Analoge Überbackpampe


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Immer beliebt: Käseanaloge Überbackpampe

NEUES AUS DER SURROGAT-KÜCHE

Wie mich eine kritische TV-Reportage jüngst erst informierte, ist es vorbei mit digital. Das Analoge kehrt zurück! Zumindest, sofern es sich um Käse handelt, jenes obskure Naturprodukt, das z. B. auf der Pizza seinen beliebten fädenziehend zähen, zuweilen auch matschigen, fettigen oder öligen Auftritt genoß oder aber in der sog. Systemgastronomie dazu diente, per Präventivschlag gegen die Verdauungsorgane als panzerfaustfeste, geschmacksstabil penetrante Überbackungskruste alles zu bedecken, zu vertuschen und scheinbar ungeschehen zu machen, was den Magen eines Durchschnittseuropäers verstimmen, irritieren oder explodieren lassen könnte. Dieses Material der Gnade hört in Fachkreisen auf den Namen „Gastronomiekäse“. In Großhandelsketten wie METRO kaufte der kostenbewußte Gastronom ihn säckeweise. 

Trotz seiner zuverlässig nivellierenden, schleimhautplanierenden und geschmacksknospenverpappenden Eigenschaften blieb das beliebte Streugut der Pizzabäcker leider dennoch das Sorgenkind der Gastro-Techniker. ( – Das sind so hornbrillentragende Leute in weißen Kitteln, die Dr. Oetker, Müller, Wagner oder Bauer heißen und den ganzen Tag Puddings verkosten, um Geschmacksrichtungen wie Quitte-Mango-Papaya oder Kiwi-Spargel-Mirabelle zu  kreieren, oder Enzyme erfinden, mit denen man Abfallfleisch aus der Abdeckerei zu wundervollen Filetschnitzeln zusammenkleistert. – Die Gastro-Techniker also verübelten dem Gastronomiekäse in erster Linie seine noch immer durchschimmernde Käse-Ähnlichkeit: eine gewisse entfernte Käsigkeit in Geschmack und Anmutung sowie die vorzeitige oxydative Polymerisation oder Verkohlungsneigung bei hohen Backtemperaturen, wie sie mit rund 400° C über dem Fließband der Industriepizza-Industrie nun einmal herrschen.  

So erfand das Kreativ-Team der Lebensmittelchemiewaffenabteilung ein gelblich-bleiches Granulat aus „gehärtetem Pflanzenfett“ – wir kennen das als Bestandteil von Schuhcreme, Seife und Billig-Schokolade –, Wasser, Eiweiß sowie einigen weiteren Bestandteilen des höheren Chemie-Baukastens, die an dieser Stelle ungenannt bleiben möchten. Dieses weitgehend geschmacksneutrale, temperaturstabile, preiswerte Material aber nennt man nun: Analog-Käse. Um wegen ihrer Pingeligkeit berüchtigte Kunden nicht mit Innovationen zu verschrecken, mischte man zunächst herkömmlichen Industrie-Käse mit dem Analog-Dreck und schrieb auf die Zehn-Kilo-Säcke: „Gastronomie-Mix“, stellte dann aber erleichtert fest, daß das Zeug auch gekauft wurde, wenn man die Verunreinigung durch aus Tiermilch hergestellten Käse ganz weg ließ. Blieb das Analoge, das hier also gar nicht anti-nomisch dem Digitalen das Terrain streitig macht,  sondern dem Echten, Wahren, Ursprünglichen. 

Ein herkömmlicher Edamer, Gauda oder Emmentaler verhält sich zu Analog-Käse (von dem in Deutschland pro Jahr 100.000 Tonnen verbraucht werden)  also nicht wie die Vinyl-Schallplatte zur CD, sondern, sagen wir mal, wie die traumschöne Essener Edelnutte Ilona zu einer schäbigen Gummipuppe von Beate Uhse. In beiden Fällen spekuliert man auf Konsumenten, die sich sagen: „Pöh! Solange der Preis stimmt, ist mir das bißchen Unterschied doch egal!“

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9 Kommentare - “Analoge Überbackpampe”

  1. oachkatz Says:

    Auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie Ilona aussieht – sehr anschaulich, Deine Beschreibung der Untaten aus der Convenience-Welt. Zumal das Gastronomie-Käseimitat wirklich nicht schmeckt, weder aus Tiermilch noch aus Fett.

