Archiv für Februar 2010

„Spätrömische Dekadenz“? Westerwelle im Amok-Koma

26. Februar 2010

Im dekadenten Rom gab es noch intelligente Politiker: L. Ae. Senbeca (ca. 1-65 n. Chr.)

Seine Tollität Prinz Guido! Was man alles von ihm lernen kann! Das Geheimnis des Erfolges zum Beispiel: Nie, aber wirklich niemals darf dir irgend ewas peinlich sein: Entblöße dich als unterirdischer Ego-Krüppel, nerve deine Mitmenschen ohne Gnade und Rücksicht mit dummem Geschwätz, krähe den allerletzten populistischen Mist in die Mikrophone – aber stehe dazu! Finde dich selber grandios, dann tuts der Depp auf der Straße auch! Herr Dr. jur. Guido Hetzerwelle wird schon wissen, was es mit der „spätrömischen Dekadenz“ auf sich hat. Warum soll die sympathische Aknehackfresse aus dem Rheinland das denn nicht wissen? Er war doch auf dem Gymnasium, wenn auch nur als Klassenclown. Außerdem sieht er selbst ein bißchen aus wie Nero, oder wenigsten wie Blondie, Hitlers berühmter kruppstahlblauäugiger Pitbull-Pudel. Spätrömische Dekadenz! Da gings zu wie bei Hempels! Da aß man die Wurst ohne Brot, und das arbeitslose Pack fraß Kuchen! Da versoff man skupellos Oma ihr klein Häuschen, ernannte sein Pferd zum Senator, hofierte Hoteliers und Apotheker, und die dekadenten Politiker waren alle schwul! Ent-setz-lich! Genau fast wie heute!

Da nach Karl Kraus manche Sätze so falsch sind, daß nicht einmal ihr Gegenteil stimmt, habe ich mal in meinem Archiv gekramt und einen Vortrag hervorgeholt, der sich etwas präziser mit jener Zeit beschäftigt, mit den Verhältnissen unter dem brutalen Tyrannen Nero, und mit welcher Taktik man zu überleben versuchte. Im Mittelpunkt steht der berühmte Philosoph Lucius Annaeus Seneca, Lehrer, Mentor und zweitweilig politischer Stelltvertreter des Kaisers. Senecas stoische „Lebenskampfkunst“, eine subtile Defensivstrategie zur Bewältigung des Terrors und der Angst unter der Diktatur, ist noch heute spannend und aktuell. Daß man – gerade zur Zeit der „spätrömischen Dekadenz“ – Politiker und trotzdem intelligent, wenn nicht sogar weise sein konnte, Seneca bewies es…

Der Text von Reinhard Haneld steht im denkfixer-Blog als pdf-Datei zum Herunterladen und Ausdrucken bereit. Es gelten die üblichen OpenSource-Bedingungen.

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Neue Männer: In der Nasch-Anlage

22. Februar 2010

Orientierung noch unentschieden: Geflügelter Knabe (Caravaggio)

Momentan tagt, unter heftigem Blitzgewitter und Geschwätztsunami der Medien, ein„Männer-Kongreß“ in Düsseldorf. Das Männer-Bild oder –Ego soll irgendwie renoviert werden oder so. Was soll ich darüber denken? In meinem Kopf herrscht ein kaum begreifliches Durcheinander. Unaufgeräumter als beim Hempels unter’m Sofa. Ich surfe mal auf dieser, mal auf jener Einstellung und schere mich einen feuchten Kehricht, ob sich das nun widerspricht, oder was. Eigentlich ist mir die sexuelle Orientierung genau so wie die pedantische Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht völlig schnurz, nicht nur bei anderen, auch bei mir. Gerade bei mir. Seit ich mir zu meinem 7. Geburtstag eine „Negerpuppe“ wünschte, und sonst nur Bücher, lebte mein Herr Vater, homophob wie nur irgend ein Scheich von Abu Dingsda, in der peinigenden Sorge, sein Stammhalter könnte womöglich „eine Schwuchtel“ werden. Tja, nebbich. So war er halt, mein Macho-Vati! Seine Rede war schlicht und biblisch: Ja, ja und nein, nein.

Meistens letzteres. Künftige Aufstände probend, ließ ich ihn daher kaltherzig in dem Glauben, ich sei tendenziell schon ein wenig arg mädelhaft geraten. Pöh! Na und? Mir doch egal! Auf ewig ein anmutig liebreizender, vorpubertärer, androgyner Elfjähriger, mit hohem IQ und gesegnet mit einer geradezu furchterregenden Neugier und Offenheit für alles, was Spaß macht: Das wärs, und das wär ich verdammt gern geworden bzw. auf immer geblieben. Äußerlich habe ich mich von diesem Ideal leider verabschieden müssen. Mist, Mist.

