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Einstürzende Altnormen: Kraska tritt zurück!

27. Juli 2010

Meinetwegen: Ein Wort zu dieser Schmutzranderscheinung. Gottes Mikrophon-Fellatrice im Aufmerksamkeitsnotstand. (Foto: static.rp-online.de/.../ 21979-eva-hermann-AP.jpg)

Also gut, meinetwegen ein Wörtchen zu dieser Schmutzranderscheinung namens Eva Hermann. Was solls? Soll ja auch das kleinste Kotzbröckchen nicht unbeachtet bleiben. Irgendwer muß auch das ja mal wegmachen. – Ich sags also mal so: Da offenbar niemand den Job des Sündenbocks will, und ich als bereits berenteter, weitgehend (zu weit gehend?) ausgedienter Denk-Magister eh auf keine Zukunft mehr hoffen darf, habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, die volle Verantwortung zu übernehmen! Ich wars! Ich bin schuld! Mein Kopf rolle! Ja, es ist die „fast völlig nackte“ Wahrheit: Ich habe das Loveparade-Desaster gewollt, habe es von langer, ja, jahrzehntelanger Hand geplant, vorbereitet und mit Gottes Hilfe auch erfolgreich durchgezogen. Meinen satanischen Neigungen folgend habe ich dabei, dessen darf ich mich immerhin rühmen, „ganze Arbeit geleistet“. Ich habe sogar Sachverständige eingebunden, im Vorfeld alles richtig gemacht und in der Nachbereitung nichts ohne Not zugegeben!

Apropos: Zugegeben, zunächst wollte ich mich hinter den gerade am Pranger des Volkszorns stehenden üblichen Verdächtigen, den notorischen Inkompetenzschranzen, Erbämlichkeitsdezernenten, den windelweichen Schön-, Klein- und Ausrednern, den schwadronierenden Beschwichtigungsschwuchteln und bestallten PR-Heuchelmördern vom Schlage Pleitgen, Scheydt, Gorny, Jäger, Sauerland, Rabe, Schaller, Schmeling et al. verstecken.  Naiverweise dachte ich, wer die Chuzpe besitzt, das eigene Totalversagen als „stimmiges Konzept“ zu verkaufen, der wird doch am Teufel wohl drei gute goldene Haare lassen und dessen Großmutter zur Schönheitskönigin ausrufen können! Da habe ich mich aber verrechnet (Achtundsechzig minus 666: Nullsumme!). Leider haben sich diese Windel-Weichei-Wichte derart klein gemacht, dass sie mir keine vernünftige Deckung boten.

Entlarvt wurde ich von einer einzigen, unerschrocken zu ihrem Glauben stehenden, schlichten Blondine aus dem Volk: Frau Eva Hermann , welche mir das Handwerk legte, bloß mit der Waffe des treffenden Wortes und der Schärfe eines zeitgeschichtlich wie kulturkritisch unbestechlichen analytischen Blickes ausgerüstet.

Folgendermaßen  aber ließ sich Gottes schärfste Fregatte seit Hildegard von Bingen in Gottes Namen über das Loveparade-Desaster vernehmen:

„Die unheilvollen Auswüchse der Jetztzeit sind, bei Licht betrachtet, vor allem das Ergebnis der Achtungundsechziger (sic!), die die Gesellschaft „befreit“ haben von allen Zwängen und Regeln, welche „das Individuen doch nur einengen“. Wer sich betrunken und mit Drogen vollgedröhnt die Kleider vom Leib reißt, wer die letzten Anstandsmormen (sic!) feiernd und tanzend einstürzend einstürzen lässt, und wer dafür auch noch von den Trägern der Gesellschaft (sic!) unterstützt wird, der ist nicht weit vom Abgrund entfernt. Die Achtundsechziger haben ganze Arbeit geleistet.“ Autsch, das saß.

