
In memoriam: Elisabeth Haneld † 1953
IN MEMORIAM:
ELISABETH HANELD
Meine Groß- und Patentante Elisabeth ist schon lange tot, sie starb, von Krieg, Hunger und Nazi-Terror zermürbt und ausgezehrt, schon ein Jahr nach meiner Geburt. Ich kenne sie nur als Familienmythos: Die Malerin, Musikerin und engagierte Pädagogin, die entschiedene Antifaschistin, die 1935 oder 36 gemeinsam mit ihrer Freundin und Lebensgefährtin, einer Schulrektorin, den Staatsdienst in Berlin quittierte (wohl war nach dem Nazi-Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 ihre Stellung unhaltbar geworden), aus der Stadt verschwand und untertauchte. Zehn Jahre hausten die beiden in einer Hütte oder Laube südöstlich von Berlin, zwischen Erkner und Buckow, dort, wo Bertolt Brecht seine „Buckower Elegien“ schrieb. Ohne Lebensmittelkarten, hungernd, vom Nazi-Apparat gesucht und verfolgt, unter den Feuerstürmen der alliierten Bomberflotten verbrachten sie ihre besten Jahre mit dem Kampf ums nackte Überleben.
Uns blieben ein paar Bilder und Zeichnungen, einige Fotos und ihre Violine…
Jetzt, nach fünf Jahrzehnten, erreichen mich plötzlich zwei „Zeichen“ aus der Vergangenheit. Zum einen bin ich bei Internetrecherchen über eine Notiz im Fürstenwalder Amtsblatt auf den Namen der beiden Frauen gestoßen – und damit auf das Grundstück, auf dem versteckt sie das III. Reich überstanden! Zum anderen tauchte ein kleines Skizzenbuch meiner Großtante wieder auf, das sie in den Untergrundjahren benutzt hatte. Elisabeth H. war in der Hauptsache Landschaftsmalerin, sie liebte die Märkische Schweiz mit ihren Wäldern, Hügeln und schilfbestandenen Seen, Gegenden, deren Stimmungen sie immer wieder aufs neue zu Papier brachte. Am Ende gibt es nur noch wenige Blätter mit Skizzen: Der strenge Katastrophenwinter 1944/45 schlägt sich nieder in toten, schneebedeckten und frosterstarrten Bäumen und Sträuchern. Dann ist Schluß. Es folgen nur noch leere Blätter.
Oder, nein, eines, ganz hinten, ist noch benutzt. Eine der seltenen Porträtskizzen Elisabeths: Auf Papier von der Farbe der senfgasfarbenen Nazi-Ausgehuniform hat sie die Fratze von Joseph Goebbels karikiert. Lakonisch steht unter Fanatikerfratze mit den brennenden Augen: „Der Lautsprecher„. – „Wollt ihr den totalen Krieg?“ hatte der gekreischt, und zigtausend Stimmen haben zur Antwort „Jaaa!!“ gebrüllt. Sie haben ihn dann ziemlich postwendend bekommen, ihren totalen Krieg, und ein Berlin, unbewohnbar wie der Mond.
Meine Mutter, selbst noch ein halbes Kind, von den Nazis zur Knochenarbeit bei der Straßenbahn gepreßt, mußte morgens auf dem Weg zum Depot über die zum Abtransport zurechtgelegten Leichenstrecken der Berliner Bombenopfer steigen. Die meisten waren im Feuersturm auf Kindergröße geschrumpft und verkohlt. Mit der Erinnerung hat sie noch 60 Jahre leben müssen, oder dürfen.
Meine Großtante hat das Nazi-Pack überlebt, immerhin. Die Erinnerung an Menschen, die sich vom „Lautsprecher“ weder einschüchtern noch verführen ließen und es wagten, „Nein!“ zu sagen, gehört zu den Dingen, die uns die Geschichte ertragen lassen.
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