Andererseits, ausgerechnet ich, Sympathisant der radikalfeministischen Rebellion gegen die Zwangseinweisung in eine binäre Hetero-Sexualität, sorge ich mich in einem einzigen Punkt trotzdem häufig um meine Männlichkeit. Insgeheim, ohne recht zu wissen warum, halte ich meine Neigung zu Naschwerk irgendwie für unmännlich, genauso wie Nutella-Schnittchen, Duft-Kerzen und Batik-Hemden. Trotz meiner Nonchalance wäre es mir unangenehm, stünde auf meinem Grabstein gemeißelt: „Er war eine Naschkatze“! Obwohl ich genau das wohl bin. Exotische Nüsse, schwedische Hafer-Kekse, britische Ingwer-Kringel (Gingerbread), Rice-Crispies aus Indonesien, Erdnuß-Locken von Bahlsen, banale Salzbrezeln: Steht derartiges auf dem Tisch, bin ich nicht mehr zu bremsen. Ich nasche, knuspere, knabbere und kaue wie ein Suchtkranker! Ohne Hemmungen! Peinlich, oder? Ich meine, hat man John Wayne je Nüsschen knabbern sehen? Ernest Hemingway? Oder Rocky (I-IV)? Rambo etwa? Sie alle schienen Nüsschen und Kekse zu verschmähen und starben aufrecht in ihren Cowboy-Stiefeln, ungesüßt und unvernascht, Ikonen 100%iger machistischer He-Männlichkeit. Ich hingegen nasche und finde, unentwegt knabbernd, MusikerInnen wiek.d. lang oder Antony (von Antony and the Johnstons) gut, die etwas frappierend Unmännliches und Unweibliches an sich haben, und zwar irritierenderweise jeweils beides zu gleicher Zeit.

Aber wiederum andererseits: Meine orientalischen Freunde, in Male/Female-Dingen ansonsten extrem pingelig und ehrpusselich bis zur Zwangsneurose, haben mit Naschwerk überhaupt kein Problem. Nahezu pausenlos werden bei denen zuhause zum Tee Pistazien, Pinienkerne, Cashew-Nüsse, Sonnenblumenkerne oder Röstmais gereicht und umgehend verknuspert, pfundweise, und zwar gerade von Männern! Jederzeit auch gern Studentenfutter, Trockenobst, Kichererbsen, Mandelkern und Haselnuß, ohne Scheu und Scham, mit dicken Backen und Krümeln im Schnauzbart. Ich schwör.

Die Dealer hab ich jetzt getestet: Das Ehepaar Müzeyen und Mustafa Özkan betreibt hier im Viertel das „Param kuruyemışleri“ (in etwa: „Meine Währung: Studentenfutter“), ein Fach-Geschäft für im eigenen Laden frisch geröstetes Nussnaschwerk, getrocknete Früchte und sonstiges Knabberzeug. Meine Freunde sind nämlich keine Kümmel-, sondern eher Knabber-Türken.

Schon vor dem Schaufenster umweht einen der betörend rassig-nussige Duft frisch gerösteter Erdnüsse. Drinnen steht man vor der Glasvitrinen-Parade und fängt, um Zurückhaltung bemüht, erstmal ganz vorsichtig an: „Gehm’se domma bitte hiervon hundert Gramm!“ Aber Herr Özkan beobachtet die lüstern hin und her schweifenden Kundenblicke genau, und zack! streckt er einem ein Schäufelchen von diesem und jenem Leckerkram zum Probieren entgegen. Und schon geht es los. Die Hemmungen fallen. Hiervon noch, und einen Beutel davon, und was, bitte, ist dies hier? Herr Özkan schippt und schaufelt gleichmütig, was die Vitrinen hergeben und gibt nur noch lakonisch zwischendurch den erreichten Preis an. Der ist überraschend niedrig, was einem prompt die letzte Zurückhaltung nimmt.

Mit einer prall gedrehten Nasch-Tüte verlässt man die Naschanlage. Manno, denkt man, wer soll das denn eigentlich wieder alles essen? Zuhause angekommen, entsteigen die betörenden Röstnussdüfte und Orient-Aromen dem knister-knusperigen Beutel – und die Frage hat sich bereits erübrigt.

