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Müll & Metempsychose (Materie am falschen Ort)

9. Juli 2011

Materie am falschen Ort: Wiedergeboren als Müll

Metempsychose ist ja gar nicht, wie ich früher geglaubt habe, eine Geisteskrankheit – es bedeutet bloß Seelenwanderung! Pythagoras, der bekannte Erfinder der Dreiecksbeziehung, so erfuhr ich jüngst, glaubte zum Beispiel, man werde fünf Mal geboren, als Mensch, als Tier, als Pflanze, als Ding und als noch irgendwas (nachschlagen!) Vielleicht als Müll? Nein, das kann nicht sein, denn Müll ist ja gar nicht „etwas“. Müll ist vielmehr, wie der Alltags-Semiotiker im kulturanthropologischen Seminar gelernt hat, ähnlich wie „Schmutz“ eine rein relationale Kategorie und bedeutet bloß: Materie am falschen Ort. Über Müll und Metempsychose nachzusinnen, ergibt sich im Geddo reichlich Gelegenheit:

Auf Fahrradpatrouille im Viertel, in lauer Sommernacht, einer sanft entdämmernden schon, in der geheimnisvollen, sehnsuchtsgeschwängert parfümierten blauen Stunde vager Verheißung und unerwarteter Begegnungen, sah ich mich kürzlich am Eck vor dem aufgelassenen Orientcafé unversehens konfrontiert mit einer kapitalen, überaus wohlgenährten und äußerst selbstbewussten … Ratte. Beide wie gebannt wechselten wir, kurz geschockt, wie ertappt, einen langen Blick gegenseitiger Aversion. Dann drehte sie, die Ratte, mir, immerhin der verbrieften Krone der Schöpfung, betont langsam, geradezu pampig arrogant, das fette Hinterteil zu und hoppelte aufreizend träge, in diesem typischen hüftsteifen Humpelgang ihrer Gattung, davon, um sich in ihren komfortabel geräumigen Müllhaufen (zwei Etagen, mit Terrasse, Gäste-WC und Boulevardblick) zurückzuziehen…

Normalerweise erweise ich der sublunaren Tierwelt ein von Sympathie und Neugier, gelegentlich von biedermeierlicher Rührung grundiertes Interesse und nehme schmunzelnd zur Kenntnis, dass nicht jede Spezies in Gottes Schöpfung mit Niedlichkeit ausgestattet ist und zu Streicheleinheiten einlädt, was indes natürlich dennoch schade ist und ein Desiderat bleibt, weil, so haben Forscher herausgefunden, das Streicheln gerade niedlicher Tiere (u. a. auch Menschen-Babies!) im Menschen das Hormon Oxytocin freisetzt, was nicht nur Geburten erleichtert und den Milchfluss der weiblichen Brust befördert, sondern auch ganz allgemein soziale Interaktionen begünstigt, da es, das Hormon, freundlich und kommunikativ stimmt.

Wiewohl im Herzen Punk, bin ich persönlich allerdings nie auf die Idee gekommen, eine Ratte zu streicheln, zumal dies bei mir, aus einem archaischen, vielleicht sogar epigenetisch verankerten Reflex wohl lediglich Adrenalin und nackte Mordlust freisetzen würde, denn der Ratte bin ich unerklärlich abhold, ich perhorresziere dieses Tier, ich lehne es ab, ich will, dass es weggeht, weil es mich an Mittelalter, Pest und Schwarzen Tod, an Nosferatu und Albert Camus erinnert! Aus Gründen, die Professor Freuds Schüler aus meinen Neurosen oder archetypischen Ängsten herausdröseln mögen, gilt mir sowohl die gemeine Haus- wie die schlankere Wanderratte als Metapher metaphysischen Unheils, vielleicht nur noch mit der fett schillernden, dicken Schmeißfliege vergleichbar, die mich taktlos umschwirrt und indezent gierig auf meinen Tod wartet, um mir, kaum habe ich meine Seele Gott oder dem Nichts befohlen, ihre scheißblöden Eier in meine gerade erst blicklos gewordenen, noch tränenfeuchten Augenhöhlen zu legen.

