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Geddo Symphony

6. Oktober 2010

 

Hätt ich auch gern manchmal: Eine sog. Schallkanone (hier zur Piratenabwehr an Bord der Queen Mary). Fotoquelle: Wikipedia, Artikel "Lärm"

 

 

Wenn mich Leute mitleidig angucken, bloß weil ich erwähne, freiwillig im Hochfelder Geddo zu leben, krieg ich ja Trotzphase. „Hier, meine Lieben“, patze ich pampig oder prahlerisch zurück, „ist jedenfalls tausendmal mehr Leben auf der Straße als in euren muffig-putzigen Kleinbürger-Vorstädten mit Vorgarten-Idylle und Keramikschild an der Tür („Hier wohnen Anika und Thorben Mustermann mit Finn-Luka, Cleo-Malwine und Hund Nappo“); in solchen sklerotischen Norm-Schlafboxen für mittlere Angestellte möchte ich ja nicht für geschenkt wohnen!“

Sitz ich hingegen in der stylisch-coolen Wohnung der Gattin bei Abendessen und Tagesrückblick, hört sich das etwas anders an, in etwa so: „Dieser gottverfluchte verfickte Scheißlärm in meinem Geddo macht mich noch krank! Da hast du keinen Augenblick Ruhe, Mensch! Können die nicht mal für ’ne Minute die Klappe halten, das Kreischen und Bölken einstellen und ihr bescheuertes Arabesk-Gedudel runterdrehen?!“ – Beides ist nicht falsch. Leben find ich eigentlich ganz gut, und die vollverklinkerten niederrheinischen Mittagsschlafmützendörfer, die hinter heruntergelassenen Sicherheitsjalousien immer wie verzehrsberuhigt ausgestorben wirken, machen mir eher Angst. Andererseits bin ich ruhebedürftiger, denkberufstätiger Nörgelrentner, der auch schon mal gut ohne Soundtrack auskäme.

Leider fehlt mir die technische Ausstattung, sonst würde ich euch einen achtzehnstündigen Mitschnitt aufnehmen. Los geht’s um 7.00 Uhr. Ouvertüre: die städtischen Müllharmoniker. „Kraaatz-rawong! Braatzkrackgrommel? Mjampftrumbrummel Rattazong! Und Wrummm.“ Das Geddo steht an der Spitze der Welt-Müllproduktion, weswegen jeden zweiten Tag die Stadtreinigung mit einem airbusgroßen Schreddermonstertruck heranbrettert, um zerschlissene Sitzgruppen, kaputte Schrankwände und anderes undefinierbares Geraffel an Ort und Stelle herzhaft saftkrachschmatzend zu zermalmen. Leider geht das nicht erschütterungsfrei, so dass regelmäßig zwei, drei Auto-Alarmanlagen anspringen („Lalüüüja, lalüüüi, lalüüiiiii“), was die Besitzer aus den Betten scheucht, die vor dem Haus erst einmal ein ausgedehntes Palaver veranstalten, also nicht die Betten, aber die arbeitslosen Daimler-Besitzer von nebenan („Oooh, ağabey, olmaz! Sizin arabınz  kırıldı mı? Lanet olsun!“ – Yook, ama bilmiyorum ya, bu işi anlayamamıyorum, allahbilir!“*). [*= Etwa: „Oh weh, großer Bruder, das kann doch nicht! Ist Ihr wertes Automobil etwa entzweigegangen? So’n Mist!“ – „Nee, aber weiß ich ja auch nicht; werde aus der Kiste nicht schlau, weiß Gott!“] Dann: „Bollatabolla bollertromm bong dongboller“ – die geleerten Mülltonnen werden geborgen.

Sobald sich der Dorfplatz etwas beruhigt, schwärmen die Kids aus. Kinder treten ja hier grundsätzlich in Schwärmen auf. Kaum sind die kleinen Prinzen vor der Tür, schreien sie schon nach Mama: „An-nne! An-nne!“ gellt es die Fassaden hinauf, „den Yavuz, den scheiß orospuçocuğu, will misch der Ball nich…!“ Der Ball wird aber, nachdem „An-nne“ aus dem vierten Stock ausgiebig keifend die gelbe Karte gezeigt hat, doch frei gegeben, um dann für die nächsten Stunden ausdauernd gegens Garagentor gedonnert zu werden. Es holzbollerbolzt Galatasaray gegen Beşiktaş Istanbul; manchmal funkt auch Inter Mailand alias „Mehmed, den makat* [*=Arschloch]“ dazwischen. Der fette blonde Dirk kräht: „…unn deine Mudda is’ne Schwuchtel!“ – Der Pegel steigt. „An-nnne! An-nne!!“ Mama hat aber jetzt den Papp auf, hält einen erzieherischen Vortrag in mehrstimmig anatolischen Oberton-Koloraturen und trompetet abschließend ein energisches, arabisch aspiriertes „Bana rahat birak!“ in den Morgenhimmel. Ja, „laß mich in Ruhe“, das denke ich da auch schon.