Das man nicht gleich direkt aus der Tüte futtert, sondern kultivierte Porzellan-Schälchen auffüllt, ist ein bemerkenswertes Zugeständnis an die Zivilisation, – aber dann wird genascht und geknuppert, bis man nicht mehr weiß, ob man Männchen oder Weibchen ist. Ob ich der vom Düsseldorfer Kongress dringend gesuchte „Neue Mann“ bin? Iwo, nee, ich fürchte, ich bin bloß ein Nasch-Pappi.

Gewalt geschrien! (I prefer not to)

19. Februar 2010

Ein bißchen Friedens-Aufrüstung schadet nicht (Verfasser im Stadtpark)

Wartet mal bitte kurz! Eine Umfrage erreicht mich gerade aus den unergründlich seichten Weiten meiner Hirnwindungen: Sollte ein älterer Herr, der nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße geht, sagen wir, um Homies in seiner Hood zu treffen, oder weil noch ein Fläschchen Kräuterbitter einzuholen ist, oder meinetwegen auch, weil er spät abends noch einen – handschriftlich mit Pelikan-Füller auf vanille-patschuli-aromatisiertem Büttenpapier verfassten – Amouröschenstrauß zum analog-verschnarchten Schnecken-Postkasten bringen möchte, um seine anbetungswürdige Herzensdame bzw. seinen heute (vgl. Wowereit, Westerwelle u. dgl.) ja auch durchaus akzeptierten Herzensherrn mit einem altmodischen Gruß zu beglücken, – sollte ein solcher der Bürgerlichkeit vulgo Zivilisiertheit zugetaner, gesetzter, eher uncooler Herr also – eigentlich bewaffnet sein? Ich lasse diese Frage hier im Raum stehen und erstmal wirken…

So. Die Wirkung wird allmählich eingetreten sein, oder? – Obwohl ich nicht in einem der einschlägig schlägerverseuchten Münchner S-Bahnhöfe, sondern einem von Sozialpädagogen betreuten Hundert-Nationen-Quartier wohne, möchte ich die brisante Frage, als Kontroverseschmied, der ich nun mal bin, mit einem herzlichen „Ja! Unbedingt!“ beantworten. Uijuijuiii! Schon sehe ich mich hart, aber unfair an den von Gutmenschen handgezimmerten Pranger (Holz aus gar. ökolog. Anb.!) gezerrt. „Oi weh, Gewalt jeschrien!“ jammert mein Lieblingsrabbiner Weinstock; Landesbischöffin Käßmann verlangt meinen sofortigen Abzug aus Abhängisthan, und Horst-Eberhard Richter drängt mich sanft, aber pädo-gogisch wohlmeinend auf seine Analyriker-Couch. (Nur Onkel Hodscha Kavrayış Kıt Efendi schweigt düster; in seiner Gemeinde wird die Gewaltfrage halt noch diskutiert…)

„Mönsch, komm’ma donnich mit diese Macho-Scheiße!“ schreiben mir, ohne süßliches Patschuli-Aroma, meine säuerlich-feministischen Leserinnen. „Gewalt, Gewalt, Gewalt! / ist doch  keine! / Löö-öö! – sunkk!“ skandieren sie unter auf der Straße, unter meinem Fenster. Mit Sprechchören kann man schlecht diskutieren, sonst würde ich wohl einwenden: „Doch, doch, aux contraire, mes chères, Gewalt ist sehr wohl eine Lösung, vielleicht nicht die beliebteste, sehr oft aber die effizienteste!

Gesetzt den Fall, ich absolvierte im Park gerade meine Tai-Chi-Übungen oder trainierte dort Zen-Bauch-Atmung mit Tiefenentspannungseffekt, und plötzlich stünde eine stattliches Grüppchen Jungspunte um mich herum, um mich „abzuziehen“: Handy, Bargeld, Kreditkarte, „oda isch mach disch kald, Alda!“. Welche Optionen habe ich? Ich könnte mich auf mein Sprachtalent verlassen und etwa, den Anführer scharf ins Auge fassend, fauchen: „Bana rahat birak, budala kafir! Defol savuş git, orospu coçuğu!!!“ Wenn ich die Kehl- und Rachenlaute etwas arabisch gefärbt aspiriere, etwa so, wie man das in der Gegend von ŞanlıUrfa spricht, kommt das schon ganz gut. (Wirkt aber  trotzdem nicht so durchschlagend wie Pfefferspray oder High-Voltage-Shocker-Taser.) Klar könnte ich auch spontan auf deutsch sagen: „Wenn ihr euch nicht sofort zu Mutti verpisst, ihr kleinen Wichser, kriegt ihr eine geschallert, daß euch die Ohren bluten!“ Auch nicht schlecht, so ein patziger Platzpatronensatz, oder? Ist aber sprachlich gesehen möglicherweise zu anspruchsvoll und benachteiligt jugendliche Straftäter aus dem Migrantenmilieu. Und die haben’s ja schon schwer genug.