Ich gebe zu, ich habe gesündigt: 1.) Ich bin, wenn auch einer allerjüngsten, Achtundsechziger und damit durchaus verantwortlich für die sattsam bekannten „unheilvollen Jetztzeitauswüchse“; 2.) und ja, zahllose Male war ich in all den Jahren seither zweifellos sinnlos betrunken, manchmal wohl auch „mit Drogen vollgedröhnt“, und habe in diesem erlösungsbedürftigen Zustand a) „feiernd und tanzend“ mindestens mir, b) oft genug aber auch willigen Zweiten oder gar zunächst noch unbeteiligten Dritten „die Kleider vom Leib gerissen“, bis diese „fast völlig nackt“ waren oder zumindest „den Busen … blank zogen“, Hoho!; 3.) ferner es mit systematischer Diabolik darauf angelegt, – und das war weißgott nicht immer einfach!, „die letzten Anstandsmormen (!) feiernd und tanzend einstürzen“ zu lassen. Letztlich habe ich aber, wie man sieht, diesen Anstandsnormen-Einsturz tadellos zuwege gebracht. Dank meiner Wühlarbeit sieht man heute allüberall „fast völlig nackte“ bzw. „dünn bekleidete Körper“ herumeiern, „in Trance“ meistens und „im Rhythmus zuckend“. 4.) Möchte ich mich bei den „Trägern der Gesellschaft“ (so wie natürlich meinen Eltern, meiner Frau, meinem Agenten, meiner Produktionsfirma sowie allen facebook-Freunden und Twitter-Followern) für ihre Unterstützung bedanken: Ohne euch Gesellschaftsträger hätte ich es bis hierin nie geschafft! 5. Wohin? Nun, ich stehe „nicht weit vom Abgrund“. Deswegen trete ich ja auch zurück! Ich bitte die Herren Träger oder Rücktrittsbremsen, die sich hinter mir verstecken, mal eben Platz zu machen.

Wie Frau Hermann, die – anders bzw. päpstlicher als Papst Bendixt der Viertelvorzwölfte –, die Tanzwut der Jugend eindeutig als Teufelswerk und „Ergebnis der Achtundsechziger“ identifiziert hat, richtig ahnt: Hier haben „auch ganz andere Mächte eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen“. Ein Ende mit Schrecken, nun ja, tja, nebbich, aber bei „Drogen-, Alkohol- und Sexorgien“ darf der Herrgott nun mal  kein Auge zudrücken. Sonst übersähe er vielleicht die „dünn bekleideten Körper“ (sic!), die sich „betrunken, vollgekifft, mit glasigen Blicken… in rhythmischem Zucken wie in Trance wiegen“;  womöglich hätte er so auch die Töchter Sodoms nicht entdeckt, die einen Anblick bieten wie „in der Verfilmung der letzten Tage, wie sie in der Bibel beschrieben werden“. Ich hab die Bibelstelle grad nicht parat, aber laut Frau Hermann lautet sie ungefähr: „Viele Mädchen haben den Busen blank gezogen (sic!), manche sind fast völlig (!) nackt. Sie wiegen sich in orgiastischer Verzückung in ohrenbetäubendem Lärm, Begriffe wie Sittlichkeit oder Anstand haben sich in den abgrundtiefen Basschlägen (sic!) in Nichts aufgelöst“. – Und am Schluß emergiert der Antichrist in Form des Geistes von Dr. Motte und reitet auf dem Goldenen Kalb!

Die Vision aus der apokryphen Hermann-Apokalypse ist freilich markerschütternd. Schon der Anblick „fast völlig“ nackter Mädchen lässt einen natürlich seelisch in den Grundfesten wanken; sich unter „abgrundtiefen Basschlägen in Nichts auflösende“ Begriffe sind da fast nur noch einen völligen Tick grauenerregender.