Später Vormittag. Die ersten Trucker und Busfahrer aus dem Montenegro trudeln im Café Lipa ein. Als erstes treten sie steifbeinig vor die Tür, um der Heimat von ihrer glücklichen Ankunft („dobro! dobro, hvala!“)  zu berichten.  (Seltsames Phänomen: Die Serben qualmen zwar im Lokal, zum Telefonieren gehen sie aber grundsätzlich nach draußen…) Zuhause ist indes sehr weit weg, da müssen sie schon volle Lungenkraft einsetzen. Je kleiner das Handy, desto lauter; um die Nachbarschaft nicht auszuschließen, wird gastfreundlich auf Lautsprech geschaltet – man hört die Stimme Serbiens sogar bis hier hin („krrchz, rhzrntsch, prrschtnscht vryznntpt?“).  Außerdem donnern, rumpeln und klabautern jetzt in endlosen Krawallkarawanen die Lieferwagen, Vans und SUVs mit bulgarischem Kennzeichen durch die Straße. Vom Balkan haben die Fahrer die schöne Sitte mitgebracht, mitten auf der Kreuzung stehen zu bleiben, um sich, von Seitenfenster zu Seitenfenster, mit einem Bekannten auszutauschen. Das allfällige Hupkonzert wird dabei wohlwollend in Kauf genommen und fröhlich beantwortet.

Mittag. Einkaufszeit für Semra, Dilem und Aynur. Die Kinder kreischen markerschütternd. Die Mädchen kriegen eine geschallert, die Proto-Paschas werden zusammengebrüllt. Dorftratsch wird furioso con fuoco e fortissimo bequaakgackelt. Trolleys holpern übers Rumpel-Pflaster. Es wird Zeit, die heimischen HiFi-Türme auf Muezzin-Lautstärke zu bringen: gnadenlos jodelt, knödelt und jault das ewig gleiche Arabesk-Geschluchze durchs Viertel und gibt bis abends nicht mehr Ruhe.

Ab Nachmittag versammelt sich männliche Jugend, zumeist um ein Auto, dessen Motorklappe aufklafft. Man spielt „türkisches Ferngespräch“. (Vallah! Das geht preisgünstig ganz ohne Telefon – einfach bloß quer über die Straße schreien!) Johlend werden Jungmänner begrüßt, die im BMW-Cabrio auf extra breiten Schlappen vorbeipatroullieren, um uns großzügig und flächendeckend mit („Umpf! Umpf! Uffta-umpf!“) Gangsta-Rap und HipHop zu bedröhnen. Bei mir im ersten Stock beginnen alle Tassen im Schrank  zu klirren. Zum Glück nähert sich ein Streifenwagen mit Sirenengeheul. Aus dem Café Lipa schallen traurige Lieder. Die Heimat, die schöne Heimat.

„Düüdelflöt, flööt, flöööt!“ – die ambulanten Schrotthändler bitten um Aufmerksamkeit. „Schrapp schrapp futscherfutscherfutscher“ – ein Polizeihubschrauber kreist überm Viertel – die „Bandidos“ vom Chapter um die Ecke haben heut Jahreshauptralley mit geselliger Sammelausfahrt („Dröhndröhndonner, wummerkrawrrrumm, krawroll!“). Es wird Abend. Zeit für ein bissel marginales Bollywood-Quäken, Reggae-Tamtam und Radio Gaziantep. Fußball ist zuende („Geh isch gezz Video!“), Zeit für den Obst- und Gemüsehandel („schleif, kräwatter, rummbums“), die Kisten im Sprinter zu verstauen. „Krömmmm, wrömmmm rödelröchelrödel“ – Nachbar Izmet versucht noch immer, den maroden Motor seines Zweit-Astra zu starten.“Trömmel trömmel trömmel“ – endlich läuft er und wird vorsichtshalber die nächste Stunde angelassen, damit er nicht wieder ausgeht.

Letzten Sonntag war mal für eine halbe Stunde himmlische Ruhe – da wummerte urplötzlich etwas in die Stille, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ: DEUTSCHE SCHLAGERMUSIK! „Ruhe da unten!“ hörte ich mich brüllen, während ich nach dem Besenstiel suchte, um gegen die Wand zu bollern. Ist doch wahr, Mensch!

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Konsonantenfrühstück. Zahngold & Adapterschlammassel

26. September 2010

Braucht wer'n A?