Andere Option: Ich wäre, was man mir nicht ansieht, weil man vielleicht denkt, ich sei bloß eine armselig berentete, diabetesbedingt übergewichtige (vgl. Alkohol!) Bandscheiben-Scheiblette, in Wahrheit ein praktizierender Teilzeitasiate: Mit den Fäusten zwar nicht schneller als der Schall (vgl. Bruce Lee!), aber immerhin doch schneller, als man denkt. Bei dieser Option können die jungen Deutschländer-Lehrlinge jetzt Glück oder Pech haben. Glück: Ich bin ein sanfter Aikido-Mann: Aikido ist eine Art japanischer Konflikt-Tango, bei dem der Angreifer, was immer er tut, nach kurzem Tanz bedeppert auf dem Boden sitzt und grübelt, wie ihm geschehen ist. Pech: Ich wäre evtl. ein böser, zorniger alter Mann, ohne Skrupel, aber sehr, sehr aufgebracht und zudem ein Gegner von Straßenkriminalität; außerdem beherrschte ich nach jahrzehntelange Übung die Künste des Dim Mak. Dies mit chinesischen Frühstücksköstlichkeiten zu verwechseln („Dim Sum“), wäre fatal, eventuell tödlich. Dim Mak nutzt die asiatischen Kenntnisse der Akupressur, um Menschen mit bloßen Händen zu lähmen oder zu töten bzw., in leichteren Fällen, ihnen unfassbare Schmerzen zuzufügen. Dim Mak. (Mit dieser Technik killt die „Braut“ in Tarantinos „Kill Bill II“ im final showdown den Killer Bill).

Während ich euch mit solchem wertvollen Wissen ausstaffiere und voll ballere, steht der versammelte Leistungskurs „Jugendkriminalität“ immer noch nervös um mich herum und wartet, welche Option ich denn nun wohl wähle, den verbalen Tiefschlag, den Defensiv-Tango oder die koreanische Naturheilpraxis mit Todesfolge. Ich denke, ich würde das von Fall zu Fall entscheiden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel will ja bedacht werden, auch das Staatliche Gewaltmonopol. Doch, doch, kurz bedacht muß es schon werden – es in Anspruch zu nehmen, würde allerdings leider in den meisten Fällen zu viel Zeit kosten.

Bevor ihr euch jetzt mit mir begeistert auf den street-fighter-Kriegspfad der kriminalitätspräventiven Friedensmission  begebt, muß ich noch eines klarstellen: Um präventive und defensive Gewalt effektiv, zielführend und ästhetisch befriedigend anwenden zu können, heißt es erstmal üben, üben, üben! Ich kenne Menschen, die mussten erst drei Jahre lang bei ihrem Meister die Stube fegen und Miso-Suppe kochen, bevor sie trainingshalber das erste Mal mit den Fingerknöcheln gegen Betonwände donnern durften! Um ein gefährlich böser alter Mann zu werden, bedarf es also, wie der Begriff schon sagt, langer Zeit, viel Bosheit, Männlichkeit (auch bei Frauen!) sowie prinzipielle Gefährlichkeit (siehe auch unter: Gewaltbereitschaft).

So, und wenn ich euch das Üben schmackhaft gemacht habe, wendet euch bitte an den Budoten Limited Kampfsport Versand. Dort bekommt ihr sämtlichen Kampfsportbedarf, von Aikido bis zur Ninja-Attentatslehre, vom Kampfanzug bis zum Wurfstern, vom Aikido-Hakama bis zur Zwille alles, was der Kampfkünstler braucht, schnell, zuverlässig, preiswert. Ein kompetenter Fachhandel ist das! Deckt euch dort ein, übt schön, und genießt es, wenn ihr dereinst, aufgefordert, euer Handy abzugeben, seelenruhig mit Melvilles Schreiber Bartleby entgegnen könnt: „I prefer not to“ – „Ich möchte lieber nicht.“

Selbstbeweihräucherung, sozialverträglich

11. Februar 2010

Fürs Ego unerläßlich: Weihrauch

Eine der wenigen befriedigenden, zicken-freien Zwischenmensch-Beziehungen, die nicht in Kummer-Blues und fies verdüsterter Seelen-Verkaterung zu enden drohen: Selbstverknalltheit! Ich empfehle das! Mit sich selbst hat man totsicher eine lebenslange Affäre. Gut, zwar hab ich mich auch schon mal selbst betrogen, aber – bislang bin ich jedesmal reumütig zu mir zurückgekehrt! Mit mir raufe ich mich immer wieder zusammen, denn ich bin ja ein Typ, mit dem man Pferde stehlen kann! Ich (297) bin dufte, knorke & hip: außerdem Nichtr., schlk., tol.,  unkomplz., sportl., humorv. und Akadem.!

