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Lob des „unter“. Wir sind alle camouflage

10. Dezember 2010

Winnie-der-Pu lebt im Wald unter dem Namen "Ed Sanders"...

 

„Es war einmal vor einiger Zeit, und diese Zeit ist schon lange, lange her, etwa letzten Freitag, als Winnie-der-Pu ganz allein unter dem Namen Sanders in einem Wald wohnte. („Was heißt ‚unter dem Namen’? fragte Christopher Robin. ‚Es heißt, dass er den Namen über der Tür in goldenen Buchstaben hatte und dass er darunter wohnte.’“)

Ich werde bestimmt nicht der erste sein, dem auffällt, dass Menschen ihr Leben, Weben, Wuseln und Sein immer gern „unter“ etwas betreiben. Manni würde wahnsinnig gern „unter einem Dach“ mit der blonden Gesine aus der Telefonzentrale verbringen und mit ihren Kurven „unter die Bettdecke“ schlüpfen. „Unter uns“ gesagt: Ich publiziere meinen Quatsch ja auch lieber „unter dem Namen“ von Bruno Kraska, und ich bin froh, dass nur wenige Auserwählte wissen, dass unter resp. hinter dieser Kunstfigur, einem ursprünglich halb-fiktiven tschechischen Seemann, eigentlich der banale Traurigkeitslehrer Dr. Arnold Winterseel sich verbirgt, den man „unter“ seiner E-mail-Adresse an der Universität suchen, wenn auch nicht unbedingt finden kann. – Das Kleid von Marilyn Monroe war hauteng, aber nicht eng genug, um darunter nicht noch bequem die Existenz von Mrs. Norma Jean Baker unterzubringen.  Unter dem Namen „Bob Dylan“ krächzt, hustet und röchelt sich ein stinknormaler Robert A. Zimmerman durch eine seit 50 Jahren nicht enden wollende Welttournee. Hans Gustav Bötticher, auch er ein Seemann und allzeit voller Vollmatrose, verbarg sich unter dem Namen „Joachim Ringelnatz“. „Unter“ lebt es sich offenbar commoder, un-molestierter und im Sinne einer öffentlichkeitsscheuen Freiraumwohnung unbeschwerter als unter seinem angestammten Klarnamen!

Unter dem Pflaster liegt der Strand, hieß es früher verheißungsvoll in Sponti-Kreisen. Nebbich, meist ist es umgekehrt: Unter dem spektakulären Palmenstrand residiert zumeist ein trivialer Kurtchen Müller, Wolfgang Meister oder Kevin Mustermann.

Unter dem Namen einer italienischen Pizzeria vermutet man dementsprechend, so auch ich, einen Giorgio, Fransesco, Luigi oder Mimmo. Man hat doch so seine gediegenen Vorstellungen von einem Italiener, oder? Modernes Weltwissen indes belehrt uns: Diese Vermutung geht neuerdings oft in die Irre. Das Italienertum ist markenrechtlich nicht geschützt. Die „besten Italiener der Stadt“ entpuppen sich bei näherer Nationalitäten-Analyse immer öfter als Ägypter, Pakistani, Bangladeshis oder Finno-Uiguren, die sich das gastronomische Italienertum nur geborgt, abgelauscht oder per Leasing-Vertrag gesichert haben. Man ist also nie sicher, Opfer der eigenen Vorurteile zu werden. So schrieb ich kürzlich übr die „Pizzeria Cavalli“, und ließ mich, angesichts der doch italo-affinen Pizza dort sogar zu Vermutungen hinreißen, es handele sich um einen besonders mafia-resisenten Original-Italiener.

Daß es sich dabei um eine Fehldeutung handelte (der Betreiber ist ungefähr so viel Italiener, wie ich tschechischer Seemann bin), ahnte ich bereits, als ich den Pizza-Virtuosen unverhofft nach spätabendlichem Feierabend in meiner serbischen Stammkneipe wiederfand, wo er sich ungerührt und mit befriedigter Miene, anstatt eigenproduzierter Pizza, allerhand Cevapcici, Rasnici und Slibovice in den Mund schüttete. „Moooment!“ schnarrte ich inquisitorisch, „Pizza-Mann! Was bist du denn jetzt? Du bist doch kein Original-Italo nicht!“ Nee, war er auch nicht, sondern, wie er nonchalant zugab, „binnich in die Wahrheit a Bosnier!“ Als Bosnier weiß er aber: „Wenn du treibst italienische Mitnahme-Pizza, muß du haben Italo-Flair, bisschen, verstehst.“ So, neue Vistenkarten, neuer Auftritt in Internetz, neue Speisekarte. Firmiert der lustige Bosniake jetzt nicht mehr unter „Pizzeria Cavalli“, sondern unter „Da Dino“. Dino is gut, kann ja sein alles rund um die Adria. Hat sich außer dem „unter“ was geändert? Glaub ich nicht; Pizza noch immer passabel bis beinahe gut. Nur das offensiv freimütige Bekenntnis, statt edlem  prosciutto lediglich und ausschließlich ekelhaften  „Formfleischvorderschinken“ auf den Hefefladen zu schmeißen, betrübt mich; diese lebensmitteltechnische Skandalösität unter dem Namen „gekochter Schinken“ feilzubieten, finde ich abstoßend.

