Archive for the ‘Aus meinem Qype-Kästchen’ category

Trotzdem. Deprimiert im Paradies

13. März 2011

Manchmal, angesichts gewisser Nachrichtenlagen, schäme ich mich für mein entbehrliches Verbrauchergeschwätz in paradise county. Ich meine, mein Gott! Libyen brennt, der Sudan hungert und in Japan droht der Katastrophen-Overkill – und was mache ich? Mich über die fehlende Aromatisierung eines Kaffees in einem x-beliebigen Frühstückscafé ereifern? Wirke ich nicht wie ein Idiot, ein ignoranter Stoffel? Doch, doch, unvermeidlich. Der Globus fliegt uns gerade um die Ohren, und ich habe nichts Besseres zu tun, als Ciabatta-Beläge zu bewerten! Bin ich noch zu retten? Wahrscheinlich nicht. Ich bin ein Décadent, ein überflüssiger Genussdandy, ein menschenverachtender Zyniker, ein Trivialitäten-Bestauner! Tut mir leid. Nach Menschheitstragödien heißt es immer: Das Leben geht weiter. Und wer ist schuld? Wir Banalitäten-Bastler.

Andererseits hab ich seit früher Kindheit das Gefühl, das Elend der Welt zwänge mich nicht automatisch dazu, alles, was mir widerfährt, gut zu finden, nur weil es allen anderen noch viel schlechter geht. Eine stehende, oft wiederholte Redensart meiner Mutti, wenn ich meine verkochte Spinat-Pampe mal wieder nicht essen wollte, lautete, dass hungernde Kinder in Indien froh wären, wenn sie meinen Spinat essen dürften. Für die Antwort, darüber wäre ich auch froh, bekam ich regelmäßig eine geschallert. Diese nicht restlos gewaltfreie Erziehung hat mich übrigens nicht zu einem besseren Menschen gemacht, ich bin bloß wehleidiger geworden.

Aber mal realistisch: Was genau soll ich machen, um mich nicht wie ein Depp zu fühlen? Ich bin weder Erdbebenhelfer noch TV-„Atom-Experte“, und was eine Kernschmelze ist, musste ich sogar erst googeln. Also geh ich bloß Kaffee trinken, zwänge mir appetitlos ein, zwei Ciabatta rein, puste fassungslos in meinen Milchkaffee und starre auf die Schlagzeilen der ausliegenden Tagespresse. Ich bin deprimiert, aber das ist normal, das kann ich nicht mal auf Erdbeben, Tsunamis und Nuklearkatastrophen schieben. Und auf das Café erst recht nicht, das ist ganz gut. Ich wäre selbst in Xanadu deprimiert oder unter resp. auf 72 Jungfrauen. Apropos: Überfordert bin ich auch. Die Gleichzeitigkeit des Unvergleichbaren macht mich krank. Zehntausende verrecken im Schlamm, Tausende werden vom eigenen Diktator bombardiert, am Nebentisch quatschen eine MILF und drei mittelhohe Töchter über Modekram und ich trink gemütlich Kaffee und überlege, ob ich noch so ein leckeres Ciabatta mit frischem Rührei bestellen soll. It’s a wonderful world. Jetzt bloß nicht larmoyant werden und in die Tasse weinen, denn der Kaffee ist eh schon nicht übermäßig stark. Das Leben geht weiter.

Deswegen ist jetzt auch aus der „Mokka-Bar“ das „Lu-cafe.de“ geworden; die Leitung ist nicht mehr polnisch, sondern italo. Meinetwegen gerne. Es gibt schmackhafte Ciabatta, mittags auch Pasta & Co. Die Karte klingt appetitlich. Die Kaffee-Spezialitäten können mit denen des „Fino“ am Salvatorweg nicht ganz mithalten, sind aber immerhin trinkbar und ziemlich preiswert. Bequeme Sitzgelegenheiten gibt es noch immer keine, aber was zählt das schon angesichts einer halben Million Obdachloser in Japan. Man mahnt sich zu Bescheidenheit. Den neuen Betreibern wünsch ich Glück und Erfolg. Cafés, in denen man ungestört vor sich hin deprimieren darf, kann es nie genug geben.

Oder fast ungestört. Beim Warten am Tresen sagt jemand hinter mir: „Hallo!“ – „Hallo!“ antworte ich reflexhaft. Darauf der Mann hinter mir hochnäselnd: „SIE habe ich nicht gemeint!“ – „Egal“, hör ich mich sagen, „…trotzdem!“ – Ich hoffe, ihm wird das zu denken geben. Den Tag mit einem „trotzdem“ im Frühstückscafé zu beginnen, schien mir im nachhinein eine gute Idee.

 

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Bingo, Ingo!

17. Februar 2011

Hier wird noch korrekt kommuniziert...

Bingo! Ingo!

Aufgewachsen bin ich im Schützengraben des Dreissigjährigen Ehekrieges meiner Eltern. (Noch heute bin ich ein wandelnder Kollateralschaden…) Eine der verheerendsten Waffen im Krieg zwischen Mutti und Vati war das mehrtägige Nicht-miteinander-Reden. Man schwieg sich an, schwieg sich nieder, schwieg sich tot. Ich war sozusagen ein echter Schwieger- oder Schweigesohn, der irgendwann nicht mal mehr zusammenzuckte, wenn am ca. 1qm-großen, resopalbezogenen Esstisch, an dem die ganze Familie saß, die Mutter mir auftrug: „Frag Vati, ob er noch Kartoffelpürée will!“ Ich tat wie geheißen, und übersetzte zwischen den Krieg führenden Schweige-Kombattanten. Meinen Eltern verdanke ich daher den früh entwickelten Sinn für das Absurde. Als in den 60ern die irren Stücke von Beckett, Ionescu und Arabal („Absurdes Theater“) auf die Bühne kamen, war ich als Einziger nicht irritiert – war ja wie zu Hause! Mutti saß in ihrem Resignier-Sessel und schlürfte Schmoll-Cognac, während Vati sich Kriegsrat bei den Waffenbrüdern im Schützenverein suchte…

Um so traumatisiert-neurotischer reagierte ich, als jetzt mein altes MacBook und mein neuer iMac, wiewohl auf dem gleichen Schreibtisch zuhause, sich ebenfalls weigerten, miteinander zu kommunzieren. Ich versuchte es mit allen Tricks: Ethernet, Bluetooth, externe Festplatten – nix! Wie verzickte Ehestreithähne wandten die Geräte sich den Rücken zu und wollten voneinander nichts wissen.

Die alten Schröcknysse des Dreyssigjährigen Krieges stunden wieder auf und brandtschatzten, verwüsteten und verheerten mein Nervenkostüm! Das konnte doch nicht wahr seyn! Zwar von Mutter und Vater mittlerweile emanzipiert, bin ich doch heute von Rechnern abhängig – die ich ebenso wenig begreife wie weiland meine werten Erzeuger.
Naive Eigen-Frickeleien, innigste Gebete und hilfesuchende Telefonate mit Qyperin „karu“ – die sich mit Macs normalerweise auskennt wie sonst mit Presslufthämmern, Schaufelbaggern und Zementmischmaschinen – brachten keine wirkliche Hülfe. Lag es, wie bei meinen Eltern, an den unterschiedlichen Betriebssystemen? War es, wie bei ihnen, der Altersunterschied? In meiner Not griff ich zu den extremsten Methoden: Spielte den Geräten etwa Mario Barth vor („Ick hab ne Freundin, verstehsse, verstehsse, verstehssse, ne Freundin, die vasteh ick einfach nich…“) – aber so dumm waren die Rechner dann auch wieder nicht.

Dann kam die Erleuchtung – Bingo! Ingo!

