Posted tagged ‘Und alle so: „Yeaahh!“’

Vor der Wahl: Deutschland ein Wackelbild

26. September 2009
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Das Frank-Angela oder die Steinmerkel: Es kommt uns so oder so.

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So fing sie mal an: "Drei Tage Bonn inkl. Fahrt in einer echten Politikerlimousine"

Wie nicht ganz bei Groschen wackele ich seit Tagen hypnotisiert mit dem Kopf. Vierzig Grad, fünfundfünfzig Grad, und wieder zurück. Lentikularfolie. Wackelbild. Der SPIEGEL hatte diese Woche so ein Ding auf dem Titel kleben: Man sieht einen nachgemachten, pseudo-barocken Sessel in einer Art blühender Photoshop-Landschaftskulisse  stehen, und darauf thront, je nach Blickwinkel,  entweder Dr. Acula Merkel (40°) oder der charismatische Aktenautist Frank-Willi Steinhäger (55°). Es handelt sich nämlich um den berühmten Bundeskanzlerthron auf der grünen Reichtagswiese, auf dem wir ja alle gern Platz nähmen, um uns mal als echter Märchen-König von Deutschland zu fühlen, oder wie Alfons der Viertelvorzwölfte von Lummerland. Jedenfalls, egal, darüber steht als Headline: „Es kommt so..“ (40°) bzw. „… oder so“ (55°). Wahlweises Wackelgedackel: Das Frank-Angela oder die Steinmerkel. Wenn man aus ca. 48, 49° guckt, hat man ein vexiervermischt gedopppeltes Hybrid-Moppelchen, das irgendwie an Helmut Kohl erinnert und an hundert Jahre Langeweile. Wie wahl!

 Damit trifft das Nachrichtenmagazin den wetterwendischen Wackelwähler präzis auf den Kopf (obwohl beim SPIEGEL-Titel der kümmerliche Pointenfurz erst abschnarcht, wenn man das Wackelbild ablöst…). – Genau! Es kommt so oder so! Und das ist kaum spannender, als wenn in China irgendwo ein Bild schief hängt. Daß die „Kandidaten“ nur jeweils verwackelte Vexierbilder voneinander sind, war unser Eindruck ja auch schon seit längerem. Frank-Verwalter Steinmeier ist ja bloß der Merkel ihre Kehrseite! Beide „können Kanzler“, kräht der böse Clown aus der Wortspielhölle. Dabei können beide noch nicht mal Politik. Das ist nicht ihre Schuld; der eisgraue Aktenfresser („Oile“) aus dem Hundert-Morgenwald ist im Grunde ein harmloser Mann, dem ich meinen insgeheim gehorteten Vorrat an 100-Watt-Glühbirnen zur Aufbewahrung anvertrauen würde, und die Uckermärkische Spinatwachtel mit dem Pampgun-Gesicht ist ja in Wirklichkeit auch bloß eine Hausfrau, die früher mal im Preisausschreiben „drei Tage Bonn inkl. Fahrt in einer echten Politikerlimousine“ gewonnen hat und dann einfach vergaß, wieder nach Hause zu fahren.

Man soll nicht immer Ressentiments gegen Politiker schüren: Die tun doch nix. Die wollen bloß spielen. Ihr Spiel hat den barocken Titel: Wir haben im Grunde keine Ahnung, woran wir da herumfummeln, aber wir retten qua angeborener Kompetenz jetzt erstmal die Weltwirtschaft, ferner das Weltklima, das System der Rentenversicherung, das kranken Gesundheitssystem, den Frieden in Afgähnistan und alles weitere, und zwar mit Mitteln, die sich seit 40 Jahren schon nicht bewährt haben, aber was sollnwa machen, wir ham ja sonst nix. Wir fahren die Karre an jede verfügbare Wand, machen dabei aber ein triumphierendes Gesicht. Die Kunst der Politik in der Mediengesellschaft: Hauptsache, man verkauft, was überraschenderweise herausgekommen ist, als genau das, was man gewollt hat hat.