Also jetzt: „Da Dino“. Pizza noch immer ganz gut, heiß, billig, würzig. Und junk sowieso. Da ich das hiesige Pidgin-Deutsch beherrsche, frage ich freundlich: „Na? Und? Wie Laden läuft gezz so?“ Der getarnte Bosniake wiederum beherrscht die Kunst, gleichzeitig die Schultern zu zucken, die Handflächen auszubreiten, zu nicken und resigniert mit dem Kopf zu schütteln, will heißen: Na ja, nicht ganz schlecht, aber könnte viel besser sein. (Red mit Balkan-Leuten übers Geschäft, es ist immer eine Katastrophe, selbst wenn sie mit goldenen Daimlern durchs Viertel fahren!) – „Aber, hier, Kraska, musst Du jetz  nicht gleich weiter erzählen, klar?“ Nee, klar, – was ich hiermit getan habe. Wir leben ja alle camouflage-mäßig im Unter-Grund. Hier ist niemand, was er zu sein scheint. Mir gefällt das, weil es meinem Hang zur Selbstmystifikation entgegen kommt. Sich täglich oder wöchentlich neu zu erfinden, gilt hier als respektabler Existenzmodus. Also kauf ich hier meine Pizza und tu so, als wär ich ein grundnaiver deutscher Depp. Kann nie schaden, unter fremden Label zu leben! Fake ist normal. Wer hat schon Lust, zu sein, was er ist? Bei so einem Langeweiler würd ich nicht essen gehen!

Ökotrophologie in der Bierschwemme, Akropolis auf Gelsenkirchner Barock. Zuviel Salz ist auf eigene Gefahr

20. Juli 2009
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Eindeutig: Zuviel Salz!

I.

Wir odyssieren weiter durch die Welt der „Griechen“. Anführungsstrich-Griechen sind solche, die statt authentischem griechisches Essen nur “griechisches“ 08/15-Standard-Zeug anbieten, Gyros, Souvlaki, Mykonosplatte, fertich! Gemischter Einheitsbrei „Deutsch-Hellenische Freundschaft“  für zwei Personen mit extra viel Knobi und Überwürz-Turbo. Eine ganz besonders interessante Unterabteilung der Anführungsstrich-Griechen bilden dabei aber die sog. Kuriosen oder auch Skurrilen Griechen. Im Ruhrgebiet scheinen sie mir besonders verbreitet, weil Hybrid-Gastro hier ihre ersten improvisatorischen Triumpfe feierte.

 Hybrid-Gastro? Oh ja!  Z. B. mein früheres Lieblings“restaurant“ im Duisburger Norden, gleich hinterm Thyssen-Stahlwerk: In einer aufgelassenen amerikanischen Texaco-Tankstelle hatten zwei pakistanische, ein sri-lankesischer und ein indischer Desperado gemeinsam eine italienische Pizzeria eröffnet, um deutsche und türkische Proleten pronto zu verköstigen. Das war globalisierte Hybrid-Gastro der ersten Stunde! Hier als Incog(n)ito-Magister und anonymer Camouflage-Philosoph Sonntag nachmittags den Proletarier auss’m Viertel zu geben, im ärmellosen Feinripp-Unterhemd da zu sitzen, billigen Frascati-Wein zu trinken und den „Kollegen“ beim Austausch alkohosophischer Allerweltsweisheiten zuzuhören, DAS hatte Stil! Und alle halbe Stunde mal selber über den feinripp-bespannten Bierbauch streichen und ein ruhr-buddhistisches Mantra zum besten geben, wie etwa: „Watt willze da machen? (längere Pause, als würzze erssma drüber nachdenken, dann: –) … Da kannze nix machen…!“

 II.

