Archive for the ‘Ich glotz TV!’ category

Placebo gegen Unkkultur

6. Februar 2014
Kunstunke (Wikipedia)

Kunstunke (Wikipedia)

Was auch einmal mit Herz und Leidenschaft angeprangert gehört, ist die obwaltende Unkkultur. Kein Tippfehler: Es wird zu viel geunkt! Zum Beispiel über den Verfall gutbürgerlicher Dienstfertigkeit beim Verkaufspersonal. Diesbezüglich machte ich neulich eine beglückende Erfahrung, da ich – durchaus ernsthaften – Anlass hatte, in meiner Stamm-Apotheke zu fragen: „Führen Sie auch Placebos? Ich meine – bewusst?“ Es war nämlich so, dass ich in meinem medizinphilosophischen Seminar plante, zum Einstieg an die Teilnehmer Placebos zu verteilen, als Gag, Gimmick und um mal zu gucken, wie die so wirken. Oder ob. Das vorbildliche Pharma-Fräulein fühlte sich nicht im mindestens veralbert, sondern beschied mir höflich, man führe so etwas generell zwar nicht, könne es aber ohne weiteres – mit Milchzucker – für mich herstellen, nur – sie dachte auch noch mit! – dass Problem sei ja wohl eher, an eine autoritativ aussehende Verpackung zu kommen. Cool, oder? Wahrscheinlich hätte ich fragen können, ob es Tabletten gegen zu große Damenfüße gibt, und sie hätte mich milde lächelnd auf ein Schuhgeschäft hingewiesen, da Schuhe in der richtigen Größe gesünder sind als Tabletten, die in diesem Fall eh nicht viel hülfen.

Gegen das Fernseh helfen auch keine Medikamente. In einer irgendwie aus dem Ruder gelaufenen Schnaps-und Nebelaktion fand ich mich neulich unversehens vor dem Fernseher umnachtet. Das Botox-Trio Geschwister Fürchterlich krähte frenetisch: „Komm ohne Hembd, komm ohne Hembd / Zu uns ins Duschgel-Camp / das Glitschi-Glitter-Duschgelcamp!“ und fump, fump, hatte ich den Mund voller Ohr- oder Drehwürmer. Feinkost Käfer! lieferte dazu Sumpf mit Matsche, dann Werbung für Stützstrümpfe. Angora-Omas vom QVC tanzten den Pailletten-Swing, eine Silikonikone bat dringlich Ruf! Mich! An!, worauf ein Professor stracks dem Zucker den totalen Diätkrieg erklärte, was mich in einen zuckersüßen Film der ARD-Tochter Degeto spülte. Diese Filme sind das Koks der Armen („Degeto to go“), sie spielen im Dreiländereck Irland-Schweden-Bretagne, und dann ist da meist eine blonde Frau, die hat einen Mann und es ist eitel Urlaub, es kommt zu dezenten Paarungsvergnügungen, aber wegen der noch kindlichen Zuschauer wird der Orgasmus nur vorgetäuscht. Dann kriegt der Mann einen Haschmich und ist plötzlich weg, aber die Frau will nicht an Tod und Witibtum glauben, sondern macht sich auf die Suche bzw. die Socken, reist kreuz und quer durch die strukturschwache, aber blitzadrette Region, und am Happy-Endpunkt findet sie den Mann wieder. Er hatte seine Gründe, aber Hauptsache, er lebt! („Degeto ergo sum“). Dazu fidelt André Richelieu auf der Rosshaargeige, bis man matt und weinerlich ins Bett steigt, die Geschicke der Welt beseufzend.

Von Haus aus bin ich eigentlich mehr ein Ächzer als ein Seufzer, aber dennoch, ausgiebig beseufzte ich vor Tagen einmal wieder den Zustand der Gegenwarts-Kunst. Ebenfalls nämlich im Flachbildland zeigte man mir eine aus echtem Schweizerholz geschnitzte Schweizerreportage über einen Schweizerkünstler, der nach langen verschneiten Winternächten folgende Idee ausbrütete: Er ließ eine große Holzhütte bauen (schon mal gut, odd’r?), stellte diese auf vier Skateboards (irre!), hieß seine Helfer die Hütte per Drahtseil einen schneebedeckten Hang hochziehen (wie kommt man bloß auf sowas!), um, oben angekommen, das Seil zu durchtrennen – sodass die Hütte den Hang wieder herunterrutschte. Es war … aufwühlend. Die ortsansässige Bergbauernbevölkerung, zum Kunstgenuss abkommandiert, applaudierte dazu mit der ihr eigentümlichen Schweizerbedächtigkeit.

Schau an, dachte ich, nicht ohne Rührung: Es ist doch nicht ALLES „grundsolide“, was man in der Schweiz treibt und produziert. Es blieben indes Fragen offen: Hatte ich jemals schon einmal etwas brunzdummeres, hirnloseres, geistferneres, langweiligeres, inspirations- und humorfreieres gesehen als diesen Hüttenkäse-Kunsthonig? Und wann hat dieser Scheiß eigentlich angefangen? Mit Duchamp schon? Oder war es erst der Scharlatanschamane Beuys, der die Türen weit aufgestoßen hat zum Kinderparadies offensiver Talentlosigkeit? Immerhin, diese Sache mit dem Hasen und das mit dem Schakal, das war wenigstens noch hochkomisch, wenn auch unfreiwillig, aber heute, scheint’s, hat die Beliebigkeit den Siedepunkt erreicht, wenn man das so sagen darf und Beliebigkeit überhaupt so heiß wird. Aber ich will nicht unken. Sondern lieber in einer angesehenen Galerie zu einer Performance einladen, wo ich mir mit extrem feierlichem Gesicht und bedeutungshochschwangerer Körpersprache ächzend die Schnürsenkel binde. Dann gehe ich mit dem Hut herum. Ich nehme auch Schecks.