 Es kommt so oder so. Es kommt, wie es will. Es kommt, wie es kommt. Und alle so: „Yeaahh!“

 Pathetisch packt mich ein Bürgerlich-Sentimentaler am Sakko-Knopf: Wenn du nicht wählen gehst, verschmähst du die heilige Errungenschaft demokratischer Freiheit! Bürger beachteiligter Länder, denke nur an Iran, würden sich alle sechs Finger danach lecken, freidemokratisch wählen gehen zu dürfen! – Mich erinnert das immer an meine Kindheit: „Andere Kinder, denke nur an Indien oder Afrika, wären froh, wenn sie deinen Spinat hätten!“ (Und ich immer so, im Kopf: „Ich auch!“) – Auch Elli, die Hausbesorgerin, teufelt in diesem Sinne auf mich ein: Herr Kraska! Sie MÜSSEN WÄHLEN gehen! Sonst kriegen Ihre Stimme DIE ANDEREN! beschwört sich mich mit eindringlichem Blick. Auf meine verblüffte Rückfrage: „Welche ANDEREN denn?“ schweigt sie vielsagend, oder, nach der Rechtschreibereform: viel sagend.

 Abgesehen davon, daß ich befürchte, die Systeme, die über unser Schicksal entscheiden (globale Ökonomie, internationale Finanz-Märkte, Weltklima, Energieressourcen-Verteilung, geopolitische Weltmachtinteressen etc.) könnten bei weitem zu kompliziert und strukturbedingt eigendynamisch sein, um sie noch mit den Mitteln herkömmlicher, klassisch nationaler repräsentativer Demokratie steuern zu wollen, hab ich den Eindruck, der imaginäre Wähler, der den Wackelkandidaten vorschwebt, ist auf jeden Fall über fünfzig und dynamischer Frühsenior, der sich vorgenommen hat, wenn wir von der Wanderfahrt in den Harz zurückkommen, mach ich da mal an der Volkshochschule so einen Kurs über Internetz. Mal sehen, was da so drinsteht. – Die impertinente Ahnungslosigkeit und backpfeifig dumm-stolze Ignoranz, mit der Frau Dr. Merkel die Probleme, Interessen, Kompetenzen und Zukunftssorgen der heute 25-bis 35-jährigen  übergeht, wird sich irgendwann rächen, schätz ich. Vielleicht schon am Sonntag? Ach ja, „moine jungen Froinde aus dem Internetz“ dürfen ja schon wählen! Yeaahh!

 Wie ich mich kenne, lasse ich mich am Ende doch wieder breitschlagen und mach zwei Kreuze. Und da ich mich ziemlich gut kenne, glaube ich, das erste Kreuz mach ich bei den Grünen, wenn auch mit einem Gesicht, als hätte ich in einen zugleich sauren, faulen und verwurmten (und daher auch viel zu teuren!) EU-Norm-Bio-Apfel gebissen, einen Apfel, der höchstwahrscheinlich ziemlich weit vom Stamm des Baumes der Erkenntnis gefallen ist. Das zweite Kreuz schenk ich den Piraten, nehme es ihnen allerdings gleich wieder weg, sobald sie tatsächlich eine Partei werden. „PiratenPARTEI“ ist ja wohl das doofste Oxymoron nach „Verein der Vereinsgegner“!

 Ich glaube nicht, daß Sonntag ein weichenstellender Schicksalstag für Deutschland sein wird. Es kommt so … oder so. Wahrscheinlich aber noch ganz anders. 

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Heute in der Kanzleramtskantine: Blitzauflauf

24. September 2009

Gestern late-night-comedy mit YouTube, und ich so: multitasking-mäßig voll überfordert! Gleichzeitig irre kichern, Kopf schütteln, flache Hand vor die Stirn schlagen, Haare raufen, lachen, weinen, spotten und schimpfen – das gibt Salat! Aber den reiche ich dann meinen überraschend eintrudelnden Gästen zum Blitzauflauf. So übersetzen nämlich Tom Buhrow und seine sechs Mitzwerge hinter den ARD-Bergen bei den „Tagesthemen“ den Begriff Flashmob.

