Posted tagged ‘Feminismus’

Neue Männer: In der Nasch-Anlage

22. Februar 2010

Orientierung noch unentschieden: Geflügelter Knabe (Caravaggio)

Momentan tagt, unter heftigem Blitzgewitter und Geschwätztsunami der Medien, ein„Männer-Kongreß“ in Düsseldorf. Das Männer-Bild oder –Ego soll irgendwie renoviert werden oder so. Was soll ich darüber denken? In meinem Kopf herrscht ein kaum begreifliches Durcheinander. Unaufgeräumter als beim Hempels unter’m Sofa. Ich surfe mal auf dieser, mal auf jener Einstellung und schere mich einen feuchten Kehricht, ob sich das nun widerspricht, oder was. Eigentlich ist mir die sexuelle Orientierung genau so wie die pedantische Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht völlig schnurz, nicht nur bei anderen, auch bei mir. Gerade bei mir. Seit ich mir zu meinem 7. Geburtstag eine „Negerpuppe“ wünschte, und sonst nur Bücher, lebte mein Herr Vater, homophob wie nur irgend ein Scheich von Abu Dingsda, in der peinigenden Sorge, sein Stammhalter könnte womöglich „eine Schwuchtel“ werden. Tja, nebbich. So war er halt, mein Macho-Vati! Seine Rede war schlicht und biblisch: Ja, ja und nein, nein.

Meistens letzteres. Künftige Aufstände probend, ließ ich ihn daher kaltherzig in dem Glauben, ich sei tendenziell schon ein wenig arg mädelhaft geraten. Pöh! Na und? Mir doch egal! Auf ewig ein anmutig liebreizender, vorpubertärer, androgyner Elfjähriger, mit hohem IQ und gesegnet mit einer geradezu furchterregenden Neugier und Offenheit für alles, was Spaß macht: Das wärs, und das wär ich verdammt gern geworden bzw. auf immer geblieben. Äußerlich habe ich mich von diesem Ideal leider verabschieden müssen. Mist, Mist.

Andererseits, ausgerechnet ich, Sympathisant der radikalfeministischen Rebellion gegen die Zwangseinweisung in eine binäre Hetero-Sexualität, sorge ich mich in einem einzigen Punkt trotzdem häufig um meine Männlichkeit. Insgeheim, ohne recht zu wissen warum, halte ich meine Neigung zu Naschwerk irgendwie für unmännlich, genauso wie Nutella-Schnittchen, Duft-Kerzen und Batik-Hemden. Trotz meiner Nonchalance wäre es mir unangenehm, stünde auf meinem Grabstein gemeißelt: „Er war eine Naschkatze“! Obwohl ich genau das wohl bin. Exotische Nüsse, schwedische Hafer-Kekse, britische Ingwer-Kringel (Gingerbread), Rice-Crispies aus Indonesien, Erdnuß-Locken von Bahlsen, banale Salzbrezeln: Steht derartiges auf dem Tisch, bin ich nicht mehr zu bremsen. Ich nasche, knuspere, knabbere und kaue wie ein Suchtkranker! Ohne Hemmungen! Peinlich, oder? Ich meine, hat man John Wayne je Nüsschen knabbern sehen? Ernest Hemingway? Oder Rocky (I-IV)? Rambo etwa? Sie alle schienen Nüsschen und Kekse zu verschmähen und starben aufrecht in ihren Cowboy-Stiefeln, ungesüßt und unvernascht, Ikonen 100%iger machistischer He-Männlichkeit. Ich hingegen nasche und finde, unentwegt knabbernd, MusikerInnen wiek.d. lang oder Antony (von Antony and the Johnstons) gut, die etwas frappierend Unmännliches und Unweibliches an sich haben, und zwar irritierenderweise jeweils beides zu gleicher Zeit.

Aber wiederum andererseits: Meine orientalischen Freunde, in Male/Female-Dingen ansonsten extrem pingelig und ehrpusselich bis zur Zwangsneurose, haben mit Naschwerk überhaupt kein Problem. Nahezu pausenlos werden bei denen zuhause zum Tee Pistazien, Pinienkerne, Cashew-Nüsse, Sonnenblumenkerne oder Röstmais gereicht und umgehend verknuspert, pfundweise, und zwar gerade von Männern! Jederzeit auch gern Studentenfutter, Trockenobst, Kichererbsen, Mandelkern und Haselnuß, ohne Scheu und Scham, mit dicken Backen und Krümeln im Schnauzbart. Ich schwör.

