Posted tagged ‘Fabien Lorenz (18)’

Eine Wunde, die sich nicht schließen will

24. Juli 2011

Wir trauern um die Toten der Loveparade:

Marta Acosta-Mendoza aus Spanien, 21 Jahre
, Benedict-Emanuel Becks, 21 Jahre
, Kevin Böttcher, 18 Jahre
, Marina Heuving, 21 Jahre
, Anna Isabelle Kozok, 25 Jahre
, Elmar Laubenheimer, 38 Jahre
, Jian Liu aus China, 39 Jahre
, Fabian Lorenz, 18 Jahre
, Vanessa Massaad, 21 Jahre, 
Giulia Minola aus Italien, 21 Jahre, 
Eike Marius Mogendorf, 21 Jahre
, Christian Müller, 25 Jahre
, Svenja Reißaus, 22 Jahre
, Clancie Elizabeth Ridley aus Australien, 21 Jahre
, Marie Anjelina Sablatnig, 19 Jahre
, Fenja Siebenlist, 23 Jahre
, Dennis Stobbe, 18 Jahre, 
Kathinka Agnes Tairi, 19 Jahre, 
Derk Jan Willem van Helsdingen, 22 Jahre
, Lidia Zafirovski, 21 Jahre
, Clara Zapater-Caminal aus Spanien, 22 Jahre

Die Schatten der Opfer

  Architektur kann ein intensives Gefühl von Beklemmung und Traurigkeit auslösen. Teile des jüdischen Museums in Berlin tun das – oder, in diesem Falle freilich ungeplant, der Karl-Lehr-Tunnel in Duisburg, der vor einem Jahr für 21 junge Menschen zur Todesfalle und für Hunderte zum unvergesslichen Ort des Schreckens wurde. „Die hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren“ – die Inschrift über dem Tor zu Dantes Inferno könnte gut am Eingang zum Tunnel stehen. Rußgeschwärzt, von Abgasen stinkend, eiskalt und zugig, von finsterer Trostlosigkeit, die das fahle Neonlicht kaum zu durchdringen vermag. Schwer lasten die Betonmassen, scheinen die Decke des Tunnels tiefer zu drücken bis auf die Seele dessen, der hindurch muss. Wie eingebrannt reihen sich an den Wänden die geisterhaften Silhouetten derer, die vor einem Jahr nach Duisburg kamen, um zu feiern und die stattdessen den Tod fanden.

Es ist ungewöhnlich kalt heute in Duisburg. Es regnet heftig. Die Bevölkerung der Stadt trauert mit den Hinterbliebenen und steht an der Seite der traumatisierten Opfer. Die Verantwortlichen der Katastrophe bleiben den Trauerfeiern wohlweislich fern. Sie wissen, wie man in der Stadt über sie denkt. Sie wissen, dass die Stadt sich ihrer schämt.  Diejenigen, welche die politische Verantwortung für das Desaster tragen, haben sich mit einem Panzer aus Dickfelligkeit, Kaltschnäuzigkeit und Heuchelei gewappnet und bunkern sich ein. Die Trauernden warten auf eine Geste, die weiter ausbleibt. Der noch immer beliebte Alt-OB Josef Krings brachte die Lage auf den Punkt: „Politische Verantwortung übernimmt man nicht – man hat sie.“ Der, der sie von Amts wegen hat – seinen Namen mag ich nicht mehr nennen – , mauert. Dem WDR beschied er: „Es ist alles gesagt, was zu sagen ist.“ Wo er Recht hat, hat Recht. Es wäre Zeit, zu handeln.

Ein klärendes Wort vielleicht noch zum Thema Verantwortung, Davon gibt es mehrerlei. Eine strafrechtliche Verantwortung, die freilich im Filz der Behörden und Institutionen schwer zu klären sein wird. Eine moralische Verantwortung, deren Grenzen und Gewicht vage bleibt. Viele tragen sie, letztlich auch ich, der ich wie viele Bürger schon vor dem Massen-Event nahezu sicher waren, dass das nicht gut gehen kann, aber dann die Achseln zuckten und ihre Hände in Unschuld wuschen. Und es gibt eine klar umrissene, mit einem Amt verbundene politische Verantwortung. Jeder Minister in der Geschichte Bundesrepublik wusste das einmal und trat, wenn in seinem Ministerium Pfusch unterlief, selbstverständlich zurück, auch wenn er das Geschehene nicht persönlich als Schuld zu verantworten hatte.

Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, dass ein Rücktritt des OB nichts an der Inkompetenz und dem Versagen einer ganzen Stadtverwaltung ändert. Aber es gibt eine Sphäre symbolischer Politik, in der diese Geste einfach unumgänglich ist. Eine von Bauskandalen, Korruptionsaffären und Filz gezeichnete Stadt sieht die Reste politischer Kultur an ihrer Spitze verfallen und schämt sich. Das Loveparade-Desaster klafft wie eine Wunde im Bewusstsein der Stadt, eine Wunde, die sich nicht schließen will.

Die Todestreppe. Das Fluchtweg-Piktogramm wurde gestern angebracht – ein Jahr zu spät…