiner großen Sonnenbrille ohnehin schon die Indiskretion des Da-Hinguckens erlaubte (ich kann nichts dafür, ich bin ein Augenmensch!), konnte ich ebenso gut, sagte ich mir, auch gleich mal studieren, wie sich die Macht der Geschlechternormen in den Erotik-Vorstellungen der passionierten Amateure so niederschlägt. Die Regie- bzw. Model-Führung des Fotographen ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder taumelte das Mensch einhundert Prozent phantasiefrei durchs Geschlechtsleben, oder er pflegte eine eigenartige, bizarre sexuelle Obsession: Das Nackenwerfen! Wieder und wieder, ein ums andre Mal, hörte ich ihn der Dame zurufen: „Wirf mal den Kopf in den Nacken! Leg mal so den Kopf zurück! Beug dich mal so nach hinten, ja?“ Die einzige Pose, die der arme Kerl bei seinen ca. dreitausend „Schüssen“ offenbar goutierte und für erotisch hielt, bestand darin, daß sein Modell den Kopf extrem weit in den Nacken warf und so tat, als würde sie von ihren mit Helium gefüllten Brüsten irgendwie gen Himmel gezogen! Mal sollte sie dazu die Schenkel spreizen, mal lasziv das Knie anwinkeln, mal alles zusammenkneifen, aber immer: den Kopf in den Nacken werfen! Mir wurde ganz schwindelig vom Zugucken!

Also, jedem seine erotische Vorliebe, aber mich würde eine weibliche Begleitung ja eher irritieren, die ungefähr tausendmal am Tag ihren Kopf in den Nacken wirft! Da läuft frau doch die Gefahr, sich ein Schleudertrauma zuziehen! Sind die Geschlechternormen das wert? Mein stets polymedial aktive Multifunktionshirn spielte mir „Bettina, pack deine Brüste ein / Bettina, zieh dir bitte etwas an“  von der Band Fettes Brot ein, was sich als perfekter Soundtrack zu dieser Strandstunde erwies.

Trotz allem, es gibt natürlich schlimmeres, als an einem heißen Augusttag am einsamen Rheinufer-Strand Sonnen-Siesta zu halten und physisch gut entwickelten jungen Erwachsenen beim Versuch zuzugucken, sexy zu sein. Ich hoffe, Frau Prof. Butler hat dafür Verständnis!

 Nachtrag: Warum dieser neu gestaltete Strand tagsüber noch immer menschenleer ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht ändert es sich, wenn 2010 die geplante Gastronomie am „Strand“ verwirklicht wird? Obwohl, wenn’s nach mir ginge, könnts so bleiben: Die Ruhe mitten in der Stadt ist traumhaft!

Bubikopf, Einschlafbier, demokratischer Fisch-in-Tomatensauce (Ein Gespräch über Madonnas Achselhaare)

10. Juli 2009
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Stilikone Madonna in der Neigungsnische (Foto: Lee Friedlaender, PLAYBOY 1985)

Innerfamiliär schätzen wir das bekannte Gute Gespräch. Neulich beim Abendbrot haben wir uns in der Runde z. B. lange über Madonnas Achselhaare unterhalten. Einig war man sich insofern, daß Madonnas Style heute – also dieser Typ abgemagert-hager-sado-sehnige Fitness-Tucke – uns ja nun überhaupt nicht anmacht. Die Frau sieht aus wie eine sm-hardcore-lederlesbische Turnlehrerin im Stadium fortgeschrittener Unterleibsverbitterung! Dassisdonnich schön! flöteten wir unisono.

Ich gab dann damit an, daß ich mal das PLAYBOY-Heft von 1985 besessen habe, worin nachträglich Aktfotos der 17-jährigen Karriere-Beginnerin abgedruckt waren, die da noch  Madonna Louise Veronica Ciccone hieß und ein reizendes italienisches Pummelchen-Frollein war, dazu südländisch-mediterran, also ungemein großzügig körperbehaart. Auf den künstlerischen (ha!) Schwarzweißfotos, ich erinnere mich erschauernd noch heute, stach ihr flamboyantes, lockig-buschiges, pechschwarzes Achselhaar einigermaßen provokant ins Auge. Unvorsichtigerweise gestand ich, dies damals „irgendwie auch sexy“ gefunden zu haben, worauf die 21-jährige Tochter des Hauses pantomimisch einen Kotzwürganfall andeutete und mich mit weit aufgerissen-überquellenden Augen puren Ekelentsetzens anstarrte, als hätte ich gerade zugegeben, von Sex mit Königspudeln zu träumen. So kamen wir auf das Thema Haare.