Werbung

Improvisieren können

23. Oktober 2013
images

Im Fernsehstudio

Damit mich keiner erkennt, hatte ich einen Schlips umgebunden. Ordentlich schick gemacht: Camouflage für die Talkshow. Ins Gesicht schön bunt Werbung gemalt, für Schwarzbier und Dosenravioli. Ich liebäugelte damit, das einfache Volk zu repräsentieren. Aber dem einfachen Volk sagt ja keiner etwas, zum Beispiel, dass man zu solchen Einladungen irgendetwas mitbringen muss. Neben mir saß einer, der mit dem Rollstuhl quer durch den Regenwald war und darüber mit dem Mund Bilder gemalt hatte. Zwei Plapperwachteln litten an rätselhaften Krankheiten, von denen die Kasse nichts wissen wollte, eine beleibte feministische Dame verbat es sich, auf ihren Körper oder ihre Weiblichkeit? egal, jedenfalls reduziert zu werden, und die anderen hatten eben was Selbstgemachtes mitgebracht, einen Song, ein Werk, ein Opus maximus, zum Vorzeigen und Herumprahlen. Und ich? Typisch wieder, immer denk ich, mir wird schon etwas einfallen, ich improvisiere einfach, und dann kann ich bloß Sendepause und Maultaschen feilbieten. Oder heißt es Maulfeigen? Nein, Maulaffen, jetzt weiß ich, Maulaffen. Was sind eigentlich nochmal Maulaffen? So etwas wie Ohrfeigen? Erwähnte ich schon, dass ich mich schwer konzentrieren kann?

Schon wandte sich die superfreundliche Moderatorenschlampe an mich, zeigte mir ihre gewienerten Zahnreihen und krähte mit koksbetriebenem Enthusiasmus: „Aber nun zu Ihnen, Herr…!“ und auf ihr Zeichen hin fuhr mit Karacho eine Riesenkamera auf mich zu, knallte mir frontal ins Gesicht und filmte mit Teleobjektiv neugierig in meine Nasenlöcher hinein, zum Glück frisch gepflegt mit dem Nasenhaarrasierer der Firma Oldsmobil. Das einfache Volk begann zu schwitzen wie ein Störungsmüller. Oder heißt es Schwerenöter? Briefbeschwerer? Beschwerdeführer? Jetzt half jedenfalls nur eines: maximale Hysterie!

„Ja, jaha! Verdammich, ich wars!“ schrie ich, „Erwischt! Ich bin der Schwindelbischof von Humburg, Jonathan Kraska! Also Butter bei die Fische, große Portion Beichte mit doppelt Bußkram: Ich habe gehurt, geschlurt, geschleimt und leimsiederisch rumgeschlampert! Auf dem Satanstrip wie nichts Gutes! Brokat-Bilanzen, kostbar halbseidenene Steuerverklärungen, dann wieder voll die Gelage, skrupellose Ferkel-Orgien, klar auch hier Dingsbums, Knabenliebe, Ministrantenstrich mit rotem Teppich, schwergoldene Urinale, grotesk teure Platinesken und diözesane Rubinate usw., pah, peanuts, meine leichtesten Übungen! — Wer Gott dient, muss einen guten Anzug tragen! Und zwar ministrös gebügelt! sag ich immer. Und wer moppert, kriegt eine Leviten-Abreibung in Kirchenrhetorik: Anlaufen, Beschleunigen, Abheben, himmelwärts Düsen, krass fertiges eschatologisches Weggetreten-Sein. Das ist mein Sport! Da bin ich richtig, richtig gut drin. Und der feine Herr Jesus ist mein Zeuge! Meine Devise: Für den Gottessohn nur Weihrauch, Myrrhe, Koks und Kaschmir. So! Und jetzt Sie!“, – ich begann haltlos zu schluchzen.

Eine der kranken Tanten reichte mir ein Tempo und tätschelt meinen Arm, der links vorne an der Lehne des Bischöflichen Stuhls befestigt war. „Na, na“ sagte sie begütigend, „na, na…„, die Moderollatorin starrte irritiert in ihre gelben Karteikarten, der Regenwaldrollo kicherte blöd und das Saalpublikum johlte und haute sich krachend auf die westfälischen Schweineschenkel. Vollends durchschizophreniert – wie kam ich aus dieser Nummer bloß wieder heraus – brüllte ich in den Saal: „So, Schluss jetzt! Hört auf mit dem Geschwindelgrinsen, das war kein Spaß! Beziehungsweise wohl, ich wollte sagen, wohl, das war vielmehr bloß Spaß, ein kleiner Scherz, ein Gag, zur Auflockerung, in Wahrheit bin ich…“ , und nun musste ich aber echt improvisieren, „…der Steinerne Gast, der unsichtbare Dritte, der ganzganz Andere, das Objekt klein a, der abwesend Anwesende, der Dritte Mann, jenes höhere Wesen, das wir verehren….“, – dann wurde das einfache Volk mittelsanft nach draußen geleitet.

Mann, Mann, dachte ich im Aufzug nach unten, du bist ein echter Diskurs-Vergeiger! Aber als es mir in der Senderkantine gelang, meine entwerteten Straßenbahntickets als Essensmarken zu verwenden und einen Teller Käsemakkeroni zu erschwindeln, gewann ich schon wieder an Selbstachtung. Man muss improvisieren können!

Raucher-Kino

18. Juli 2012

Ich hätte das gar nicht so gedacht, aber was in mir doch unerwartet heftige nostalgische Emotionen und verblüffende Anheimelungsempfindungen auslöst, sind alte Filme, in denen noch völlig selbstverständlich, normal, permanent und mit Nonchalance sowie konzentrierter Gewissenhaftigkeit geraucht wird, und zwar gleichermaßen von harten Jungs wie attraktiven Mädels. Herrlich! Zum Beispiel in „Haben und Nicht-Haben“ („To have and have not“), einem Schwarzweißfilm aus, ich glaube, den 50ern, mit extra viel hartem und lakonischem Hemingway-Feeling, klopft die damals zweiundzwanzigjährige, höllisch attraktive Lauren Bacall an die Tür von Humphrey Bogart, eine unangezündete Zigarette in der Hand, und als er öffnet, wedelt sie knapp und nervös damit und haucht extrem anfackelnd heiser: „Hi! Got a match?“  Klar, hat er natürlich. Männer ohne Feuer waren noch gar nicht erfunden.

