Posted tagged ‘Staatsanwaltschaft’

Town with no cheer

24. Juli 2013
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Duisburg, Todestreppe

Klar, unsere Stadt ist wie Dodge City, Deadwood oder Tombstone, bloß zum Quadrat, nämlich fraglos eines der desolatesten Käffer im Wilden Westen der Republik, eine auf die schiefstmögliche Bahn geratene Pleitegeier- und Geisterstadt voller Bausünden, Millionengräber und öder Korruptionssümpfe, eine durch Schlaglochpisten notdürftig verbundene Ansammlung von Schrottimmobilien und Leerstandsruinen, mehr drangsaliert als regiert von fünf Handvoll großmäuliger, von den eigenen Grandiositätsphantasien im Dauersuff vegetierender Schwindler, Schieber, Rosstäuscher, Tagediebe und Scharlatane, deren Inkompetenz nur von ihrer Großmäuligkeit übertroffen wird – oder von ihrer leimsiederischen Feigheit, wenn es darum geht, mannhaft die Verantwortung zu übernehmen für den windschiefen Bruchbudenzauber, die geplatzten Spekulationsblasen, die Planungskatastrophen und sonder Zahl ans Licht gezerrten Verkommenheiten einer psychisch, mental und moralisch verwahrlosten… – was? das wäre übertrieben hart gesagt? Kann wohl sein; man ist halt zu nah dran. Wahrscheinlich ist unsere Stadt gar nicht viel anders als andere Knotenpunkte an der Bahnlinie Richtung Abgrund, eine nach dem Schneeballsystem künstlich am Leben gehaltene Kreditleiche und noch unbestattete Stadtattrappe, in der die Tageszeitungen „Die Durchhalteparole“ und „Unser Potemkinsches Dorf“ heißen und Hoffnung ein Wort ist, das nicht mal mehr die verbliebenen Deutschen noch buchstabieren können.

In diesem gottverlassenen Industriewüstenloch läuten heute alle Glocken. Jedenfalls sofern sie nicht bereits von Schrottdieben „mit südosteuropäischem Aussehen“ abmontiert, geklaut und eingeschmolzen wurden. Das Geläut erinnert an das love parade-Desaster heute vor eintausendfünfundneunzig Tagen, an dem 21 junge Menschen ihr Leben verloren und Hunderte verletzt und traumatisiert wurden. Eintausendfünfundneunzig Tage ist es nun her, das ein parakriminelles, unfassbar dilettantisches, dafür aber juristisch unfassbares System aus Behörden, Unternehmen und Verwaltungsapparaten, zugleich vereint und zertreut durch seine „organisierte Verantwortungslosigkeit“, angetrieben von Gier, Größenwahn und Renommiersucht, alle Bedenken, Warnungen und nicht zuletzt die Seufzer des gesunden Menschenverstandes in den Wind schlug und jenes entsetzliche loveparade desaster anrichtete, das 21 jungen Menschen das Leben kostete und Hunderte verletzte und auf Dauer traumatisierte. Die Ereignisse sind bekannt.

Seither, also seit drei vollen Jahren, „ermittelt“ die Staatsanwaltschaft; dreissig kompetente, gut ausgebildete Staatsanwälte haben mit vereinten Bürokräften, so wird verlautbart, 3500 Zeugen vernommen, 1000 Stunden Videos angesehen und damit mittlerweile eine Ermittlungsakte von mehr als 30.000 Seiten zusammengeklaubt, was in etwa einhundert Regalmetern Leitz-Ordner entsprechen dürfte. Niemand wird den Fleiß und den Willen zur Wahrheit anzweifeln, der die Juristen motiviert – und niemand wird sie um das Dilemma beneiden, in dem sie stecken, offenbar ohne vor oder zurück zu können. Denn eine Anklage ist noch immer nicht erhoben worden – je mehr man sucht, gräbt, bohrt, sortiert und Akten studiert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass man für das tödliche Desaster juristisch verantwortliche „Täter“ findet. Darüber murrt das Volk, verständlicherweise. Man will Gerechtigkeit, Genugtuung usw., man will Schuldige und möchte ein paar Leute hängen sehen. Leider werden Hinterbliebene, Opfer und das durch sein gesundes Empfinden bekannte Volk in dieser Hinsicht in die Röhre schauen, und das, obwohl die Staatsanwaltschaft beteuert, „immer weiter vorwärts“ zu kommen. Sicher, bald werden es noch ein paar Meter mehr Akten sein – und dann?

Hat man mehrere Optionen, die darum konkurrieren, die schlechtmöglichste zu sein: Entweder man präsentiert am Ende – wie der kreißende Berg, der eine Maus gebar – ein paar subalterne Pechvögel und nachgeordnete Galgenstricke, die zwar ausgewiesene Schluris, Schlampen und Schlawiner sein mögen, in ihrer Inferiorität und subordinierten Nichtigkeit aber kaum als „Hauptverantwortliche“ figuriren können (wer die sind, weiß man ja, kann sie aber juristisch nicht belangen). Oder man stellt das gigantische Ermittlungsprojekt am Ende aus Mangel an Beweisen ein, was ebenfalls eine Katastrophe wäre. Am besten scheint mir noch, man ermittelt erstmal einfach weiter, bis irgendwann das Gras wieder wächst.