Nach außen führt Ingo das unauffällige Leben eines brillentragenden Werbefuzzis und Webseiten-Bastlers. Aber wenn wo in Big Apple MacIntosh-Town ein armer Depp in Not ist, schlüpft er in der Telefonzelle in sein Supermac-Kostüm und kommt in Nullkommanix angeflogen, setzt sich vor meine zickenden Rechner, lässt, unverständliche Abbreviaturen, Suffixe und Tool-Namen murmelnd, ca. zweieinhalb Minuten lang die Finger über die Tastatur fliegen, stellt ein lokales Netzwerk her, verbindet telepathisch beide Geräte und fragt: „Sonst noch Probleme?“

„Äh, nein, nix, oder doch, warte Mal, hier, Dings…“ – Ingo löst, wo er schon mal da ist, noch schnell ein paar Probleme, von denen ich kaum wusste, dass ich sie hatte, und hinterlässt noch ein Test-Dokument mit dem Titel „deringokannwiederweg.doc“, steckt ein – eigentlich viel zu kleines, weil im Grunde ist er meine gesamten Zahn- und Bruchgoldvorräte wert – Scheinchen ein und fliegt wieder davon.

Mein Guru! Hätte ich ihn nur früher gekannt, er hätte bestimmt auch meine Eltern mit irgend so einem Ever-nice-Programm repariert! Für Techno-Analphabeten wie mich ist so einer wie Ingo mehr wert als die Heiligen Nothelfer St. Dionysius, St. Timotheus und Sta. Barbara! Leute mit Mac-Problemen: Ruft-ihn-an!

Mein NoteBook und mein iMac sind jetzt im Dauerbetrieb: Sie haben sich sooo viel zu erzählen…

 

Nicht zu knapp: Restaurant-Kritik in einem Satz

29. Januar 2011

Gibts leider nicht: Gegrillte Meerschweinchen (Quelle: http://www.esperanza-tours.de/. ../ipiales17.jpg)

Als bekennender Fernreisemuffel war ich, zugegeben, noch nie am Orinoco, denn Alexander von Humboldt war schon da, in Venezuela und Kolumbien, und hat berichtet, wie es da aussieht, was man ruhig mal wieder lesen kann, wenn es einen interessiert; indes sah man mich im Orinoco, gestern, einem „südamerikanischen“ Restaurant, das es in Duisburgs Hafenviertel Ruhrort schon ewig gibt, ohne dass ich es recht bemerkt hätte, – aber nun ist es in neue Räume gezogen und ich habs besucht, worüber ich gern berichte, wenngleich zu einem eindeutigen Urteil zu kommen für mich so schwer ist wie, um mit Lichtenberg zu sprechen, „einem Schaf das Apportieren beizubringen“, denn die Zwiespältigkeit der Eindrücke lässt sich schwer auf einen Punkt oder Stern bringen, was nicht zuletzt, und bestimmte Gastronomen sollten mal drüber nachdenken, an dem überaus charmanten, aufgeschlossen kommunikativen, ungewöhnlich zugewandten weiblichen Service-Personal liegt, dessen Reiz einen entwaffnet, dergestalt, dass man Kritik nur ungern äußert, um nicht Liebenswürdigkeit mit Grämlichkeit zu beantworten, obwohl es gewissen Anlass zu Nörgelei schon gäbe;

freilich braucht es eine Weile, denn zunächst bewundert man die liebevolle, detailverliebte Dekoration der Räume, Nischen und Separées, die mit allerhand Lateinamericana und Orinoco-Anmutung ausstrahlenden Aquarien – ob auch mit Piranhas, das habe ich nicht herausgefunden – ausgestaltet sind, wobei viel bunte Deko-Lichter und brennende Kerzen zusätzliche Gemütlichkeit abstrahlen, was olfaktorisch hochempfindsame Hyper-Sensiblingen wie mir ein wenig über den leicht feucht-muffigen Geruch der Räume hinwegzuhelfen imstande ist, der leider in dem alten, lange durch Leerstand vernachlässigten Gemäuer hängt, gewiss aber irgendwann verschwinden wird; indes mag den Leser mehr die Qualität des Essens interessieren, über das ich nicht in den Jubel mancher Kollegen einstimmen vermag, denn die kleine überschaubare Karte bietet leider nur wenig genuin Regionales wie z. B. in gewissen Regionen am Orinoco verzehrte frittierte Riesenameisen oder gegrillte Meerschweinchen erwartet hätte, nein, so verwegen bin selbst ich nicht,

– nur schienen mir Enchiladas und Tapas eher ein wenig amateurhaft a là mexicaine „nachempfunden“ als wirklich original, was nicht unbedingt schlimm ist, aber besagte Enchiladas waren zur Hälfte eiskalt, mein geliebtes schwarzes Bohnenpürée recht fad und das Guacamole, nun, ich behaupte dies ungescheut, kann ich zuhause besser, würziger und genuin „mexikanischer“ zubereiten; allein die Suppen (Tomaten-Olive, Erdnuss) waren ohne Tadel, erfrischend, fruchtig und im Falle der oft gelobten Erdnusssuppe, überraschend wenig mächtig und fett, sondern appetitanregend schmackhaft, was mich den ein wenig unambitionierten, banalen Rosé aus Chile gutmütig tolerieren half, was auch an der wirklich entzückenden Verblüffung lag, mit der die reizende Service-Kraft meine Bemerkung registrierte, Nachos könne man durchaus, anstatt kalt und zäh, im Ofen warm gemacht und fertig geröstet servieren, eine Neuigkeit, die sie versprach, unverzüglich dem Koch zu hinterbringen – kurzum, offen gestanden, das Orinoco-Erlebnis blieb ein zwiespältiges, da ich mich letzten Endes vermutlich weniger an das Essen, mit Ausnahme der Erdnusssuppe, die ich beschloss, recht bald nachzukochen, dafür umso mehr an die offensichtliche Begeisterung der Betreiber und den Charme der Saaltöchter erinnern werde und deshalb einen zweiten Besuch nicht ausschließe. Punkt.

 

Der Prophet und der Prinz-auf-der-Erbse. Kaviar aus Blockschokolade

9. Januar 2011

Stadtplan der Poularde: Dioxin wurde nicht gefunden

 

Heute erhielt ich per Post von der WBG endlich den dringend ersehnten fünften Band der Hadithe des Propheten Muhammad, der (also der Band!) u. a. schiitische Speisevorschriften enthält. Meine schiitischen Mitbürger mögen mir verzeihen, aber irgendwie bringt mich das auch nicht weiter. Ob über dem zu schlachtenden Tier nun korrekt der Name Allahs angerufen wurde oder dies, aus Schlampigkeit oder Unglauben, leider unterblieb, scheint mir weniger wichtig, als die Frage, mit was für einem satanischen Zeug das Schlachttier zuvor gefüttert wurde.

Dioxin, Asbest, Acrylamat oder selbst biologisch angebaute Salmonellen – das ganze Zeug, das anderen so gut schmeckt, vertrag ich nicht so richtig. Ich bin ein ausgemachter Öko-, ja sogar Ökotrophologie-Zimperling, ernährungstechnisch praktisch ein hypersensibler Prinz-auf-der-Erbse. Gegen die Hälfte aller Gifte bin ich allergisch, und der Rest tut mir irgendwie nicht gut. Eine von mir entwickelte Fasten-Diät, bei der man sich nur von Bio-Wein, Roggen-Whisky und Scotch, gebraut u. a. aus purem Hebriden-Quellwasser, ernährt, fand nicht uneingeschränkt die Billigung der Gattin. Sie, die journalistisch versierte Rechercheurin, fand bald heraus, dass selbst meine Lieblingsnahrungsmittel ein wenig bekanntes Gift enthalten (Alkohol!). Und sie findet, dieses Gift gehört ebenfalls auf die no-go- Liste. Mist! – Da ist guter Rat nun, was er immer ist: rar und teuer.

Eine echte Zwickmühle: Einerseits zwickt die notorisch anorektische Geld-Börse und rät (geldwerter Geld-Börsen-Tip!) dringend zu Einkäufen beim Discounter oder Gemüse-Türken. Andererseits verschmähe ich ethisch hoch-motiviert, grundsätzlich mit fiesem Gift aufgepäppeltes resp. herzlos zu Tode gemästetes Lebendmaterial aus Hühner-KZs und Puten-Gulags, sowie chemie-besudeltes, hoch-gespritztes und radioaktiv begastes Kunst-Gemüse. Der Anruf Allahs spielt da keine Rolle.