Mich mag ich nicht nur um meines Körpers willen, und auch nicht bloß des Geldes wegen! Ich find mich einfach supergut, hach! – „so, wie ich bin“! Um es rundheraus zu sagen: Ich bin wohl im Grunde meine große Liebe! Die Liebe meines Lebens! Keiner versteht mich so gut, keiner kennt meine verborgenen Qualitäten besser und keiner weiß, wie witzig, klug, na ja, seien wir ehrlich: im Grunde genial ich eigentlich bin – niemand leider, außer mir selbst! Nee, ich glaube, jetzt mal im Ernst, ich bin schon ein klasse Typ! Ein Unikat, ein Schnäppchen, ein Sahneteil…

„…Na“, denkt das Publikum allmählich stark verschnupft, „da ist aber mal einer schwer auf dem Selbstbeweihräucherungstrip! Was für ein eminent unerträglicher Blödmann! Das ist ja nicht auszuhalten!“ Tatsächlich nerven ja Zeitgenossen, die unentwegt von sich selber sprechen und einem erzählen, was für unfassbar aufregende Ausnahmeerscheinungen sie darstellen, immens, oder? Sie wirken immer so beklemmend bedürftig, diese Leute, die einem andauernd aggressiv ihr leeres Mützchen entgegenstrecken, damit man ihnen lauter pure Anerkennung oder atemlose Bewunderung hineintut; Anerkennungsbettler berühren unangenehm, schon weil man – unverdientermaßen auch nicht gerade in Ruhm und allgemeinem Applaus gebadet! – selbst gern mal das eigene Ego in der Sonne spazieren führen würde.

Ich persönlich praktiziere eine Form von Selbstbeweihräucherung, die ich für weitgehend sozialverträglich halte; Besucher schnuppern zwar manchmal ein wenig nervös in meinem sorgfältig stilisierten Privat-Ambiente meiner Teilzeitmönchsklause herum und meinen, gewisse Spurenelemente von Eso-Qualm, Hippietum und Baghwan-Zauber zu erschnüffeln, aber als pensionierter Ex-Punk-Rocker der härtesten Sorte bin ich hippiesk spinnerter Verweichlichungen unverdächtig; und dem vorbeischneienden Kriminalhauptkomissar-Schnüffler erkläre ich milde: Oooh, nein! Diese kristallinen Bröckchen sind weder Crack noch Crystal Meth! – es handelt sich bei diesen exotisch-berauschenden Odeurs lediglich um strunz-legalen … – Weihrauch, und den brauche ich, wenn ich meditiere und meine Übungen mit Schwert, Bogen, Zwille, Dolch oder Teebeutel absolviere. Ich bin bekanntlich Hobby-Asiate! Weihrauch reinigt, stärkt, bügelt und faltet das vom Alltag geschundene Ego wieder auf Kante, es verleiht Ruhe und Gelassenheit, stärkt die spirituellen Kräfte (Ki, Chi, Qui oder wie), und zwar  gerade an Tagen, an denen einem mal wieder alles tierisch auf den Sack geht!

Weihrauch kennt, verehrt und benutzt man seit der ur-ersten Alt-Antike. Seit Duft, zeitlos, erhaben und fremdartig, erinnert dich daran, daß du weder der erste noch der letzte Mensch bist. Weihrauch ist, was schon Jehova als Deo benutzte oder auch Buddha und seine Leute, und so weiter. Weihrauch verhält sich ein bißchen zu Gott, wie Veilchen-Parfum zu meiner Oma: Die ihn trugen, sind schon lange tot, aber ein Hauch ist in den Zimmern geblieben, in denen sie dereinst gewohnt haben sollen…

Wenn man nicht gerade das Jesus-Kindlein im Stall zu Bethlehem ist und daher Weihrauch, Myrrhe & Co. vom Lieferdienst der DREI Hl. KÖNIGE nicht frei Haus geliefert bekommt, erhebt sich die Frage: Wo krieg ich denn dieses überaus kostbare Zeugs (das getrocknete Harz des Weihrauchbaums Boswellia) her? Ich bin doch nicht katholisch, außerdem fast nie in Somalia, in Oman, oder gar in Indien? Und kann man das überhaupt bezahlen? Ja, kann man, und dank Globalisierung und Internet bekommt man – was früher Glücksache war und der Job jahrelang unterwegs seiender Kamelkarawanen! – , heute innert drei Tagen  cool geliefert, zuverlässig, aromaschutzverpackt, preiswert und in reichhaltiger Auswahl!