Eine Ratte aber ist, emblematisch und übercodiert, der Inbegriff drohender Daseinsverdüsterung!  Einmal, früher, als mein Lebenslauf bedrohlich ins Stocken & Kleben geraten war, lag, schwer wie eine Metapher von Günter Grass, eine tote Ratte vor meinem Fenster auf dem Flachdach. Weder konnte ich sie da wegmachen, da ich mich enorm ekelte, noch konnte ich sie dort liegen lassen, weil sie nachhaltig, durch ihre bloße Präsenz, mein Gemüt bleiern beschwerte. Drei Tage haderte ich, bis es mir gelang, den Kadaver zu entsorgen, zitternd vor Abscheu. Aber siehe: Danach ging es in meinem Erdendasein wieder vorwärts, ich lernte eine unerschrockene Frau kennen, die ich heiraten durfte, und alles wurde gut! Das Leben setzte die Segel!

Gewisse Spezies, wenn sie uns auf die Pelle rücken, Wanzen, Läuse und Ratten etwa, geben uns den diskreten Hinweis, dass es bei uns mit der Hygiene nicht zum Besten bestellt ist. Massives Auftreten dieser Gattungen im urbanen Raum indiziert kulturellen Niedergang. Wir werden an den durch Rainer Werner Fassbender thematisierten Dreiklang erinnert: der Müll, die Stadt, der Tod, die drei apokalyptischen Reiter, die allabendlich durch mein Geddo traben. Niemand würde Ratten verübeln, irgendwo in stadtfernen regionalen Feuchtgebieten herumzuwuseln und sich in Gottes Schöpfungsplan irgendwie nützlich zu machen; hier, im urbanen Raum unseres Viertels mit internationalem Flair, wo allerhand Kinder sich verzweifelt bemühen, wenigstens aufzuwachsen, erscheinen sie, die Ratten, mir exorbitant fehl am Platz.

Bedenkenswert ist, dass der längst verblichene reaktionäre Krawallpolitiker Franz Josef Strauß gerade uns, die vorlauten, irgendwie jüdisch-zersetzenden Intellektuellen, dereinst als „Ratten und Schmeißfliegen“ titulierte. Ich wäre weder das eine noch das andere gerne, würde ich seelenwandernd (psychic walking) wiedergeboren. Und was wäre ich gern als Ding? Ein frivoler Vibrator? Ein bescheiden dienstfertiger Schuhlöffel? Ein mysteriöses Fässchen Amontillado? Angesichts meines Lebenswandels fürchte ich, als Müllhaufen wiedergeboren zu werden. Immerhin wäre die Kontinuität gewahrt: halt Materie am falschen Ort.

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Der Mann: Seelenfreund oder blaues Silikon-Würstchen?

3. September 2009
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Welcher Mann möchte HIERAUF reduziert werden?

Um einmal wieder – ich finde, jetzt darf es an der Zeit sein –, ein heikles Thema anzusprechen: Zwar sind einige meiner besten Freunde Frauen, aber dennoch, mir will keine irgendwie geartete Beziehung einfallen, in der ich es geschmacklich, ästhetisch oder erotisch für angemessen, geboten oder auch nur vertretbar hielte, einen sog. Dildo zu verschenken. Ich meine, wer weiß? Möglicherweise wird es irgendwann ja dereinst science-fiction-mäßig emanzipierte Zeiten geben, in denen das Verschenken sorgfältig und künstlerisch wertvoll gestalteter Vibratoren – etwa zum Mutter- oder Hochzeitstag, zu Geburtsjubiläen oder zu hohen kirchlichen Feiertagen – nicht anstößiger wirkt als, sagen wir: die freundschaftliche Überreichung eines Milchaufschäumers, Pürier-Stabes oder Sektquirls.

 In solchen Zeiten wird dann ein Mann, ohne Anzeichen der Befangen- oder Verlegenheit eine Dildo-Boutique betreten und nonchalant etwa folgendes herunterhaspeln: „Ich suche etwas für eine aufgeschlosssene, junggebliebene Dame mittleren Alters, bevorzuge dabei indes Naturmaterialien, aber wiederum möglichst aus ökologischem Anbau, also eventuell schon Teakholz in warmen Rotbraun-Tönen, aber aus kontrollierten, alternativen, nachhaltig organisierten Baumschulen! Und gibt es da auch welche mit Solarbetrieb?“ In der Folge würde sich der ratsuchende Herr von einer hochkompetenten, nicht im mindesten verlegenen, virtuosen Fach-Vibratraktoristin  über die Vorteile und Nachteile verschiedener Modelle aufklären lassen, dabei betont verständig nicken und schließlich eine vernünftige, Preis und Leistung gegeneinander abwägende sachliche Wahl treffen. Zart errötend, aber dankbar wird er abschließend zustimmen, wenn die Befriedigungsgeräte-Fachkraft professionell flötet: „Darf ich’s Ihnen als Geschenk einpacken?“