Sich am Wochenende das Material für exzessive Hobby-Koch-Orgien zusammenzuklauben, erfordert gewissenhafte Planung, strategische Intelligenz und ein Höchstmaß undogmatischer Flexibilität. Gelegentlich erfordert es daher sogar das zwiespältige Vergnügen, beim EDEKA im Duisburger Süden Einkäufe zu tätigen. Ein riesiger Lebensmittelmarkt für Leute, die bereit sind, für einen Salatkopf 2,99 und für ein Kilo Trauben 8,99 Euro auszugeben. Ist ja egal, wir zahlen eh mit Karte. Hier gibt es alles, was des Laien-Kochs verfettetes Herz höher hüpfen lässt, u. a. eine beeindruckende Auswahl des Überflüssigsten, was die Welt erfunden hat:Convenience-Food. Diese unvermeidbare Pest der bequemlichen Postmoderne wurde für Leute erfunden, die zu reich, zu blöd oder zu blasiert sind, sich eigenfingrig einen kleinen Salat zu schnippeln, und die daher lieber für 5.99 Euro einen kleinen Plexiglas-Container-Schneewittchensarg mit welkem Vorgeschnippelten kaufen, dem eine Plastik-Gabel (!) beigeklebt ist. – Dieses Geld-Gesindel ist ja definitiv unfähig, sich eine Scheibe Schinken und ein Salatblatt auf den Toast zu legen – sie müssen das FERTIG kaufen! Eingeschweißt!

Dabei lass ich mir, dies als wichtige Information über meine Persönlichkeitsstruktur, meine Verachtung keineswegs anmerken. Zwanzig Minuten meiner ablaufenden Lebenszeit widmete ich uneigennützig einer älteren Düsseldorfer Pelzmantel-Schlampe, um ihr zu erklären, was es mit Jakobs-Muscheln auf sich habe und das es für Gourmets beklagenswert sei, dass diese seit einiger Zeit grundsätzlich nur noch ohne den köstlichen Rogen erhältlich wären. Die blondierte Pelzdame versuchte, sich zu revanchieren, machte ein listiges Gesicht und erkärte mir verschwörerisch: „Isch glaub, isch weiß, wat die mit den Rogen machen!“ Ich: „???“ Sie. „Da machen die Kaviar draus!“ Ich: „Was? Kaviar?“ Sie: „Jahaa, diese kleinen, schwarzen Kügelchen!“Ich versicherte ihr, dies sei schon deshalb unwahrscheinlich, weil der Rogen von Jakobsmuscheln leuchtend orange-rot und keineswegs kugelförmig sei; ich verließ die Dame aber nicht, ohne ihr eine leicht verständliche Anweisung zu hinterlassen, wie man köstliche Coquilles-St.-Jacques zubereitet. Bin ich ein Gentleman!

Nein, im Ernst: Dieses Luxus-EDEKA hat schon ein beeindruckendes Angebot, und nicht nur für erzbrummdoofe Düsseldorfer Parvenues; als Geddo-Insasse, der in diesen Palast nur kommt, wenn die Gattin ihn mal mitnimmt, glühen einem ob der herrschenden Mond-Preise freilich kräftig die Ohren; ich war sogar kurzzeitig versucht, ein oder zwei Schnäpse direkt intravenös in mein Portemonnaie zu kippen, damit es betäubt für eine Weile Ruhe gäbe und zu quengeln aufhöre. Hektisch blätterte ich in den Hadithen: Hatte der Prophet nicht den Wucher untersagt? Hat er. Aber wer hört schon auf Propheten!

Immerhin habe ich hier eine adrette, schnuckelig-feiste „Schlemmer-Poularde“erstanden, die nicht nach Dioxin aussah. Ich werde sie „mexikanisch“, also mit Chili-Schokoladen-Sauce zubereiten. Fertig gab es das nicht. Ich werde also kochen müssen. Aus dem verbliebenen Rest Block-Schokolade mach ich Kaviar, zu dem ich, auch wenn es der Prophet gar nicht gern sieht, ein Gläschen Grauburgunder trinke, in den man, so hoffe ich vertrauensseliger Naivling, bitteschön nichts Artfremdes hineingepanscht hat. Andernfalls möge der Zorn Gottes über den Winzer kommen, und er sollte schon mal in den Hadithen nachblättern, was ihm an Höllenstrafen blüht.

Mit anderen Worten, und knapp zusammengefasst: Am Anfang des Monats kann man in diesem EDEKA schon mal gut einkaufen!

 

Kultur im Geddo. Vorm Fernseh Amok laufen (Jahresrückblicke)

30. Dezember 2010

Little pic, big deal: Duisburgs "Broadway"...

KILLING ME SOFTLY

Für mike-o-rama, anlässlich eines freudigen Ereignisses (Geschenktext)

Als Terrorist und Amokläufer bin ich ungewöhnlich sozialverträglich. Wenn ich hyperventiliere, Schaum vorm Mund habe und mit fahrigen Fingern nach meiner Waffensammlung taste, kriegt das gottlob selten jemand mit, denn das mach ich meist in meiner stillen Mönchsklause vor dem Fernseher aus, mit mir ganz allein. Und wegen ihm. Tosende Weltverachtung und würgender Menschenhass ereilt mich praktisch nie in der Realität, die ja ungefähr so interessant ist wie nass gewordenes Mischkorntoastbrot, sondern vorwiegend vor der seifenblasenbunten, hirnzerschmeißenden, unentwegt logorrhoe-haft vor sich labernden Idiotenmaschine, von der ich als süchtiger Rentnerkrüppel und Freund herostratischer geistiger Selbstmordkommandos halt nicht loskomme.

Ja, ja, Freunde, lasst Eure sedativen Beschwichtigungsspritzen ruhig stecken: Dass es auch Arte, 3sat und Phoenix gibt, weiß ich selber, und ich bin schon bis zum Rand vollgebildet mit kulturell wertvollen Reiseberichten, Tierfilmen und Kultur-Features (rülps!). Aber leider guck ich, süchtig und verblödet, wie ich bin, zudem unter Insomnia leidend, auch noch wie geisteskrank in den sumpfigen Abgrund bodenloser Nichtigkeit, dessen Anrainer teils die privaten, teils die öffentlich-rechtlichen Hirnwegsauger darstellen.

Was mich derzeit in die Raserei treibt, wie eigentlich vorhersehbar jedes Jahr, sind Jahresrückblicke. Teufel noch mal und tausend jaulende Höllenhunde:„Jahresrückblicke“! Man reiche mir rasch ein Anti-Emetikum! Was für ein absolut geistfernes, redundantes, dumdum-hohlgeschossiges und zutiefst viszeral ennuyierendes Genre! Am bewusstlosesten, toxischsten, übelkeitserregendsten und fauligsten: Satirische Jahresrückblicke! Und ich muss mir diesen niederschmetternden, grundstürzend saublöden Mist auch noch angucken wie ein sabbernder Katatoniker! Ich wühle in gebührenfinanzierten Mediatheken wie andere Leute in der Nase bohren – krank- und zwanghaft, obsessiv und wie vom Gottseibeiuns hypnotisiert.

Auf dieser Spur in den Untergang stieß ich gestern in der ZDF-Mediathek auf einen Nichtigkeitswichtelschwulen und Tiefflieger-Klamaukclown namens „Dieter Nuhr“, und zugleich damit auch auf die Tatsache, dass wir, was ich ganz vergessen hatte, obschon ich täglich dran vorbeiradle, hier im Geddo, gleich visavis vom Großpuff, ja auch einen schick verwahrlosten Kulturverhöhnungstempel besitzen, das „Theater am Marientor“. Dieses „Theater“ hat freilich mit Kultur so viel zu tun wie das kasernenartige Mega-Bordell für notgeile Migranten-Machos, das gleich schräg gegenüber in Steinwurfweite (würfe nur mal jemand einen Stein!) einen gesamten veritablen Straßenblock einnimmt, mit nervenzersplitternder Erotik und romantisch aufwühlender Herzensglut.