Nebenbei, Schwarzweißfotos und Haare: Frau Gülcan Kamps (26, Abitur in Lübeck) hat nicht nur im Fernsehen ihren Brötchen-Prinz geheiratet, sondern auch an der Quizsendung „Was denkt Deutschland?“ teilgenommen. Ausweislich eines Radiomitschnitts ist herausgekommen, was die VIVA-Moderatorin selber denkt. Sie denkt, auf Schwarzweißfotos sind weiße Haare schwarz und schwarze Haare weiß abgebildet. „Du meinst Negative“ hält man ihr daraufhin vor. „Nee, überhaupt nicht“, antwortet sie da, „ich mein das gar nicht negativ…!“

Haare gehören zu den evolutionär eigentlich längst überholten Sachen, um die Menschen ein dennoch riesiges Gewese machen. Es wird unentwegt gestylt, gelockt, getönt, gesträhnt, geföhnt, gegelt, gescheitelt, wachsen gelassen, abgeschnitten (stufig!) oder wegrasiert, aufgetürmt, verfilzt (dreadlox), kunstverstrubbelt (Schlingensief), geflochten und noch weißderteufelwas. Manche, wie der Internet-Prominente Sascha Lobo, gelen sich das Haupthaar zu einem feuerroten Irokesen und können ganz gut davon leben. Andere fühlen sich morgens suizidal, weil „einfach die Haare nicht sitzen“. Der aus haarigen Verhältnissen herausgewachsene Herrenfrisör Udo Waltz ist zur Kanzler-Beraterin und gefragten Society-Tucke aufgestiegen, weil er sich gut mit Ministerinnenfrisuren auskennt.

Frisuren sind derjenige Teil einer Weltanschauung, den man sehen kann: Glatzen (Skins, Neo-Nazis, Werbe-Fuzzis) und Vokuhilas (Zuhälter, Fußballprofis, Muckibuden-Betreiber) können bei der sozialen Einordnung des Gegenübers helfen; auf Heavy Metal-Konzerten sieht man im Schnitt 35% mehr Haare als bei einem Gig von Placebo oder Jan Delay. Ob Haare als hip oder gar „sexy“ empfunden werden, hängt von der Stelle ab, wo sie wachsen, und auch noch von Mode. Ich wuchs in Zeiten auf, als der Schnauzbart en vogue war, den später nur noch Polizisten trugen, leistete mir dann, weil es mit meiner Nasenlänge harmonierte, einen Bart à la Frank Zappa; noch später erwog ich die Anpflanzung eines Grunge-Ziegenbärtchens, was mir aber meine Frau geschmackvollerweise untersagte.

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hielten es die subtilsten Erotiker der Republik für ungemein erregend, wenn eine Dame einen sog. Bubikopf trug. Es gab eigens von irgendeiner Hochkulturzeitschrift eine Umfrage unter Geistesgrößen, was man von so einer neumodischen Kurzhaarfrisur denn zu halten habe. Sogar Thomas Mann hat es sich damals nicht nehmen lassen, einige verschwiemelte Gedanken hierüber ins Schriftdeutsche zu stelzen. Noch Ernest Hemingway, der alte Männlichkeitshaudegen, Entenjäger, Kriegstrinker und Frauensäufer, kriegte sich erotisch gar nicht mehr ein, wenn er davon schrieb/träumte, mit einer Kurzhaarfrisur tragenden Frau zu schlafen. Es kam vermutlich seinen krypto-schwulen Neigungen entgegen; das Irisierende, Oszillierende und Irritierende von Mädchen mit Jungshaaren hat ihn genauso wie Thomas Mann schwer angefackelt.

Heute finden Mädels aller Frisurklassen und Haarkreationen die verdiente erotische Beachtung, vorausgesetzt, sie beherrschen den Umgang mit einem lady shaver. Das allerdings soll ein Muß sein. Die Rasierklingenschmiede und Rasierschaumschläger reiben sich schon seit einiger Zeit die geschäftigen Hände: Die großflächige Epilation haarwuchsverdächtiger Körperregionen wird im 21. Jahrhundert zur zivilisatorischen Selbstverständlichkeit und ästhetischen Hygienepflicht! Eine befreundete Vielbeschäftigte, die sich freimütig gewisse exzentrische Entspannungshobbys leistet, berichtete mir jüngst, im zeitgenössischen europäischen Porno-Film seien mittlerweile auch die meisten Männer bereits Vorreiter glattrasierter Rundumtadellosgepflegtheit, und zwar durchaus auch, wie die Freundin mit hochgezogenen Brauen erläuterte, „unten rum“! Der ethno-anthropologische Beobachter registriert diese Entwicklung mit wohlwollendem Interesse.