Irgendwie ist die „Taverna Olympus“ auch Hybrid-Gastro. Vor allem aber Kurioser Grieche! Die olympische Taverne residiert nämlich ausgerechnet in den eichenholzfurnierten, genre-typisch düsteren Räumlichkeiten des ehemaligen „Deutschen Vatter“, den es so lange gegeben hat, daß man den alten Namen heute noch in der Taverne RIECHEN kann: „Deutscher Vatter“ (aber selbzvaständlich mit ‚2 Bundeskegelbahnen’!) riecht unwiderruflich und bis zum Jüngsten Tag nach schalem Bier, billigen Zigarren-Stumpen, Kegler-Schweiß und diesem spezifisch muffigen Duft aus dem Fasskeller, wo die Leitungen zu lange nicht gereinigt wurden. Ein altdeutsches Odeur: Vatters Bierschwemme also. Die Einrichtung tut ihr übriges. Gelsenkirchner Kneipenbarock (frühe 70er Jahre!) mit allen Schikanen und Unvermeidlichkeiten, die man natürlich rigoros hätte herausreißen und im Renovierungsfuror hätte ausmerzen, übertünchen und vermauern können. Vielleicht auch sollen.

Aber der Patron der Taverne, ist, was man seiner Sancho-Pansa-Figur nicht zutraut, kulturell auf Feinsinn geeicht. Möglicherweise an der archäologischen Tradition der Hellenen daheim geschult, hat er das Weltkulturerbe-Monument „Deutscher Vatter“ nicht angetastet, sondern akkurat mit einer mehr oder weniger dünnen Schicht eigener Heimat-Mitbringsel und haufenweise Griechenkitsch-Nippes lediglich sanft überzogen. Das Ergebnis: gewissermaßen Sauerkraut-Eisbein mit Metaxa-Sauce.

Diesmal erhebt sich die kulinarische Akropolis auf den Ruinen deutscher Biertrinker-Kultur. Reizvoll. Bzw. gewöhnungsbedürftig, aber man hat eine Menge zu gucken. Ich glaub, so viel undefinierbaren Nippes hab ich nicht mehr auf einem Haufen gesehen, seit ich die Wohnung meiner verstorbenen Mutter (Ihr Gott habe sie selig!) aufgelöst habe. Angeln und Netze hängen von der mit Nordatlantik-Seesternen „mediterran“ (?) beklebten Decke, in der Vitrine ruhen einträchtig nebeneinander Fußball-Pokal, Sparvereins-Vase, Nikos-Kazantzakis-Büste sowie die katholische Jungfrau Maria. Auf piefig-deutscher Bierjemütlichkeit feiert hellenische Dekorationswut dionysische Orgien. Fast schon wieder gut, irgendwie! Multikulti von der ulkigen Sorte, Mischmasch, eklektische Stil-Libertinage. Egal!

 III.

 Egal, weil man hier nicht wegen des Ambientes herstiefelt, und übrigens auch nicht, weil die Speisekarte auch nur ein einziges Gericht aufführte, das man nicht von allen anderen Standard-Griechen auch kennen dürfte.   Für den Charme diese famosen Taverne sorgt vielmehr der ambitionierte Patron, Antonios Tsintsolis, der seine Kaschemme mit der Grandezza eines Chefkellners im Pariser Tour d’Argent führt. Blau geschürzt im folkloristischen Streifenhemd, gibt er alle Figuren zugleich: Den jovialen Chef, den eleganten Maitre d’Hotel, den kundigen Sommelier und den schelmischen Dessert-Garçon. Was auffällt, ist der bescheiden-selbstbewußte Stolz des kleinen Mannes mit den großen Gesten. Er dienert und schleimt nicht und läßt die gelegentlich etwas schmierige Devotheit balkanesisch-levantinischer Ausplünderungsgastronomie vollkommen vermissen. Mit einer staunenswerten Grazie balanziert er würdevoll zwischen homerischem Größenwahn und kritischer Selbstbescheidung. Wie das aussieht?

Nun, er kredenzt den empfohlenen Wein mit Schwung, kommentiert aber zugleich mit amüsantem Akzent und melancholisch umflorten Blick: „Isse vleich bissele zu kalt. Bukett kommt noch, später…!“ Dann zählt er, ganz comme il faut und professionell, mündlich die drei Gerichte des Tages auf. Frische Fisch ist dabei, was man angesichts der von der Decke baumelnden Deko-Angelruten noch eine Weile bedenkt; um faire Vergleichsmöglichkeiten zu haben, entscheiden wir uns aber wieder für Standard. Herr Tsintsolis trägts mit Gleichmut und gibt in rasselndem Stakkato-Griechisch die Bestellung an seine den Geschäftsbetrieb vom hintersten Tisch aus überwachende Gattin weiter, die es der Küche sagt.