 Solche und ähnliche Phantasien fliegen mich an, wenn ich fast täglich, auf dem Weg zur Arbeit, durch die kleine, verschwiegene Seitengasse radele, in das „Pussy Pleasure“ liegt. „Pussy Pleasure“ heißt zu deutsch: „Muschi Vergnügen“, was evtl. ein missverständlicher Ladenname wäre. Es handelt sich um nämlich nicht um ein Geschäft für Katzenbedarf, sondern um einen kleinen Laden, der sich dem exklusiven Sektor weiblicher Bedürfnisse widmet, die vom DM-Markt, der Parfumerie Douglas und den Schuhgeschäften nicht abgedeckt werden. Da ich, wie gesagt, hier feilgebotene einschlägig verwendbare Geräte und Spielzeuge nicht verschenke, andererseits das soeben phantasierte Verkaufsgespräch erst in der fernen Zukunft stattfindet, habe ich mich noch nie getraut, die kleine Boutique zu betreten.

 Dennoch vermag mich der Shop (eigentlich doch schade, das man ihn englisch benannt hat; „Ulla’s Wollust’läd’chen“ oder „Spielzeugstube Tralala“ hätte ich niedlicher gefunden…) anzuregen, wenn auch nur zu Gedanken folgender Art:

 Warum eigentlich ist, mal sexualkulturanthropologisch gefragt, die soziale Akzeptanz autoerotischer Betätigung geschlechterspezifisch so unterschiedlich verteilt? Zu deutsch: Wenn ein männliches Wesen, sei es aus Partnermangel, Schüchternheit oder überschießender Libido, Hand an sich legt, und dabei womöglich „so Heftchen“ oder gar miese Schund-Filme zur Hilfe nimmt, so schaut man in der Regel halb mitleidig, halb verächtlich von schräg oben auf ihn herab und heißt ihn einen „elenden kleinen Wichser“; tut eine Frau ganz ähnliches und versichert sich dabei der Unterstützung durch männerverachtend übertrieben geformte Geräte, noch dazu batteriegetriebene, so schnalzt man hingegend allgemein anerkennend mit der Zunge: Oh la là, was für eine kühne, emanzipierte, zu ihren Lustbedürfnissen stehende „moderne Frau“! –Warum heißt es denn da jetzt nicht: „Booaah! Ist ja superekelig! Die doofe Schlampe reduziert den männlichen Menschen auf einen brummenden, surrenden, vibrierenden Plastik-Pürierstab! Wie inhuman männerverachtend! Hier wird der Mann, der doch Lebenstraum-Partner, anlehnungsschultergewährender Seelenfreund und Herzensgefährte sein soll, brutal zum technoiden Instrument mechanischer Lustgewinnung degradiert!“ Irgendwie ungerecht, oder nicht? Oder haben Frauen da irgendwie einen Bonus? Aber warum? Weil bei ihnen das meiste irgendwie besser aussieht?

 Ich weiß nicht – im Grunde habe ich nichts gegen diese immer etwas auftrumpfenden Frauenerotikläden. Da „Pussy Pleasure“ schon seit Jahren existiert, wird es wohl genügend Kundschaft geben, und ich bin der letzte, der das beklagt. Ist ja für uns Männer auch irgendwo ein stückweit entlastend, wenn wir nicht mehr allein für besagte „pleasure“ verantwortlich sind. Das einzige, was mich an diesem Frauenerotikding manchmal stört, ist so eine gewisse narzisstisch verkitschte Süßlichkeit wie bei diesen obzönen Blüten-Bildern von Georgia O’Keefe, oder den patschuli-duftenden Weichzeichner-Nymphchen von Georg Hamilton („Bilitis“), diese Art feminine Selbstverkitschung, die so tut, als sei weibliche Sexualität irgendwie duftiger, ätherischer und weniger verschwitzt, als die männliche. Aber weiblichen Sexismus will ich den werten Betreiberinnen von „Pussy Pleasure“ gar nicht unterstellen. Wenn ich von weitem einen schüchternen Blick riskiere, sehe ich dort immer junge, moderne, fröhliche Frauen, die Spaß haben, viel lachen und, scheints, ein lustiges Leben führen. Das sei ihnen von Herzen vergönnt. Immer hinein ins Vergnügen!