Vor reichlich gut einem Jahrzehnt wurde der Kulturhurentempel mit einem Riesenaplomp und medien-nuttig hinreißend gespieltem Print-Orgasmus eröffnet, wobei sich die regionale Presse die opportunistisch-wohlfeilgeilen Wichshände geradezu wundklatschte, weil der Muschi-Musen-Tempel angeblich unser gesamtes Drecksgeddo wie durch ein Wunder in eine blühende Hotel-und Gastrolandschaft verwandeln würde. Die ganze Welt nämlich würde nun, so prophezeite die allzeit für ein paar Euro (ohne Gummi!) käufliche Lokalpresse noch vorgestern, nach Duisburg-Hochfeld (!) strömen, um dort sog. „Musicals“ zu bestaunen! Ja, klar, sowieso! Wie gut, dass unser Alzheimer-Volk so gut wie kein Kurzzeitgedächtnis besitzt! Schrill lachend würde man andernfalls die erwähnte Lokalpresse (WAZ, NRZ etc.) auf Papier … nurmehr zu hygienischen Zwecken benutzen!

„Musical“-Produktionen starben, als Geldanlage, bereits und bekanntlich bereits in den 90ern, als man den künstlichen Kleinkunsttempel gerade erst rendite-geil ins Geddo pflanzte. Hochfeld wurde, surprise!, weder zu einem zweiten Broadway noch auch nur zu einem dritten St. Pauli inkl. Spielbudenplatz. Selbst in puncto Verkommenheit ist Duisburg nur zweite Wahl und Möchte-gern. Es verweste einfach, von einer Insolvenz zur nächsten taumelnd, als fade Erinnerung an feuchte Stadtväterträume, des Inhalts, man könne mit ein paar ergaunerten und extrem windigen Investitionen aus einem Höllenpfuhl ein In-Viertel machen.

Über Wasser hält man sich daher jetzt, schlecht & recht, mit Dritt-Verwertungen oder, wahlweise, Auftritten sog. „Comedians“, deren erbärmlich sinistre Fehlbemühungen man dann, wenn man genügend Zuschauer gekauft oder gekobert hat, vom ZDF (!) abfilmen und „zwischen den Jahren“ skrupellos wegsenden lässt. So also kürzlich diesen peinlichen, peinvollen, fremdschamschwitzenden, definitiv nichtswürdigen Kommunalclown „Dieter Nuhr“.

Ich schreibe keine Event-Kritik – diese Figur ist lediglich exemplarisch für das, was das„Theater am Marientor“ darbietet, schamfrei offeriert und rückhaltlos für sein Aushängeschild hält. – Ich meine, richtig BEGRIFFEN habe ich es nie, dass bummlig vier- oder fünfhundert Leute jeweilen rund 35 Euro zahlen, um dann anderthalb qualvolle Stunden einem ameisengroßen Hansel zuzuschauen und brav zu applaudieren, der auf einer statisch-langweiligen Bühne gefühlte Ewigkeiten lang unglaublich fade, platte, flache, beschämend unlustige Witzeleien absondert, die in ihrer öden, vorsichtigen Geschmack- und kalkulierten Harmlosigkeit dermaßen langweilig, uninspiriert und deprimierend daherkommen, dass außer meiner schwer dementen Oma kein Anwesender auch nur zu kichern vermochte. Auch ich, am Bildschirm, verspürte noch nicht einmal das anflughafte Zucken eines Schmunzelansatzes, verzog nur zwei-, dreimal vor Fremdscham qualvoll die Wangenmuskulatur. Meine Daamunnherrn, „Dieter Nuhr“!

Dieser unsägliche Typ, diese schmerz-kommödiantische Erbärmlichkeit sui generis, besetzt dabei auch noch die intellektuelle Oberklasse, weil er glaubhaft machen kann, nicht ganz so granatenbrunzdoof wie Mario Barth zu sein, – und das war es auch schon, das ist hinreichend wie Abitur und Führerschein! . – Schlugen sich die zahlenden Zuschauermassen in dem großen, übrigens hübsch gebauten und technisch ganz gut ausgestatteten „Theater“ vor Brüllvergnügen auf die abgehärteten Schenkel? Nein, keineswegs, wie man im Großtanten-Fernseh ZDF bewundern konnte und wofür ich die Duisburger, meine Mitbürger, fast schon wieder zu mögen bereit bin, nein, man beschränkte sich darauf, dem albernen Hampelmann da unten auf der Bühne gelegentlich höflichen, wenngleich hörbar matten Beifall zu spenden; einen Beifall so generös und demütigend herablassend, als hätte eine Versammlung von Studienräten einer Shakspeare-Aufführung beigewohnt, die von engagierten Downsyndrom-Akteuren auf die wackligen Beine gestellt wurde. Wäre ich dieser „Dieter Nuhr“, und mit etwas mehr Ehre im Leib, ich hätte mich selbigen Abends noch erschossen. Aber okay, das ist Geschmacksache. Und ich verstehe, dass man in Duisburg nicht begraben sein möchte, selbst als … hm, … „Comedian“ nicht.

Das Hochfelder Geddo hat jedenfalls, zwischen Großpuff und Bandido’s Place, ein „Theater“. Und zwar, um ein superlustiges Wortspiel der bevorzugten Protagonisten zu verwenden, „nuhr“ ein Theater. Sollte, was ich nicht glaube, das Publikum irgendwann zur Vernunft kommen und nicht mehr zu hirnlosen Knalltüten pilgern, die keine anderen Vorzug aufweisen,als dass man sie aus dem Fernseh kennt – dann, aber auch nur dann, wird das „Theater am Marientor“ seinem wohlverdienten Schicksal begegnen … und – gesprengt werden.

Aah, wie ich den Geruch von Semtex liebe (alles weitere vgl. unter „Amok“…)

 

Idiosynkratische Hünxe (Altersfreibeitrag)

12. Dezember 2010

"Hünxe": Kräftige HÜften, lange HaXeN...

– Für Gabel  –

Mein zertifiziertes Magistertum erlaubt mir, mit Wörtern herumzuschmeißen, die mich automatisch zum Mittelpunkt jeder Party machen. Ein schon paradiesvogelartiges Flair verleiht zum Beispiel der Ausdruck „idiosynkratisch“. Seinen faszinierenden Bedeutungsreichtum offenbart dieses Wort gern allen Fleißsternchen-Sammlern, die das mal irgendwo googeln. – Unter anderem nennt man zum Exempel wiederum Ausdrücke „idiosynkratisch“, die einer Privatsprache Würze und Glanz verschaffen. Unsere privatsprachlich kommunizierende eheliche Sprach-Zugewinngemeinschaft bereicherte die Gattin gestern im  Bonner„arco“ durch ein neues Wort. Es heißt „Hünxe“.

„Hünxe, Hünxe …  – ist das nicht so’n Ort oder was?“ fragen aufgeweckte Leserinnen. Ja schon, auch, – doch in unserem Fall setzte sich das Wort aus den Komponenten „Hüfte“ und „Haxen“ zusammen und bezeichnete eine im unnatürlich gezickten Super-Model-Gang daherstiefelnde, langbeinig einen blasierten Hüftschwung pflegende Kellnerinnen-Blondine, deren mittelhochnäsiger Gesichtsausdruck darauf hindeutete, dass es sich evtl. um eine Eigentlichkeitsschnepfe handeln mochte. Dies sind Personal-Personen, die mit jeder Geste, Miene und Bewegung zum Ausdruck bringen, dass sie „eigentlich“ gar keine Kellnerinnen sind, sondern eben in Wirklichkeit Super-Model, Stewardess-Prinzessin oder wenigstens Kunstgeschichtsstudentin im 3. Semester.

Als lebenszerknitterte Gebrauchtmenschen und Falten-Rocker, die wir schon vom Senioren-Tellerchen nippen und sich den Cocktail im Schnabeltässchen bringen lassen, trieben wir den Altersdurchschnitt von Personal und Publikum der schnieke, aber sympathisch gestalteten Lokalität drastisch in die Höhe. Hinterm Tresen und im Service schien mir, meinem subjektiven Eindruck nach, überhaupt niemand mehr über 21 zu sein; allesamt blutjung-bildhübsche, angenehm „unverschrumpelte“ (Max Goldt) Exemplare der Generation „Irgendwas-mit-Medien“! Uns wurde das fällige Absackerchen nicht von der Hünxe, sondern von einer zuckersüßen, ätherisch-zarten Milchzahnfee serviert, die überdies eine frappierende Ähnlichkeit mit Fräulein Emma Watson aufwies, dieser entzückenden ehemaligen Kinderdarstellerin und nunmehrig schon fast erwachsenen Jung-Actrice aus den Harry-Potter-Filmen („Hermine“)! – Berückend!