Ein anderer Freund überraschte mich mal mit der emphatischen Behauptung, es sei für ihn „Demokratie“, daß er das verbriefte Recht hätte, nachts um drei Uhr noch eine Dose Fisch-in-Tomatensauce zu öffnen und zu seinem Einschlafbier genüsslich auszulöffeln. Als ich einwendete, meines Wissens hätte noch kein Diktator der Welt Fisch-in-Tomatensauce verboten, noch auch den Nachtverzehr desselben reglementiert, patzte er zurück, ich hätte eben einen anderen Freiheitsbegriff. – Für mich ist eher Demokratie, daß in der offenbar strikt geordneten und durchkategorisierten Welt der Internet-Pornographie inzwischen schon wieder auch für passionierte Behaarungsinteressierte eine Nische mit Bildern und Filmchen bereitgehalten wird, die Frauen von der Art der jungen Madonna Ciccone beinhalten. Vorbei die Zeit der genormten Einheitserregung! Laßt hundert Blumen blühen! Bzw. Neigungsnischen locken. Übertrieben finde ich bloß, wenn Männer sich neuerdings nicht nur die Beine rasieren, sondern auch die Brauen in Form zupfen. Solch effeminierten Spleen pflegte man meines Wissens zuletzt in der römischen Spätantike, und was aus dem Imperium dann geworden ist, wissen wir ja.

Den PLAYBOY mit den Madonna-Bildern habe ich irgendwann eingetauscht, gegen eine Mundharmonika. Zum Glück kursieren die Fotos aber noch im Internet. 

Dick aufgetragene Dünnhäutigkeit (Masken-Kraska)

5. Juli 2009

ghirlandaio_maske_florenzSVA CVIQVE PERSONA

Wien, Heldenplatz. Mördermonströses Marmoralbtrumm umstellt das Halbrund, bestürzende Altbauten, Einschüchterungsprotzitektur der XXXL-Klasse. Hier, vom Balkon aus, hat Adolf „du alte Nazisau!“ Hüttler  den Zusammenschmiß von Ostmark und Doofdeutschem Reich verkündet, damit man gemeinsam mal was machen kann. Weltkrieg beispielsweise. Ö-Pöbel und germanische Hakenkreuznasen frenetisierten dazu im durchfallfarbenen Jubilage-Rausch. „Heil! Heil!“ rief das Pöblikum, aber es ging dann bekanntlich dennoch das meiste kaputt.

Etwa eine Bombenwurfweite von dieser unseligen Rassen-Terrierarier-Terrasse entfernt, im Seitenflügel der marmorsteinundeisen gewordenen Grandiositätsphantasie der Habsburger-Helden, residiert heut eine Abteilung des Museums für Völkerkunde. Hier werden Völker beurkundet, die man k.u.k.-halber schon mal ausgepresst hat, oder wenigstens flüchtig besichtigt, oder denen man gern mal an die Geldwäsche gehen würde. (Völkerkunde war eine Hilfswissenschaft des Kolonialismus; Ethnologie ist die universitäre Trauerarbeit darüber, daß es der Kolonialismus damals geschafft hat.)

Hier nun hat man heuer am Heldenplatz auch was zusammengeschmissen, aber mit dem zeitgemäß gehobenen Feingoldgefühl demokratischer Zivilisiertheit durchwirkt und geadelt: Die Völkerkundler, das Kunstgeschichtliche und das Theatermuseum haben Ideen und Exponate beigesteuert zum Thema „Wir sind Maske“.