Die Dealer hab ich jetzt getestet: Das Ehepaar Müzeyen und Mustafa Özkan betreibt hier im Viertel das „Param kuruyemışleri“ (in etwa: „Meine Währung: Studentenfutter“), ein Fach-Geschäft für im eigenen Laden frisch geröstetes Nussnaschwerk, getrocknete Früchte und sonstiges Knabberzeug. Meine Freunde sind nämlich keine Kümmel-, sondern eher Knabber-Türken.

Schon vor dem Schaufenster umweht einen der betörend rassig-nussige Duft frisch gerösteter Erdnüsse. Drinnen steht man vor der Glasvitrinen-Parade und fängt, um Zurückhaltung bemüht, erstmal ganz vorsichtig an: „Gehm’se domma bitte hiervon hundert Gramm!“ Aber Herr Özkan beobachtet die lüstern hin und her schweifenden Kundenblicke genau, und zack! streckt er einem ein Schäufelchen von diesem und jenem Leckerkram zum Probieren entgegen. Und schon geht es los. Die Hemmungen fallen. Hiervon noch, und einen Beutel davon, und was, bitte, ist dies hier? Herr Özkan schippt und schaufelt gleichmütig, was die Vitrinen hergeben und gibt nur noch lakonisch zwischendurch den erreichten Preis an. Der ist überraschend niedrig, was einem prompt die letzte Zurückhaltung nimmt.

Mit einer prall gedrehten Nasch-Tüte verlässt man die Naschanlage. Manno, denkt man, wer soll das denn eigentlich wieder alles essen? Zuhause angekommen, entsteigen die betörenden Röstnussdüfte und Orient-Aromen dem knister-knusperigen Beutel – und die Frage hat sich bereits erübrigt.

Das man nicht gleich direkt aus der Tüte futtert, sondern kultivierte Porzellan-Schälchen auffüllt, ist ein bemerkenswertes Zugeständnis an die Zivilisation, – aber dann wird genascht und geknuppert, bis man nicht mehr weiß, ob man Männchen oder Weibchen ist. Ob ich der vom Düsseldorfer Kongress dringend gesuchte „Neue Mann“ bin? Iwo, nee, ich fürchte, ich bin bloß ein Nasch-Pappi.

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Brennende Lust: Nacktes Nackenwerfen vs. Feminismus

20. August 2009
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Fast menschenleer: Ein Strand in der City

Derzeit beginnen zeitaktuelle Kolumnen-Texte gern mit einem Zitat von The Loving Spoonful: „Hot town, summer in the city, / my neck’s gettin’ dirt and gritty“ – warum auch nicht, liegt doch nahe bei 37° C im Schatten! Außerdem ists ja ein schönes altes Lied. Ich fang trotzdem mal anders an: Stellt euch einen einsamen Sandstrand vor – nahezu menschenleer liegt er unter der Sonne; bis auf das gelegentliche leise Vorübertuckern eines Schiffes ist es himmlisch still; kein Kindergeschrei, kein hektisches Geplantsche, keine sportgeilen Muckibengel mit Beachball, die einen andauernd immer mit Sand bestäuben. Die Sonne erzeugt mediterranes, wenn nicht sogar nordafrikanisches Flirren, doch ein zwar wüstenhauchwarmer, aber doch erfrischender, kräftiger Wind fächelt Annehmlichkeit zu. Wohin man da fliegen muß? Nirgendshin, das geht mit dem Rad, ist bei mir um die Ecke, im Ghetto, am Rhein.