Das den Laden frequentierende Jungvolk bestand indes fast ausnahmslos aus auffallend gesitteten, neuerdings zu Recht das Abitur besitzenden, adrett gewandteten Seiten- und Mittelscheiteln, die mitteleuropäisch urban (d. h. hübsch zimmerlautstark, zierlich-zivilisiert und kashmir-brav) miteinander plauderten, dazu permanent nichtrauchten und Alkohol nur in homöopathischen Dosen konsumierten. An den in Verbraucherschutzartikeln gelegentlich bemängelten Sitzgelegenheiten schienen sie nichts auszusetzen zu haben, sondern besetzten diese mit Nonchalance und tanzstundenerprobter Gewandtheit. – Ach, was für ein Unterschied zu den verqualmten, zugemüllten und mit Rock-Musik vollgedröhnten Laster- und Drogenhöhlen, in denen unsereins seine Jugend verbrachte bzw. verschwendete! Ehrlich: Hätte ich Nachwuchs, der noch einer gewissen pädagogischen Aufsicht und Betreuung bedürftig bzw. zugänglich wäre, ich wäre beruhigt, wenn sie den Abend bzw. Lebensmorgen in einer Lokalität wie dieser verbrächten. Meinetwegen dürften sie dort sogar kellnern – vielleicht würden sie ja „entdeckt“!

Wir selbst freilich retirierten, um die Jugend mal unter sich sein zu lassen, dann doch lieber ins nahe gelegene Hotel, wo wir Senioren residierten; zum Ausgang humpelnd, registrierten wir noch die Tatsache, für die stolzgewachsene kühle Blonde berechtigterweise Luft zu sein. Nun ja, ab einem gewissen Alter gewöhnt man sich daran, unsichtbar zu sein. – „Pah! … Hünxe!“ schnaubte die Gattin, und ich verstand sie ohne weiteres.

 

 

 

Lob des „unter“. Wir sind alle camouflage

10. Dezember 2010

Winnie-der-Pu lebt im Wald unter dem Namen "Ed Sanders"...

 

„Es war einmal vor einiger Zeit, und diese Zeit ist schon lange, lange her, etwa letzten Freitag, als Winnie-der-Pu ganz allein unter dem Namen Sanders in einem Wald wohnte. („Was heißt ‚unter dem Namen’? fragte Christopher Robin. ‚Es heißt, dass er den Namen über der Tür in goldenen Buchstaben hatte und dass er darunter wohnte.’“)

Ich werde bestimmt nicht der erste sein, dem auffällt, dass Menschen ihr Leben, Weben, Wuseln und Sein immer gern „unter“ etwas betreiben. Manni würde wahnsinnig gern „unter einem Dach“ mit der blonden Gesine aus der Telefonzentrale verbringen und mit ihren Kurven „unter die Bettdecke“ schlüpfen. „Unter uns“ gesagt: Ich publiziere meinen Quatsch ja auch lieber „unter dem Namen“ von Bruno Kraska, und ich bin froh, dass nur wenige Auserwählte wissen, dass unter resp. hinter dieser Kunstfigur, einem ursprünglich halb-fiktiven tschechischen Seemann, eigentlich der banale Traurigkeitslehrer Dr. Arnold Winterseel sich verbirgt, den man „unter“ seiner E-mail-Adresse an der Universität suchen, wenn auch nicht unbedingt finden kann. – Das Kleid von Marilyn Monroe war hauteng, aber nicht eng genug, um darunter nicht noch bequem die Existenz von Mrs. Norma Jean Baker unterzubringen.  Unter dem Namen „Bob Dylan“ krächzt, hustet und röchelt sich ein stinknormaler Robert A. Zimmerman durch eine seit 50 Jahren nicht enden wollende Welttournee. Hans Gustav Bötticher, auch er ein Seemann und allzeit voller Vollmatrose, verbarg sich unter dem Namen „Joachim Ringelnatz“. „Unter“ lebt es sich offenbar commoder, un-molestierter und im Sinne einer öffentlichkeitsscheuen Freiraumwohnung unbeschwerter als unter seinem angestammten Klarnamen!

Unter dem Pflaster liegt der Strand, hieß es früher verheißungsvoll in Sponti-Kreisen. Nebbich, meist ist es umgekehrt: Unter dem spektakulären Palmenstrand residiert zumeist ein trivialer Kurtchen Müller, Wolfgang Meister oder Kevin Mustermann.

Unter dem Namen einer italienischen Pizzeria vermutet man dementsprechend, so auch ich, einen Giorgio, Fransesco, Luigi oder Mimmo. Man hat doch so seine gediegenen Vorstellungen von einem Italiener, oder? Modernes Weltwissen indes belehrt uns: Diese Vermutung geht neuerdings oft in die Irre. Das Italienertum ist markenrechtlich nicht geschützt. Die „besten Italiener der Stadt“ entpuppen sich bei näherer Nationalitäten-Analyse immer öfter als Ägypter, Pakistani, Bangladeshis oder Finno-Uiguren, die sich das gastronomische Italienertum nur geborgt, abgelauscht oder per Leasing-Vertrag gesichert haben. Man ist also nie sicher, Opfer der eigenen Vorurteile zu werden. So schrieb ich kürzlich übr die „Pizzeria Cavalli“, und ließ mich, angesichts der doch italo-affinen Pizza dort sogar zu Vermutungen hinreißen, es handele sich um einen besonders mafia-resisenten Original-Italiener.

Daß es sich dabei um eine Fehldeutung handelte (der Betreiber ist ungefähr so viel Italiener, wie ich tschechischer Seemann bin), ahnte ich bereits, als ich den Pizza-Virtuosen unverhofft nach spätabendlichem Feierabend in meiner serbischen Stammkneipe wiederfand, wo er sich ungerührt und mit befriedigter Miene, anstatt eigenproduzierter Pizza, allerhand Cevapcici, Rasnici und Slibovice in den Mund schüttete. „Moooment!“ schnarrte ich inquisitorisch, „Pizza-Mann! Was bist du denn jetzt? Du bist doch kein Original-Italo nicht!“ Nee, war er auch nicht, sondern, wie er nonchalant zugab, „binnich in die Wahrheit a Bosnier!“ Als Bosnier weiß er aber: „Wenn du treibst italienische Mitnahme-Pizza, muß du haben Italo-Flair, bisschen, verstehst.“ So, neue Vistenkarten, neuer Auftritt in Internetz, neue Speisekarte. Firmiert der lustige Bosniake jetzt nicht mehr unter „Pizzeria Cavalli“, sondern unter „Da Dino“. Dino is gut, kann ja sein alles rund um die Adria. Hat sich außer dem „unter“ was geändert? Glaub ich nicht; Pizza noch immer passabel bis beinahe gut. Nur das offensiv freimütige Bekenntnis, statt edlem  prosciutto lediglich und ausschließlich ekelhaften  „Formfleischvorderschinken“ auf den Hefefladen zu schmeißen, betrübt mich; diese lebensmitteltechnische Skandalösität unter dem Namen „gekochter Schinken“ feilzubieten, finde ich abstoßend.

Also jetzt: „Da Dino“. Pizza noch immer ganz gut, heiß, billig, würzig. Und junk sowieso. Da ich das hiesige Pidgin-Deutsch beherrsche, frage ich freundlich: „Na? Und? Wie Laden läuft gezz so?“ Der getarnte Bosniake wiederum beherrscht die Kunst, gleichzeitig die Schultern zu zucken, die Handflächen auszubreiten, zu nicken und resigniert mit dem Kopf zu schütteln, will heißen: Na ja, nicht ganz schlecht, aber könnte viel besser sein. (Red mit Balkan-Leuten übers Geschäft, es ist immer eine Katastrophe, selbst wenn sie mit goldenen Daimlern durchs Viertel fahren!) – „Aber, hier, Kraska, musst Du jetz  nicht gleich weiter erzählen, klar?“ Nee, klar, – was ich hiermit getan habe. Wir leben ja alle camouflage-mäßig im Unter-Grund. Hier ist niemand, was er zu sein scheint. Mir gefällt das, weil es meinem Hang zur Selbstmystifikation entgegen kommt. Sich täglich oder wöchentlich neu zu erfinden, gilt hier als respektabler Existenzmodus. Also kauf ich hier meine Pizza und tu so, als wär ich ein grundnaiver deutscher Depp. Kann nie schaden, unter fremden Label zu leben! Fake ist normal. Wer hat schon Lust, zu sein, was er ist? Bei so einem Langeweiler würd ich nicht essen gehen!