Den Machern kam dieser Titel wohl selbst etwas peinlich vor in seiner boulevardesken Schreifaltigkeit (“Wir sind Papst!“, „Wir sind Meister!“), weshalb man ihn lateinisch nobilitierte und untertitelte: „SVA CVIQVE PERSONA“, was sich der Lateinschüler mit „Einem jeden seine Maske“ aufs Handgelenk notiert. Ach so, gut. Henry Maske wäre ich nämlich nicht gern gewesen (andere Gesichtsklasse!). Um diesen geht’s also nicht, aber sonst um fast alles zum Thema Maske, quer durch die Religionen, Regionen und Rituale, sowie längs durch die Kulturgeschichte von der Stein- bis zur Plastikbastelzeit; Totenmasken, Horrormasken, Schutzmasken, Vermummungsmasken, Theatermasken (von der Commedia dell’arte übers No-Theater bis zur Gegenwart), Ritualmasken, Karnevalsmasken, Bilder von Masken, Masken von Maskenbildnern, Masken aus Stein, Ton, Knochen, Wachs, Lehm, Leder oder Pappmachée, Kurioses, Furioses und Folkloristisches, Humoreskes, Phantastisches, Dämonisches, Horribles, Poetisches, Apotropäisches, Apokryphes und Apokalyptisches:  ein auf fünf oder sieben Säle ausgedehnter ballo di maschera, bei dem auch der Kenner ein oder das andere Tänzchen um die Vitrinen wagt. Von der afghanischen Burka über die Renaissance-Prunkritterrüstung bis zu Darth Vaders („Kh..hchchch, Kh…chchch“) Schutzhelm fehlt nichts Wichtiges, womit Menschen mal ihre werte Identität verschleiert, verdoppelt, fragmentiert, larviert, vermummt, überhöht, dementiert oder konterkariert hätten.

Zusammengestellt und ausführlichst mit Texttafeln beklügelt wird dies, mir san in Wean!, von einer KuratorInnentruppe, die Geschmack, Bildung, Witz und Kenntnisreichtum genug besitzt, um sich nicht maskieren zu müssen. Selbst gichtkrüppelige Bewegungsapparaturen und wehe Schmerzensmänner wie mich drängt es, offenen Kindermundes hierhin und dahin zu sprunghüpfeln und ein und das anderemal auszurufen: „Schau nur! Sieh mal dies hier!“ – Natürlich darf man auch weitaus Klügeres äußern: über Identität und Person, gesellschaftliche Rollenspiele, magische Maskeraden, kapitalistische Charaktermasken, die beunruhigende Lebendiggkeit der Totenmasken, über das Einschüchternde, Verführerische, Verwegene und Entgrenzende des Maskenspiels, über Erotik und Überschreitung, Dialektik und Digression der Verhüllung, usw. – Munition für solche virtuellen Virtuositäten verschafft einem der doppelbrikettschwere Katalog, der wunderwunderschöne Fotos von allen Exponaten enthält, dazu aber eben auch Deutungen, Deuteleien und Verdeutlichungen aus berufenem Ethologen-, Anthropologen und Kunsthistorikermund.

Nicht jede Austellung macht komplexe Beziehungen anschaulich. Diese tut es absolut. Wenn man sich nicht allergrößte Mühe gibt, dumm zu bleiben, kommt man hier klüger wieder heraus, als man eintrat. Ich zum Beispiel, ich könnte jetzt hier aus dem Stand einen fulminanten, frappierenden, ja, flamboyanten Vortrag „Über die tragische Dimension der verschiedenen Masken Michael Jacksons“ improvisieren, unter künstlerischen, psychologischen und ethno-athropologischen Aspekten, nur, auch wenn dies gewiß des Anlasses würdig wäre, ich werde es, keine Sorge, hier nicht tun. Ich spiele lieber den ahnungslosen Einfaltspinsel und Provinzdepperl, eine Maske, die mich nicht nur glänzend kleidet, sondern mir auch erlaubt, im Schutze dick aufgetragener Harmlosigkeit dünnhäutige Beobachtungen aller Art zu machen.

PS: Interessante Fotos werde ich noch einscannen, wenn ich dazu komme.

Vierzehn Arten, den Regen zu ertragen

23. Juni 2009
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...und der Regen regnete jeglichen Tag

EINE METEOROLOGISCHE ELEGIE IN GRAU-MOLL

Soundtrack: Hanns Eisler, „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“, Kammer-Suite für Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Klavier, op. 70, (1941), Arnold Schönberg zum 70. Geburtstag