Warum ist das so? Weil der ganze grandiose Trick dieser Bande von Verwaltungsfuzzis, Stadtmarketingfritzen, Unternehmern, Polizeiführern und Genehmigungsbetreibern gerade darin bestanden hat, ein System zu konstruieren, indem nie jemals eine Person für irgendetwas von Bedeutung belangt werden kann. Opferanwalt Julius Reiter nennt es das System organisierter Verantwortungslosigkeit. Das trifft es. Dieses System arbeitet autopoietisch und subjektlos. Niemand ist persönlich zurechenbar verantwortlich, weil diese Verantwortung im undurchschaubaren Filz des Systems rotiert, wie ein zu kleines Kapital in einer betrügerischen Unternehmensgruppe. DerApparat besteht aus einem labyrinthischen Gewirr von Verweisungen, Delegationen und Vorbehalten, in denen die Staatsanwaltschaftshasen allenthalben Igeln begegnen, aber immer anderen, die auf noch andere verweisen. Die Befehlskette hat kein Anfang und kein Ende, sie ist zirkulär, eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, wie ein von Kafka ersonnenes Amtsnetz, das kein Zentrum und kein Außen besitzt und deshalb unangreifbar bleibt. Deshalb wird niemand belangt. Der politisch verantwortliche Oberbürgermeister ist mit guter Pension abgetaucht; ein anderer Drahtzieher ist Landesminister, ein dritter noch immer im kommunalen Amt.

Schön war der richtige Wilde Westen: Die Bösen trugen alle schwarze Hüte oder rote Haut und man wußte, wer zu hängen war. Vorbei, Vergangenheit. Heute sehen wir den hochrangigen Politikdarstellern, die sich die eigens die für Feiertage reservierten Bekümmertheitsknitter ins verlogene Gesicht gebügelt haben, dabei zu, wie sie Kränze niederlegen und Betretenheitsschleim absondern. Morgen geht es weiter, wie bisher. Wir sehen uns nächstes Jahr beim Gedenktag, okay?

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Um nichts zu sagen

25. Juli 2010

Mauern, herunterspielen, abtropfen lassen

Bockig, verstockt, eisern uneinsichtig sitzen die Figuren auf dem Podium. Sie halten eine Pressekonferenz (Sonntag, 25. 07., 12.00-13.00 Uhr im Duisburger Rathaus) ab, im erklärten Willen, auf keine kritische Frage (und es gibt nur kritische, bohrende, empörte) der Medien eine verwertbare, konkrete Antwort zu geben. Man mauert, spielt herunter, wiegelt ab, verweist auf später. Oberbürgermeister Adolf Sauerland macht ein Gesicht wie ein Mops, wenn’s donnert und liest mit zittriger Stimme eine inhaltslose Betroffenheitserklärung vor. Rainer Schaller, Veranstaltungsleiter, schließt sich an und verkündet, als sei dies ein Geschenk an die Verunglückten, das Aus der Loveparade. Dass er danach schweigt, liegt daran, dass ihn keiner was fragt. Von hervorstechender Dreistigkeit der Leiter des Krisenstabs, Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, der seinen Respekt vor den Opfern dadurch zum Ausdruck bringt, dass er sich, als sei er im Urlaub, im offenen weißen Hemd lässig auf dem Podium fläzt und routiniert jede Frage mit Hinweis auf laufende staatsanwaltliche Ermittlungen abschmettert. Wenn er vom Tod der 19 jungen Leute in irgendeiner Weise berührt ist, kann er das gut verbergen. Der einzige, der mir ein Minimum von Respekt abnötigt, ist der stellvertretende Polizeichef Detlev von Schmeling, der auf Fragen immerhin versucht, konzentriert und präzise zu antworten. Daß er sich vorerst vor seine Leute stellt, ist zu erwarten und vermutlich richtig. „Unsere Einsatzkäfte haben den ganzen Tag auf die Zugangsströme regelnd eingewirkt“, sagt er. Aha. Dann ist ja gut.

Alle sind deutlich von einer Sorge getrieben: „Bitte keine voreiligen Schuldzuweisungen!“ OB Adolf Sauerland verspricht, die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Herr Rabe sortiert Akten. Herr Schaller macht ein Gesicht, als säße er in einer Prominenten-Pokerrunde. Düster brütend lässt er seinen Pressevertreter, einen besonders unbedarft coolen Jungspund, mehrfach Statements abgeben, deren einziger Inhalt darin besteht, aufgrund der staatsanwaltlichen Ermittlungen leider gar nichts sagen zu dürfen (in welchem Gesetz steht das?)

In der Zwischenzeit häufen sich Meldungen, sowohl Feuerwehr als auch Polizei hätten im Vorfeld dringend bessere Sicherheitskonzepte gefordert, insbesondere, um ein solches Nadelöhr zu vermeiden, das dann zur Todesfalle wurde. –  Die Stadt hat abgelehnt.

Die Staatsanwaltschaft hat die Planungsakten und Einsatzprotokolle beschlagnahmt. Die Medienvertreter verlassen unzufrieden und frustriert die Pressekonferenz. Warum man solche veranstaltet, wenn man nichts sagen will, bleibt Geheimnis der Verantwortlichen.