Trotz allem und jetzt mal im Klartext: Ich bin – manchmal mit grimmig zusammengebissenen Zähnen – Verfechter des § 5 unseres Grundgesetzes – jeder soll seine Meinung frei äußern dürfen! Und sei’s, der Herr verzeihe mir, der würgendste, gottfernste, von allen guten Geistern verlassene absolute Scheißdreck! Er mag und darf sich äußern! Nicht umsonst heißt es bei Geistesfürst Schiller: „Sire, geben Sie Gedankenlosigkeitsfreiheit!“ Dieses Recht auf unbeschränkte, unzensierte Dämlichkeitsäußerung gilt, das muß man als Verfassungspatriot nun mal aushalten, auch für geistig unzweifelhaft „fast völlig“ verwahrloste, verzweifelt gegen ihre zehrende Bedeutungslosigkeit ankrähende Publicity-Nutten und postklimakteriellen Hysterikerinnen vom medialen Straßenstrich der Aufmerksamkeits-Junkies und abgehalfterten C-Promis, die ihre umfassend nekröse Hirnzerrüttung und persönlichkeitsverheerende Hormonkatastrophe zu Markte tragen, weil ihnen selbst allgemeine und einhellige Verachtung lieber ist als gar keine Aufmerksamkeit. – Ich muß wegen dieser indenzenten, unappetitlichen Metapher um Entschuldigung bitten: Auch blondschillernd-fette Mast-Schmeißfliegen sind zwar unbedeutend und der Rede nicht wert, gewiß, und dennoch bieten sie, wenn sie in die Leichname gerade Verstorbener Eier legen und ihre Maden wachsen lassen, einen ekelerregenden Anblick. Ich weiß auch nicht, aber bei manchen Mitgeschöpfen kommt mir immer des grandiosen François Villons „Großes Testament“ in den Sinn und der Vers (am besten von Klaus Kinski gesprochen!): „Man schlage diesem Lumpenpack / das Maul / mit schweren Eisenhämmern / kurz und klein“.

Keine Sorge, dies ist natürlich kein Aufruf eines unbelehrbaren Achtundsechzigers zur Gewalt gegen Personen. Ich möchte nicht ernsthaft, dass man Frau Hermann schwere Gegenstände in die erzdumm aufgehübschte, sorgfältig restaurierte Botox-Schnute wirft! Um Gottes Willen! Ich wollte nur zu Protokoll geben und ganz im Allgemeinen zum Ausdruck bringen, dass mir, im Zweifelsfall, der unverstellt narzisstische Selbstgenuß eines „fast völlig nackten“ jungen Loveparade-Mädels in Trance weitaus angenehmer anzuschauen scheint als die schamlose, abgeschmackte widerwärtige, reaktionäre Denunziation jeder ausgelassenen jugendlichen Sinnen-Freude aus dem Plappermaul eine alt gewordenen Hure, die, vom Verschwinden der Freier beunruhigt, plötzlich auf Nonne macht. Kleopatra badete in Eselsmilch und Männer-Sperma; andere MILFS bevorzugen halt Krokodilstränen-Bäder und fromme Friktionen im Unterleibsbereich des Bewußtseins. Wem schon Spanische Fliege, Eigenurin und Spargelextrakt nicht halfen, der versuche es halt mit Jugend-Neid, Ressentiment und hormonell bedingter Unterleibsverbitterung!

Ich übernehme jedenfallls die „fast völlige“ Verantwortung für alles: Daß unbedarfte RanschmeißerInnen und erbarmungswürdig aufmerksamsnotgeile, skrupellose Mikrophon-Fellatricen ihren unsäglichen Senf zu allem und jedem beigeben dürfen und die Öffentlichkeit selbst das noch rezipiert, ist, fürchte ich, auch ein „Ergebnis der Achtundsechziger“! Daß die Medien, stets bitter angewiesen auf eine neue Sau, die man durchs Dorf treiben kann, zur Not und im Sommerloch auch der Logorrhöe einer Schwatztruhe von Ex-Fernseh-Ansagerin verfallen resp. Aufmerksamkeit schenken, ist strukturell bedingt und unvermeidlich. Wäre ich selber freilich so eine Gossen-Hure, ich wäre mir des göttlichen Beistandes nicht so sicher. Gott kann, wie die Ereignisse zeigen, ähnlich wie der Teufel, ziemlich unberechenbar sein. Auch dümmstes Geschwätz bleibt nicht immer ungestraft. Gottlob bin ich nicht gottesfürchtig – aber wer es ist, und sei es als PR-Marotte, der zittere besser.

Mich trifft der Blitz eher nicht; ich bin flink zurückgetreten.