H ier kann man völlig ungestört sich sonnen, meditieren, den Schleppkähnen auf dem Rhein zusehen oder, auch wenn das hier im Viertel der hundert Nationen etwas exotisch wirkt, ein Buch lesen. Ich für meinen Fall hatte ein Buch der feministischen US-Philosophin Judith Butler mit dem Titel „Die Macht der Geschlechternormen“ dabei, weil ich das für ’nen Vortrag lesen muß. Ich habe ja auch einen Beruf, da ich vom Bloggen oder Qypen nicht leben kann. Leider konnte ich mich am Strand auf die Geschlechternormen und ihre Macht nur schwer konzentrieren, da ein junger Mann die Gunst der Menschenleere und Ungestörtheit nutzte, um von seiner Freundin Erotik-Fotos zu schießen. Heute heißt das so: „Komm, Chloé-Sandrine, Baby, wir machen heut ein mal ein sexy Foto-Shooting, ja?“. Vielleicht wars auch nicht seine Freundin, sondern ein Profi-Model, denn das bis auf gewisse Zonen knusprig grillhähnchen-farben bronzierte Fräulein, das lediglich mit einem großzügig aufgeknöpften weißen Herrenhemd bekleidet war, zeigte körperbaulich gesehen vorzüglich gestaltete Anlagen. Man möge mir das verzeihen oder nicht, aber da, wie gesagt, ein kräftiger Wind ging, der das besagte Hemd in reizvolle Flatterhaftigkeiten versetze, geriet meine Feminismus-Lektüre irgendwie ins Schlingern, weil, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht gleichzeitig! Etwa ein Auge dem theoretischen Feminismus, und eines der praktischen Frauenschönheitsverehrung widmen. Das gibt, vor allem in der prallen Sonne, Hirnschwurbel!

Der Fotograph war jedenfalls mit Sicherheit kein Profi, sonst würde er ja nicht grad seine Bilder „schießen“, wenn die Sonne, im Zenit ihrer weißen Mittagsglut, der Mademoiselle Modelle völlig unschmeichelhaft senkrecht auf den Schädel brennt. Da ich mir hinter meiner großen Sonnenbrille ohnehin schon die Indiskretion des Da-Hinguckens erlaubte (ich kann nichts dafür, ich bin ein Augenmensch!), konnte ich ebenso gut, sagte ich mir, auch gleich mal studieren, wie sich die Macht der Geschlechternormen in den Erotik-Vorstellungen der passionierten Amateure so niederschlägt. Die Regie- bzw. Model-Führung des Fotographen ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder taumelte das Mensch einhundert Prozent phantasiefrei durchs Geschlechtsleben, oder er pflegte eine eigenartige, bizarre sexuelle Obsession: Das Nackenwerfen! Wieder und wieder, ein ums andre Mal, hörte ich ihn der Dame zurufen: „Wirf mal den Kopf in den Nacken! Leg mal so den Kopf zurück! Beug dich mal so nach hinten, ja?“ Die einzige Pose, die der arme Kerl bei seinen ca. dreitausend „Schüssen“ offenbar goutierte und für erotisch hielt, bestand darin, daß sein Modell den Kopf extrem weit in den Nacken warf und so tat, als würde sie von ihren mit Helium gefüllten Brüsten irgendwie gen Himmel gezogen! Mal sollte sie dazu die Schenkel spreizen, mal lasziv das Knie anwinkeln, mal alles zusammenkneifen, aber immer: den Kopf in den Nacken werfen! Mir wurde ganz schwindelig vom Zugucken!

Also, jedem seine erotische Vorliebe, aber mich würde eine weibliche Begleitung ja eher irritieren, die ungefähr tausendmal am Tag ihren Kopf in den Nacken wirft! Da läuft frau doch die Gefahr, sich ein Schleudertrauma zuziehen! Sind die Geschlechternormen das wert? Mein stets polymedial aktive Multifunktionshirn spielte mir „Bettina, pack deine Brüste ein / Bettina, zieh dir bitte etwas an“  von der Band Fettes Brot ein, was sich als perfekter Soundtrack zu dieser Strandstunde erwies.

Trotz allem, es gibt natürlich schlimmeres, als an einem heißen Augusttag am einsamen Rheinufer-Strand Sonnen-Siesta zu halten und physisch gut entwickelten jungen Erwachsenen beim Versuch zuzugucken, sexy zu sein. Ich hoffe, Frau Prof. Butler hat dafür Verständnis!

 Nachtrag: Warum dieser neu gestaltete Strand tagsüber noch immer menschenleer ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht ändert es sich, wenn 2010 die geplante Gastronomie am „Strand“ verwirklicht wird? Obwohl, wenn’s nach mir ginge, könnts so bleiben: Die Ruhe mitten in der Stadt ist traumhaft!