Im Geddo: Cherchez le pig (Deutsch nichso gut)

9. Dezember 2010

Rätselhaftes Schweinchen: Was hat man auf der Pfanne?

 

Für Chris & Hella (Gute Besserung, Mensch!)

„Dialog der Kulturen“ im Geddo. Fragt kleiner serbischer Nachhilfe-Schüler mich: „Lehrerr! Ch’abb isch mal Frage – darf ich? – „Hhmmm?“ – „Lehrerr, bist eintlich … Müslim?“ – „Nee! Niemals nich!“ – „Und, ja aber, Herrr Lehrerr, ch’ast du doch Frau! – Deine Frau, ist der denn Müslima?“– „Also erstens heißt es: ‚die’! Und außerdem, nö, schätz ma erst recht nich!“ – „Ach so, denn is der Krist oda was?“ – „’Die’, Blödmann!!! Aber sonsten: nö, wohl auch nicht…“ – „Unn was seit’n ihr denn zusammen?“ – „Na, weißt … eher so … halt … nix!“  – „???“ – „Na, schaust, Kleiner, Deutsche sind oft weder Krist noch Müslima…“ – (Schüler, sich stolz aufrichtend): „Aba binnisch auch Deutscher … –  und ischbinnich Muslim!“ – Ich, etwas jovial: „Ja, und? Was issn das gezz überhaupt so dolles, Muslim?“„Wir essen kein Schweinfleisch!“ kommt die Antwort prompt wie aus dem Bolzenschussgerät geschossen. Aha.

Aber mal andere Frage: Schweine jetzt – sind die, also von sich her, eigentlich „halal“, „koscher“ oder „ungläubig? Kurzum, was frisst’n so’n Schwein denn selbst? Ja klar, die Studis von der Wikipedia-Uni schnipsen eifrig mit den Fingern. Nach ihrem frisch gebackenen Klickwissen sind Schweine nämlich „Allesfresser“. How how! Beißen, schlingen und knuspern also alles Organische, was nicht bei „drei“ auf den Bäumen ist! Toastscheiben, Suppenreste, Kartoffelschalen: Dem Schwein ist alles Wurscht! Notfallls, wie mein Lieblingsfilm „Hannibal“ zeigt, frisst das wilde Waldschwein auch unmenschliche Bösewichter. Verdient hamses ja wohl, oder?!

Weil isch bin gutte Lehrer, ging ich Sache auf Grund. Schwein! Gibssu mir Wahheit! Bist du koscher, halal oder bös schlimmer Finger? Stieß ich auf so rundes Töppchen „Appel-Grieben-Schmalz“ von öko-edlem „Apfelparadies“. Aah! Ha! – Bzw.: Was? Wie? Ob denn lecker? Ja, ja, klar! Aber nicht die Frage. Auf Deckel von Töppchen hatte Chef von Schmalz-Schmiede (wer sonst traut sich so, bitte?) unbeholfen visuelle Graphik appliziert. Siessu drauf eines von den drei kleinen Schweinchen (Oink-oink-oink, aber ohne böse Wolf, wo pustet Häuschen um!), keckes Kochmützchen auffm Schweinskopp druff. Unterm Hals war so dünnes linkes (!) Ärmchen windschief drangemalt, wo hält seinerseits Pfanne in Pfötchen (sieht bisschen aus wie Augsburger Puppenkiste, Serie: „Die Mumins“). In Pfanne aber nun wiederum entweder vielleicht a) boah! ein klein niedlich Hundchen (hä? Is das chinés Schwein? Unn essen süß-saure arme Hundchen mit Soja unn Anananas, wo doch aber niedlich? – Bah!) , – oder doch vielleicht eher b) noch mal’n Schweinchen (also das zweite von den drei kleinen…). Was soll’n das? Grübel-grieben-grübel.

In Kopp von zweitem Schweinchen stecken, schlarraffenlandesk surreal unwirklich bereits verzehrfertig & verbrauchergerecht Messerchen und Gabeline. Geht Hermeneutik auf Grundeis: Wie jetzt? Is Schweinchen denn kannibal? Schwein & Schweinchen im Blickwechsel: Mag ich disch? Fress isch disch? Bissu Koch oder Opfer, du … Sau? Kannibalische Wohlfühlkommunikation! Schwein guckt Schwein guckt Schwein guckt Schwein … und so weiter. Rätselbild! Fiesolophisch gesagt;  „Selbstobjektiviert und entfremdet durch den die Anerkennung verweigernden Blick des Anderen wird das Subjekt, den Fremden er-blickend als subjektiviertes Objekt auf der ent-fernt anderen Seite des Blick-Agons, seinerseits subjektiviert, kurz: wird im dialektischen Blickwechsel das identifizierte Andere seiner selbst im Spiegel des fremden Blicks“ (J.-P. Sartre, „Das Sein und das Nichts“). Jaha! Genau! Resp. Au weh!  Das Schwein ist des Schweinchens böser Wolfi! Das Böse lauert überall. Wer Schwein, wer Wolf, wer Werwolf? Der Apfel der Erkenntnis fällt im Apfelparadies (!) nicht weit vom Schwein. Hirnschmalz siedet, mit Apfel und Zwiebelgemüse, Grieben noch dabei. Dem Reinen ist alles Schwein. Aber wie soll das ausgehen?

Wie schön iss Muslim-Sein. Nix Dialektik, nix kannibal, nur sauber Übersicht und klare Regel: „Wir essen nix Schwein!“ Kann Schwein mal sehen, wo bleibt. Botschaft von Werbung ist schweindeutig: „Wir obergut, wir vorsichtshalber mal nix essen von unübersichtlich Tier! Wie sagt Proffeeht? Kannibalschwein is grundbös das! Genau wie Schnaps und fiese Kippen!“ – So, jetzt klar das. Schwein unrein unn hat Gesicht wie Steckdos! Sogenannt Schi-nitzel ist Essen von Ungläubige Hunde wie mich und dir! Womit geklärt  Ontologie von Schwein, – wir nix essen dies, bah & basta!

Weil gutte Lehrer immer geben Weltwissen, ich erklär: Wir auch nix essen Oile, Meerschawein und Käng-Guru! Aber sind deswegen nicht doll stolz drauf. Gebe kein Distinktionsgewinn. (Wort Schüler nich verstehn. Aach, mache nix, egal!) Weil deutsch, auch nich schlingen Frosche, Spaghetto und Kakerlak. Aber deswegen nich gleich gut, weil andermal wieder knuspere Kroko, Hummere und Auster-Schleim. Stecke in Mund, was kommt. Unsere Gott egal. Will nur nich, dass wir beiße in Goldene Kalb. Goldene Kalb ganz schlecht, auch in Scheibe (Schi-nitzl).

Serbische Freund’ von „Lehrerr“ fressen gern Manne-Essen: Fett mit Fett an Fett in Fett, aber bittscheen mit gut Buttersoße, sowie viel mit dicke Käse bei. Ja, schaust du: Dicke Mann, gutte Mann, unn is auch viel testosterone Mann-Mann! Frauen machen scharf, wenn dicke Mann! Mann muss immer könne, esse Viagra, fette Lamm, Hammelbein und mächtige Huhn mit Fetttauge-Suppen. Geht alles, wenn hinterher Slibo gut viel.  Hauptsach, nix Schwein. Schwein doppelplusungut. Allah unn Proffeht will nich wissen von Schwein. „Ich soll geschöpft haben? Nie, nix, nimmer. Ist doch krass eeklich Geziefer! Sieht aus wie Mensch, schmeckt wie Mensch, rolle blonde Auge wie Mensch, wenn köpfe.“, so sagt Herr Koran.  Allah meine nich gut mit Schwein. Zwar geschöpft, aber Ausschuß von Schöpfung!