Sudden death / over and out

26. Juli 2010

The day after – Aufräumen in der Todesfalle (Foto: apn)

Ganz plötzlich, als wollte das Wetter auch noch seinen Kommentar abgeben, ist es grau und kühl geworden in der Stadt, die sich, wie ein Kind, das man beim verbotenen Spiel ertappt hat, eilends wieder abgeschminkt. Die Stimmungskanonen schweigen, die Spass-Schlacht ist vorbei, das Wort hat die Staatsanwaltschaft. Ein müder, gleichgültiger Regen spült die Spuren des Horrors davon. Wenige versprengte TV-Journalisten stehen noch pflichtgemäß „vor Ort“ herum und stochern lustlos im Geröll ihrer leeren Worthülsen. Daß es nichts zu sagen gibt, ist natürlich keine echte Nachricht. Das Leben tut derweil, was es notgedrungen immer macht, es geht weiter und wälzt seine Lawine aus Dummheit, Schmerz, Trivialität und dem üblichen Ereignisschrott vor sich her. „Man kann nicht weitermachen…“, sagt Samuel Becket, „… man muß weitermachen. Man kann nicht weitermachen.“

Der übliche, von Selbstgerechtigkeit nie freie Volkszorn gegen „die da oben“ tobt sich, nachdem er gestern noch gegen OB Sauerland, der am Unglücksort Blumen niederlegte, tätlich wurde, nunmehr vorwiegend im Netz aus. Es herrscht, sei es aus Ohnmacht, sei es auch aus abgründiger Lust auf Rache, ein bisschen brenzlige Lynch-Stimmung. Man will Köpfe rollen sehen, rituelle Bußgesten, Rücktritte. Würden allerdings alle zurücktreten, die das eigentlich müssten, gäbe es nach hinten heraus schon wieder Stau und Massenpanik. – Ich spüre die dumpfe Wut auch in mir selbst, obwohl ich gut weiß, dass „rollende Köpfe“ lediglich eine theatralische Beschwichtungsmaßnahme fürs vergessliche Publikum darstellen. Solche Bußgesten sind nicht weniger hohl und albern als das hilflos-mechanische Gerede von „Tragik“ und „Tragödie“.

Die Toten von Duisburg sind das Resultat eines Systems, eines unüberschaubar komplexen strukturellen Geflechts von Instanzen, Behörden, Parteien, Medien, Unternehmen, von ökonomischen und Marketing-Interessen, von kommunaler Geldnot und opportunistischer Durchstecherei, überprofessionalisiertem Expertentum und demokratiebedingten Dilettantismus, von Bürokratismus, systemimmanentem Erfolgszwang, politischer Strategie und korruptem Kompromißlertum. Ein System, in dem die meisten Akteure Mittäter und zugleich auch Opfer sind – Opfer politischen Drucks, ökonomischer Erfolgspflicht und, gewiß, auch persönlicher Geltungssucht und narzisstischer Selbstüberschätzung. Die bockigen, verängstigten Funktionärs-Individuen, die man jetzt widerstrebend ins Blitzlicht der Pressekonferenzen zerrt, wissen nicht recht, wie ihnen geschieht: Sie haben doch nur ihren Job gemacht! Und vermutlich stimmt das sogar.

Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist ein jovialer, weicher, empfindsamer Mann aus der Region. Die natürliche Arroganz eines intellektuellen Überfliegers geht ihm genauso ab wie wohl auch der von Berufspolitikern entwickelte undurchdringliche Panzer aus Zynismus und Abgebrühtheit. Er spricht mit zittriger, brüchiger Stimme, hörbar gequält, mühsam nach Worten suchend. Er ist ein gebrochener Mann. Sein Rücktritt wird eine Frage der Zeit sein. Wird damit irgendetwas gewonnen werden? Altkatholische Bußrituale („mea culpa, mea maxima culpa“) ändern nichts an den Strukturen, und nichts am angeblich unverzichtbaren Motor unserer Gesellschaft – der Profitgier; im Gegenteil, die Rituale gehören zum  System dazu.

Mir persönlich, aber das mag am Alter liegen, war, von der Musik mal ganz abgesehen, die obsessive Megalomanie, der narzisstische Körperkult und die aufgesetzte Party-Orgiastik der Loveparade immer etwas unheimlich – aber zweifellos ist sie, gerade in ihrer Kommerzialisierung, ihrer karnevalesken Ekstatik und ihrer drogengestützten Exaltiertheit ein stimmiger Ausdruck unserer Zeit. Zu den ganz wenigen Privilegien älterer Jugendlicher (Ü50) gehört, diese Zeit nicht mögen zu müssen.

