Diät, Tiepolo, Kleintierkleidung von KIK
Unwirklichkeitsmeisterschaften im Vier-Körner-Land: Ich mache jetzt eine Diät! Ein verhungerter Landarzt aus der protestantrischen Steppe hat sie ausgetüftelt. Im Wesentlichen geht es darum, dass man zu jeder Tageszeit irgendetwas nicht essen oder trinken darf, was man sonst als normaler Mitteleuropäer zu sich nimmt. Morgens dafür nur Kohletabletten, mittags saure Milchwurst und abends einen halben Wasserballon – oder war es umgekehrt? Das spielt im Grunde genommen keine Rolle, die wissenschaftlichen Fundamente sind eh rutschig und nicht unterkellert. Es handelt sich um das gleiche Prinzip wie beim Militär oder in den Weltreligionen, die Inhalte mögen absurd sein, aber es ist halt wichtig, sich überhaupt einer Disziplin zu unterwerfen. Absurd ist sogar gut, damit man ständig im Handbuch nachschlagen muss, was man jetzt gerade darf. (Meistens darf man nicht.) Wer durchhält, bekommt das Himmelreich oder eine zwei Nummern engere Hose. Wer schlappt macht, kriegt auf den Grabstein gestempelt: „Er starb aus Disziplinlosigkeit“. Das ist herzlos, aber gerecht. Das Leben ist halt kein Supermarkt. Oder eben leider gerade doch.
Was das nun mit Kunst zu tun hat? Eigentlich gar nichts, aber mir ist diätbedingt irgendwie nach schroffen Überleitungen, und gestern Abend saß ich halt mit der Gattin auf der Terrasse und pflog als angemessen beschauliches Rentnerhobby der Überwachung des einheimischen Luftraumes. Am Firmament trieben kleine Wölkchen, die in der untergehenden Sonne dermaßen originell schräg von unten beleuchtet oder angestrahlt wurden, dass sie wie Zuckerwattenschaum aus Blassgold aussahen. Mich erinnerten sie an das zierliche Himmelszubehör auf spätbarocken Fresken, und so murmelte ich versonnen: „Das sind so richtige Tiepolo-Wolken…“, worauf die Gattin die Stirn runzelte und minutenlang grüblerisch in den Abendhimmel starrte, ehe sie den Kopf schüttelte und zugab: „Sehe ich nicht…“ Es lag aber nicht an ihrem mangelnden Kunstsinn, sondern daran, dass sie statt Tiepolo „Tierpullover“ verstanden hatte, nach denen man zu dieser Jahreszeit natürlich vergeblich Ausschau hält. Giovanni Battista Tiepolo hätte wahrscheinlich nicht schlecht gestaunt, wie schnell wir von seinen an die Wand gepatschten katholisch-barocken Heiligschmalzstullen zu profanen Fragen der Kleintierhaltung übergingen. Ob man abends noch Rokoko-Bilder anschauen darf, ist ohnehin fraglich, denn sie sind zumeist stark überzuckert. „Und lassen Sie den lieb gewonnenen Alkohol weg!“ befiehlt schnarrend der Landarzt. Klar, das musste ja kommen. Dabei will ich nur ein wenig abnehmen, nicht gleich implodieren.
In seinem Handbuch prahlt der Landarzt, unter seiner Diät-Fuchtel hätten bereits viertausend Menschen zusammen über dreißigtausend Kilo abgenommen. Das ist jetzt aber schon schwindelerregend, oder? Ich hab überschlägig nachgerechnet: Wenn nur die Hälfte aller Deutschen nach dieser Diät lebte, kämen wir leicht auf über 300 Mio. Kilo Fett, die wir loswerden, also zum Beispiel exportieren könnten, um verlotterten Krisenländern unter die Arme zu greifen oder die Kaiser von China zu schmieren, damit sie probehalber die Menschenrechte einführen!
