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Herzliche Grüße sind manchen zu lang!

22. Mai 2009
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Hoffentlich nicht bald ein dicker Fisch...

Beschämende Einsicht, bestürzendes Bekenntnis: Ich habe zugenommen. Meine Jeans kneift! Früher hat sie nie gekniffen! Die Weite der Jeans, die ich jetzt bestellen muß, findet sich in der Spalte „zierlich & schlank“ leider nicht mehr.  Man mag mir die üblichen Versündigungen unterstellen: Disziplinloses Schlemmen und Zechen, Sportmuffelei, Mangel an kalorienzehrenden Ausschweifungen und andere Verwahrlosungserscheinungen. Ich sehe das ein und bin angemessen zerknirscht. – Andererseits gilt es ja nun nicht gerade als Aufreger der Woche, wenn ein Herr meines Alters mal zunimmt. Das kommt vor. Später wird es ja wieder besser! Jedenfalls hat mal eine Ärztin zu mir gesagt: „Haben Sie etwa schon einmal einen übergewichtigen 90-jährigen gesehen?“ – Seither grüble ich, der diese Frage spontan verneinte, wie sie das eigentlich gemeint hat. Heißt das, irgendwann wird man von alleine wieder klapperdürr? Werde ich im Kreis der Greise meine alten Jeans auftragen können?

Ein gewisses, nicht ganz untröstliches Frohlocken verursacht mir immerhin die Tatsache, daß ich die Phase christlicher Seefahrt untätowiert überstanden habe. Auch meine Zeit im Knast (1 Nacht bei der Stasi, Bhf. Friedrichstraße; 1 Nacht in Split, Ex-Jugoslawien) war insgesamt zu kurz, um mir den Körper mit Illustrationen dekorieren zu lassen. Mein ständiges Zu- und gelegentliches Abnehmen würde mir sonst Gemütsnöte ganz eigener Art auferlegen. Nicht ohne Bangen registriere ich nämlich den Optimismus junger Leute beiderlei Geschlechts, sich Schriftzüge und Ornamente auch auf Körperregionen tätowieren zu lassen, die im Laufe  des Lebens traurigen, aber unabänderlichen Transformationen unterliegen. Manches Segelboot verwandelt sich da im leidigen Fortgang der Biographie zum Containerschiff, mancher Drache schnurrt zur Eidechse zusammen, und welche semantischen Wandlungen diese chinesischen oder japanischen Schriftzeichen durchmachen, die man sich im Zustande jugendlich gesegneter Unverschrumpeltheit einst hat stechen lassen, läßt sich doch gar nicht absehen!

Diese Sprachen sind doch eh so knifflig! Wenn man im chinesischen Mandarin zum Beispiel einen Satz in der falschen Tonart singt, bedeutet er gleich was ganz andres, also z. B. statt „Hochverehrter Meister, ich bin glücklich, Ihr Shaolin-Kloster kennenzulernen“ kommt dann so etwas heraus wie „Du kriegst gleich derbe auf die Nuß, Opfer!“, was der etwas übelnehmerische Chinese möglicherweise als Affront versteht und gleich mit einem Boxer-Aufstand beantwortet. Mit den Schriftzeichen könnte das doch so ähnlich sein! Ich hätte Angst, wenn ich mir beispielsweise Dschuang Dsis berühmte Schmetterlingsfabel hätte tätowieren lassen, daß da heute stünde: „Zwanzig Prozent Rabatt auf alles außer Stiernacken“, und ich wüsste noch nicht einmal etwas davon und schlösse lediglich aus dem respektlosen Gekicher meiner Stamm-Geisha, das etwas nicht stimmt mit mir.

Einen Scherz mit Tattoo-Bezug hörte ich auf St. Pauli, wo ich eine zeitlang wohnte, um unter Leitung des KPD/ML-Vorsitzenden Ernst Aust Landtagswahlkampf für die maoistische Partei (Parole: „Hoch die Faust / für Ernst Aust!“; Wahlergebnis 0,1%) zu machen. Eigentlich müßte ich kurz um die Einnahme einiger Schlummer-Schnäpse bitten, wie ich sie damals bereits intus hatte, sonst ist es vielleicht nicht witzig. Jedenfalls hörte ich einen Hafen- oder Werftarbeiter über sein Gemächt prahlen, das er sich mit dem Schriftzug „HrzGraKnpl“ hätte tätowieren lassen. Nach einer dramaturgischen Pause, in der die Kneipenrunde geschlossen einen Köm kippte, fuhr er fort: „Aber wenn er s-teht, dann s-teht da ‚Herzliche Grüße aus Kons-tantinopel!’“ – und alles brüllte vor Lachen. Jedesmal, wenn neue Touris aus der Herbertstraße in die Eckkneipe trudelten, machte er den Witz noch einmal, daher hat er sich mir recht haltbar eingeprägt. Noch heute, wenn ich Jung-Machos mit gewissem Migrationshintergrund sehe, die, wie man heute in gewissen Kreisen sagt, „auf dicke Hose machen“, dann denke ich im Stillen immer: Na, – ob das wohl für eine Postkarte von zuhause reicht? (Vielleicht gerade mal für „Split is’n Hit“, aber doch nicht für „Yaşasın Galatasaray Istanbul“!)

Auf dem Zenit meiner Lebensweisheit, den ich längst überschritten habe, kam es mir vor, als sei mir praktisch nichts Menschliches fremd. Heute versteh ich schon immer weniger. So fällt es mir schwer, den Geisteszustand einer jungen Frau nachvollziehend auszumessen, von der anläßlich einer Tattoo-Messe berichtet und gezeigt wurde, daß sie sich auf die beiden Oberarme jeweilen das fotorealistische Porträt ihrer Mutti (links) und ihres Vatis hatte anbringen lassen. Also, eine Dame, die jedesmal, wenn sie sich von mir wegdreht, mir nicht nur die sprichwörtliche kalte Schulter, sondern höhnischerweise auch noch das grinsende Gesicht meiner Schwiegermutter zeigte, wäre ich wohl nicht bereit, zu ehelichen.

Der große mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin war nicht verheiratet, auch wohl nicht tätowiert, aber zugenommen hat er nicht zu knapp: Der Askese-Prediger wurde schließlich so dick, daß er seinen Schreibtisch im Scriptorium halbrund aussägen lassen mußte, um noch dran zu kommen. Als Mönch hatte er es gut: Er mußte nur eine längere Kordel für seine weite Kutte besorgen, und sich nicht mit den Größentabellen der Jeanshersteller herumschlagen. Leider wurde er nur 49 Jahre alt, sodaß er die finale greisenhafte Dürreperiode deutlich verfehlte. Man hat seinem Leichnam, heißt es, mit einem Kran aus der Kammer geborgen. Er hinterließ ein umfangreiches theologisch-philosophisches Werk. – Heutige Körperschmuck-Sammler hinterlassen oft schon eine derart kunstvoll tätowierte Haut, daß sie diese vorsichtshalber einem Museum vermachen. Inwieweit dies zu Lebzeiten bereits ihr Selbstwertgefühl hebt, ist mir nicht bekannt.

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