Neue Männer: In der Nasch-Anlage


Orientierung noch unentschieden: Geflügelter Knabe (Caravaggio)

Momentan tagt, unter heftigem Blitzgewitter und Geschwätztsunami der Medien, ein„Männer-Kongreß“ in Düsseldorf. Das Männer-Bild oder –Ego soll irgendwie renoviert werden oder so. Was soll ich darüber denken? In meinem Kopf herrscht ein kaum begreifliches Durcheinander. Unaufgeräumter als beim Hempels unter’m Sofa. Ich surfe mal auf dieser, mal auf jener Einstellung und schere mich einen feuchten Kehricht, ob sich das nun widerspricht, oder was. Eigentlich ist mir die sexuelle Orientierung genau so wie die pedantische Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht völlig schnurz, nicht nur bei anderen, auch bei mir. Gerade bei mir. Seit ich mir zu meinem 7. Geburtstag eine „Negerpuppe“ wünschte, und sonst nur Bücher, lebte mein Herr Vater, homophob wie nur irgend ein Scheich von Abu Dingsda, in der peinigenden Sorge, sein Stammhalter könnte womöglich „eine Schwuchtel“ werden. Tja, nebbich. So war er halt, mein Macho-Vati! Seine Rede war schlicht und biblisch: Ja, ja und nein, nein.

Meistens letzteres. Künftige Aufstände probend, ließ ich ihn daher kaltherzig in dem Glauben, ich sei tendenziell schon ein wenig arg mädelhaft geraten. Pöh! Na und? Mir doch egal! Auf ewig ein anmutig liebreizender, vorpubertärer, androgyner Elfjähriger, mit hohem IQ und gesegnet mit einer geradezu furchterregenden Neugier und Offenheit für alles, was Spaß macht: Das wärs, und das wär ich verdammt gern geworden bzw. auf immer geblieben. Äußerlich habe ich mich von diesem Ideal leider verabschieden müssen. Mist, Mist.

Andererseits, ausgerechnet ich, Sympathisant der radikalfeministischen Rebellion gegen die Zwangseinweisung in eine binäre Hetero-Sexualität, sorge ich mich in einem einzigen Punkt trotzdem häufig um meine Männlichkeit. Insgeheim, ohne recht zu wissen warum, halte ich meine Neigung zu Naschwerk irgendwie für unmännlich, genauso wie Nutella-Schnittchen, Duft-Kerzen und Batik-Hemden. Trotz meiner Nonchalance wäre es mir unangenehm, stünde auf meinem Grabstein gemeißelt: „Er war eine Naschkatze“! Obwohl ich genau das wohl bin. Exotische Nüsse, schwedische Hafer-Kekse, britische Ingwer-Kringel (Gingerbread), Rice-Crispies aus Indonesien, Erdnuß-Locken von Bahlsen, banale Salzbrezeln: Steht derartiges auf dem Tisch, bin ich nicht mehr zu bremsen. Ich nasche, knuspere, knabbere und kaue wie ein Suchtkranker! Ohne Hemmungen! Peinlich, oder? Ich meine, hat man John Wayne je Nüsschen knabbern sehen? Ernest Hemingway? Oder Rocky (I-IV)? Rambo etwa? Sie alle schienen Nüsschen und Kekse zu verschmähen und starben aufrecht in ihren Cowboy-Stiefeln, ungesüßt und unvernascht, Ikonen 100%iger machistischer He-Männlichkeit. Ich hingegen nasche und finde, unentwegt knabbernd, MusikerInnen wiek.d. lang oder Antony (von Antony and the Johnstons) gut, die etwas frappierend Unmännliches und Unweibliches an sich haben, und zwar irritierenderweise jeweils beides zu gleicher Zeit.

Aber wiederum andererseits: Meine orientalischen Freunde, in Male/Female-Dingen ansonsten extrem pingelig und ehrpusselich bis zur Zwangsneurose, haben mit Naschwerk überhaupt kein Problem. Nahezu pausenlos werden bei denen zuhause zum Tee Pistazien, Pinienkerne, Cashew-Nüsse, Sonnenblumenkerne oder Röstmais gereicht und umgehend verknuspert, pfundweise, und zwar gerade von Männern! Jederzeit auch gern Studentenfutter, Trockenobst, Kichererbsen, Mandelkern und Haselnuß, ohne Scheu und Scham, mit dicken Backen und Krümeln im Schnauzbart. Ich schwör.

Die Dealer hab ich jetzt getestet: Das Ehepaar Müzeyen und Mustafa Özkan betreibt hier im Viertel das „Param kuruyemışleri“ (in etwa: „Meine Währung: Studentenfutter“), ein Fach-Geschäft für im eigenen Laden frisch geröstetes Nussnaschwerk, getrocknete Früchte und sonstiges Knabberzeug. Meine Freunde sind nämlich keine Kümmel-, sondern eher Knabber-Türken.

Schon vor dem Schaufenster umweht einen der betörend rassig-nussige Duft frisch gerösteter Erdnüsse. Drinnen steht man vor der Glasvitrinen-Parade und fängt, um Zurückhaltung bemüht, erstmal ganz vorsichtig an: „Gehm’se domma bitte hiervon hundert Gramm!“ Aber Herr Özkan beobachtet die lüstern hin und her schweifenden Kundenblicke genau, und zack! streckt er einem ein Schäufelchen von diesem und jenem Leckerkram zum Probieren entgegen. Und schon geht es los. Die Hemmungen fallen. Hiervon noch, und einen Beutel davon, und was, bitte, ist dies hier? Herr Özkan schippt und schaufelt gleichmütig, was die Vitrinen hergeben und gibt nur noch lakonisch zwischendurch den erreichten Preis an. Der ist überraschend niedrig, was einem prompt die letzte Zurückhaltung nimmt.

Mit einer prall gedrehten Nasch-Tüte verlässt man die Naschanlage. Manno, denkt man, wer soll das denn eigentlich wieder alles essen? Zuhause angekommen, entsteigen die betörenden Röstnussdüfte und Orient-Aromen dem knister-knusperigen Beutel – und die Frage hat sich bereits erübrigt.

Das man nicht gleich direkt aus der Tüte futtert, sondern kultivierte Porzellan-Schälchen auffüllt, ist ein bemerkenswertes Zugeständnis an die Zivilisation, – aber dann wird genascht und geknuppert, bis man nicht mehr weiß, ob man Männchen oder Weibchen ist. Ob ich der vom Düsseldorfer Kongress dringend gesuchte „Neue Mann“ bin? Iwo, nee, ich fürchte, ich bin bloß ein Nasch-Pappi.

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5 Kommentare - “Neue Männer: In der Nasch-Anlage”


  1. […] Männlichkeit: Kraska philosphiert angenehm uneitel über Neue Männer: In der Naschanlage und stellt die Frage nach  einer die Verbindung zwischen Männlichkeit und ausgeprägter […]

  2. richensa Says:

    Hasch dich oder ich vernasch dich…
    *lach*

  3. ottogang Says:

    Meine Nüsse fülle ich immer um in ein altes Marmeladenglas. Deckel drauf und in den Schrank.
    Bei Naschgelüsten also, hoch von der Couch, in die Küche gehen, Schrank öffnen, Glas öffnen und eine Hand voll Nüsse.
    So „verdiene“ mir meine Nascherei.
    Männlichkeit:
    Daher wohl auch der Spruch, „das geht mir ganz schön auf die Nüsse“.

  4. ottogang Says:

    Er wieder.


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