Sparbuchführung
Sparbuchdenker. „Man hätte eine Sonne werden sollen, und ist ein Sparbuch geworden“, schreibt Peter Sloterdijk in eines seiner Notizbücher, die er jüngst zu veröffentlichen für nötig hielt. Ob das „man“ eigentlich „ich“ heißen wollte, bleibt offen. Soll man in diesen Notizbüchern schmökern? Doch, doch, warum nicht? Der sympathische Zausel denkt ja wie gedruckt. Freilich, zu den üblichen hübschen Sprachspielereien, gelegentlichen Luziditäten und den unvermeidlichen hirnschwurbeligen Verstiegenheiten tritt jetzt schon ein wenig intellektuelle Altersarmut hinzu. Ich wüsste jedenfalls zum Beispiel nicht, was mir die Mitteilung eintragen sollte, dass der rastlose Fernsehphilosoph zu Hubert Burdas 70. Geburtstag ins Schloss Bellevue eingeladen war. Aber zugegeben, Sloterdijks Eitelkeiten sind immer noch hundert Mal erträglicher, als wenn Kasper David Precht im TV pantomimisch Nachdenklichkeit simulieren will, was eine so überanstrengte Vergeblichkeitsmühsal darstellt, dass einem schon beim Zuschauen der Schweiß ausbricht.
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Lustvoll. Darüber zu maulen, dass einem ständig Sachen mitgeteilt werden, die man überhaupt nicht wissen will, gehört zu den eher flauen Abgedroschenheiten feuilletonistischer Kulturmäkelei, ich weiß, aber dennoch, zuweilen schrickt selbst der abgebrühte Apokalyptiker zusammen: Auf einer frühherbstlich besonnten Fahrradtour durch die Stadt tritt mir aus einer Plakatwand eine etwa 72 Jahre (wie Hubert Burda!) alte Dame entgegen, die ein bisschen aussieht wie eine ältere Schwester der Schauspielerin Jutta Speidel, und brüllt mich in ca. 22,5cm hoch erigierten Lettern an: „Ich will’s lustvoll.“ Dazu schenkt die Dame im grauen Wollkleid mir einen Blick von einer Verschwiemeltheit, die tief blicken lassen möchte. Im Kleingedruckten befiehlt sie ferner knapp militärisch: „Mach’s. Aber mach’s mit.“ Leider besitze ich nicht die mentale Disziplin, darauf zu verzichten, darüber nachzudenken, was die Dame mit diesem dreifachen „’s“ meinen könnte und worauf ihre elliptische Andeutung letztlich hinausläuft. Immerhin gelingt es mir, mein visuelles Vorstellungsvermögen zu zügeln, bzw. zurückzupfeifen. Die Schamfreiheit mancher Mitmenschen imponiert mir. Ich würde für so eine Plakatkampagne nicht zur Verfügung stehen, weil ich mir vorstelle, wie ich an der Lidl-Kasse stehe und hinter mir tuschelt es andauernd: Hey – ist das nicht der alte Sack, der’s lustvoll will?
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Drittkleinster Satan. Ein Foto, das durch die Weltmedien ging, erheitert mich seit Tagen aufs Ungebührlichste; es stammt aus einer Kultur, in der es für Männer zu den angestammten Üblichkeiten gehört, lange Hemden und wild gesträubte Bärte zu tragen, wie angestochen mit den Armen fuchtelnd auf die Straße herum zu traben und dort lauthals, mit geschwollenen Halsadern Mord- und Hassparolen brüllend, fremder Leute Häuser anzuzünden sowie, nach Möglichkeit, Unschuldige zu massakrieren. Man muss das verstehen: Damit wollen sie legitimer Weise zum Ausdruck bringen, dass jeder, der ihre Religion dumm, hasserfüllt und gewalttätig nennt, den Tod verdient. Politiker in unserem Riesenzwergstaat äußern dafür vorsichtiges Verständnis. Aber jetzt zum Foto. Da steht einer jener Kulturträger vor der brennenden deutschen Botschaft im Sudan oder wo und versucht, mit einem Bic-Feuerzeug eine deutsche Flagge anzünden. So weit so na ja, gut. Da aber die muslimische Empörungsindustrie derzeit Lieferengpässe hat und Deutschland, nach den USA und Israel, bloß ein drittkleinster Satan ist, hat der Randalen-Vandale bloß so ein winziges schwarz-rot-goldenes Zipfelchen aufgetrieben, das in der DDR einst „Winkelement“ hieß und außerdem, wie es die deutschen Verbraucherschutz-Richtlinien wollen, auch noch äußerst schwer entflammt. Ich finde, das ist eine wundervolle Metapher, wofür darf sich jeder selbst aussuchen.
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Schmähmeister. Übrigens hat Peter Sloterdijk den Precht kürzlich als „den André Rieu der Philosophie“ bezeichnet, für den sich hauptsächlich „spätidealistische Damen über 50“ interessierten. Wo er Precht hat, hat er Recht. Vorerst bleibt der Schmähhans unser Küchenmeister!
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18. September 2012 um 7:21 PM
Der Häme-Kübel scheint ja derzeit geradezu am sattsam bekannten Siemens Lufthaken direkt vor den – auch klugen – Köpfen zu hängen und nach nachdrücklicher Ausschüttung geradezu zu schreien. Politisch weitaus korrekter wird dies allerdings erledigt, indem man einen großen Bogen um Tätowierte und PR-Gauleiterinnen schlägt und sich stattdessen einen prechtigen jungen Kerl erwählt.
Wiewohl das Bild mit dem feuerfesten freiheitlichen Fahnenfetzen schon gefallen will…
18. September 2012 um 7:27 PM
Was ist ein „Siemens Lufthaken“? Ich bin kein Ingenieur, ich weiß sowas nicht!
Und muss es nicht PR-GAU-Leiterin heißen?
18. September 2012 um 7:44 PM
Den Siemens Lufthaken, die Ultima Ratio des verzweifelten Maschinenbauers („Wo zur Hölle soll ich das noch befestigen?“) gibt es – neben etlichen anderen nützlichen Tools (Abgasfarbe, Steinschlagcreme, Bremsbeläge für die Motorbremse…) beispielsweise im Etel Tuningshop zu kaufen. Da lohnt sich mehr als nur ein Blick – auch für Philosophen.
Und was die GAU-Leiterin betrifft, hast Du vom germanistischen Standpunkt betrachtet natürlich recht. Ich wollte nur verhindern, dass sich dann demnächst neben ihrem Namen der Begriff „GAU-Leiterin“ herbeigugelt.
18. September 2012 um 7:51 PM
Danke für den Tuning-Shop-Tip. Ich hab schon was bestellt…
18. September 2012 um 9:03 PM
Leider wieder haarsträubend gut geschrieben. Die intellektuelle Altersarmut dürfen wir bei Dir also noch länger nicht erwarten, leider auch keine Empathie für schöne Geister mit Brusthaarrasur. Eine Kleinlichkeit natürlich nur.
19. September 2012 um 9:31 AM
Beim Lanzenbrechen für Peter, den großen Schwadroneur, bin ich ganz bei Dir. Ich habe aber gar keinen Fernseher (mehr), aber mal von einem Herrn Lanz gehört, der könnte doch widerum dem Prechtkerl nachfolgen. Die Welt ist also schlecht und dazu im steten Abstieg begriffen. Unterirdisch wird es aber dann, wenn, wie ich, einer kürzlich in Lüdenscheid weilte und vieles nun versteht. Selbst den Kasper, der wohl daher stammt.