Posted tagged ‘Warsteiner’

Fußball gucken im Geddo

8. Juni 2011

Wer nun? Wie nun? Was nun? Wieder nichts mitbekommen... (Foto: REUTERS)

Zur Strafe, weil Branko unsere Stammkneipe verkauft hat und wieder mit dem Truck zwischen Valencia und Zagreb unterwegs ist, hocken wir alle in seinem Wohnzimmer unter der gerahmten Koran-Sure und trinken Warsteiner. Der Couchtisch biegt sich unter aufgefahrenen Gerichten. Es gibt Fleisch mit Buttersauce, Fleisch mit Käse-Sauce und Fleisch mit Fleischsauce, dazu serbischen Rinderschinken und Lammwurst. So ist das bei Berg-Serben. Ein kleines Schüsselchen Salat ist auch dabei – mit ungeschälten Gurken! „Keine Panik“, brummt Branko, der Ruhe-Bär, „die sind frisch aus Novi Pazar.“ – Sportrentner Horst murmelt: „Datt isset ja, watt mir bissken Sorgen macht…“ und nimmt lieber Rinder-Niere.

Ich versuche, wenigstens mit einem Auge das Spiel Aserbeidschan gegen Deutschland zu gucken, wegen dem wir eigentlich zusammengekommen sind. Hören kann man vom Kommentar nichts, weil der alte Vlado gerade von der Schwarzarbeit zu uns gestoßen ist, mit beachtlicher Schlagseite und großem Erzählbedürfnis, weil, er hat Fliesen gelegt, und da das eine trockene Angelegenheit ist, hat er „alle ch’albe Stunde nur ein Pinneken“ hausgebrannten mazedonischen Schnaps (ca. 55%igen, soweit man das in etwa abschätzen kann) getrunken. Ich kann es nicht lassen und rechne ihm vor, dass das bei zehn Stunden Arbeit aber auch schon eine ganze Flasche Slivo bedeutet. „Nä…“, winkt Vlado ab, „bei Arbeit nur Pinneken. Das mit Flasche war ärrs danach“. – „Na, die Fliesen möchte ich sehn“, hake ich etwas hämisch nach. Sportrentner Horst war mal Handwerksmeister und belehrt mich, um Präzision bemüht: „Die Fliesen, weisse, Proff, die sinn eintlich nich datt Problem – aber die Fugen! Die Fuuugen!

Während Horst mich, den ungebildeten Geisteswissenschaftler, in die Geheimnisse des Fliesenlegens einweiht, beginnt Vlado unvermittelt und laut stark von seiner Militärzeit in der jugoslawischen Armee zu erzählen und hampelt vor dem Fernseher herum, um den Parade-Stechschritt vorzuführen. „Datt se dich mit deine ma knapp einsfümmunnfuffzig überhauppt genomm ham…“ wundert sich der Sportrentner, während ich versuche, Vlado zur Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen, weil ich noch immer was vom Spiel sehen will. „No, genommen scho“, mutmaßt Serbo-Bayer Branko, „nur Gewehr ch’am se ihm nich gegeben, weil ch’at immer so auf  Boden geschleift…“ Vlado startet zu einer langen verworrenen Anekdote, der ungefähr zu entnehmen ist, er sei streng genommen eigentlich bei der Marine gewesen, habe aber wegen „Knappheit von Schiffe“ zumeist in der Kaserne hocken müssen und sei „praktisch immer besoffen“ gewesen. „Nix Geld, aber immer besoffen!“ kräht er ein ums andere Mal, haut mir vor Begeisterung auf die Schenkel und fuchtelt wild vor dem Bildschirm herum.