Im Geddo werd ich, wenn meine türkischen Nachbarn vielleicht mal bitte für EINEN Moment den Rand halten würden, häufiger mit dem Serbischen konfrontiert, einer Sprache, die zu lernen ich bislang den Mut nicht aufbrachte. Daß der Balkan wirtschaftlich nicht in die Gänge kommt, liegt daran, schätz ich, daß die ihr ganzes Geld in die Aufhäufung von Konsonanten gesteckt haben! Einen geschlagenen Nachmittag verbrachte ich neulich im Café Lipa, um mir von einem Montenegriner, einem Mazedonier und zwei Serben die jeweils von ihnen für richtig gehaltene korrekte Aussprache des simplen Wortes für Rinderschinken („pršuto“) beibringen zu lassen. Hörte sich an wie ein Seminar für Asthmatisches Niesen!

Fairerweise muß man zugeben: Von den Migranten zu verlangen, sich mal gefälligst der deutschen Sprache zu befleißigen, ist ja nun auch nicht ohne! Heute hypnotisierte mich am Frühstückstisch (– immerhin auch schon ein Substantiv mit zwölf Konsonanten, bloß einem Vokal und zwei Umlauten!) ein anderes Wort, dass sogar volle zwanzig Konsonanten einsetzt, davon gleich achtmal „s“ und viermal „f“! Das gibt es, echt! – Das Wort bohrte sich bandwurmartig in mein Hirn, als ich mich die Gattin bitten hörte: „Frau, bringst du aus der Küche noch die … Flüssigkeitssüssstoffflasche mit?“ – Also, läse ich so ein Wort als Ausländer, dächte ich bei mir: Manno, ich glaub, ich versuchs erstmal mit Englisch!

Bei meinem Konsonantenfrühstück (Wortsalat-Delikatessenbrunch, 18 Konsonanten!) fiel mir Schlehmil ein, die Figur aus der Sesamstrasse (im Original: Lefty, the salesman), ein irgendwie schmieriger Schwarzhändler im langen schwarzen Mantel, der Ernie immer Buchstaben verkaufen will („Hey, du! Psst! Brauchst’n A?“). Zumeist handelte es sich um Gebrauchtbuchstaben zwielichtig zweifelhafter Herkunft.

Schlehmil resp. Lefty, the salesman, scheint sich, seit ein paar Jahren schon, bei uns am Rande des Geddos  niedergelassen zu haben. Hier betreibt er „Duisburgs erstes 2. Hand Kaufhaus“, das „ALLES“ verkauft und billig verscherbelt, „was gut ist und teuer war“. In der vollgestopften Räuberhöhle (ich bitte, das Wort rein metaphorisch zu nehmen!) türmt sich auf sich biegenden Regalböden tatsächlich so manches, für das irgendwer schon mal viel (oder, hihi, vielleicht ja auch gar kein) Geld ausgegeben hat: Luxus-Bikes, HiFi-Türme, Staubsauger, Bassgitarren, Telefonanlagen, Langspielplattensammlungen, Spielkonsolen, Kameras, Computerspiele, sowie das übliche (manchmal nicht unbedingt dazu passende) Zubehör an kollateralem Kabelsalat und Adapterschlammassel. Der Laden besitzt den Charme eines leicht verwahrlosten, außer Kontrolle geratenen Pfandleihhauses.

Als gläubiger Mensch (ich glaub unverbrüchlich an das Schlechte im Menschen) argwöhne ich immer, mit der Herkunft des Gebotenen könnte es sich in puncto Seriösität vielleicht verhalten wie mit Schlehmils geheimen Buchstabenladen, aber das wird ein Vorurteil sein, denn das Geschäft erfreut sich einer über die Jahre stabilen und offenbar einwandfrei legalen Existenz. Ich selbst habe bislang hier zwar noch nichts ge- oder verkauft, wurde aber bei subtil verwickelten Akku-Ladegerät-Anschlußkabel-Spezial-Buchsen-Problemen freundlich und kompetent beraten. Der Konsument, dessen Konsumwunsch wider Erwarten unbefriedigt bleibt (weil die gewünschten Buchstaben, etwa XY, gerade ungelöst, quatsch, nicht vorrätig sind) und der auch gerade kein Zahn- oder Bruchgold (was ist das eigentlich? Gold aus’nem Bruch?) zu Markte tragen möchte, erfreut sich dann aber vielleicht an der erwägenswerten Möglichkeit, sich im Hinterzimmer des Kaufhauses ungemein preiswert ein schönes Tattoo oder ein Piercing aus Zahngold verpassen, oder, wie das Plakat lockt, wahlweise ein Nasen- oder Ohrloch „schießen“ zu lassen. – Psst! Hey du! Brauchst’n Nasenloch?