Wer spirituelle Aufrüstung gern durch die Nase zieht, dem empfehle ich, den liberianischen Koks-Dealer mal für eine Weile zu meiden und dafür die legale, seriöse, zuverlässige Firma „Anandam“ zu nutzen. – Auch für atheistsche Historiker geeignet: Wenn ihr mal wissen wollt, wie es in Nomadenvater Moses’ Ziegenfellzelt roch, auf Noahs Arche, oder bei Familie Gautama-Buddha daheim: Anandam hat für euch die passenden Räucherwerke. Gönnt euch das! Legt eine Platte auf, von Leonard Cohen, Nusrat Fateh Ali Khan oder mit Bollywood-Schlagern, lasst euch selbst beweihräuchern und träumt von großen Dingen! Badet den Orient! Schaumbad für die Seele: Weihrauch!

Name-Hopping, Shop with no cheer, mieses Karma

9. Februar 2010

Karma, noch brutto

Wer erinnert sich? Vor 19 Jahren erschütterten zwei epochale Umbenennungsnachrichten die geistige Welt Mitteleuropas: Leningrad wurde wieder in St. Petersburg umgetauft, und der Schokoriegelkeks „Raider“ hieß plötzlich „Twix“. Es muß in dieser Zeit nominaler Turbulenzen gewesen sein, daß auch der vertraute Grand Prix de la Chanson Européenne unvermittelt als European Song Contest wiederkehrte. In jenen Tagen hatten wir zudem die Nachricht zu schlucken, daß unser aller Onkel Ho (griffig: „Ho-Ho-Ho Tsch-minh!“) in Wahrheit als Nguyễn Sinh Cung geboren wurde, sich später in Paris Nguyễn Tất Thành nannte, um dann als Nguyễn Ái Quốc Karriere zu machen; rund 50 mal soll er seinen Namen gewechselt haben, bis er dann schließlich gütigst  mal bei Ho Tschi-minh blieb! –

Wir nahmen das aber als zerebrale Gelenkigkeitsübungen gelassen hin. Die Sprache wandelt sich ja fortwährend. Was gestern gewähltes Deutsch war, geht heute so was von gar nicht mehr! So konnte der Nobelpreisträger Hermann Hesse in seinem „Steppenwolf“ (1927) angesichts bestimmter Jazz-Musik noch gemütvoll von „unverlogener Negerhaftigkeit“ schwärmen, was wir heute selbst im außermusikalischen Bereich besser unterlassen möchten. Der Neger wurde bekanntlich in Schwarzer, dann in Afroamerikaner oder Farbiger umbenannt, oder er heißt auch schon ganz zivil wie wir, z. B. „Herr Häuptling Wumbaba“.

Die meisten Namensänderungen ändern am Inhalt des Bezeichneten nichts. Meine Gattin etwa ließ sich bei unserer Eheschließung zwar großmütig umbenennen, aber die Tatsache der heiratsbedingten Übernahme meines Nachnamens tat ihrer ausgeprägten Unabhängigkeit und Souveränität nie einen Abbruch. Nach meiner Beobachtung sind es vor allem, und wahrscheinlich verständlicherweise, Transsexuelle, die ihren Übertritt zum anderen Geschlecht auch namenstechnisch dokumentieren möchten: Klaus wird zu Claudia, Babsie zu Barthel, Paul Neger zu Pola Negri. (Nur  Kim könnte theoretisch Kim bleiben…) Und, um zur Sache zu kommen, die Geschäfte des Discounters „PLUS“ (Früher mal ein Akronym für „Prima Leben und Sparen“) heißen jetzt … wie? Nein, nicht „MINUS“, aber doch fast, nämlich „netto“. Netto – guter Name, oder? Neddo klingt nach Geddo, nach billig, nach „ich brauch keine Rechnung“ vulgo Schwarzarbeit und nach „Is-vonner-Paledde-gefalln“-Waren“.  Ein Name wie „Du darfst“ oder „Nimm Zwei“. Ein „Badedas“ fürs Portmonnaie: „Netto“! (Ich bin doch nicht blöd und zahl brutto! Oder?)