Ich werde langsam quengelig, weil ich vom Spiel echt nichts mitbekomme. „Wieso?“ fragt Vlado treuherzig, „steht zweinull fir euch. Ch’annst du doch zufrieden sein, Proff. Ihr Deutsche seid nie zufrieden! Immer bloß ch’ewinnen, ch’ewinnen…“ Ich versuche zu erklären, dass es meiner Meinung nach der genuine Sinn des Fußballspiels sei, dass man gewinnen wolle; außerdem wolle ich nicht zusehen, DASS oder gar DAMIT Deutschland gewinne, sondern WIE. „Mir egal, wer gewinnt“, wirft der Sportrentner in die aufbrandende Debatte, „Hauptsache et is dann Deutschland oder der MSV!“  Branko bringt Frischbier und erzählt, dass er in seiner Zeit als Wirt mehrere Müllsäcke voll Warsteiner-Kronkorken gesammelt habe, weil, da stehen nämlich so Nummern drin und damit kann man was gewinnen. „Vielleicht hab ich schon Auto“, sagt er versonnen. Da ich als Magister das Belehren nicht lassen kann, merke ich an, dass er die Korken dann aber auch einschicken müsse. „Kannst du vielleicht über Internet machen?“ fragt er mich hoffnungsvoll.

Vlado ist jetzt auf dem Fußball-Tripp. „Bei uns in Dorf friher“ erzählt er träumerisch und haut mir auf die Schulter, „war zehn Häuser und elf Jungen! Wir ch’aben IMMER gewonnen!“„Ja klar“, sag ich bissig, „weil euch die anderen elf gefehlt haben. Außerdem, nebenbei, kannze ma die Finger von mir lassen? Da wo ich herkomm, fassen sich Männer nicht dauernd an!„Ach, is doch bloß Freundschaft“ verteidigt Horst seinen Freund. – Inzwischen hat Aserbeidschan ein Tor erzielt. Wir jubeln kurz solidarisch, auch wenn Branko meint: „Das ham die bestimmt gekauft!“„Wieso denn“, wird er zurechtgewiesen, „das ist noch nicht in Serbien!“ Die Erörterung der Frage, ob Mazedonien, Montenegro oder aber Slowenien („Nä, datt war Handball“ weiß der Sportrentner bescheid) Weltmeister der Sportkorruption sei, läuft noch, da ist das Spiel vorbei. Ich glaube, wir haben gewonnen. Beim Abschied heißt es: „Proff, schön, dasse gekommen biss! Lass uns bald ma wieder schön Fußball gucken. Vielleicht bei die Fraun, demnäx.“ Na, da wird was los sein.

Werbung

Dem Führer wird es zu blöd. Nix Anpassung

17. April 2011

Reden, wie der Schnabel gewachsen ist

Heute in der serbischen Stammkneipe. Komme wie immer zu spät, hab die ersten Runden Diebels oder Warsteiner verpasst. Am Stammtisch ist Schalke gegen Milano schon durch, es herrscht bereits Religionskrieg. Oh, Allah, dicke Lufthoheit! „Bismallah ah-Rahman i-rahim“, sage ich höflich, klopfe auf den Tisch und grüße brav „Selam-aleikum“. Ich bin halt so erzogen. Immer höflich, kommt von Mutti. Sportrentner Horst ist aber schon auf höchster Krakeelstufe. „Aaaannn-passsn solln die sich! Aannpass-ssen!“ – „Wer denn? Was denn jetzt? Woran denn?“ versuche ich die Tagesordnung zu eruieren. „Na, die scheiß Türken!“ brüllt Horst, und zeigt erbittert auf seinen serbisch-montenegrinischen Herzensfreund Branko. Wie sich nach einigen Gläsern Wein (vino bjelo), mit denen ich mich einzugrooven versuche, herausstellt, Horst möchte gern, dass unsere Muslime hier Schweinefleisch essen, „weil das numaa unsre Regeln sind“, greint er pampig. – „Horst“, rüge ich milde, „du bist doch noch nicht mal Christ! Also blas hier die Backen nicht so auf!“ – „Anpassen oder rausschmeißen!“ insistiert der Sportrentner bockig, der eigentlich, nüchtern, ein herzensguter Mensch ist und noch nicht mal wirklich Ausländerfeind. Der Alkohol hat ihm irgendwie die Koordinaten verknotet.

 Horst stiert mich wütend an und versetzt: „Proff! Du hast von nix ne Ahnung!“ Ich schlucke das zunächst, wie alles, was man mir in dieser Kneipe vorsetzt (obwohl ich bei selbstgebranntem, mit dem Bus aus der Heimat [„Ch’aimath“] hergeschmuggelten Slibo inzwischen mädchenhaft zimperlich geworden bin). Eigentlich hatte ich die Chancen des MSV Duisburg beim Pokal-Endspiel diskutieren wollen, aber hilft nichts, der Integrationsmagister ist jetzt gefragt.

