Metempsychose ist ja gar nicht, wie ich früher geglaubt habe, eine Geisteskrankheit – es bedeutet bloß Seelenwanderung! Pythagoras, der bekannte Erfinder der Dreiecksbeziehung, so erfuhr ich jüngst, glaubte zum Beispiel, man werde fünf Mal geboren, als Mensch, als Tier, als Pflanze, als Ding und als noch irgendwas (nachschlagen!) Vielleicht als Müll? Nein, das kann nicht sein, denn Müll ist ja gar nicht „etwas“. Müll ist vielmehr, wie der Alltags-Semiotiker im kulturanthropologischen Seminar gelernt hat, ähnlich wie „Schmutz“ eine rein relationale Kategorie und bedeutet bloß: Materie am falschen Ort. Über Müll und Metempsychose nachzusinnen, ergibt sich im Geddo reichlich Gelegenheit:
Auf Fahrradpatrouille im Viertel, in lauer Sommernacht, einer sanft entdämmernden schon, in der geheimnisvollen, sehnsuchtsgeschwängert parfümierten blauen Stunde vager Verheißung und unerwarteter Begegnungen, sah ich mich kürzlich am Eck vor dem aufgelassenen Orientcafé unversehens konfrontiert mit einer kapitalen, überaus wohlgenährten und äußerst selbstbewussten … Ratte. Beide wie gebannt wechselten wir, kurz geschockt, wie ertappt, einen langen Blick gegenseitiger Aversion. Dann drehte sie, die Ratte, mir, immerhin der verbrieften Krone der Schöpfung, betont langsam, geradezu pampig arrogant, das fette Hinterteil zu und hoppelte aufreizend träge, in diesem typischen hüftsteifen Humpelgang ihrer Gattung, davon, um sich in ihren komfortabel geräumigen Müllhaufen (zwei Etagen, mit Terrasse, Gäste-WC und Boulevardblick) zurückzuziehen…
Normalerweise erweise ich der sublunaren Tierwelt ein von Sympathie und Neugier, gelegentlich von biedermeierlicher Rührung grundiertes Interesse und nehme schmunzelnd zur Kenntnis, dass nicht jede Spezies in Gottes Schöpfung mit Niedlichkeit ausgestattet ist und zu Streicheleinheiten einlädt, was indes natürlich dennoch schade ist und ein Desiderat bleibt, weil, so haben Forscher herausgefunden, das Streicheln gerade niedlicher Tiere (u. a. auch Menschen-Babies!) im Menschen das Hormon Oxytocin freisetzt, was nicht nur Geburten erleichtert und den Milchfluss der weiblichen Brust befördert, sondern auch ganz allgemein soziale Interaktionen begünstigt, da es, das Hormon, freundlich und kommunikativ stimmt.
Wiewohl im Herzen Punk, bin ich persönlich allerdings nie auf die Idee gekommen, eine Ratte zu streicheln, zumal dies bei mir, aus einem archaischen, vielleicht sogar epigenetisch verankerten Reflex wohl lediglich Adrenalin und nackte Mordlust freisetzen würde, denn der Ratte bin ich unerklärlich abhold, ich perhorresziere dieses Tier, ich lehne es ab, ich will, dass es weggeht, weil es mich an Mittelalter, Pest und Schwarzen Tod, an Nosferatu und Albert Camus erinnert! Aus Gründen, die Professor Freuds Schüler aus meinen Neurosen oder archetypischen Ängsten herausdröseln mögen, gilt mir sowohl die gemeine Haus- wie die schlankere Wanderratte als Metapher metaphysischen Unheils, vielleicht nur noch mit der fett schillernden, dicken Schmeißfliege vergleichbar, die mich taktlos umschwirrt und indezent gierig auf meinen Tod wartet, um mir, kaum habe ich meine Seele Gott oder dem Nichts befohlen, ihre scheißblöden Eier in meine gerade erst blicklos gewordenen, noch tränenfeuchten Augenhöhlen zu legen.
Eine Ratte aber ist, emblematisch und übercodiert, der Inbegriff drohender Daseinsverdüsterung! Einmal, früher, als mein Lebenslauf bedrohlich ins Stocken & Kleben geraten war, lag, schwer wie eine Metapher von Günter Grass, eine tote Ratte vor meinem Fenster auf dem Flachdach. Weder konnte ich sie da wegmachen, da ich mich enorm ekelte, noch konnte ich sie dort liegen lassen, weil sie nachhaltig, durch ihre bloße Präsenz, mein Gemüt bleiern beschwerte. Drei Tage haderte ich, bis es mir gelang, den Kadaver zu entsorgen, zitternd vor Abscheu. Aber siehe: Danach ging es in meinem Erdendasein wieder vorwärts, ich lernte eine unerschrockene Frau kennen, die ich heiraten durfte, und alles wurde gut! Das Leben setzte die Segel!
Gewisse Spezies, wenn sie uns auf die Pelle rücken, Wanzen, Läuse und Ratten etwa, geben uns den diskreten Hinweis, dass es bei uns mit der Hygiene nicht zum Besten bestellt ist. Massives Auftreten dieser Gattungen im urbanen Raum indiziert kulturellen Niedergang. Wir werden an den durch Rainer Werner Fassbender thematisierten Dreiklang erinnert: der Müll, die Stadt, der Tod, die drei apokalyptischen Reiter, die allabendlich durch mein Geddo traben. Niemand würde Ratten verübeln, irgendwo in stadtfernen regionalen Feuchtgebieten herumzuwuseln und sich in Gottes Schöpfungsplan irgendwie nützlich zu machen; hier, im urbanen Raum unseres Viertels mit internationalem Flair, wo allerhand Kinder sich verzweifelt bemühen, wenigstens aufzuwachsen, erscheinen sie, die Ratten, mir exorbitant fehl am Platz.
Bedenkenswert ist, dass der längst verblichene reaktionäre Krawallpolitiker Franz Josef Strauß gerade uns, die vorlauten, irgendwie jüdisch-zersetzenden Intellektuellen, dereinst als „Ratten und Schmeißfliegen“ titulierte. Ich wäre weder das eine noch das andere gerne, würde ich seelenwandernd (psychic walking) wiedergeboren. Und was wäre ich gern als Ding? Ein frivoler Vibrator? Ein bescheiden dienstfertiger Schuhlöffel? Ein mysteriöses Fässchen Amontillado? Angesichts meines Lebenswandels fürchte ich, als Müllhaufen wiedergeboren zu werden. Immerhin wäre die Kontinuität gewahrt: halt Materie am falschen Ort.
Neueste Kommentare