Noise Day gefeiert


Arm dran, wer gleich zwei solcher Geräte besitzt (Quelle: Wiki)

Ich hab noch immer keinen Schimmer, wer diese Tage immer festlegt – Tag der Milch, Tag des Buches, Tag des wohlverwahrten Spargroschens usw. Urplötzlich heißt es in den Medien, z. B. morgens in diesen als „Frühstücksfernsehen“ firmierenden digitalen Höllenvisionen, die einen eigentlich sofort wieder ins Bett treiben müssten, mit grauenhaft fröhlich vor sich hin pfeifender Gutelaunehaftigkeit: „Guuuten Mooorrrgen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Heute ist der Tag des…“ – und dann hat man noch verfluchtes Glück, wenn nicht gerade „Tag der Darmkrebsvorsorge“ ist und man, während man sein einsam-mönchisches Frühstücksei vor dem Computer/Fernseher aufklopft, von eigens dazu engagierten, berühmten, graumelierten TV-Kommissaren ermahnt wird, sich als älterer Herr nun aber mal dringend von einem Proktologen in den … – zack! Puh! Gerade noch rechtzeitig weggezappt auf Phoenix-Tierfilm! Wobei man dann wieder sich freuen darf, wenn gerade über Mitgeschöpfe berichtet wird, die nicht mehr als vier Beine besitzen und sich angemessen fellpuschelig zum freundschaftlichen Kuscheln und Streicheln anbieten.

Ich genieße das unverdiente Privileg, mit einer Journalistin verheiratet zu sein, die ihr Büro direkt am Puls der Zeit aufgeschlagen hat und mich notfalls mit Nachrichten aus der sog. Wirklichkeit versorgt. Als ich ihr gestern morgen wehleidig die Nöte meiner Existenz e-mailte, replizierte sie fröhlich: „Passt ja! Heute ist doch Tag des Lärms!“ Es verhielt sich nämlich so und begann morgens um 8.00 Uhr: Nachbar Özgür machte ernst mit der Ankündigung, es könne demnächst „vlleich ma bisschen laut“ werden und bearbeitete zusammen mit seinen Mitstreitern die Wand zu meinem Arbeitszimmer mit Bohrer, Vorschlaghämmern und Spitzhacken. Im Frühstücks-TV kam gerade ein Bericht darüber, wie Lärm den Blutdruck in lebensbedrohliche Höhen treiben könne, wovon ich zum Glück nur wenig mitbekam, weil es nämlich viel zu laut war. Minütlich erwartete ich, dass das Osmanenheer bei mir durchbräche, sodass ich es persönlich bei mir am Schreibtisch zu begrüßen die Ehre hätte. Stattdessen machte der Baulärm pünktlich Pause, damit ich Zeuge eines mörderischen Radaus vor meinem Hause werden durfte.

Hab ich schon mal über die Irren in unserem Viertel geschrieben? Wohl nicht, oder? Meistens hacke ich ja auch bloß auf den Migranten herum.  Dabei haben wir im Geddo auch Irre, Meschuggene, Psychos und Bekloppte, die übrigens, fall es jemanden interessiert, zumeist die deutsche Minderheit repräsentieren. Bei dieser bunten Minorität handelt es sich zumeist um Delirierende, alkoholbedingt stark verwirrte Korsakoff-Patienten, Schizos, Paralytiker, Paranoiker und freiberufliche Phantasten, denen vor langer Zeit leider abhanden kam, was der Normalbürger ehrfurchtsvoll „Sinn & Verstand“ nennt. Gott, ja, ist halt so. Einer von der Zunft der Teilzeit-Außerirdischen, der mir noch neu war, kam um ca. 11.00 Uhr mit seinem feuerroten Fliwatüt vulgo irgendwie aufgemotzten Kehrgerät (das aber nichts kehrte!) ins Geddo gebrettert, hielt, den Motor aufbrüllend lassend, gegenüber meiner Haustür und produzierte, dem Tagesmotto entsprechend, LÄRM.

Vom „Bock“ stieg ein älterer Hardrocker im Arbeitsanzug, mit schütterem, rötlich-blonden Wikinger-Pferdeschwanz, der hoch echauffiert Zornentbranntes in sein Handy brüllte. Es dauerte ein bisschen, bis er begriff, dass er zum Behuf der angestrengten Telekommunikation vielleicht doch besser vorher die Lärmschutzkopfhörer absetzen sollte. Hierauf freilich wurde er zwangsläufig Opfer meines aus dem Fenster gebölkten Hinweises, dass er, würde er dermaßen weiterbrüllen, eines mobilen Telefongerätes weißgott nicht länger bedürfe. Der an seiner Weltsicht kurzfristig irre gewordene Schreihals stutzte, bedachte meinen Ratschlag mit zunehmend wohlwollendem Nicken, zögerte noch ein kurzes Weilchen, steckte das Gerät dann folgsam in die Hosentasche, – um in weiterem den Disput mit dem jetzt endgültig als imaginär entlarvten Gesprächspartner nunmehr mithilfe etlicher ins Irgendwo gerichteter, lauthals gebrüllter Bemerkungen fortzusetzen. Da dies seine Energie noch nicht erschöpfte, tigerte er wild gestikulierend unter meinem Fenster auf und ab, mit sich selber telefonierend, aber in einem Ton, also, da hätte ich längst aufgelegt.

