„Weißt du was – ich glaub, ich werd allmählich spirituell frigide“, teilte ich der Gattin mit, nach dem wir den Dom sowohl umrundet als auch durchquert hatten, „dieser katholische Prunkpunk lässt mich heute total kalt … und überhaupt … jetzt sind wir schon zehn Minuten in Paderborn und…“ – „…und dir will’s nicht fromm werden?“ So in etwa. Eine Weile Schweigen. Da unsere Gehirne vernetzt laufen, konnten wir einander denken hören. „Erinnerst du dich an Raymond Roussell?“ fragte ich beiläufig. – „War das nicht dieser ulkige Schriftsteller und fanatische Schachspieler, der praktisch das Wohnmobil erfunden hat?“ – „Genau, und das er auch fast nie verlassen hat, auf Reisen, höchstens mal, um irgendwo ein Foto von sich machen zu lassen. Aber ich meine jetzt die Sache mit Afrika…“ Die Sache mit Afrika war nämlich folgendermaßen. Der sensible Dandy Roussell hatte einst ein Buch über den dunklen Kontinent in Planung und sich zu diesem Zweck Richtung Marokko oder so eingeschifft. Vor der afrikanischen Küste ließ er den Dampfer aber dann ankern, verkroch sich in seine Salonkabine und schrieb dort seine berühmten „Impressions d’Afrique“, ein Buch, dessen Farbigkeit keineswegs dadurch beeinträchtigt wurde, dass sein Autor den schwarzen Erdteil nie betreten hat. Im Gegenteil.
„Willst du damit andeuten, für dich wäre es ein akzeptabel cooler Ausflug, zweihundert Kilometer nach Paderborn zu fahren, dort vergeblich einen Parkplatz zu suchen, einen scheelen Blick auf die Passanten zu werfen – nur um dann unverzüglich die Rückfahrt anzutreten?“ Dem Ton konnte ich nicht entnehmen, ob dies eine Fangfrage war; ich blies erstmal betont neutral die Backen auf und machte etwas, das ich für ein Pokergesicht hielt. Das erwies sich als überflüssig. Die Gattin hat zwar den Schwarzen Gürtel in Pragmatismus, ist aber gelegentlich auch dem Wahnsinn auf gesunde Weise aufgeschlossen. „Aber lass uns wenigstens einen Ausstellungskatalog kaufen, damit wir eine schöne Erinnerung an Paderborn heimbringen!“ Abgemacht, gemacht und abgehauen. Schon bald tauchte Paderborn dort auf, wo man es am liebsten sieht, im Rückspiegel. Haha.
Kurz hinter Paderborn fanden wir eine anheimelnde Einöde resp. Gewerbewüstenei mit einem Autohof drin, wo ein Sternenbanner-Schild uns mit den Worten „Welcome to America“ in die Arme schloss, uns die Hände schüttelte und auf beide Wangen küsste. Ein fast original amerikanisches Diner machte auf diese weltmännische und herzliche Weise auf sich aufmerksam. Freie Parkplätze gab es zu hunderten, da konnte sich Paderborn mal eine Scheibe abschneiden! Wir ließen uns also nicht lange bitten, sind da schnurstracks hinein und haben, ohne zu fremdeln oder anti-amerikanischen Gefühlsumtrieben Platz zu geben, nach Herzenslust Cheeseburger mit Riesenhaufen French Fries gespachtelt, mit Mayo und Ketchup, das volle brutale Programm, herrlich, weil Reisen macht hungrig. Unsere Laune hob sich und erreichte Höchstwerte. Zwar hatten wir ca. vierzig Kilo zugenommen, aber das war nur wegen dem zweibändigen, hundsgroßen Katalog, den wir mitschleppten. Am Abend haben wir den Doppeltrumm gemeinsam beim Wein durchgeblättert und uns gleich noch mal gefreut, denn hätten wir all die ausgestellten Dingelchen und Sächelchen zu Fuß abklappern müssen, wäre das eine kaum zumutbare Strapaze gewesen. Dergleichen müssen ältere Menschen nicht mehr durchmachen müssen! So aber hatten wir genügend Energie übrig, gar nicht müde zu werden, einander zu versichern, was für ein schöner Ausflug die Reise nach Paderborn gewesen war.
Die Gattin wurde trotz Schluckauf sogar übermütig, hob das Glas und verkündete: „Das nächste Mal will ich nach Lourdes!“ – „Es sei denn“, gab ich mäßigend zu bedenken, „man könnte sich den Segen und das Heilige Wasser auch im Internet bestellen..“
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