 IV.

 Ich bin kein überaus strenger Restaurant-Kritiker, wenn ich in eine schlichte Taverne gehe. Ich bin schon angetan, wenn man mich, wie es Herr Tsintsolis tut, fragt, ob ich meinen Salat mit Essig & Öl oder mit Metro-Dressing möchte; als er ihn serviert, mustert der Patron seinen eigenen Salat noch ein Weilchen (wie ein Maler, der schweren Herzens ein Bild verkauft), und gibt skeptisch zu bedenken: „Isse vleich bissele viel Balsamico drauf…“ Och, es ging. Ich merke aber: Dieser Wirt nimmt seinen Beruf noch ernst! Als ich für meine (knusprigen, gut gemachten) Begleit-Pommes um ein Löffelchen Mayonnaise bitte, beäugt er mich ersteinmal aufmerksam, als wolle er meinen aktuellen Cholesterin-Spiegel abschätzen, befindet aber glücklicherweise nach einem gehörigen Weilchen: „Kein Problem.“ Schon eher ein Problem ist mein nächster Extra-Wunsch: Ich frage, ob ich vielleicht für Souvlaki und Pommes eine Prise Salz nachbestellen dürfe. Oh, oh.

Ich ernte einen schweigenden, nachdenklichen, leicht sorge-verdüsterten Blick. Herr Tsintsolis wiegt unmerklich den Kopf. Es arbeitet in ihm. Hab ich etwa seine Küchenkünste beleidigt? Nein, das ist es nicht. Er kommt mit einer Menage zurück, die er aber vorerst in der Hand behält, um sich vor mir aufzubauen und mit würdevollem Ernst einen Vortrag über Ökotrophologie (!!) zu halten, ungefähr des Inhalts, von ihm angebotene Speisen enthielten exakt gerade so viel Salz, wie a) nötig, und b) ökotrophologisch sowie ernährungsmedizinisch verantwortbar seien. Für etwaig exzessiven, gesundheitsschädigenden Salzmissbrauch lehne er jede Verantwortung ab; Nachsalzen sei somit ein Risiko, das der Gast selbst zu tragen habe. Abschließend besiegelt er sein Statement mit der Versicherung, dieses habe man ihm in zahlreichen einschlägigen Seminaren beigebracht und bestätigt!

Während meine Hand zögernd und etwas eingeschüchtert den Salzstreuer über den Teller führt ( – meine mündliche Versicherung, ich übernähme für alle Folgen die alleinige Verantwortung, hatte dem Patron ausgereicht), halte ich inne: Wo bin ich hier? Und wer ist dieser Mann? Ein einfacher Kaschemmen-Wirt, der Ökotrophologie-Seminare besucht? Ist das ein Film hier?

 V.

Die Speisen sind denn auch … anders. Nicht unbedingt authentischer griechisch, doch überraschend dezent, schmackhaft, ohne die brutalen Geschmacksverstärker-Exzesse der üblichen Gyros, Souvlaki & Co-Mafia. Das Fleisch darf hier artgerecht noch nach sich selber schmecken; die Vorspeisen sind sorgfältig, frisch und mit Liebe angerichtet, der Tsatsiki ist vom Tag, schmeckt nach Joghurt, Gurke und Kräutern und enthält gerade das nötige Minimum Knoblauch, nicht mehr. Vom Salz ganz zu schweigen.

VI.

Nach dem Mokka bedanken wir uns und sagen „Auf Wiedersehen“. Herr Tsintsolis schenkt uns dafür noch einen langen, nachdenklichen Blick, um schließlich gewichtig zu dem Resultat zu kommen: „Ja, das glaube ich. Sie werden wiederkommen! Ich weiß es nicht genau – aber ich glaube es!“ Er glaubt das mit Recht.

 VII.

 Etwas überwürzt ist höchstens die Flyer-werbung der Taverne, die mit vollmundigen Versprechungen und großzügig verteilten Ausrufezeichen nicht knausert. „Spitzen Küche! Solide Preise! Überzeugende Vielfalt! Top Service!“ Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Herr Tsintsolis das selbst geschrieben hat. Ein anderer Satz paßt freilich zu ihm: „Wir bürgen mit unserem Namen dafür…“ – Ist das nicht entzückend?