Nach aufhübschender Sortimentskosmetik und div. Geschmacksverdedelungsvorspiegelungen äußerlicher Art eröffnete jetzt das berüchtigte PLUS als Neo-netto neu: Ta daa! Und ist doch im Prinzip das alte geblieben. So wie die indische Millionenmetropole Bombay nach ihrer Umbebennung in Mumbay kein bißchen weniger Elend beherbergte, herrscht auch beim Discounter hier im Geddo noch die gleiche Tristesse: Fast erloschen, wie Energiesparlampen, leuchten die Augen der Punsch-Penner und Booze Brothers, die hier ihren Billigfusel kaufen; auf dem Boden stinken Bierlachen; in der Schlange flucht und murrt es marrokanisch, libanesisch, kurdisch, bosnisch und bulgaro-türkisch; die wenigen AngestelltInnen sind völlig überfordert, gestresst, gereizt und zu allem Überfluß, als herrsche ein entschlosssener Wille zum Netto-Gesamtkunstwerk, allesamt auch noch frappierend hässlich, übergewichtig und ausgesucht uncharmant. Ich weiß, es hat evtl. einen sexististischen Unterton, für den ich vorab um Verzeihung bitte, aber manchmal rauscht mir so etwas direktemang am Hirnzentrum für political correctness vorbei ins Bewußtsein: Hier brüten am Scanner Damen, die mal hübsch „brutto“ bleiben sollen, weil „netto“ mag man sie sich lieber nicht vorstellen. („Pfuii! Chauvi-Schwein! Menschenverächter! Stürmer-Stil!“ schallt es mir aus dem Publikum entgegen. Aber ihr habt leicht reden, ihr steht ja hier nicht in der Schlange!)

Apropos: Über den Kassen protzt ein riesiges Poster mit der kackfrechen Behauptung, es würde, warteten mehr als fünf Kunden in einer Schlange, jeweils automatisch eine weitere Kasse geöffnet. Das ist, so stellen wir rund 20 (!) Kunden-Kanaken in der Warteschlange übereinstimmend und sarkastisch grinsend fest, entweder brutal gelogen, oder man baut darauf, daß jeder zweite Kunde der Lektüre eines deutschen Satzes ohnehin nicht mächtig sei. Da würde ich aber nicht drauf bauen, auf Dauer.

Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dieser Laden, gleichviel, wie er gerade heißt, muß unter einem miesen Karma leiden: Auch trotz Buntwäsche, Frische-Makeup und Hip-Gloss will er mir irgendwie traurig, lieblos und entmutigend vorkommen. Auch wenn das Sortiment jetzt erweitert wurde: Ein Lächeln findest du noch immer nicht im Angebot.

Barock im Baumarkt: Die Nacht der leitenden Reichen

4. Februar 2010

...raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch (Peter Paul Rubens, Fleischereifachgemälde-Herstellung en gros)

OH FREUDE, TOCHTER DES DELIRIUMS

Etymologische Ironie: Das Wort „Banause“ kommt, – ich hoffe, manchen LeserInnen damit noch etwas Neues zu erzählen – , vom altgriechischen Wort bánausos, was ausgerechnet soviel hieß wie „Handwerker“. Die Zeitgenossen von Platon und Sokrates hegten nämlich noch eine schnippische Verachtung für Leute, die mit eigenen Händen arbeiteten, erst recht, wenn sie’s um des Geldes willen taten.

Insofern bin ich eine wandelnde Paradoxie, nämlich bekanntlich sowohl Hausbau- als auch Bauhausbanause. Eher homo laber als homo faber, komm ich mit Ingenieuren meist nicht gut zurecht. Mir fehlt das Daniel-Düsentriebhafte. Mir sind Dichtungen Hölderlins und Rilkes vertrauter als jene von Spüle und Waschmaschine, ich besitze weder das Deutsche Dübeldiplom, noch habe ich eine Lizenz zum Löten. Ich bin ein notorischer Pfuscher, bekennender Bastel-Larifari und ein insgesamt eher blind herumprobierendes Frickelmännchen, was bedeutet, die Sachen kommen zwar letztlich schon „irgendwie“ an die Wand, unter Putz oder ins Lot, aber keine Schraubverbindung, Flunschverflanschung oder Silikonikone ist korrekt genug angepasst, getackert und eingenordet, um den Eindruck auch nur elementarer Professionalität zu erwecken. Bei mir ist mehr als nur eine Schraube locker, die Tassen klappern im Schrank, und alles ist ein bißchen schief, wackelt oder hat zuviel Spiel. Wäre Heimwerkelei mein Steckenpferd, hätte mich dieses längst wutschnaubend abgeworfen.

Nicht obwohl, sondern weil das so ist, erinnert mich jeder Besuch in einem richtig-richtig großen, gut sortierten Baumarkt – wie es z. B. Bauhaus ist – an meine erste Besichtigung des Louvre.