Ich formuliere ein paar wohlgesetzte Worte über religiöse Toleranz, werde aber von Horst direkt volley niedergebrüllt. „Der Türke“, beharrt er und macht eine weit ausholende Geste in Richtung der überwiegend serbisch-orthodoxen oder bosnisch-liberalmuslimischen Gäste, „der Türke“ sei ein „Sozialschmarotzer“. Und seine besondere Dreistigkeit sei, kein Schweinefleisch zu essen, obwohl er sich vom deutschen Staat durchfüttern ließe. Ich gebe zu, über diese logische Komplikation einen Moment lang nachgedacht zu haben, gab dann aber zu Protokoll, mir persönlich sei es völlig gleichgültig, was ein Mensch äße oder nicht; ich zum Beispiel verschmähte geröstete Kakerlaken und gegrillte Meerschweinchen, hielte mich deswegen aber nicht gleich für einen besseren Menschen. Zum Beispiel möge ich auch keinen Spinat, würde aber von niemandem verlangen, meine Abneigung gegen dieses köstliche, vitaminreiche Blattgemüse zu teilen. Geschweige denn, dass ich darauf eine Religion gründen möchte.

 „Außerdem: Was haben wir denn davon“, versuche ich es mit der gewaltfreien Kraft des Arguments (Habermas), „wenn der Türke jetzt Schweinefleisch isst?“„… unn die ganzen Zigeuner!“ trumpft der Sportrentner auf und gerät in Rage. „Alle rausschmeißen!“ – Ich gebe, um die Redundanz des Diskurses durch Bildungselemente aufzulockern, zu bedenken, dass diese Leute meines Wissens weder Muslime seien noch Schweinefleisch verschmähten. „Anpassn!“ beharrt Horst, „oder ehm raus hier!“ – „Wie denn anpassen, alter Mann“, frage ich, langsam etwas auf Krawall gebürstet, den Schweinefleisch-Fundamentalisten, „solln die sich auch die Haare blondieren wie du?“ – Nebenbei fällt mir auf, wenn der Sportrentner sich die Fusselfrisur schwarz färben würde, hätte er frappierende Ähnlichkeit mit Muammar al-Gaddafi, und ich kann mir nicht verkneifen, ihm (also Horst) das mitzuteilen.

 Weil man am Stammtisch deshalb nun auch lebhaft über „Egüppten“  und „Lübien“ redet und dabei Mubarak und Gaddafi ständig verwechselt, mache ich zur Güte den Vorschlag, nach 22.00 Uhr am Stammtisch evtl. die Sachgebiete Religion und Politik besser auszuklammern, vergeblich natürlich, weil, man hält mich als „Prof“, „Magister“ und „Lehrer“ zwar in gewissen Ehren, hört mir aber trotzdem nicht zu. Im Gegenteil, nach dem 20. Bier schlingert Horsts Blick ins Visionäre. „Ich grünne ne Paatei!“ verkündet er der vorwiegend aus „Ausländern“ bestehenden Runde charismatisch, fixiert mich dann plötzlich mit verliebtem Blick und donnert: „Unn du, Proff, wirst unser Führer!“ – „Horst“, repliziere ich maliziös, „ich glaube, die Partei, die dir vorschwebt, gibt es schon“, und ergänze, ich sei indes weder geneigt, deren „Führer“ noch auch der irgendeiner anderen Partei werden zu wollen und mache mich dann auf den kurzen Heimweg, was ich mit einem knappen, aber konzisen „Das wird mir jetzt zu blöd hier!“ begründe.

Freund Branko, der in Erfüllung seiner Wirts-Pflicht, stumm brütend dabeigesessen hat, macht eine halb bedauernde, halb resignierte Geste. Seine Form von Islam ist von der fatalistischen Sorte und besteht im wesentlichen darin, seine Kinder sonntags zum Hodscha zu schicken, „damit die da Anstand kriegen“. –

Der Sportrentner aber hat das letzte Wort: „Typisch den Proff, eyh. Wennas ma kons… kons…trucktief wird, hauter ab!“