Diese Szene ist von derart gänsehauterregender Tabakerotik, dass sie sich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingebrannt hat. Das wird wahrscheinlich mein Anmachspruch im Alzheim: Ich werde zu nachtschlafener Zeit im flanellenen Pyjama an die Zimmertür von Frau Frerkes klopfen, und wenn sie noch aufmacht, werde ich verschwörerisch flüstern: „Got a match?“ Sicherheitshalber, falls sie komisch guckt, werde ich hinzufügen: „Das ist ein Zitat!“ – Das mach ich bei der Gattin nämlich auch immer. Wenn ich was Schräges äußere und sie guckt mich an, als hätte ich frisch den Verstand verloren, erläutere ich immer: „Das ist ein Zitat!“ Manchmal ergänze ich: „Nämlich aus einem Bob-Dylan-Song von 1963!“ Die Gattin erwidert zumeist lakonisch: „…Aha.“ Es wären natürlich enthusiastischere Reaktionen denkbar.

* * *

Elliot Gould als Phillip Marlowe („Ah! Also mit gottverdammt schwulem ‚e’ hinten“, sagt Mafia-Boss Marty Augustin im Film) raucht in „The long Goodbye“ absolut permanent und ohne Kompromisse in ausnahmslos JEDER Szene. Ich glaube, selbst beim Schlafen hat er eine Selbstgedrehte zwischen den Lippen. Noch schärfer aber: Selbst während er im Schweinsgalopp und schweißgebadet zu Fuß einen davonbrausenden Cadillac verfolgt, klebt dabei eine qualmende Kippe in seinem Mundwinkel. Sowas von cool! Er ist praktisch der einzige Marathon-Läufer, den ich kenne, der beim Rennen rauchen kann! Gott gebe uns solche Männer zurück!

* * *

Ebenfalls in schwarz-weiß ist Jim Jarmusch’s Cineasten-Kult-Film mit dem programmatischen Titel: „Coffee und Cigarettes“. In diversen Episoden treffen sich je zwei oder drei ziemlich coole Personen in miesen Kneipen, trinken viel Kaffee und rauchen dabei nach Leibes- und Lungenkräften. Wie der Titel ja schon sagt. Dazu reden sie irgendwas. So Zeugs halt. Manchmal ist das komisch, manchmal fragt man sich: Was soll’n das? Am Anfang gibt es eine sehr lustige, absurde Szene, in der Roberto Benigni mit irgend so’nem Komiker zusammentrifft. Titel der Szene: „Strange to meet you.“ Schon mal ganz gut, oder? Am schönsten aber doch die Begegnung von Iggy Pop und Tom Waits. Zwischen ihnen liegt eine von irgend einem Gast vergessene volle Schachtel Marlboro. Sie bieten sich gegenseitig eine Zigarette an und lehnen mit der exakt gleichen Begründung ab: „No, thanks, man, i’d just quit smoking time ago.“ Sie beglückwünschen sich gegenseitig zu der Rettung vor dem Gift, dann nehmen sie jeweils irgendwann doch eine Kippe, mit der von Tom Waits erfundenen Logik: „Well, we’d quit smoking, so we can have a cigarette without danger, don’t ya think?“ Für den Rest der Szene qualmen sie wie die Schlote, was kein Problem ist, denn sie haben ja längst mit dem Rauchen aufgehört.

* * *

Den besagten Film mit Elliot Gould guckten die Gattin und ich gemeinsam, aber noch in getrennten Wohnungen, dafür wie immer telefonisch fest verbunden. „Ja, ist ja natürlich klar, warum du den Film toll findest!“ sagt die Gattin ein bisschen sarkastisch. „Dieser ganze Anti-Helden-Kram, und dann raucht der noch ständig!“„Und? Fandest du den Film denn nicht gut?“„…doch, … doch. Schon irgendwie.“ – Na, also. Seien wir ehrlich: Lieber Lauren Bacall beim Rauchen als irgend so eine anorektische Botox-Queen beim Salatblätter-Kauen.

* * *

Natürlich kann auch heute noch in Hollywood-Filmen geraucht werden, aber dann mit deutlich spürbaren Anführungsstrichen. Die Leute rauchen und vermitteln dabei pantomimisch: „Ich rauche nicht WIRKLICH! Dies ist ein historisches Zitat aus den gruseligen 60ern! Ich symbolisiere lediglich den damaligen verantwortungslosen  Zeitgeist!“ Auf diese Weise rauchen etwa die Leute in der preisgekrönten, vom Feuilleton geliebten Serie „Mad Men“. Diese Art ironisches Rauchen geht mir noch mehr auf den Zeiger als demonstrierter Diät-Wahn. Ausdrucksrauchen ist so sinnvoll wie Sport-Angeln. Das eine wie das andere: eine Beschäftigung für feige Männer, die sich vor dem Tod fürchten. Insgeheim hoffen sie, dieser würde sie aufgrund ihres gesunden Lebenswandels vielleicht übersehen. Das aber, verehrte Gemeinde, gehört zu den richtig unwahrscheinlichen Ereignissen im Leben, das dann am Ende ja doch tödlich ausgeht. Selbst wenn du aussiehst wie das sprichwörtliche „blühende Leben“. – Was ich an Humphrey Bogart gut finde: Er ist schon lange tot, aber man hat nicht den Eindruck, dass es ihm allzu viel ausmacht.

In der Brezelstube (Schöner werden!)

2. April 2012

Frisur schon mal klasse, aber ein paar Längsstreifen wären kleidsam! (Foto-Quelle: Wikipedia)

Ich habe eine neue Lieblings-TV-Sendung entdeckt, bedeutend unterhaltsamer und stimmungsaufhellender als die allenthalben misslichen Koch-Shows, worin bekanntlich am Herd unentwegt geredet und konversiert, gefrotzelt, gealbert, gesungen und getanzt werden muss, was den Ergebnissen kulinarischer Aspirationen sichtlich nicht zum Segen ausschlägt, denn anspruchsvolle Gerichte, das weiß ich aus eigener Erfahrung, erfordern bei der Zubereitung fokussierte Konzentration, deren permanente parapraktische Störung Soufflés , Sabaione und Tornedos à la Rossini zu verpampten bzw. verkohlten Enttäuschungen missraten lässt. Das ist schon in der heimischen Küche unschön, aber solcher unter Beteiligung immer der gleichen eitlen Ein-Sterne-Köche erfolgenden Katastrophenanbahnungen auch noch als Zuschauer beiwohnen zu sollen, scheint mir, obschon man wenigstens nicht essen muss, was dort zurecht gefrickelt wurde, dennoch als mehrheitlich inakzeptable Zumutung.