Ich war ja erst altkluge, aber noch jungfräulich ungebildete Vierzehn. Mein Wissen über die abendländische Kunstgeschichte beschränkte sich vorerst auf das wiederholte Durchblättern des Bertelsmann-Sammelbandes „Hundert Meisterwerke der Malerei“, den ich mal zum Geburtstag bekommen hatte („der Junge malt doch so gern…!“). Dementsprechend stiefelte oder schlurfte ich, – auf Klassenfahrt in Paris der marodierenden Mitschüler-Meute mal kurz entlaufen –, eingeschüchtert, irritiert und verstohlen staunend, durch das endlose Labyrinth der Louvrepalast-Säle und ließ mich u. a. von extrem üppigen Rubens-Schinken hypnotisieren, deren spektakuläre Grässlichkeit mich in eine Art atemlose Schockstarre bewundernder Abscheu versetzte. Peter-Paul Rubens! Die flamboyant-opulente Korpulenz der barock-nackerten Damenwelt verursachte mir Albträume: Die Nacht der leitenden Reichen! Deren raffgierig-schlaraffische Gier nach Weiberfleisch per Auftragsschinken in Öl gebadet! Urrghs! Da stand ich vor ca. vier Quadratmetern fleischlichen Gewusels, Gewürges und Geschwurbels, vom Boden bis zur Stuckdecke reichendem barocken Öl-Geprotze, von dem ich damals naiverweise dachte: Das würde ich aber mir ungern über meine Jugendliege hängen! –

Der nur scheinbar banale Bauhaus-Baumarkt hingegen zeigt mir Banausen, wie es in meinem Kopf aussehen könnte, wäre ich ein ganz anderer, ein Haus-Mann zum Beispiel, ein Heim-Vati und Pfiffikus. Ordnung, Funktionalität und Zweckmäßigkeit heißen die Generäle, die hier die Parade ihrer rechtwinklig organisierten Truppen abnehmen: Schraubenschwadrone, Dübeldivisionen, Kabelkavallerie, Nagelsortimente, dazu gefechtsbereite Schlagbohrer, Hieb- und Stichsägen, Pionierbatallione multifunktionaler Patentwerkzeuge, solide konsolidierte Konsolenmodule („Modell Konsul“), patent-vorverklemmte Lüster-Klemmen, Klabastersäulen aus original Kunstimitat sowie selbstverständlich nicht-klumpende Kleisterkanonen, raffiniert verdrahtete Spiegelmuffen, fettfreie Lauflafetten und gewiß, die neuen, hochmodernen doppelt geflanschten Traversal-Transformatoren, gleich daneben Scharnier-Schabrackenschoner und vorgehobelte Trubeldoubletten, kindersichere Überbetten und linksdrehende Unterlegscheiben, alles auch aus Filz, Holz, Bast, Gips und Gummi, Paletten voller Matten, Rabatt-Platten und Furnierholz-Matratzen, dazu gegen fiese Energieschlamperei gefeite Energiesparlampen, ganze Batterien komplett vormontierter, blank transparenter Nasszellen-Trakte, eine Superauswahl an Ziertapezierfasermustern, jederzeit auch Kleintierbedarf und garantiegrüne Pflanzenbrunst, reparaturorientierte Proletenpolitur, videogesteuerte Klingelstreichwurst, erschwingliche Kunstabzugshauben, kombinierte Fühlschränke und HiTec-Inflationsherdplatten mit Leckerleiste…

– es nimmt einfach kein Ende, die Fluchten der Realienregale deregulieren mein Realitätsbewusstsein, mir schwinden die Sinne, im Rausch der Zwecke erfüllt mich Beethovens Ode „Freude, Tochter des Deliriums“, und ich sinke, ermattet, überwältigt und in Ehrfurcht ergriffen auf die gutmütig bereitliegende Auslegeware: Wäre ich doch nur ein Heimwerkberserker – ich befände mich im Nirwana, Walhalla, Paradies und Garten Edeka des Wirkens und Werkens!

Ich schwömme im permanent funktionalen Erledigungsorgasmus; gelegentlich käme der Herrgott im Blaumann vorbei, um mir gütig ein paar Tricks zu verraten, wie man eine hübsche Welt zusammenschustert, ohne sich länger als höchstens sechs Tage hineinzuknien. Konvertierte ich zu dem Glauben an die prinzipielle Konstruierbarkeit der Weltbeheimatung – der Bauhaus-Baumarkt wäre meine Bastel-Basilika, mein Tool-Tempel, meine Malocher-Moschee!