Arnold Winterseels Jour Fixe: Der Papst beim Striptease….

11. März 2009
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Traum der Philosophen: Einmal auf Miss Cuties Pyjama-Party eingeladen sein...

…ODER DIE PSYCHOPATHOLOGIE DES VERLESERS

Auf dem Weg, in der U-Bahn, bekam Freund Fredy mal wieder seinen Missionarischen:  Mit vor Eifer erblühenden Wangen teufelte er auf mich mit seinen Lieblingsthesen ein: Nämlich, Autismus sei gar keine Behinderung, sondern ein ebenso anmutiger wie umweltschonender Weg, sich die Zumutungen der Welt vom Halse zu halten und stattdessen sich konzentriert und selbstvergessen der Perzeption und Pflege innerer und äußerer Ordnungen von komplexer, ja unsagbarer Schönheit zu widmen! – Ich blieb aber gelassen. Glasperlenspielsüchtigen wie Fredy Asperger sollte man in diesen Dingen nicht widersprechen. Bei meinem letzten diesbezüglichen Versuch hatte er mir mit vor Konzentration völlig verklärtem Blick und beunruhigend methodisch sämtliche Knöpfe vom Jackett gedreht! – Bin ich mit Fredy unterwegs, trage ich innerlich immer meinen Button mit der Aufschrift: „Freundschaft heißt, das Fremdartige zu akzeptieren, bis es einem aus Gewohnheit lieb wird“.

Die Runde in Arnold Winterseels verqualmten Salon präsentierte sich uns beim Eintritt in schon vorgerückt entspannter Stimmung. Es fehlten diesmal freilich die Aquavitzwillinge, die sich entschuldigen ließen, weil sie, so hatten sie trotzig kundgetan, ihren Junggesellenabschied zu feiern gedachten und deshalb nur eine Grußadresse, einen Topf Fischerbowle und eine Langspielplatte mit Shanti-Songs hatten abgeben lassen. (Trotzig insofern, als weder Hinrich noch Hauke überhaupt über eine Braut verfügten, eine Hochzeit bei keinem der Zwillinge absehbar bevorstand und überdies beide, wie wir sehr wohl wußten, im Alter von jeweilen 34 Jahren noch bei ihrer alleinerziehenden Mutter wohnten. Wir Liberalen tolerieren dies natürlich schmunzelnd.) 

Man war, so stellte sich heraus, bei einem Becherchen Bowle in eine Debatte über die psychoanalytischen Hintergründe von sog. Verlesern verstrickt. Oma Hager hatte leichtsinnigerweise erzählt, sie habe kürzlich einmal statt „Brieffreundin“ das Wort  „Bierfreundin“ gelesen, bestritt dann aber hartleibig, daß dies einen verdrängten Wunsch von ihr offenbare, da sie als Feministin der allerersten Stunde Bier als notorisches Getränk des Patriarchats generell verschmähe; auch einer „frivolen Freundin“, Bier hin oder her, bedürfe sie nicht, da sie, ihrer Erinnerung und ihres damaligen Kenntnisstandes („Wir wußten ja nichts!“) nach, in ihrer aktiven Zeit, bis tief in die 50er Jahre hinein, eindeutig heterosexuell gewesen sei. Magister Blankenvers quitttierte es mit einem unverhohlen diabolischen, ja fast dionysischen Grienen, daß Oma Hager das Wort immer auf der zweiten Silbe betonte („hetérosexuell“), was ihm (dem Wort, nicht Blankenvers) eine gewisse hetären-ähnliche Verruchtheit verlieh.