Anders die von mir bei ZDFinfo enchantiert verfolgte Frauenaufbrezelungsschau „schick & schön“, ein Unternehmen mit dem unumwunden angestrebten, löblichen Ziel: „Unsere Frau soll schöner werden!“ Um möglichst dramatische Kontrasteffekte zu erzielen, castet man jeweils Stücker drei Damen, die von der Natur in ästhetischer Hinsicht etwas stiefmütterlich bedacht wurden, je graumäusiger, verhuschter und plumper, desto besser; dünne Haare, dicke Hüften und grässliche Textilien sind erwünscht, desgleichen, dass die Kandidatinnen daheim keinen Spiegel besitzen und sich, wiewohl erwachsen, die trutschige Oberbekleidung noch von Mutti kaufen lassen.

Dann geht es los! Die Stiefmütterchen werden von einer Stil-Gouvernante erst einmal zum Friseur geschleift, wo auf betont verwegene Weise aufgepuschelt, gelockt, gebügelt, geschäumt, schräg geschnitten, extendiert, gefärbt und mit Strähnchen versehen wird, was zuvor bloß so Haare waren. Hei, was für Erwachen, wenn die frisch Geföhnten erstmals in den Spiegel schauen dürfen! Einer bis dato biederen Verwaltungsangestellten hatte man zum Beispiel einen leuchtorangenen Bubikopf verpasst, mit dem sie auf jedem tschechischen Straßenstrich reüssiert hätte, und zwar besonders auch im Dunklen. Zaghaft meldete sie etwas Gewöhnungsbedarf an.

Dann geht es weiter in die Retusche, zweite Phase der Totalrenovierung. Den bislang ungeschminkt und blass durchs Leben stolpernden Pfannekuchen werden Gesichter gemalt! Als Mann ist man spätestens jetzt frappiert: Die virtuosen Visagistinnen sind wahre Zauberfeen der tuschkastengestützten Gesichtsherstellung! Die vormaligen Pumpernickel sind nicht wieder zu erkennen und sehen jetzt aus wie aus dem Fernsehen gepellt. Am liebsten würden die frisch gestrichenen Lidschattengewächse in Freudentränen ausbrechen, aber das geht natürlich nicht, da es die ganze mühselige Kunstmalerei ruinieren würde.

Schließlich die Vollendung: Die Ex-Entlein steigen aus ihren Kartoffelsäcken und werden in schickes Schwanen-Outfit eingewickelt. Bucklichtes wird gestreckt, zu Breites mit Längsstreifen kaschiert, mangelndem Selbstbewusstsein mit kessen Farbtupfern und Accessoires aufgeholfen. Ich lernte dabei, dass sehr starke, große Mädchen unbedingt kleine Handtäschchen vermeiden sollten, weil diese die Proportionen ins Ungute verzerren.

Generalüberholt und rundum aufgebrezelt werden die strahlenden Sahnetörtchen dann ihren Familien zugeführt, welche spitze Schreie ausstoßen, sich geblendet die Hände vors Gesicht schlagen und beteuern, ihre Mädels nicht wieder zu erkennen, was allgemeinen verdienten Jubel auslöst. Ich stimme schmunzelnd mit ein, obwohl ich mich frage, ob meine feministischen Kampfgefährtinnen diesen Humbug wohl ebenfalls goutieren würden. Aber was solls – unser Land ist wieder ein Stück attraktiver geworden.

Um die Show in vollen Zügen genießen zu können, sollte man dazu ein wenig leichten Weißwein genießen, einen frischen Heurigen aus dem Wienerwald vielleicht, gut gekühlt und ruhig reichlich davon, gilt doch das bekannte Sich-Frauen-schöner-Trinken hier als wohlwollender Zuschauerbeitrag, mit dem man nicht knausern sollte!

Das „man“ ist Präsident

5. Januar 2012

Tartuffe, Präsident

„Ihn jetzt noch schonen, wäre lächerlich! Zu lange mußte ich die Wut hinunterschlingen über des unverschämten Heuchlers Dreistigkeit, der alles hier im Hause durcheinanderbrachte.“

Jean-Baptiste Molière

 Aah, seht diesen Widerling! Wie er sich windet und wurmt, barmt und bramabasiert, schwankend zwischen schlecht geheuchelter Demut und kaum verhohlener Wut, schleimig und doch giftig aggressiv, sobald der Moment es erlaubt; ein ertappter Hypokrit und Erzschwindler, abgrundtief abgefeimt und doch armselig, ohne Eier, ohne Größe, ein feiger, mieser, kleiner Intrigant und Wichtelwicht, ein normaler, durchschnittlicher Korruptling auf 60cm-Gartenzwergformat; hört nur, wie er zwischen verzeihendem „man“ und anmaßendem „ich“ changiert, wie ein Schmierentragikomödiant chargiert und larviert, Ausflüchte macht, zu Kreuze kriecht, um gleich darauf frech und dreist zum Angriff überzugehen, ein grunddeutscher Gartengiftzwergling eben und Fundamentalheuchler, den Dackelblick geschürzt, die Doppelzunge gewetzt, ein verschlagener Clown, erwischt, ertappt, scheeläugig vor schlechtem Gewissen und dessen ungeachtet impertinent wie ein Straßenbettler mit ge-faktem Holzbein und … – wie? was? Aber nein! Wo denkt ihr denn hin! Ich rede doch nicht vom Bundespräsidenten, das verbietet ja wohl die Würde des Amtes, nein, von Molières genialem „Tartuffe“, dem Urbild des verlogenen Heuchelfrömmlers ist die Rede. Ich empfehle der geneigten Leserschaft, das Reclam-Heft mit Molières bitterer Komödie mal wieder herauszukramen: dreihundert Jahre alt, das Stück, und, wie sich zeigt, noch immer brandaktuell! Darin ist alles gesagt. Und die Idealbesetzung für den „Tartuffe“ wäre…

Aber wo ihr das Thema schon mal aufgebracht habt, Nachbarn: Ich hatte mit der Gattin einen Disput. Sie, die gute, sanfte, verlangt einen Präsidenten, der ethisch-moralisch ein Vorbild ist. Ich hingegen möchte das nicht! Ich hasse Tugendrepubliken! Als Erz-Macho wünsche mir einen Machthaber, einen Usurpator, einen skrupellos machiavellistischen Kulturheroen, der Verbrechen in großem Stil vollbringt, einen Medici, einen Sforza, einen Sarkozy oder wenigstens Berlusconi! Nicht aber ein windelweiches, beschämend defensives Weichei, der irgendwelche Kredit-Petitessen mit subalternen, frechen Journaille-Fritzen noch kleiner redet! Wie beschämend ist das denn!? Ich bin darin Nietzscheaner: Wenn schon Verbrechen, dann in großen Stil, mit emphatischer Geste und mit Aplomb! Hätte er gesagt: „Meine Geschäfte gehen Euch nichtige Schreiberwichte ja wohl einen Scheiß an, Kanaille!“ Ja, dann hätte ich ihn respektieren können!