Wenn schon Frank-Werner Steinbeißer wirkt wie der Merkel ihr verschwiegerter Schwippschwager, dann muß ARD-Ankermännchen Tom Buhrow ihre illegitime Schwousine verschärften Grades sein. Diese backpfeifengesichtige Strunzdummheit frisch gestärkt und kess über die Stirn gebügelt, das verdruckst mopsige, debile Dreistigkeitsgrinsen halbschief in die Backen gedübelt, von Maskenbildner und life-Photoshoppern dann doppelfett übertuscht und blank gespachtelt, strahlen jedenfalls beide Kartoffelnmasken exakt die gleiche blickdicht verrammelte, unbelehrte und unbelehrbare, kackfrech auftrumpfende Ignoranz und Imbezilität in die Kamera, von der sie allen Ernstes wohl glauben, es käme bei volxnahen Kreisen so als „Souveränität“ und „Gelassenheit“ rüber. Oh my god.

Die „Kanzlerin“, für die ich früher irgendwann mal sogar für Sekunden so etwas wie eine flüchtige Sympathie empfand, heißt eigentlich Angela Igel: Weil, genau, sie ist immer schon da. Sie hat ersichtlich nicht den geringsten Schimmer, wie das nun wieder alles da zusammen hängt mit diesem Flashmopps und den Spaßpiraten (Frank-Wolfgang Steinhäger sagt immer „Internetz“ dazu), aber sicherheitshalber steht sie schon mal über den Dingen. Säuerlich süffel-süffisant lippenspitzig flötet sie „moine Froinde aus dem Internet“ an, obwohl sie ja da nun noch nie war und zu Menschen unter fünfzig nur Kontakt hat, wenn sie beim Bad in der Masse dargereichte Kinder (ganz junge Union) knutscht, aber die smarte Hausfrau aus der Uckermark weiß schon mal, daß „die jungen Leute aus dem Internet“ mal besser „was fürs Leben lernen“ sollten, und zwar, man glaubt es nicht, indem sie Merkels Slow-Brain-Slogans „besser mal zuhören“ tun. Oha, ja. Götter! Helft mit Blitzen! Man schaue der „Kanzlerin“ im Video, diesen Quaak den Wuppertalern um die Ohren pampend, mal ins Gesicht: Die wie endgültig erloschen plierenden Augen, die mühsam gegen die Schwerkraft kämpfenden schlaffen Hänge-Wangen, die Klappmundwinkel, die bei solchen humorig-überlegenen Sprüchen in die Lächelpose gezurrt werden, für Sekunden (Flashsmile!) – MeineDaamunnherrn: Ihre Unsäglichkeit, Majestät Kretineska I. bittet das Volk zum Blitzauflauf. Eine Produktion der Murksburger Puppenkiste.

Ums mal im O-Ton zu bringen: Wir dürfen „fürs Leben“ etwa folgende Weisheitsperle auf die Zunge legen und „lernen“: „Wachstum schaffen! Weil Wachstum Arbeit schafft!“ In Wuppertal skandiert der Flashmob dazu begeistert „Wachstum! Wachstum! Wachstum!“ und klatscht dazu in die Hände wie eine lustvoll beseligte Gruppe durch Down-Syndrom herausgeforderter Ausflügler auf Exkursion im Narrenmuseum. Jedenfalls ICH wenigstens fühlte mich genauso. Am liebsten tät ich nämlich auch mit, wär doch als Abschluß des Wahlkampfes super: Wir fassen uns alle an den klebrigen Patschehändchen, ja, auch da hinten der unselige Pummel da im spacken, froschgrünen Blazer („Aach? DAS ist „die Kannzelerin“?), und dann tanzen wir um ein kleines goldenes Kälbchen immer im Kreis herum und rufen diesem ermutigend zu: „Wachstum! Wachstum!“

Am Samstag, in Berlin, der Hauptstadt der Bewegung, wär noch Gelegenheit. Die CDU zelebriert ihren cerebralartistischen Wahlkampfklimax dort. Die Kanzlerin kommt auch. Kommt schon wieder. Und alle so: „Yeaahh!“? Doch, ich glaub schon. Auf das Internetz ist Verlaß. Da lernen junge Leute fürs Leben.