In China darf man bekanntlich nur ein einziges Kind haben, was vielleicht den sog. „himmlischen Frieden“ erklärt, der im Land der Mitte herrscht und dem man in Peking sogar einen Platz gewidmet hat. Ob die Zahl der Hunde auch reglementiert ist, weiß ich nicht, fänd ich aber nicht schlecht. Hier im Viertel nimmt das nämlich überhand. Wenn die Brüsseler Bürokraten mit der Glühbirnenernte fertig sind, könnten sie doch mal kleine Hunde verbieten. In meiner Nachbarschaft leben viele ältere Damen, die, wenn es noch ohne Rollator geht, durchweg ein bis drei lächerlich kleine Trippel-Köter spazieren führen. Mit ihrem goldigen Puschelfell mögen diese (die Pinscher, nicht die Damen) ja meinetwegen aussehen wie von Tiepolo an den Himmel gepinselt, aber Rokoko-Wölkchen kläffen nicht giftig im Falsett, sind nicht hysterisch und machen auch keine Häufchen im Park. Da besteht in punkto Umweltverträglichkeit doch Regulierungsbedarf!
Andererseits will ich auch nicht zu laut nach einem Kleintierverbot schreien, denn womöglich würden dadurch Millionen chinesischer Arbeiterinnen brotlos, die derzeit in schlecht belüfteten unterirdischen Fabriken, mit blutigen Fingern und entzündeten Augen, in Zwölfstundenschichten für KIK diese putzigen kleinen Tierpullover stricken, auf die „wir reichen Westler“ ja offenbar nicht verzichten können. – So, Mittag. Ich brat mir jetzt einen Hund. Mittags erlaubt das der Landarzt, sofern das Tier aus Magerquark und Tofu-Bollen besteht und biologisch abbaubar ist. Aber vorher Pullöverchen abschälen!
This entry was posted on 30. August 2012 at 12:03 PM and is filed under Aus dem Kulturbeutel älterer Jugendlicher, Die Banalität des Blöden: Zur Semiologie des Alltags. You can subscribe via RSS 2.0 feed to this post's comments.
Schlagwörter: Alkohol, Bürokratie, Brüssel, China, Diät, Disziplin, Ein-Kind-Politik, Export, Fett, Fresken, Giovanni Battista Tiepolo, Himmel, himmlischer Frieden, Hunde, KIK, Kleintiere, Kleintierhaltung, Kunst, Landarzt, Luftraum, Militär, Park, Regulierung, Rokoko, Rollator, Sonne, Spätbarock, Supermarkt, Umweltverträglichkeit, Weltreligionen, Wolken
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30. August 2012 um 1:10 PM
Hundewölkchen …. gerade vor ca. eine Woche las ich über eine engagierte Tierbestatterin hier aus der Region, die einmal die Woche mit den gesammelten verblichenen Lieblingen ihrer Kunden und Kundinnen zum Tierkrematorium fährt …
was mir zugegebenermassen jetzt auch Probleme bereitet, zur Diätdisziplin überzuleiten, wäre es da nicht hilfreich, den jedem Glauben innewohnende Willen zum Dogma zu erwähnen und dann endlich so die Regenbogenbrücke zum Hundehalsband um den menschlichen Hals beschreiten zu können, denn was ich eigentilch sagen wollte ist: Diät zu halten scheint mir eine Art sexfreie Unterwerfungssehnsucht des Menschen zu befriedigen, gegen deren Auflagestärke selbst das neuerschienene Sadomaso-Kitschbuch „Shades Of Grey – Geheimes Verlangen“ nie ankommen wird, selbst wenn man ihm ein Pullöverchen als Gimmick beilegte.
30. August 2012 um 1:15 PM
Da gebe ich Dir schon Recht. Allerdings … wenn’s Pullöverchen nicht mehr passt und kneift, denn muss halt was unternommen werden. Gute Nachricht für alle Sadomaso-Muffel: Man kann sich auch mit einer Diät quälen…
30. August 2012 um 2:23 PM
Ich verweise in derlei Zusammenhängen gern auf meinen ehemaligen Nachbarn Didi und sein Garagengeschäft:
http://www.mopsmode.de/
30. August 2012 um 2:55 PM
Da wär man gerne Mode-Mops…
5. September 2012 um 7:17 PM
Das will mir alles so trübsinnig scheinen, von Diät bis Mopsmode (SO häßlich?) … Außerdem beunruhigt mich jetzt der Gedanke, daß die gesammelten 30000 Kilo Fett ja auch irgendwo hin müssen. Danke für die Erwähnung goldig bestrahlter Schäfchenwölkchen; die werd ich heute zum Einschlafen zählen.