So, willzu esse gut Schweinschmalz, gehssu in Paradies von Apfel. Nix 72 Jungfraue, aber gut esse! Mann stark danach! Ganze Runde ruft: „Ey, Wirt, mache Slibo fiehr Lehrerr! Is nich Müslim, aber gutte Mann, derr Magistrevic!! Weiß immer Bescheid!“ Frau aber schittelt Kopf (ohn Tuch). Hat sie wirklich gesagt: „Mann! Du bist zuviel in dieser Serbenkneipe! Du verblödest da noch!“ ?

PS: Chabb ich gehert, Freund von Freund Chris is anne Airport London gestoppt, weil hatte Töppchen Grieben-Schmalz in Gepäck. Musste ausläffeln an Gate zweihunderfuffzich Gramm von die fette Schmier! Hat danach nebbich bisschen explodiert, und war dann alles voll … Schweinesch…malz. – Allah! Wußt ich, dass Schmalz is fettich und schwer im Magen. Aber Sprengstoff? Nich glauben. Schwein harmlos. Und Islamerer-Terrorist geht nie mit Schwein!

 

Über die innere Übersichtlichkeit unserer Nutztiere. Mongolen-Könige kaufen in Dinslaken!

4. Dezember 2010

Wille zur Gemütlichkeit: Tisch fürs private Gänseessen am Digitalkamin

Bei einem privaten Gänseessen, auf dem wildfremde Leute halt notgedrungen miteinander reden mussten, kam irgendwann natürlich die unvermeidliche Frage auf: „Und was machst du so beruflich?“ – Eine eigentlich enorm indezente und überdies uninteressante Gesprächseröffnung, die selten zu funkelnden Highlights der Konversation führt, denn die meisten machen eh halt „irgendwas mit Medien“, und wenn nicht, wie in meinem Fall, bekommt man nur nebulöse Auskünfte, die in die Irre führen. Mein durch reichlichen Gans- und Rotwein-Genuss schon auf wattig-beduseltes Aufmerksamkeitsniveau herabgesunkenes und dort träge herumdümpelndes Gemüt bekam jedoch einen erfrischenden Kick, als meine charmante junge Tischbarin kundgab, sie sei jüngst von der gemeinen „Eigenbestandsbesamerin“ zur „amtlich zertifizierten Besamungstechnikerin“ aufgestiegen. Das groovt ja nun eindeutig mehr als das Geständnis, man sei „Philosophielehrer für ältere Erwachsene“, oder? – „Sind das nicht“, frug ich rotwangig animiert und durch RTL2-Reportagen vorgebildet, „nicht so Leute, die sich einen blauen Müllsack über den Arm stülpen, um dann hinterrücks schultertief in Kühen herumzustochern?“ – „Pferde“, konterte die zierliche Mitgästin daraufhin lakonisch, „ich mach es nur bei Pferden“. Als kostenfreie Dreingabe bekam ich hierzu die fortbildende Mitteilung, Pferde seien „innen viel übersichtlicher und auch hygienischer“ als Kühe, eine Information, die mir nicht weniger schwer verdaulich vorkam als die servierten Gänsekeulen. Meine stark angefackelte Wissbegierde wurde leider nicht weiter befriedigt, weil andere Gastmahlsteilnehmer das sich anbahnende Gespräch als „bei Tisch nicht appetitfördernd“ abbzubrechen befahlen. „Aber wieso denn..?“ versuchte ich noch zu protestieren, „das ist doch ganz … äh … natürlich!“, wurde aber mit einem Gläschen Wodka abgefertigt und ruhig gestellt. Halb träumerisch begann die mit Rotwein begattete innere Spieldose meines unübersichtlichen Gehirns bereits ein spekulativ angelegtes Traktat zu formulieren, das den barocken Titel tragen sollte: „Über die innere Übersichtlichkeit größerer Haus- und Nutztiere“…

Übersichtlicher als der Komplettvogel sind natürlich vor-amputierte Gänsekeulen, aber dennoch, sie angemessen und mit hohem Köstlichkeitsfaktor zu braten erfordert ein ähnliches Maß an Erfahrung, know how, Liebe und Hingabe wie, beispielsweise, die Besamungstechnik. Ich griff der federführend gastgebenden Hausfrau brattechnisch ein bisschen unter die Arme, denn bei Gänsebraten verstehe ich keinen Spaß! Erstens sind Gänse hochsympathische, viel zu denken gebende Geschöpfe Gottes, zweitens isst man sie höchstens ein, zwei Mal im Jahr, weswegen man sie drittens mit  besinnlicher Andacht, quasi-religiöser Hingabe und pedantischer Präzisionspusseligkeit zubereiten sollte.  Pfusch und Gefummel sind hier Lästerung! Als zwar nicht zertifizierter, aber seit Landei-Kindheit doch erfahrener Eigenbestandsbrater weiß ich darüber hinaus, dass es eine gehörige Rolle spielt, ob da jetzt so eine lieblos maisgestopfte, haltbare Graugans (Bertolt Brecht) aus schneeverwehten Tiefkühleiswüsten zu uns herübergehumpelt ist, oder ob es sich um ein vom grünen Bio-Bauern liebevoll handgestreicheltes, des Abends mit Liedern aus dem agrarischen Folkloreschatz in den Schlaf gesungenes, zertifiziertes Edelthaustier handelt – das Ergebnis nach drei Stunden Bratandacht unterscheidet nämlich sich um Welten!

Die in unserem Falle überaus köstlichen (außen kross-knusprigen, innen zart würzigen) Gänsekeulen lieferte eine hiesige Qualitäts-Metzgerei, die vielfach prämiert und zertifiziert ist und sich im Internet mit berechtigtem Stolz als „königlicher Hoflieferant der Bordschigin Familie der Mongolei“ präsentiert. Die mir bis dato gänzlich unbekannt gebliebene Tatsache, dass die Mongolen über einen König verfügen, der sich überdies sein Fleisch ausgerechnet aus Dinslaken-Hiesfeld einfliegen lässt, gehörte zu den weiteren lehrreichen Unterrichtungen dieses genussvollen Abends in unserem nun gewiß nicht „bildungsfernen“ Kreis.

Unser Tischgespräch glitt indes im weiteren aus dem Pferde-Inneren wieder hinaus und in den Erfahrungsaustausch über die Frage hinüber, wie es sich anfühle, eine Gans auszunehmen. Einig war man sich, dass hier Fingerspitzengefühl angeraten sei, denn käme es durch Unachtsamkeit oder Defizite in der Kenntnis der Vogelanatomie zur Verletzung der Gallenblase, müsse das schöne Vieh nämlich leider komplett weggeschmissen werden. Ein Pferd wegzuschmeißen, wäre zweifellos noch trauriger und kostspieliger, aber die rund um dieses Tier ausgebildete Tisch-Dame versicherte mir beruhigend, ein Pferd sei, schon aus Gründen innerer Übersichtlichkeit, weniger empfindlich und gefährdet, sodaß der Eingriff in der Regel eben nicht zur Verringerung des Pferdebestandes, sondern zu seiner Vermehrung beitrage, – eine Sachinformation, die nicht zuletzt auch den Mongolen-König erfreuen dürfte, wenn denn seine Existenz nicht, wie manche meinen, „eine Ente“ sei. Über die Zubereitung solcher Enten ein andermal.