Aber so? Da sagt aber dieses Mensch, hundeäugig in die Kameras blinzelnd, flehentlich um Liebe heischend: „Man (!) ist ja auch Mensch!“ Wirklich? Daran zweifele ich. Besser, der Windelmann hätte gleich gesagt: „Man ist ja auch nur man…“ – Das hätte dem alten Heidegger (vgl. „Sein und Zeit“, § 27) gefallen:

 „Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß »man« sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. Das Man »war« es immer und doch kann gesagt werden, »keiner« ist es gewesen. In der Alltäglichkeit des Daseins wird das meiste durch das, von dem wir sagen müssen, keiner war es.“

 Man ist ja auch nur „man“! Wahrhaftig. Besser kann man seine Inferiorität, Imbezilität und Indolenz nicht zum Ausdruck bringen! Wäre ich eine tätowierte Frau, und mein Mann hätte nichts bessere zu melden als „man (!) hat ja auch eine Schutzfunktion (!) der Familie gegenüber“ – ich würde den Schwätzer von der präsidialen Luxusbettkante schubsen!

Nein, ich persönlich will keine Mutter Theresa als Präsidentin, und wenn der Mann günstige Kredite und Urlaube erschnorrt hat, ist mir das herzlich Wurst! Was hab ich denn mit dem lächerlichen Privilegien der Reichen zu schaffen! – Aber bitte, Stil! Stil muss er doch haben! Dichter und Maler soll er fördern, großartige Architekten beschäftigen, Prachtbauten initiieren, Atemberaubendes in die Welt setzen! Von den grundbösen, korrupten und gewalttätigen Medici spricht und schwärmt noch heute die Welt. Aber … der?

Dieser Reihenhaus-Zwerg soll uns repräsentieren? – Ich fürchte ja. Tartuffe ist unser Präsident. Besseres müssen wir uns erst verdienen.

Tragikotzteske

20. Dezember 2011

Kim Jong-Un is lookin' at you!

Tragikotzteske? Aber wie soll man das denn nennen, wenn man etwas irre komisch findet, was einen zugleich total traurig macht und das außerdem im Grunde abgrundtief zum Kotzen ist? Gestern die Nachrichtenbilder aus Nordkorea: Das Volk in Klage-Brigaden angetreten zum Heulen und Haareraufen. Einerseits musste ich lauthals lachen, angesichts der unfaßbar laienhaft, fast schon subversiv schlecht gespielten Pappmaché-Trauer in Reih & Glied, die ungefähr so authentisch wirkte wie die geschminkten Warenprachtattrappen, die der Gesalbte Große Führer so unermüdlich zu besichtigen pflegte. Was muss er verehrt worden sein, dieser kümmerliche bebrillte Nacktmull in seiner durchfallfarbenen Popeline-Uniform! Ein Volksvorbeter warf sich sogar auf die Knie und hämmerte mit den Fäustchen auf den Marmorboden eines Platzes ein, wahrscheinlich um als vorbildliches Klageweib groß rauszukommen!

Andererseits wurde mir ganz schwer ums Herz, dass ein stolzes Volk mit eindrucksvoll alter Hochkultur sich derart verblöden und demütigen lassen muss, um kollektiv den Affen zu machen für diesen miesen Wicht, Mörder und Folterfürsten, dem jeder anderthalbte Mensch auf Erden die Pest an den Hals gewünscht hat. Man fremdschämt sich leise seufzend und gruselt sich. Himmel, strahlender Azur! War das zum Speien!

Dabei, beseligende Dialektik des Irrsinns, es besteht gar kein Anlass zu großer Trauer, denn siehe: Es ward ein Nachfolger geboren! Ein Reichsverweser! Kim Jong Un, der feiste Punk im Mao-Anzug, ein schwer mopsiges Diabetes-Mondgesicht, von dem die Geheimdienste greinen, sie wüssten nichts über ihn. Stimmt doch gar nicht! Wie die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur vermeldet, wurde diese Made in Eigenspeck „vom Himmel geboren“! – Schade, dass er nicht vom Himmel gefallen ist – ein Fettfleck im Stadtzentrum von Pjöngjang wär doch ein hübsches Befreiungsdenkmal. (Mir ist gerade aufgegangen, wie wahnsinnig politisch Joseph Beuys’ „Fettecke“ damals gewesen ist, und wie prophetisch.)

Man muss sich das Foto von dem Knilch mal richtig anschauen – ein Meditationsbild! Nein,  vielmehr ein Suchbild! Wo nur hat man je eine solche plump arrogante, blickdicht dumpfe, fischkalt fiese, verschlagene Killer-Fresse schon mal gesehen? Ach ja, der Türsteher von der Shanghaier Triaden-Bar „Zur Goldenen Wasserfolter“, stimmt, der sah so ähnlich aus. Ich weiß, Vater Lavaters gute alte Physiognomik steht nicht mehr hoch Kurs. Aber diese Visage? Kommt, Leute, ehrlich, jetzt mal in echt!

Angeblich ist der Mongo-Molch in der Schweiz ausgebildet worden. Fragt sich, in was. In Geld-Verstecken? Tausend Taschenmesser-Torturen? Schoko-Wettfressen? – Ach, ich merke, ich echauffiere mich. Du sollst nicht unflätig werden, heißt es in der Bibel. Schließlich besteht kein Anlass zur Hochmut: Wir Deutsche wissen ja, was es heißt, einem Irren zu folgen. Aber gleich eine Dynastie draus machen? Bei der Himmelssturzgeburt vom Hl. Kim-Vater sollen zwei Regenbogen am Himmel gestanden haben. In Braunau am Inn war es ein riesiges Hakenkreuz. Auf Zeichen des Himmels ist Verlass. Wenn man sie denn zu deuten wüsste.