Der Tod ist nie tragisch – oder er ist es immer und zu jeder Zeit. Wir entgehen ihm nicht, so laut wir die Musik auch aufdrehen, so viel wir auch tanzen, trinken und gegen ihn angrölen. Irgendwann muß jeder von uns die Party verlassen. Daß das Ende für elf junge Frauen und acht Männer so brutal früh und so plötzlich kam, zerreißt uns das Herz.  Wir trauern dabei auch über uns selbst: Die Zerbrechlichkeit und Hinfälligkeit unseres Lebens wurde uns einmal wieder drastisch vor Augen geführt. Die Loveparade, so konnte man an ihrer Inszenierung in den Medien (EinsLive) fasziniert beobachten, lebte vom frenetischen Jubel über sich selbst, die eigene Jugend, Schönheit, sexuelle Potenz und subjektive Unsterblichkeit. Orgiastische Party-Exzesse gehören zu unseren kulturstiftenden Ventilen: Wir hielten es sonst wohl nicht aus. – Ich glaube nicht, dass solche Veranstaltungen künftig nicht mehr stattfinden. Ich glaube auch nicht, dass wir etwas lernen. „Man kann nicht weitermachen. Man muß weitermachen…“

Um nichts zu sagen

25. Juli 2010

Mauern, herunterspielen, abtropfen lassen

Bockig, verstockt, eisern uneinsichtig sitzen die Figuren auf dem Podium. Sie halten eine Pressekonferenz (Sonntag, 25. 07., 12.00-13.00 Uhr im Duisburger Rathaus) ab, im erklärten Willen, auf keine kritische Frage (und es gibt nur kritische, bohrende, empörte) der Medien eine verwertbare, konkrete Antwort zu geben. Man mauert, spielt herunter, wiegelt ab, verweist auf später. Oberbürgermeister Adolf Sauerland macht ein Gesicht wie ein Mops, wenn’s donnert und liest mit zittriger Stimme eine inhaltslose Betroffenheitserklärung vor. Rainer Schaller, Veranstaltungsleiter, schließt sich an und verkündet, als sei dies ein Geschenk an die Verunglückten, das Aus der Loveparade. Dass er danach schweigt, liegt daran, dass ihn keiner was fragt. Von hervorstechender Dreistigkeit der Leiter des Krisenstabs, Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, der seinen Respekt vor den Opfern dadurch zum Ausdruck bringt, dass er sich, als sei er im Urlaub, im offenen weißen Hemd lässig auf dem Podium fläzt und routiniert jede Frage mit Hinweis auf laufende staatsanwaltliche Ermittlungen abschmettert. Wenn er vom Tod der 19 jungen Leute in irgendeiner Weise berührt ist, kann er das gut verbergen. Der einzige, der mir ein Minimum von Respekt abnötigt, ist der stellvertretende Polizeichef Detlev von Schmeling, der auf Fragen immerhin versucht, konzentriert und präzise zu antworten. Daß er sich vorerst vor seine Leute stellt, ist zu erwarten und vermutlich richtig. „Unsere Einsatzkäfte haben den ganzen Tag auf die Zugangsströme regelnd eingewirkt“, sagt er. Aha. Dann ist ja gut.

Alle sind deutlich von einer Sorge getrieben: „Bitte keine voreiligen Schuldzuweisungen!“ OB Adolf Sauerland verspricht, die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Herr Rabe sortiert Akten. Herr Schaller macht ein Gesicht, als säße er in einer Prominenten-Pokerrunde. Düster brütend lässt er seinen Pressevertreter, einen besonders unbedarft coolen Jungspund, mehrfach Statements abgeben, deren einziger Inhalt darin besteht, aufgrund der staatsanwaltlichen Ermittlungen leider gar nichts sagen zu dürfen (in welchem Gesetz steht das?)

In der Zwischenzeit häufen sich Meldungen, sowohl Feuerwehr als auch Polizei hätten im Vorfeld dringend bessere Sicherheitskonzepte gefordert, insbesondere, um ein solches Nadelöhr zu vermeiden, das dann zur Todesfalle wurde. –  Die Stadt hat abgelehnt.

Die Staatsanwaltschaft hat die Planungsakten und Einsatzprotokolle beschlagnahmt. Die Medienvertreter verlassen unzufrieden und frustriert die Pressekonferenz. Warum man solche veranstaltet, wenn man nichts sagen will, bleibt Geheimnis der Verantwortlichen.