Danach das allfällige Kindergeschrei, das sich hier im Geddo anhört wie eine Horde (sagt man Horde? Herde? oder Schwarm?) Papageien bei der Gruppernbalz im Regenwald, fortwährend misstönendes, hochfrequentes, unartikuliertes Kreischen, von dem nicht auszumachen ist, ob es einer irgendwie gearteten Kommunikation oder lediglich lauterer Daseinsfreude zum Ausdruck dient. Bevor mich jemand belehrt: Ich weiß, dass man mit der Zwille nicht auf Kinder schießen darf.

Wenigstens hat sich das Baupionier-Batallion von nebenan jetzt erholt und kann wieder in die Wand. Zwar hat der Elan nachgelassen, aber es reicht noch, um meine vorbehandelten Nerven mit beharrlichen Scharren, Kratzen und Schleifen richtig blank zu bekommen, sodass sie beim abwechslungsreichen Arabesk-Geknödel aus den fahrbaren HiFi-Türmen arrivierten Zuhälternachwuchses, unten auf der Straße, schon präventiv mitschwingen. Fasziniert betrachte ich die kleinen kreisförmigen Mini-Wellen in meinem Kaffeebecher und frage mich, ob es theoretisch auch akustisch ausgelöste Tsunamis geben könnte.

Den Abend des Tags des Lärms begehe ich mit der Gattin in aller Stille. Mit einer Ausnahme: Als sie fragt: „Warum bist du denn so gereizt?“ schreie ich markerschütternd: „Ich BIN nicht gereizt! Ich freue mich nur auf den TAG DES ZORNS!“

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14 Kommentare - “Noise Day gefeiert”

  1. richensa Says:

    Am Tag des Zorns regnet’s bestimmt Feuer, Heuschrecken und Kröten…
    Den deinen kann ich aber gut verstehen, ich wohne in einem der so genannten Partyviertel der Hauptstadt, da werde ich auch oft zornig!

  2. chairman Says:

    Literaturhinweis: Stefan Slupetzky – Lemmings Zorn

  3. Uffnik Says:

    Grandios beobachtet – pardon belauscht – und niedergeschrieben. Mann, bin ich froh beidseitigen Tinnitus und eine Hörschädigung von 50 % zu haben. So bleibt doch einiges im Stillen 😉
    Und kommt es doch zu kras_da rüber, schalt´ich halt die Hörrohre einfach aus! Aus die Maus. Ruhe.

  4. Wassily Says:

    Hääääääääääääääääääääää?

  5. /cbx Says:

    Verdammt Magister, seit ich Dein neuestes Opus gelesen habe, gregorianiert es in meinem Kopf nur so herum von wegen „terribilis est locus iste“ und „dies irae“.

    Das ist ja ganz besonders niederträchtig, so per Assoziationsbombe den Lärm quasi in den Kopf des ahnungslosen Opfers zu pflanzen*.

    Das ist definitiv noch schlimmer als äußerer Lärm, weil man davor nun definitiv nicht davonlaufen kann.

    *…Lebe und lerne: „pflanzen“ hat im Österreichischen auch noch die Bedeutung „täuschen“ bzw „verarschen“.

    • 6kraska6 Says:

      Das Sympathische an Deinem österreichischen Migrationshintergrund, lieber Herr Inscheniör, ist, dass er mich des öfteren an Karl Kraus‘ Diktum erinnert: „Der Deutsche und der Österreicher sind durch eine gemeinsame Sprache getrennt“. – Pflanzen… ts, ts…

  6. Lakritze Says:

    Und dann gibt es da noch die perfiden Sorten Lärm, der, dessentwegen man sich eigentlich gar nicht aufregen darf, weil er, nunja, eigentlich zu leise aus dem Kopfhörer nebenan dringt.
    Tschk-tss-tschk-tss-da-tschk-tss-tschk-tss …

  7. Oublier Says:

    Da freut man sich auf den Tag des Zorns und die Baustelle gegenüber ist weg, der Kinderhort weggezogen und der Dauerkläffer tot. Wo ist denn der Tinitus geblieben? Da fehlt doch was…..

  8. karu02 Says:

    Ich leide mit, schon beim Lesen stellen sich die Haare in meinen Ohren auf, zumal ich im Alter immer geräuschempfindlicher werde statt abzustumpfen, was vernünftiger wäre. Wie kannst Du dabei noch denken, vom schreiben gar nicht zu reden. Diese trotzdem-Leistung verdient besondere Würdigung.

    • 6kraska6 Says:

      Danke! Also am Tag des Lärms war in der Tat ans Denken kaum zu denken… Und dabei bin ich ja schon einiges gewöhnt!

  9. Uffnik Says:

    Mensch: ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.

    Kurt Tucholsky


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