Gott ist tot (Schalck beiseite)

4. Dezember 2011

Let's all drink on the death of a clown (Bis auf Weiteres)

Man denke sich diesen Text mit Chopins Trauermarsch unterlegt oder mit Gustav Mahlers 5. Sinfonie in cis-moll, speziell mit diesem einen Satz, der so klingt wie eine monumentale Elefanten-Beerdigung: In Deutschland, dem Reich der Träumer und Trinker, herrscht Staatstrauer. Der Dreischritt des Entsetzens: Erst hieß es, Gott sei tot, dann verschwand Guttenberg und jetzt der finale Todesstoß ins Herz des Kartoffelgemüts – Thomas Gottschalk verlässt „Wetten das…?“! Nach fünfzig Jahren ist jetzt Schluss. Seit Monaten barmen die medialen Klageweiber schon darob, aber jetzt ist es endgültig und unerträgliche Wahrheit. Bitternis macht sich breit wie Methanol im gepanschten Wodka, die Nation ist tränenblind und möchte nur noch sterm: An der Stelle der sog. „Großen Samstagabend-Unterhaltung“ klafft nun ein schwarzes Loch, das uns alle verschlingen wird. Ungehört verhallte der verzweifelte Ruf nach einem Nachfolge-Messias, einem Reichshumorverweser resp. neuen Großwesir der Volksunterhaltung. Der Himmel blieb stumm und kalt.

Mich dauert das Volk und ich fühle ohne schadenfreudigen Hohn mit ihm, auch wenn ich persönlich diese Sendung aus Fremdscham und Langeweile nie länger als max. fünf Minuten anschauen konnte. Ich meine, war das jemals etwas anderes als ein monströs aufgeblähter, sauteuer Hype-Kindergeburtstag, an dessen Tellerrand als Garnitur und Deko allerhand tumbe Promis ihre neue CD, ihr Buch, ihren Film oder ihre neue brustoptimierte Zahnpasta-Queen in die Kamera hielten? Mir schien Gottschalk immer ein Mann ohne Charisma, Charme und Eigenschaften, außer der einen ebend, dass ihm nie nix peinlich war. Wem nie etwas peinlich ist und wer komplette Schamfreiheit mit rückhaltlos extrovertierter Rampensauhaftigkeit verbindet, dem steht alle Welt offen, die Welt der Politik, der Unterhaltungssumpf oder der Arsch, egal, macht nichts, versendet sich und ist eh komplett wurscht. Außerdem, nicht zu vergessen, hatte er das ungeheuer lustige Talent, jedes Mal frappierend geschmacklose Outfits zu tragen, buntscheckige Höschen, alberne Joppen und beknackte Rüschenhemden. Seine flusige Blondhaarperücke kam verschärfend hinzu.

Was kaum jemand in Deutschland weiß: Ich habe mal eine halbe Stunde lang im Foyer eines teuren, sternesplitternd geschmacklosen Berliner Parvenue-Spesenritter-Hotels, in das ich durch die glamouröse Berufstätigkeit meiner Gattin eher unbefugt hineingeriet, neben Thomas Gottschalk gesessen! Und, und? Hat mich seine Aura aus dem Polstersessel geschleudert? Nicht wirklich. Er erschien mir mindestens so dröge, humorlos und stinkstiefelig wie ich selber. Dem in mir fast unwiderstehlich aufkeimenden Wunsch, von ihm ein Autogramm zu erheischen, widerstand ich aus Geschmacksgründen, schade insofern, als es bei E-bay bestimmt ein hübsches Sümmchen eingebracht hätte. Aber ich bin eben nicht schamfrei.

Zum Schluß hielt Herr Gottschalk eine ergreifende Rede, mit tragischen Musikakkorden dabei, und als die Tränen im Publikum sturzbachhaft durchs Saal-Gelände rannen, sprach er dann doch das erlösende Wort: „Wahrlich, ich sage Euch: Ich komme bald wieder!“ Sicher, ein gewisser Jesus hatte das vor 2000 Jahren auch schon versprochen und wir harren der Wiederkunft des Messias noch heute, mit wachsender Frustration. Es steht zu befürchten, dass uns „Thommy“ weniger lang warten lässt. Sein Grab wird in drei Tagen leer sein – „Wetten dass…?“ Ha, ha, launiges Wortspiel, ungefähr so nahe liegend wie die doofen Sprüche des Unterhaltungsclowns.

Sind wir nicht alle ein bisschen Jude?

28. November 2011

Karl Kraus und Henryk M. Broder ermitteln: Eine jüdische Großmutter haben wir doch alle!

Man soll den Namen des Herren nicht missbrauchen, ich weiß, aber: Gott steh mir bei und erwecke mich wieder! Kürzlich wurde ich von einer Netzbekannten angegangen, warum ich immer am Islam nörgle, aber selten an den Christen oder am orthodoxen Judentum. Antwort: Nu, nebbich, sind halt meine Leit! Außerdem, was letzteres angeht: Warum denn? Alte Leute ziehen komische Hütchen auf, binden sich Handtäschchen um den Arm, schaukeln hospitalisierend hin und her und singen unrhythmische Lieder. Warum soll ich das kritisieren? Weil es so uraltehrwürdiges Brimborium ist? Phhh, muss ich denn mitmachen? Ich spreche nicht mal Hebräisch; eine Unterredung mit JHW wäre definitiv ein unter atmosphärischen Störungen zerbröselndes Ferngespräch mit einem sehr, sehr entfernten Verwandten, einem Urgroßonkel etwa, der es in äußerst begrenzten Arealen Israels evtl. regnen, blitzen oder donnern lässt.