Irgendwie süß: Westerwelle wahrscheinlich ein Mensch!

30. September 2009
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Klein, aber Juhu! – Der designierte Dingsminister beim Onanieren erwischt! (Keinenglischkönnen ist doch nicht schlimm!)

Ich bin ja neurotischerweise nie gern bei der Mehrheit. Da bin ich etwas affig. Die Mehrheit macht mich nervös. Und was macht die Mehrheit sonst momentan? Das, was bisher mein erklärtes Steckenpferd war: Guido-Bashing ist der allerneueste Hype  im Netz, in den Foren, auf den angesagten Blogs. Guido Westerhase wird jetzt wahrscheinlich irgendwas, etwa Vize oder Außen, und alle sofort so: „Yeaahh!“.  – Das ist gemein! Gehässige Ironiker schießen sich gerade aufs Schiesser-Model Guido Westerwäsche ein! Ich meine, klar, FDP und so, da fällt vernünftigen Menschen-mit-Hirn der Kitt aus der randlosen Brille. FDP geht ja nun mal gaar nicht, und Westerwelle, omg! (...“Oh, mein Gott!“) Trotzdem: Ich denke hingegen kurz mal quer und um die Ecke: Ist er denn nicht aber  irgendwo auch … – süß?

Mein differenzierungsfroher Sinneswandel hat folgenden Grund:  Ich habe den Verbalmüll dieses Mannes ja stets für eine Zumutung gehalten und das arrogant-schnöselig-peinlich-dummdreiste Herrenlaberhandtäschchen aus aknegenarbten Nobelleder für einen elend-unsäglichen Rhetorikkasper, dessen semipolitischen Lautsprechereien – immer im Westerwellenschliff messerscharfer  Auftrumpfgrandezza gehalten! – ungefähr so geistvoll wirkten, als hätte der Mann den Schwarz-gelben Gürtel in Sudoku.

Es verhält sich aber alles eventuell ganz anders, weil Guido nämlich wider Erwarten DOCH eine menschliche Seite hat! Wie? Guido W., der berühmteste Android der Nukleus-6-Klasse – ein … Mensch? Und kein Replikant? Jaa! Das Menschliche am Guidomobil ist nämlich, und das ist wohl süß: Er kann kein Englisch! Hihi! Wie niedlich! – Eigentlich ist das doch gar nicht ehrenrührig! Würde mich z. B., gäbe ich Pressekonferenzen, plötzlich ein ausnehmend zierlicher, latte-macchiato-farbener Journalist aus der Namib-Wüste in der geheimnisvollen namibischen Klicksprache der X!hosa! ansprechen, würde ich vielleicht auch hilflos-doof, verzweifelt herumrudernd und pampig  herumeiern, halb hilfeheischend, trotzdem auch etwas trotzköpfig andeutend, ich sei dieser extrem irren, kaum nachzumachenden Klick-Kick-Knix-Sprache der Busch-Leute nun mal nicht mächtig, und das sei auch gut so! Bon, bzw.: gut. – Aber Englisch? Das saugt man doch mit den Pampers auf, oder? Das kann doch irgendwie jeder, schon aus dem Radio oder wegen diesem dauernden Werbe-Denglish! – Tja, Guido aber mal eben leider nicht. Bums, aus, basta! So what? („Na und?“) Hat man als Außenminister vielleicht Dolmetscher zur Verfügung, oder was? Ich muß doch als Schwarzgelb-Verschieber, Steuerhinterzieher oder Versicherungsbetrüger auch nicht Jura studiert haben, um vor Gericht gestellt zu werden!

Daß jetzt hunderttausend Kleingeister, die das Ti-Äitsch beherrschen, sich euphorisch beömmeln, bloß weil sie irgendetwas besser können als Herr Dr. jur. Guido Westerwelle (Mr Westwave, Esq.), finde ich verständlich, aber wenig sympathisch. Anyhow, I felt in love with Guido (= „gleichviel, ich fiel mit Guido in die Liebe“), als ich auf YouTube vorgeführt bekam, wie der fernstudierte Überflieger und Teleakademiker durch eine simple, von einem britischen Journalisten auf Englisch gestellte Frage aber auch schon dermaßen aufs Bodenpersonal reduziert wurde, daß er beinahe zu weinen anfing! War das nicht süß? Doch, wohl, das war süß!