 

Nie wieder im Keller essen! (Frittierte Film-Schnitzel)

27. November 2010

Grundsympathisch: Bruno Ganz als Hitler (Foto evtl. urherrechtlich geschützt - Quelle: faz.net)

Kürzlich mal wieder den Film „Der Untergang“ („Dörr Onntergank“) angesehen und in alpträumerische Verwirrung geraten. Der Streifen spielt im Wesentlichen im Bunker („Bonckerr“) der Reichskanzlei; Hauptfiguren sind eine unbedarft rehäugige junge Sekretärin (bezaubernd: Alexandra Maria Lara), die viel und nervös raucht, allerhand Nazi-Mist abtippen und auch noch die zwölfundzwanzig Goebbels-Kinder bespaßen muß, ansonsten aber als verführte Unschuld nicht viel mitbekommt („wir wussten ja nichts“), sowie natürlich der tapprige olle Onkel Adolf („Heil“) Hitler (grundsympathisch: Bruno Ganz), der ein wenig cholerisch, aber letztlich doch bestürzend menschlich durch die unterirdischen Gänge klabautert, mit melancholischer Miene Stopfkuchen isst, seinen Schäferhund Blondie krault, verwahrlosten Kindern („Hitlerjugend“) wertlose Orden anpiekt und ansonsten händezitternd an seiner Parkinson-Erkrankung laboriert. Hitler geht es wie vielen Senioren: Er kann sich keine Namen mehr merken und hat Schwierigkeiten, sich mit dem Verlust der Weltherrschaft abzufinden. Seinen Hang zu wesentlich jüngeren Frauen sublimiert der „Führer“, indem er auf Generalsstabskarten Armeen herumschiebt, die es längst nicht mehr gibt. Typisch alter Sack, also.

Weil oben, in Berlin-Erdgeschoß, gerade das Deutsche Reich zu Bruch geht und der Russe brutalst möglich mit Schieß-Granaten schmeißt, leidet der „Föhrrerr“ sichtlich unter Stimmungsschwankungen. Beim heutigen Stand der Psychotherapie bzw. Palliativ-Medizin, so der Eindruck, hätte man dem verwirrten alten Mann durch gute medikamentöse Einstellung zu mehr Lebensqualität verhelfen können (Ritalin, Anti-Depressiva, Viagra). So aber verdüstert sich die Lage zusehends. Auch nicht gerade stimmungsaufhellend wirkt sich aus, dass in den neonbeleuchteten Kellergängen an jeder Ecke doofe Nazis herumstehen, um zackig zu salutieren, sinnlose Befehle zu bellen oder insgeheim mit den Augen zu rollen, weil die Umfrage-Werte der NSDAP mal wieder ganz schön im Keller sind – wenn schon nicht die Vernichtung der Juden oder der verlorene Krieg, so hat doch die Erhöhung der Tabak-Steuer Popularität gekostet! – Gänzlich unangenehm wird der Kelleraufenthalt durch die penetrante Anwesenheit eines ungemein hässlichen Patienten, der ein albernes, senfgasgelbes bzw. babydurchfall-braunes Jäckchen trägt und sich gern mit „Dr. Goebbels“ anreden lässt. Gespielt von Ulrich Matthes, wirft er dermaßen fanatisch-dämonische, böse Blicke um sich, dass die berühmten deutschen Fliegen-Asse tot von den Kellerwänden fallen und selbst Reichshundeführerin Blondie gequält aufjault.

Es geht zu Ende, in der TV-Fassung ca. 175 Minuten lang. Bei Tisch isst man auf Wunsch von Onkel Adolf vegetarisch (Nudeln mit kriegsbedingt künstlicher Pampe) und lauscht teils genervt, teils mit „onnerbettlicherr Önntschlossenheit“ seinem verworrenen Gebrabbel (die berühmten „Tischreden“ des Führers); betretene Blick auf den Teller sind – bei den geringfügiger belasteten Mitessern – die nur allzu verständliche Folge. Die Stimmung ist gedrückt, es will nicht mehr recht schmecken. Der vielbeschworene „Onnterrgank“, vor allem der Esskultur, ist greifbar nahe. Nachtisch muß ausfallen. Ohne Pudding ins Bett resp. zack! auf den „Müllhaufen der Geschichte“! Nach dem letzten Abendmahl macht man reinen Tisch – die Nazi-Prominenz retiriert ins Separée, nimmt Zyankali-Gift, gibt sich die Kugel und lässt sich hernach mit abgespreiztem rechten Arm feuerbestatten. Happy End und Abspann.

Nachdem das deutsche Volk wie durch ein Wunder von der Hüttler-Barbarei genesen, schwor es sich bekanntlich, dass in unserem Lande („unter deutschem Boden“) nie wieder im Keller gegessen werden sollte, vor allem keine künstliche Pampe, niemals bei Neon-Licht und keinesfalls mehr bedient von seelenlosen, in hässliche Uniformen gehüllten Schergen aus dem Bodensatz der Gesellschaft („Volkssturm“). Auferstanden aus Ruinen der Zivilisation wollte ein geläutertes Volk pausbäckiger Fruchtzwerge an den Katzentisch der manierlichen Nationen zurück, fürderhin ohne deutschtümelnde Schnitzelhuberei und braune Panade. Statt dem Braunkittel „Dr. Goebbels“ jubelte man nun „Dr. Oetkers“ zu und aus den Reihen hungriger Hitlerjungen entsprangen neue, blitzsaubere, grund-entnazifizierte Helden der Zivilgesellschaft: Esspäpste, Fernsehköche und Restaurantkritiker. Mit in stickigen Kellern verdruckst verschlungenen Schweineteilen („zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“) sollte es ein für allemal vorbei sein.

Doch das Böse schläft nicht, sondern lacht sich hämisch ins Panzerfäustchen. Tief unten, hinter den sieben Tiefgaragen, im Untergrund hedonistisch-bolschewistischer Konsumtempel verbunkert sich der alte Ungeist. Wer es sich einfallen lässt, im stickigen Untergrund (Forum, Untergeschoß, Frontabschnitt C 10), welcher in diesem Fall den Charme eines aufgepeppten Provinz-U-Bahnhofs versprüht, allen Ernstes Essen zu fassen, der muß, von allen Versorgungsbatallionen abgeschnitten, an Randes des Hungertods stehen, oder er hegt vielleicht deutschhubernden Multikulti-Hass. „Wer eine vielseitige Speisenkarte mit vielen unterschiedlichen Gerichten sucht – Fehlanzeige“ vermeldet schon der Internet-Auftritt vom „Schnitzelhuber“ triumphierend. Die Speisekarte wurde von allen volksfremden Elementen gereinigt! Hier wird deutsch gegessen! Wollt ihr das totale Schnitzel? Dann ist gut, denn „bei uns gibt es nur knusprige Schnitzel in vielen Variationen“, trumpft die Oberste Frittier-Leitung auf.  Als Konzession an unsere Kameraden im Ostreich gibt es immerhin noch „Wiener Backhendl (neu)“.  Zu betonen, dass diese „neu“ sind, macht Sinn, erweckt das stahlhart durchfrittierte Geflügel nämlich sonst eher den Eindruck, schon viele Luftkampfeinsätze geflogen zu haben. Ansonsten wird Material aus den Massentierhaltungs-KZs herangezogen.

Dennoch, das unbelehrbare Volk lässt sich mal wieder von falschen Versprechungen oder niedersten Instinkten verleiten: Mittags ist dieser Hort raffiniert ausgeklügelter Ungemütlichkeit rappelvoll. Zischend und fauchend wird auf die Teller gefeuert, was die 30cm-Fritteuse-Artillerie hergibt.  Die schäbig uniformierte Besatzung des U-Bootes „Generalfeldmarschall Schnitzelhuber“ ist dabei gestresst wie unsere Kameraden vor Stalingrad. Blickkontakt mit dem Feind bzw. der Kundschaft ist strengstens untersagt. Hier werden Geschütze bedient, nicht Kunden. Schweiß, Fett und Tränen. Wer hier als Zivilisten-Weichei eine Bestellung abgeben möchte, durch den wird mit eiserner Entschlossenheit hindurch geblickt. Für mich erfüllte sich damit zehn Minuten lang ein Kindertraum: Einmal im Leben unsichtbar sein! Nummern werden gebellt, Besteck fliegt über die Gräben, Tellerminen werden geworfen. Bloß keine Zeit verlieren: Schlacht in der Mittagspause!

Zum authentischen „Bonckerr“-Gefühl fehlt eigentlich nur ein dementer österreichischer Obdachloser, der in einer Ecke hockt, wirres Zeug stammelt und bramabasiert, „das Volck“ habe „nöchts besseres förrdient“ als … den „Onntergank“!