Mitmachen muss ich freilich das parareligiöse Ritual des allsonntäglichen Tatort-Guckens. Das ist ein Gebot des Herrn, bzw. der Gattin, die es nicht ausstehen kann, wenn ich beim Heiligen Krimi-Dienst mal kurz wegdämmere. Egal, wie strunzdoof und grottenlurchlangweilig sich das Geschehen am Rande vollständiger Stagnation hinschleppt; unbeschadet der krudesten Plots, der debilsten Klischees und komplett spannungsfreien Beton-Dramaturgien öffentlich-rechtlicher Geistesverkümmerung – blanken Auges staunend und hellwach soll ich den hölzernen Dialogen lauschen, die man vor Überdruss schon ganz erstarrten Mimen ins Hirn gedübelt hat, soll bestürzend öden Vorhersehbarkeiten und entsetzlich magersüchtigen Scherzen Interesse abgewinnen und auch noch ausdauernd wissen wollen, wer der Mörder ist, auch wenn mich das zumeist einen Scheiß interessiert.

Generell seh ich dem Sonntag also eh mit Blümeranz entgegen; ob ich das durchhalte? Wenn ich zum Essen schon zwei Glas Wein getrunken habe, und das lässt sich aufgrund der guten Küche daheim selten vermeiden, muss mich ein Fernseh-Krimi schon zu fesseln vermögen, und sei es durch Originalität oder Spannung. Heute aber war es mal wieder eine Tortur! Volle viereinhalb Stunden dauerte der Tatort, was die Gattin aus apologetischen Gründen natürlich bestreitet, und es nahm der Ödnis kein Ende. Seit dieser Märznacht 2007, als die ARD nachts eine Zugfahrt von Oranienburg-HBF nach Zwickau-Ost übertrug, hab ich nichts Nervenverzehrenderes, Ennuierenderes und Blutdrucksenkenderes mehr gesehen. Die Handlung, wenn man das so nennen will, war so spannend wie ein Filzkügelchen im Bauchnabel, fade wie feuchtes Graubrot und zäh wie alter Pizzateig. Heroisch kämpfte ich mit dem Schlaf, konnte aber nicht immer gewinnen.

Damit aber nicht genug. Die Politkommissare, Justiziare, Sozialpädagogen und volkserzieherischen Berufsgutmenschen der öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalt hatten sich zusammengesetzt und sich gesagt: Jetzt packen wir einfach mal ein hochbrisantes Thema an: den Juden nämlich! Der Jude ist bekanntlich ein heißes Eisen! Wir machen das aber ganz, ganz unverkrampft und betont ausgewogen. Damit uns der Jude, der bekanntlich die Medien beherrscht und habituell zu Empfindlichkeiten neigt, nix kann, streuen wir jede Menge Schulfunk-Belehrungen ein („Das Judentum ist eigentlich keine Religion“) und zeigen ihn als was? Genau! Als ganz normalen Menschen! Auch der Jude nämlich, wer hätte das gedacht, schwängert seine Geliebte, lügt, betrügt, schubst Fieslinge die Treppe hinunter und verrät andere Juden (was ihm allerdings nicht gut bekommt: Er wird gerechterweise gemeuchelt, denn der Jude richtet bekanntlich „Auge um Auge, Zahn um Zahn“). Auch der Jude, stellen wir emanzipiert-erleichtert fest, ist ein Schlawiner, ein Verdächtiger, ein zurecht von der Polizei Observierter! Das meinen wir aber gerade eben nicht anti-semitisch, sondern total integrativ: Der Jude ist auch bloß wie wir. Nach 65 Jahren hat er das Recht auf eine gewisse Durchschnittlichkeit.

So viel Mut fordert natürlich seinen Preis: Schlotternde Knie, Angstschweißperlen auf der Stirn, Schwindelgefühle. Was wird der Zentralrat sagen? Wird „Haaretz“ einen Artikel bringen? Broder intervenieren? Na ja, ARD eben. Also lässt man den Rebbe zwischendurch allerhand Weltanschauliches und Pseudo-Philosophisches aufsagen, und der bayrische Kommissar zeigt auf seine lange Nase, um anzudeuten, dass die Deutschen letztlich eventuell, wer weiß das schon, auch nur Juden sind. Wer noch nie in einer Synagoge war oder in a Schul, der bekommt noch gezeigt, dass der Jude, wenn er unter sich ist, zwar exotische, aber im Grunde harmlose Bizarrerien pflegt. Dass man dort Christenkinder schlachtet, ihr Blut trinkt und aus ihrem rosigen Fleisch Mazze macht, wurde dankenswerterweise dezent ausgespart. Außerdem wurde so oft „Shalom Shabbat“ gesagt, dass einem ganz muggelig zumute wurde! Fazit war jedenfalls nach mehreren Stunden, dass der Jude zwar befremdlich, aber sonst ein ganz okayer Mitbürger ist, der gar nicht möchte, dass man sich bei ihm permanent für den Holocaust entschuldigt. Selbst der jüdische Mörder „Aaron“ konnte für seinen Mord nichts dafür, weil er behindert war, was irgendwie damit zusammenhing, dass seine Eltern in Israel bei einem Selbstmordattentat zu Tode kamen und er von einem Rabbiner aufgezogen werden musste, was natürlich strafmildernd wirkt. Zum formidablen Schluss, ich biss schon in die Tischkante, fuhr der Münchner Kommissar endlich mal nach Dachau, um sich moralisch dekontaminieren zu lassen.

Spät in der Nacht aufgewacht, hatte ich zwei Dinge besser begriffen: Warum der katholische Jude Karl Kraus fand, dass „gut“ das Gegenteil von „gut gemeint“ sei und wieso der atheistische Jude Henryk M. Broder behauptet, Philosemitismus sei die andere Medaillenseite des Anti-Semitismus. Die Gattin war trotzdem nicht amüsiert. Wenn  ich laut schimpfe, nervt sie das; wenn ich meine Kritik subtil und gewaltlos durch kommentarloses Einschlafen äußere, genügt ihr das auch nicht.

Nächstens werd ich mal ernsthaft eine Polemik gegen das orthodoxe Judentum erwägen, um meinen Islam-Fans eine Freude zu machen. Der Gesang in der Synagoge ist ja nun wirklich voll uncool! Ferner gelobe ich, irgendwann eine Kipa aufzusetzen und dem unbekannten Gott dafür zu danken, dass er mich nicht unter die öffentlich-rechtlichen Pharisäer geschmissen hat! – In diesem Sinne, Nachbarn: Nächstes Jahr in Jerusalem!

Heiliges Deutschland

11. November 2011

Ich bin auch nicht Goethe.