Plötzlich mutierte die übermäßig vorlaute Streber-Hackfresse zu einem maulaffig-verheulten, innerlich kurzbehosten Schulbuben, der des Hausaufgaben-Vergessenhabens überführt wurde: Halb pupertätsrotzig, halb schmollmundig schuldbewusst verrutschten und entgleisten ihm sämtliche teilprivatisierten Gesichtszüge, will sagen, setzte er ein Gesicht auf genau wie damals, als ihn Mutti beim Onanieren erwischt hatte; die kleinen verschlagenen Blauäuglein hinter der Panzerglasbrille huschten panisch wie Guppies auf Brautschau nach Eingebung suchend im Saal umher, Schweißperlenketten umkränzten in Sekundenbruchteilen die quergestreifte Stirn, schamgepeinigt rollte sich der schweiß-gelbe Schlips, das sonst so freche Beißschnütchen öffnete und schloß sich karpfenhaft lautlos, und dann … dann erlebte man ein überaus seltenes Naturschauspiel: Ein Teil des Gehirns („Projekt 18%“!) von Mastermind Wüsterwille fängt notgedrungen an – zu arbeiten!! Man kann das sehen! Man sieht es! He-she-it works! Knarrend und ächzend beginnen sich die Zahnräder zu drehen, mit durchdringendem Quietschen setzt sich die schwergängige Synapsen-Spieldose in Bewegung, lautlos formen sich Worte, werden buchstabiert, tonlos nachgesprochen, verworfen, dann neu formuliert… Man schluckt, sammelt Speichel, Verzeihung, Mund ist so trocken! Oha. Gleicht kommts ihm! Ein Gedanke, ein Ideelein, ein Schimmer-Tierchen. In atemloser Spannung verfolgt die Bundespressekonferenz den rekordbrechenden Denkversuch des Guinnes-Preisträgers! Fünfhundert polyglotte Ohren spitzen sich aufs äußerste: Kommt da noch was? Ja!

Nach quälend anhaltendem Hirnknistern, -knastern und -knuspern krächzt aus dem plötzlich 30 Jahre jünger wirkenden Bübchen-Gesicht, dessen Miene sich dabei zu einem irgendwie Uhu-verschnüffelten, wattig entrückten Übersprungsgrinsen verzieht, ein entschlossenes „….Ääähh…“ heraus. „Well…“ übersetzen die Dolmetscher schon mal. Aber der Außenminister-in-spe („in guter Hoffnung“!) ist noch nicht fertig mit der Pressemeute. Die kriegts jetzt nämlich rhetorisch so fett aufs Butterbrot geschmiert, daß die Schwarte kracht: „…äh….äh… wir sind hier ja, ja, in … äh… Deutschland, und da…, äh…, da sprechen wir Deutsch! Sie da, daheim, Sie sprechen ja da zuhause bei sich ja auch englisch!“ Gut gekontert, finde ich, eloquent und gnadenlos logisch. Seit Hitlers V2 hat keiner mehr dem perfiden Albion gezeigt, wo… dings, äh… („Don’t mention the war!“)

Die Situation ist hochnotpeinlich peinlich, aber erstmal gerettet. Doch hinter Guidos schweißsalbaderter Stirn irrlichtert und nachgewittert es noch. Pinball Wizzard! Es googelt rastlos durch die Synapsen. Guidolein ist ja nicht dumm. Na ja, gut, jedenfalls nicht soo dumm. Daß das jetzt kein Triumpf des Westerwillens war, ahnt er. Irgendwie kommt ihm das Gefühl bekannt vor. Wenn er das Wort kennen würde, würde er es einen Déja vu nennen. Ungefähr so hat er sich kürzlich gefühlt, als seine Rechtsanwaltseltern ihm die Hypothekenschlampe, quatsch, Immobilienmaklertochter als Braut ausgesucht hatten und er gestehen mußte, bereits mit einem Mann verheiratet zu sein. Erwi-hischt!

Ich finde das irgendwie süß. Meine schwulen, intellektuellen Freunde sagen das immer, wenn sie etwas oder jemanden besonders unsäglich finden: „Aber … ist doch irgendwie auch schon wieder süß, oder?“