  2. Axel Witt Says:

    Tolle Glosse, wirklich! Und ganz unsere Meinung! Aber bitte, seien Sie doch ein bißchen genauer, bevor Sie alles in einen Topf werfen: Dr. Oetker nämlich verwendet KEINEN so genannten „Analog-Käse“! Dr. Oetker setzt nur echten Käse bester Qualität ein.

  3. botschaftneukoelln Says:

    L. Ron Hubbard erklärt in seinem Buch «History of Man», der Mensch stamme von Muscheln ab und müsse noch immer die Schmerzen und Gefahren aus dieser Zeit nachvollziehen.
    Warum sollte er also guten Käse essen, wenn doch Schmerz zur Erkenntnis führt ?

    Nun ja, das Gesetz schützt alle… auch kriminelle Käsevereinigungen, InSekten, Microsoft und Co. – eben: solange der Preis stimmt…

    Aber was solls… solange Verirrte an den Muschelkäse glauben…
    und ihr Geld und Leben für einen solchen Käse wegwerfen… sag ich nur Amen bzw. Prost!

  4. donqyxote Says:

    Ich habe mir ein Kilo Gruyère aus der Schwyz mitgebracht, das tangiert mich also die nächsten Wochen nicht,ha !

  5. stroheim Says:

    Bereits in den 90er Jahren entwickelte der japanische Professor Mitsuyuki Ikeda, vom städtischen Forschungszentrum Okayama, eine Methode aus Klärschlamm Fleischersatz zu gewinnen. Mehr dazu und zu einiegn anderen kulinarischen Gummipuppen unter:

    http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=8904591&top=SPIEGEL

  6. stroheim Says:

    Auf der Seite von Vincent Klink stieß ich gerade auf die folgende Info: „Peta veranstaltet einen Wettbewerb, um einen hervorragenden Koch zu finden, der als erster in der Geschichte eine authentische Version vegetarischer „Fois Gras“ herstellen kann.“ Da tun sich für die Gilde der Chemo-Kulinaristen ganz neue Perspektiven auf…

    http://www.wielandshoehe.de/html/april1.html

    • 6kraska6 Says:

      @stroheim: Hab mal geguckt: Dieser Klink scheint ein Guter zu sein! Koch, Gastwirt UND witzig! Ist der auch schon irgendwo im Fernsehen?
      @axelwitt: Vgl. „Offener Brief“
      @oachkatz: Die „Edelnutte Ilona“, die immer mal wieder durch meine Texte geistert, hat es wirklich gegeben, allerdings lag der Gipfelpunkt ihrer Karriere in den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die brünette, hochgewachsene Ex-Sekretärin sah, als ich sie kennenlernte, in einem mitternachtsblau-samtenen, schulterfreien Abendkleid dermaßen atemberaubend aus, daß ich dazu, stotternd, stammelnd, schwitzend, vor allem aber mit meinen glutroten Ohren einen wundervollen Kontrast abgab. Ilona war die Art Frau, bei der sich unsereins immer fragt, warum es denn überhaupt Frauen gibt, die an MÄNNERN irgendetwas finden. – Seit jenen auf ewig unvergessenen Stunden des Stammelns, Stotterns und Schwitzens dient mir die „Edelnutte Ilona“ (sie nannte sich selber so! Sie war ein bissl sexistisch) als persönliche, sozusagen idiosynkratische Metapher für irgendwas. For „the real thing“, I suppose…

  7. stroheim Says:

    Ich glaube Vincent Klink kocht sogar manchmal im ARD-Frühstücks-Buffet…Ansonsten betreibt er das Restaurent Wielanshöhe bei Stuttgart und gibt, zusammen mit Wiglaf Droste, ein sehr lesenswertes Magazin namens „Häutling eigener Herd“ heraus.

    http://www.haeuptling-eigener-herd.de/index.html

  8. lakritze Says:

    Urgs. Wenn ich „Gastronomiekäse“ nur lese, kriege ich schvon Magendrücken.
    Und Vincent Klink kocht gut, sehr gut. Ist eine Reise wert. Aber wenn der Preis stimmen muß, geht man wohl besser ins wasweißich „Neckarbistro“.


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