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Einiges über den Düsseldorfer

16. Mai 2013
Jcollier

Qual der Wahl: Tannhäuser entringt sich den Verstrickungen der Sinnlichkeit (ohne Nazis, dafür mit Nackten)

Pah, Düsseldorf“, höre ich oft, „diese ridiküle Mediokropole, wo die Leute glauben, sie stammen von Hugenotten ab, nur weil man sie Parvenus nennt!“, – aber das ist ein bisschen unfair, weil, es ist ja schließlich auch, was total aalglatt aussieht, nicht immer alles bloß Plastikkram von Mr. Wongs Resterampe. Zum Beispiel, was viele nicht wissen, Düsseldorf wurde gerade in irgend so einem kriminologischen Ranking zur „zweitgefährlichsten Stadt Deutschlands“ gewählt! Ob sich das auf Straßen- oder Wirtschaftskriminalität bezieht, weiß ich nicht, weil ich Sachen, in denen das Wort „Studie“ mehr als zwei Mal vorkommt, grundsätzlich nicht zu ende lese, schon gar nicht, wenn sie mit Statistiken überbacken sind. Immerhin habe ich zahllose D’dorf-Aufenthalte unbeschadet durchgestanden. Ich kann ein harter Hund sein.

Oder es liegt an dieser unfassbaren Sensibilität der Düsseldorfer, die kürzlich ans Licht kam und von mir seither weit, weit offenen Mundes bestaunt wird. Ich meine, ich selber bin auch nicht gerade ein Klotz, ich habe bei „E.T.“ geweint, in der Kindervorstellung, ich kriegte früher jedes Mal monatelang seelische Verstimmungen, wenn mich eine Frau verließ (man sollte meinen, ich hätte mich irgendwann daran gewöhnen können, aber nein!), kurz, ich habe ein Herz aus klarer Butter, aber die Düsseldorfer, Mann, Leute, so etwas möchte einer kaum glauben! In denen ihrer Opernschaubude wurde kürzlich (oder wohl eher länglich) Richard Wagners „Tannhäuser“ gegeben, in Szene gesetzt von so einem Regietheater-Heini, d. h. es musste also entweder mit Nackten sein oder mit Nazis, zwecks der Provokationsüblichkeiten, ohne die ja sonst keiner mehr von RTL2 wegzulocken wäre. Jedenfalls, dieses Mal hatten mal wieder die ollen Nazis Bühnendienst, um ganz subtil auf die jüngsten Gerüchte anzuspielen, denen zufolge Wagner evtl. ein Antisemit gewesen sein soll, und auf der Bühne haben diese Nazis dann Juden erschossen, also nicht in echt, sondern nur theatermäßig vorgetäuscht, aber klar, schlimm genug. Wie man die Nazis halt kennt, Mörderpack das. Zwar hat das mit „Tannhäuser“ nicht das allergeringste zu tun, aber, so dachte sich vermutlich der regierende Regieregent, was solls, warum denn nicht, kann man ja doch mal machen. Da hatte er aber nicht mit den Düsseldorfern gerechnet.

Falls ich kurz abschweifen darf, nicht alle kennen sich mit Geschichte aus, die Nazis waren ein überaus schlimmes Volk von Monstern oder Aliens, denen früher mal Deutschland gehörte, bevor man es ihnen irgendwie umständehalber wegnahm oder abkaufte und dafür dort die Deutschen anbaute, treuherzige Siedler aus dem Schreberland hinter den sieben Gartenzwergbergen, brave Leute mit einem Gemüt aus lauter Weißbrot und Wäschestärke, empfindsam, zart und sensibel wie des Zaunkönigs hibbelige Tochter. So desgleichen der Düsseldorfer: Er war gekommen, um die schlussendliche hl. Erlösung des Rittersängers Tannhäuser aus den Verstrickungen der sinnlichen Liebe mitzuerleben bzw. musikalisch nachzupfeifen, denn nichts ist dem Düsseldorfer bekanntlich angelegener und teurer denn die Erlösung aus den Stricken der Sinnlichkeit – das walte wohlwollend Wagnern!

Doch was statt der keuschen Elisabeth, der Heiligen Jungfrau Maria und dem lautstark geläuterten Lust-bzw. Frustritter Tannenberg? Nazis! Judenmord auf offener Bühne! Graus und Blut und Anklage-Oper! Wollüstig waltete wirrer Wahn, vulgo entfesseltes Regietheater wütete wüst! Den Düsseldorfer Opernopfern schnitt dies tief in den Seelenquark, Kunstbusen wogten, Stirnadern schwollen und „Buh! Buuuh!“ entrang es sich waidwund der Hemdbrust zutiefst entrüsteter Premium-Premieren-Priester; Stücker 42 Personen verließen, laut CNN, türenknallend den Ort der Wagner-Schändung und, nun gut, um endlich auf den Punkt zu kommen: Ein volles Dutzend unter ihnen – musste zum Arzt! Ich weiß gar nicht, was es da zu kichern gibt! Das heißt, ich weiß es schon, aber was mich jetzt brennender interessiert, sind folgende Fragen: War es bei allen derselbe Arzt? Gibt es für Notfälle eine sanitäre Opernarztbereitschaft? Eine Art Art-Doctor? Und wie lautete die Diagnose? Was verschreibt man apoplektischen Entrüstungsmagnaten und Hyperventilatoren, die vollgepumpt mit Wagner-Wut mutwillig Kunstblut husten?

Wie zu hören war, hat man die Inszenierung des Schreckens umgehend abgesetzt, um weitere Gesundheitsschäden unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. – An mir nagt und knabbert freilich der Neid: Einmal, nur einmal möchte mir doch ein Text gelingen, nach dessen Lektüre 12 Düsseldorfer zum Arzt müssten – ach!

 

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