Normalerweise, wenn ich allein bin und des nachts am iMac TV gucke, mache ich das still und unbewegten Gesichtes mit mir selber ab. Mir selbst gegenüber wahre ich in der Regel überhaupt ziemlich stoische Contenance, d. h. ich trage Schlafanzüge mit Bügelfalte, putze mir vor dem Lachen die Zähne und schnäuze mich, wenn überhaupt, in edle Batisttücher, die mein gesticktes Monogramm tragen. Selbst vor dem Spiegel betrachte ich mich grundsätzlich nur korrekt bekleidet, falls das jemanden interessiert. Wer mich als irre kichernden, haltlos wiehernden, vor hirnschwurbliger Besoffenheit schier schon fast sabbernden Hysteriker erleben will, der lauthals mit dem toten Medium Fernsehen redet, nun, der muss mich schon vor eine ganz, ganz besondere Sendung setzen. Eine solche Sendung, die mich in den Zustand komplett zurechnungsunfähiger Exaltiertheit versetzen vermag, ist die alljährliche Bambi-Preis-Verleihung der Burda-Medien-Mafia! Abgefahreneres gibt es im gesamten deutschen TV-Zoo nicht!

Erstmals komplett ausgetickt bin ich schon beim letzten Mal Gucken, als der Scientologen-Spinner und notorische Minderschauspieler Tom Cruise den „Bambi für Zivilcourage“ bekam, und wofür? Weil er den Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg zu spielen gewagt hatte! Was für ein angstfreier Zivilcouragierter! Die Verwechslung von Spiel und Realität war damals derart zwingend, dass besagter US-Schauspieler irgendwann, nach einer langen, wirren, bekifften Rede, am Ende selber an seine Rolle glaubte und seine denkwürdige Burda-Bambi-Dankesrede mit den letzten Worten des Widerständlers endete: „Es lebe das Heilige Deutschland!“ Wie wahr! So würde ich das auch sagen. Das Heilige Deutschland!

Die Heilige Deutsche Burdarepublik besteht prima vista aus gefaketen Titten, toupierten Hohlköpfen sowie viel kalter Sülze mit Makeup. Der knallkrachkrasse Coup der „Preisbeschmeißerkreise“ (W. Röhl) war natürlich die Verleihung des „Bambi für Integration“ (!) an die deutsch-tunesische Türsteherfresse, den antisemitschen, antiamerikanischen Frauenhasser, Schwulen-Basher und rappenden Immobilienhändler Anis Mohamed Youssef Ferchichi, der sich „Bushido“ nennt, was insofern falsch ist, weil es übersetzt gar nicht „Der Weg des Arschlochs“ bedeutet. Selbstredend ist das ganze Geddo-Gangsta-Getue ebenfalls nur fake, das Gepluster von Catchern, Kirmes-Boxern und Schiffsschaukelbremsern. In seinem Dankesgestammel beschwor das Großmäulchen seine Mutti, die bezeugen könne, dass er ein „guter Junge“ sei. Darauf einen alkfreien Schnaps!

 PS: Den Bambi für Selbstreflexion bekam die Schauspielerin Veronika Ferres für ihren Satz: „Ich bin nicht Goethe“. 

Im Stuhlkreis der Unbetroffenen

12. August 2011

Teile der britischen Gesellschaft sind krank, kriminell und moralisch verwahrlost!

Milde mit den Köpfen wackelnd sitzen wir Alt-Revoluzzer um den Fernseher und gucken schön Vandalenrandale. Manch einer von uns seufzt erinnerungsselig und knetet tatendurstig das Sofakissen. Wie lieben wir den Duft von Benzin und Tränengas am Abend! Traulich fassen wir einander an den Händen und summen die alten Lieder: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, „Streetfightin men“ oder „La-hasst doch der Juhu-gend ihren Lauf“. Sich zusammenrotten, brandschatzen, plündern, mit gefährlichen Sachen schmeißen, – das sind zweifellos uralt bewährte Kulturtechniken, mit denen seit dem Neolithikum junge Männer ihren Testosteronüberschuss abarbeiten. Auch in der Steinzeit war ja nicht alles schlecht! Seit Homers Epen gehört Raub und Brandschatzung zum europäischen Kulturerbe. Nebst Vergewaltigung und Mord liegt uns das Plündern als Erwerbszweig halt im Blut, und wegzuschleppen ist ja immer was. Heute sind wir uns einig: Der Kapitalismus muss weg! Aber wohin? Am besten trägt man ihn, etwa in Form von Flachbildfernsehern und Laptops, erstmal nach Hause, dann mal gucken, was man davon verticken kann.

Ein bisschen Kritik regt sich allerdings dann doch. Die britische Jugend scheint, vermutlich, weil man ihr geschichtliche Bildung vorenthält, sichtlich irregeleitet. Zwar ist es nur allzu selbstverständlich, dass man sich, als Opfer des Systems, wenn einem andere Wege zur Bereicherung verschlossen bleiben, auf gewaltsamen Raub verlegt, doch, wie man schon bei den alten Griechen lernen kann, der gute Sinn und die Logik des Plünderns liegt ja nun doch darin, dass man andere, fremde Nachbarn ausraubt – und nicht die eigenen Quartiere in Brand steckt und sich gegenseitig beklaut. Tut uns Leid, bildungsferne Schichten: Auch Plündern will gelernt sein!

Regierungschef Cameron hat festgestellt, Teile der britischen Gesellschaft seien krank, kriminell und moralisch verwahrlost. Das hatte man beim Anschauen der letzten englischen Fürstenhochzeit auch schon gedacht, aber natürlich meinte Cameron nicht diese Teile der Gesellschaft, die dem verwahrlosten lumpenproletarischen Mob, den sie Jahrzehnte lang herangezogen haben, jetzt fassungslos beim Marodieren zuschauen. – Einer in unserer Runde kramte dann noch seine alte Mao-Bibel heraus und rezitierte daraus die Anweisung: „Gebt Bekanntmachungen zur Beruhigung der Bevölkerung heraus!“ Pah, längst erledigt! Der deutsche Innenminister wurde zeitnah und, haha, proaktiv den Vandalen zugeschaltet und bewies väterliche Beruhigungskompetenz – bei uns könne so etwas wie die Londoner Krawalle nicht passieren. Wieso? Ganz einfach. Wir lassen den Mob aus England gar nicht erst herein.