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Brennende Lust: Nacktes Nackenwerfen vs. Feminismus

20. August 2009
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Fast menschenleer: Ein Strand in der City

Derzeit beginnen zeitaktuelle Kolumnen-Texte gern mit einem Zitat von The Loving Spoonful: „Hot town, summer in the city, / my neck’s gettin’ dirt and gritty“ – warum auch nicht, liegt doch nahe bei 37° C im Schatten! Außerdem ists ja ein schönes altes Lied. Ich fang trotzdem mal anders an: Stellt euch einen einsamen Sandstrand vor – nahezu menschenleer liegt er unter der Sonne; bis auf das gelegentliche leise Vorübertuckern eines Schiffes ist es himmlisch still; kein Kindergeschrei, kein hektisches Geplantsche, keine sportgeilen Muckibengel mit Beachball, die einen andauernd immer mit Sand bestäuben. Die Sonne erzeugt mediterranes, wenn nicht sogar nordafrikanisches Flirren, doch ein zwar wüstenhauchwarmer, aber doch erfrischender, kräftiger Wind fächelt Annehmlichkeit zu. Wohin man da fliegen muß? Nirgendshin, das geht mit dem Rad, ist bei mir um die Ecke, im Ghetto, am Rhein.

H ier kann man völlig ungestört sich sonnen, meditieren, den Schleppkähnen auf dem Rhein zusehen oder, auch wenn das hier im Viertel der hundert Nationen etwas exotisch wirkt, ein Buch lesen. Ich für meinen Fall hatte ein Buch der feministischen US-Philosophin Judith Butler mit dem Titel „Die Macht der Geschlechternormen“ dabei, weil ich das für ’nen Vortrag lesen muß. Ich habe ja auch einen Beruf, da ich vom Bloggen oder Qypen nicht leben kann. Leider konnte ich mich am Strand auf die Geschlechternormen und ihre Macht nur schwer konzentrieren, da ein junger Mann die Gunst der Menschenleere und Ungestörtheit nutzte, um von seiner Freundin Erotik-Fotos zu schießen. Heute heißt das so: „Komm, Chloé-Sandrine, Baby, wir machen heut ein mal ein sexy Foto-Shooting, ja?“. Vielleicht wars auch nicht seine Freundin, sondern ein Profi-Model, denn das bis auf gewisse Zonen knusprig grillhähnchen-farben bronzierte Fräulein, das lediglich mit einem großzügig aufgeknöpften weißen Herrenhemd bekleidet war, zeigte körperbaulich gesehen vorzüglich gestaltete Anlagen. Man möge mir das verzeihen oder nicht, aber da, wie gesagt, ein kräftiger Wind ging, der das besagte Hemd in reizvolle Flatterhaftigkeiten versetze, geriet meine Feminismus-Lektüre irgendwie ins Schlingern, weil, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht gleichzeitig! Etwa ein Auge dem theoretischen Feminismus, und eines der praktischen Frauenschönheitsverehrung widmen. Das gibt, vor allem in der prallen Sonne, Hirnschwurbel!

Der Fotograph war jedenfalls mit Sicherheit kein Profi, sonst würde er ja nicht grad seine Bilder „schießen“, wenn die Sonne, im Zenit ihrer weißen Mittagsglut, der Mademoiselle Modelle völlig unschmeichelhaft senkrecht auf den Schädel brennt. Da ich mir hinter meiner großen Sonnenbrille ohnehin schon die Indiskretion des Da-Hinguckens erlaubte (ich kann nichts dafür, ich bin ein Augenmensch!), konnte ich ebenso gut, sagte ich mir, auch gleich mal studieren, wie sich die Macht der Geschlechternormen in den Erotik-Vorstellungen der passionierten Amateure so niederschlägt. Die Regie- bzw. Model-Führung des Fotographen ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder taumelte das Mensch einhundert Prozent phantasiefrei durchs Geschlechtsleben, oder er pflegte eine eigenartige, bizarre sexuelle Obsession: Das Nackenwerfen! Wieder und wieder, ein ums andre Mal, hörte ich ihn der Dame zurufen: „Wirf mal den Kopf in den Nacken! Leg mal so den Kopf zurück! Beug dich mal so nach hinten, ja?“ Die einzige Pose, die der arme Kerl bei seinen ca. dreitausend „Schüssen“ offenbar goutierte und für erotisch hielt, bestand darin, daß sein Modell den Kopf extrem weit in den Nacken warf und so tat, als würde sie von ihren mit Helium gefüllten Brüsten irgendwie gen Himmel gezogen! Mal sollte sie dazu die Schenkel spreizen, mal lasziv das Knie anwinkeln, mal alles zusammenkneifen, aber immer: den Kopf in den Nacken werfen! Mir wurde ganz schwindelig vom Zugucken!