Sven-Aaron Mangold, unser Einserjurist, aufgrund eines unverhofft gewonnenen Falles schon seit Stunden mit gelockerter Krawatte, steuerte einen weiteren, persönlich erlebten Kasus bei: So habe er in der Zeitung, diese flüchtig durchblätternd, die Headline „Papst erfand Striptease“ gelesen und sich unwillkürlich und zwanghaft, in Sekundenbruchteilen, das Kirchenoberhaupt als Table Dancer in kardinalsroten Strapsen vorstellen müssen; es habe aber dort, bei nochmaliger Lektüre, letztlich doch „Paris“ statt „Papst“ gestanden. Psychonalytisches Nachbohren beantwortete auch Mangold mit striktem Widerstand: Keinesfalls hege er insgeheim die homoerotische Begierde, beim Heiligen Vater (ca. 94) „den Ministranten spielen“ zu wollen! Er weise dieses „in aller Schärfe“, wie er nicht ohne Humor betonte, zurück. – Ich ließ mich dann nicht lumpen, und steuerte meinen eigenen neuesten Verleser bei. Ich hatte kürzlich auf meinem Blog einen Typus porträtiert, den ich den „Eindimensionalen“ nannte. Eine mir persönlich noch unbekannte, nichtsdestoweniger sehr liebe Wienerin schrieb mir daraufhin augenzwinkernd, immerhin aber sei dieser Eindimensionale, dessen Urbild im realen Leben sie vielleicht ebenfalls kenne, „monotaskingfähig“. Da dieser Begriff bis dato weder meinen aktiven, noch meinen passiven Wortschatz bereicherte, las ich stattdessen geläufiger „montagskinofähig“ und versank unmittelbar in jene hypnotische Trance, die Verleser bei mir verursachen können, während ich mir den in Frage stehenden Mann als jemanden vorzustellen versuchte, der nicht nur seine Schuhe allein zuzubinden, sondern evtl. auch des Montags imstande wäre, an der Kinokasse ein verbilligstes Eintrittsbillett für einen ab 6 Jahren freigegebenen Animationsfilm zu erstehen. 

Es war die hinreißende Miss Cutie, die mir noch vor etwaigen Nachfragen beisprang und erklärte, darin könne sie nun „beim besten Willen keinen freudianischen Schweinkram“ erkennen. Ich dankte ihr mit einem knapp angedeuteten Luftküßchen, worauf sie sich mit einem derart himmelblond-schüchternen kleinen Lächeln revanchierte, daß ich es später mit nach Hause nahm und in eine Vase stellte. Ironischerweise war es aber ausgerechnet unsere modisch immer topaktuelle und auf Stylishkeit bedachte Beauty-Queen, deren Verleser dann doch noch eine wenigstens annähernd sexualpsychologische Deutung nahelegte. Sie habe, bekannte Miss Cutie mit einem entzückenden leichten Erröten, kürzlich einen Illustrierten-Report über Schönheits-OPs studiert, worin eine Botox-Heroine als „Stilikone“ apostrophiert worden sei, sie aber, – wohl weil die Lektüre im Wartezimmer ihres Gynäkologen erfolgte, in einer gewissen inneren Flüchtigkeit stattdessen „Silikone“ gelesen habe. Bei diesem Bekenntnis senkte sie keusch den Blick – sodaß wir, sie eingeschlossen, ausnahmslos alle für eine erlesene Sekunde lang meditierend den Blick an ihrer Oberweite verweilen ließen. Dies war ein extraordinär besinnlicher Moment, – als flöge der sprichwörtliche Engel durchs Zimmer!

Es war aber Dr. Winterseel, unser verehrter Traurigkeitslehrer, der unbemerkt durch die Tapetentür getreten war. Leger in das Vorlesesitzmöbel gegossen hielt der Mann im schwarzen Samt-Sakko uns einen Vortrag darüber, wie der Kirchenvater Augustinus einst (in „De Civitate Dei“) die unwillkürliche, willentlich nicht zu beeinflussende Spontan-Erektion des männlichen Geschlechtsgliedes als Bild- und Gleichnis für Adams Aufstand gegen Gottes Willen interpretiert habe. Leider konnte ich mich auf die hermeneutisch-theologischen Weiterungen des Gleichnissses nicht mehr konzentrieren (muß Fredy fragen!), weil ich von Miss Cuties träumerisch verschleierten veilchenfarbenen Augen gefesselt war. Es muß aber Winterseels Vorlesung immerhin zu einer gewissen Beschwingtheit Anlaß gegeben haben, weil Oma Hager, nach mehreren „Chartreuse grün“ einigermaßen entfesselt, noch im Treppenhaus aufgekratzt gekräht haben soll: „Nieder mit dem Phallus! Nieder mit dem gottlosen Rebellen-Schurken! Nieder! Willst du wohl…! Nieder mit dir, sag ich…!“

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Ein Wiener, seinen Phallus niederstarrend (Monotasking)