 Der Wetterbericht: Über Wien, um Wien herum und an der Wien entlang regnet es seit 49 Stunden ohne Pause, ohne Luft zu schöpfen oder neues Wasser zu holen, es regnet ruhig, sehr ernst und stetig, gleichsam wie selbstbewusst, also ergiebig und überaus gelassen, mithin nicht etwa leidenschaftlich, platzregenhaft, nicht sintflutend, nicht wie der Zorn Gottes, in Wasserfarben gemalt, sondern in der ausdruckslosen, mechanischen Gleichgültigkeit einer Duschbrause, unter der ein am Schlaganfall verstorbener Badender den Hahn nicht mehr hat zudrehen können, sodaß seine seit Tagen gnadenlos benetzte und begossene Haut bereits einen grünlichgrauen Farbton ungesunder Wasserleichenhaftigkeit annimmt; ein Regen ohne Melodie, ohne An- oder Abschwellen, ohne Modulation, bloß so ein schlichtes, maues, schauriggraues Schaurauschen: drucklos, aber üppig überlaufend lassen die fetten Wolken einfach unter sich, einen gewissermaßen inkontinentalen Regenwaldregen, der zum Fort- und Fortregnen gleichsam regional verpflichtet ist; ein im übrigen kühler, nässender, erkältender Regen ist das, nicht etwa ein lauer, sommerlicher, duftigerregender Erotik-Regen, der einen dazu treiben könnte, barfüßig und kindisch lachend, mit jungen, leicht bekleideten Mädchen über Wiesengründe zu hüpfen, also kein kleiner Frühstück-bei-Tiffany– oder gar Singing-in-the-rain-Regen, sondern eine auf längere Sicht eher frühherbstlich Frösteln machende 400%ige Luftfeuchtigkeit aus undurchdringlichem, vielfach tiefgestaffeltem Himmelsgrau, eine Form meteorologischer Melancholie generierend (regen-erierend?), wenn nicht schon Depression, ein nicht endenwollender feuchter Alptraum, denn, wer jetzt keine Arche hat, der baut sich keine mehr, dem regnet es ungeschützt ins Gemüt, dem hilft nicht Knirps noch Pellerine mehr, allenfalls der Besitz von Friesennerz und Gummistiefeln, doch die sind – wir hatten auf den Sommer gewettet – fern, daheim, jenseits des Regenbogens, der hier, mangels Sonnenlicht, nicht zu entdecken ist, kurzum,  es plätschert, plästert, pladdert, pütschert, pisst, pullert, pieselt, its raining cats and dogs, einen gradlinig faden Schnürlregen, der die Siebenschläfer hinter den sieben Bergen in ihren Schlafnestern ertränkt, ein in seiner Leidenschaftlosigkeit und Indolenz gegenüber allem Lebendigen schon geradezu erhabenes, grandioses Scheißwetter, so schlecht, das Wetter schon nicht mehr der richtige Begriff ist, denn Wetter kann sich per definitionem ändern, aber hier regnet es fürderhin einen jeglichen Tag, noch und noch, für und für, hundert Jahre Regenwetter, der ungnädigen Himmel weitoffene Schleusen oder Unterhosen changieren zwischen stein-, blei- und blaugrau, was sagt uns das, nun, Gott hat eine feuchte Aussprache, ihm ist tausendjähriges Pisswetter wie ein Schauer am Nachmittag, amen, jetzt bricht der Tag an für die Stiefkinder der Evolution, modrige, morose, morastige Molche und mollige Mollusken erheben das Haupt, quirlige Quallen quellen qualvoll quietschend unter quarrenden Quadratlatschen, bei jedem Schritt, Fische flösseln schlüpfrig kichernd durchs Treppenhaus, pelziger Schimmel schlägt auf in den Vorstädten, Landunter, landunter! unwetterwarnt das Unterwasserwarnamt blubbernd, Blasen steigen auf zwischen fallenden, stürzenden, rieselnden, rinnenden Tropfengüssen (gießt es noch oder schüttet es schon?), alles fließt, panta rhei, sickert, strömt, löst sich, sprudelt, strudelt, schäumt, schlammschlawinert schneckenschleimig matschig patschend, Rinnen, Gräben, Bäche, Flüsse nährend, das Wassermannzeitalter einläutend, einnässend, apathisch aquatisch, eine chinesische Wasserfolter, water boarding, in submariner Marinade Badende waten vage winkend ins Uferlose unwägbarer Feuchtgebiete, hinab in den sumpfigen Schoß der Urmutter, die Stufenleiter der Wesen wieder abwärts, zum Regenwurm, zum Unwettergeziefer, zum Geschmeiß und Geschnetz, zum initialen Originalurschleim, zum Geisseltierchen, zum Naßzeller, und weiter noch, bis dahin, wo das Urmeer den Urkontinent Gaia umspült mit Milliarden Tiefdruckgebieten…

Ich glaube, ich leg mich wieder ins Bett.