Also, jedem seine erotische Vorliebe, aber mich würde eine weibliche Begleitung ja eher irritieren, die ungefähr tausendmal am Tag ihren Kopf in den Nacken wirft! Da läuft frau doch die Gefahr, sich ein Schleudertrauma zuziehen! Sind die Geschlechternormen das wert? Mein stets polymedial aktive Multifunktionshirn spielte mir „Bettina, pack deine Brüste ein / Bettina, zieh dir bitte etwas an“  von der Band Fettes Brot ein, was sich als perfekter Soundtrack zu dieser Strandstunde erwies.

Trotz allem, es gibt natürlich schlimmeres, als an einem heißen Augusttag am einsamen Rheinufer-Strand Sonnen-Siesta zu halten und physisch gut entwickelten jungen Erwachsenen beim Versuch zuzugucken, sexy zu sein. Ich hoffe, Frau Prof. Butler hat dafür Verständnis!

 Nachtrag: Warum dieser neu gestaltete Strand tagsüber noch immer menschenleer ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht ändert es sich, wenn 2010 die geplante Gastronomie am „Strand“ verwirklicht wird? Obwohl, wenn’s nach mir ginge, könnts so bleiben: Die Ruhe mitten in der Stadt ist traumhaft!

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Analoge Überbackpampe

15. April 2009
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Immer beliebt: Käseanaloge Überbackpampe

NEUES AUS DER SURROGAT-KÜCHE

Wie mich eine kritische TV-Reportage jüngst erst informierte, ist es vorbei mit digital. Das Analoge kehrt zurück! Zumindest, sofern es sich um Käse handelt, jenes obskure Naturprodukt, das z. B. auf der Pizza seinen beliebten fädenziehend zähen, zuweilen auch matschigen, fettigen oder öligen Auftritt genoß oder aber in der sog. Systemgastronomie dazu diente, per Präventivschlag gegen die Verdauungsorgane als panzerfaustfeste, geschmacksstabil penetrante Überbackungskruste alles zu bedecken, zu vertuschen und scheinbar ungeschehen zu machen, was den Magen eines Durchschnittseuropäers verstimmen, irritieren oder explodieren lassen könnte. Dieses Material der Gnade hört in Fachkreisen auf den Namen „Gastronomiekäse“. In Großhandelsketten wie METRO kaufte der kostenbewußte Gastronom ihn säckeweise. 

Trotz seiner zuverlässig nivellierenden, schleimhautplanierenden und geschmacksknospenverpappenden Eigenschaften blieb das beliebte Streugut der Pizzabäcker leider dennoch das Sorgenkind der Gastro-Techniker. ( – Das sind so hornbrillentragende Leute in weißen Kitteln, die Dr. Oetker, Müller, Wagner oder Bauer heißen und den ganzen Tag Puddings verkosten, um Geschmacksrichtungen wie Quitte-Mango-Papaya oder Kiwi-Spargel-Mirabelle zu  kreieren, oder Enzyme erfinden, mit denen man Abfallfleisch aus der Abdeckerei zu wundervollen Filetschnitzeln zusammenkleistert. – Die Gastro-Techniker also verübelten dem Gastronomiekäse in erster Linie seine noch immer durchschimmernde Käse-Ähnlichkeit: eine gewisse entfernte Käsigkeit in Geschmack und Anmutung sowie die vorzeitige oxydative Polymerisation oder Verkohlungsneigung bei hohen Backtemperaturen, wie sie mit rund 400° C über dem Fließband der Industriepizza-Industrie nun einmal herrschen.  

So erfand das Kreativ-Team der Lebensmittelchemiewaffenabteilung ein gelblich-bleiches Granulat aus „gehärtetem Pflanzenfett“ – wir kennen das als Bestandteil von Schuhcreme, Seife und Billig-Schokolade –, Wasser, Eiweiß sowie einigen weiteren Bestandteilen des höheren Chemie-Baukastens, die an dieser Stelle ungenannt bleiben möchten. Dieses weitgehend geschmacksneutrale, temperaturstabile, preiswerte Material aber nennt man nun: Analog-Käse. Um wegen ihrer Pingeligkeit berüchtigte Kunden nicht mit Innovationen zu verschrecken, mischte man zunächst herkömmlichen Industrie-Käse mit dem Analog-Dreck und schrieb auf die Zehn-Kilo-Säcke: „Gastronomie-Mix“, stellte dann aber erleichtert fest, daß das Zeug auch gekauft wurde, wenn man die Verunreinigung durch aus Tiermilch hergestellten Käse ganz weg ließ. Blieb das Analoge, das hier also gar nicht anti-nomisch dem Digitalen das Terrain streitig macht,  sondern dem Echten, Wahren, Ursprünglichen. 

Ein herkömmlicher Edamer, Gauda oder Emmentaler verhält sich zu Analog-Käse (von dem in Deutschland pro Jahr 100.000 Tonnen verbraucht werden)  also nicht wie die Vinyl-Schallplatte zur CD, sondern, sagen wir mal, wie die traumschöne Essener Edelnutte Ilona zu einer schäbigen Gummipuppe von Beate Uhse. In beiden Fällen spekuliert man auf Konsumenten, die sich sagen: „Pöh! Solange der Preis stimmt, ist mir das bißchen Unterschied doch egal!“