Oops, they did it again! Kommunikatiosguerilla stellt richtig…

22. September 2009
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Das Fake der NEW YORK TIMES, am 12. Nov. 2008, mit Datum 4. Juli 2009, verteilte Auflage 1,2 Mio., in denen die Welt so funktioniert, daß man "YES!" sagen könnte

Apropos „Und alle so ’Yeaahh!’“: – Auch die bewährte Kommunikationsguerilla der Yes Men hat wieder zugeschlagen, wie man dem Blog spreeblick.com entnehmen kann. Die Aktion im November 2008, bei der sie 1,2 Milionen gefälschte Exemplare der New York Times unters Volk brachten, in denen u. a. die Beendigung des Irak-Kriegs bekanntgegeben wurde, scheint zur Fortsetzung geeignet. Diesmal haben die Yes Men mit zweitausend Helfern eine gefakete Ausgabe der – nicht eben umweltinteressierten – Boulevard-Zeitung New York Post (im Besitz von Rupert Murdoch) „ausgeliefert“, die drastisch die Folgen des Klimawandels für New York ausmalt.

Die Yes Men, von WTO, Chemie- und Ölkonzernen gefürchtete Kommunikationsguerilleros, die sich gern auf internationalen Symposien und Kongressen einschleichen, verfolgen eine Kampftaktik, die man überraschender Weise bereits beim skurrilen Schweizer Literaten Robert Walser findet: die – ironische – Überidentifikation. Man übernimmt den Standpunkt des Gegners und übertreibt ihn dabei aber so wahnsinnig, daß seine eigentliche Geistesverwahrlosung und Menschenfeindlichkeit hervortritt. Unvergessen z. B. die Forderung gefaketer Repräsentanten auf einem internationalen Freihandelskongress, frei handelbare „Gerechtigkeitsgutscheine“ einzuführen, mit deren Hilfe sich Staaten und Konzerne, analog zum Handel mit Emissionslizenzen von Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen freikaufen könnten.

Seit ein Yes Men-Abgesandter auf einem international hochkarätig besetzten Wirtschaftskongress der WTO (World Trade Organisation) ausführlich Adolf Hitlers Wirtschaftspolitik lobte und für eine modifizierte Form der Sklaverei aussprach, bei der man den Sklaven ein zuhause („zum Beispiel in Gabun…“) belässt, weil er dort billiger verpflegt werden könne und man die „Transportkosten“ spare, – und unglaublicherweise NIEMAND Einspruch einlegte oder auch nur irrititiert war, seitdem also ist man in den Zentren der Macht alarmiert. Demonstranten, die sich gegen die Globalisierungspolitik auflehnen, kann man abdrängen, einkesseln, wegsperren, auch mal niederknüppeln. Aber wie man gegen unauffälligen grauen Anzugherren mit Access-Sticker am Revers vor, die als Referenten auftreten, und Ja! Jaa! Jaaa! zu den unsinnigsten Dingen sagen? Wie unterscheidet man sie von den eigenen Leuten?

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Zwei bekannte Aktivisten der Yes Men: Igor Vamos und Jacques Servin

Wenn die Welt sich zu bewegen verweigert, helfen die Yes Men freundlich ein bißchen nach, zumindest in der medialen Berichterstattung, die sie einfach selbst übernehmen. In der Millionenauflage der falschen New York Times wurde die Welt kurzerhand richtig gestellt: Die Yes Men beendeten den Irak-Krieg, ließen Georg W. Bush wegen Hochverrat anklagen und Condoleeza Rice sich für ihre Lügen-Politik entschuldigen. Aufsehen erregte auch die im britischen Fernsehen verlesene Erklärung des schuldigen Konzerns, man werde jetzt endlich die Opfer der Katastrophe von Bophal entschuldigen. Das Dementi der Dow Chemical-Giftmischer war dann natürlich peinlich… 

Man muß nachdenken: Diese Taktiken der Subversion scheinen mir vielversprechend: Ironische Affirmation, ironische Überidentifikation, Medien-Hijacking. Und alle so: „Yeaahh!“