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Das „man“ ist Präsident

5. Januar 2012

Tartuffe, Präsident

„Ihn jetzt noch schonen, wäre lächerlich! Zu lange mußte ich die Wut hinunterschlingen über des unverschämten Heuchlers Dreistigkeit, der alles hier im Hause durcheinanderbrachte.“

Jean-Baptiste Molière

 Aah, seht diesen Widerling! Wie er sich windet und wurmt, barmt und bramabasiert, schwankend zwischen schlecht geheuchelter Demut und kaum verhohlener Wut, schleimig und doch giftig aggressiv, sobald der Moment es erlaubt; ein ertappter Hypokrit und Erzschwindler, abgrundtief abgefeimt und doch armselig, ohne Eier, ohne Größe, ein feiger, mieser, kleiner Intrigant und Wichtelwicht, ein normaler, durchschnittlicher Korruptling auf 60cm-Gartenzwergformat; hört nur, wie er zwischen verzeihendem „man“ und anmaßendem „ich“ changiert, wie ein Schmierentragikomödiant chargiert und larviert, Ausflüchte macht, zu Kreuze kriecht, um gleich darauf frech und dreist zum Angriff überzugehen, ein grunddeutscher Gartengiftzwergling eben und Fundamentalheuchler, den Dackelblick geschürzt, die Doppelzunge gewetzt, ein verschlagener Clown, erwischt, ertappt, scheeläugig vor schlechtem Gewissen und dessen ungeachtet impertinent wie ein Straßenbettler mit ge-faktem Holzbein und … – wie? was? Aber nein! Wo denkt ihr denn hin! Ich rede doch nicht vom Bundespräsidenten, das verbietet ja wohl die Würde des Amtes, nein, von Molières genialem „Tartuffe“, dem Urbild des verlogenen Heuchelfrömmlers ist die Rede. Ich empfehle der geneigten Leserschaft, das Reclam-Heft mit Molières bitterer Komödie mal wieder herauszukramen: dreihundert Jahre alt, das Stück, und, wie sich zeigt, noch immer brandaktuell! Darin ist alles gesagt. Und die Idealbesetzung für den „Tartuffe“ wäre…

Aber wo ihr das Thema schon mal aufgebracht habt, Nachbarn: Ich hatte mit der Gattin einen Disput. Sie, die gute, sanfte, verlangt einen Präsidenten, der ethisch-moralisch ein Vorbild ist. Ich hingegen möchte das nicht! Ich hasse Tugendrepubliken! Als Erz-Macho wünsche mir einen Machthaber, einen Usurpator, einen skrupellos machiavellistischen Kulturheroen, der Verbrechen in großem Stil vollbringt, einen Medici, einen Sforza, einen Sarkozy oder wenigstens Berlusconi! Nicht aber ein windelweiches, beschämend defensives Weichei, der irgendwelche Kredit-Petitessen mit subalternen, frechen Journaille-Fritzen noch kleiner redet! Wie beschämend ist das denn!? Ich bin darin Nietzscheaner: Wenn schon Verbrechen, dann in großen Stil, mit emphatischer Geste und mit Aplomb! Hätte er gesagt: „Meine Geschäfte gehen Euch nichtige Schreiberwichte ja wohl einen Scheiß an, Kanaille!“ Ja, dann hätte ich ihn respektieren können!

Aber so? Da sagt aber dieses Mensch, hundeäugig in die Kameras blinzelnd, flehentlich um Liebe heischend: „Man (!) ist ja auch Mensch!“ Wirklich? Daran zweifele ich. Besser, der Windelmann hätte gleich gesagt: „Man ist ja auch nur man…“ – Das hätte dem alten Heidegger (vgl. „Sein und Zeit“, § 27) gefallen:

 „Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß »man« sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. Das Man »war« es immer und doch kann gesagt werden, »keiner« ist es gewesen. In der Alltäglichkeit des Daseins wird das meiste durch das, von dem wir sagen müssen, keiner war es.“

 Man ist ja auch nur „man“! Wahrhaftig. Besser kann man seine Inferiorität, Imbezilität und Indolenz nicht zum Ausdruck bringen! Wäre ich eine tätowierte Frau, und mein Mann hätte nichts bessere zu melden als „man (!) hat ja auch eine Schutzfunktion (!) der Familie gegenüber“ – ich würde den Schwätzer von der präsidialen Luxusbettkante schubsen!

Nein, ich persönlich will keine Mutter Theresa als Präsidentin, und wenn der Mann günstige Kredite und Urlaube erschnorrt hat, ist mir das herzlich Wurst! Was hab ich denn mit dem lächerlichen Privilegien der Reichen zu schaffen! – Aber bitte, Stil! Stil muss er doch haben! Dichter und Maler soll er fördern, großartige Architekten beschäftigen, Prachtbauten initiieren, Atemberaubendes in die Welt setzen! Von den grundbösen, korrupten und gewalttätigen Medici spricht und schwärmt noch heute die Welt. Aber … der?

Dieser Reihenhaus-Zwerg soll uns repräsentieren? – Ich fürchte ja. Tartuffe ist unser Präsident. Besseres müssen wir uns erst verdienen.

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Abwesenheitsnotiz, mit guten Zitaten

31. August 2011

Hier geht es evtl. rund! Kraska ist moseln...

Es gilt unter Kennern nicht gerade als untrügliches Zeichen geistigen Überfliegertums, sich über das Wetter zu beklagen, ich weiß. Es wäre so, als wollte man über die Gravitation jammern, was ich aus schwergewichtigen Gründen zwar im Stillen auch manchmal tue, aber es ist halt dieses Allerweltslamento doch von so eklatanter Sinnlosigkeit und ein derart plattes Klischee, dass man gute Erziehung und korrekt gebügelte Lebensart eher dadurch unter Beweis stellt, dass man mit einem mild stoischen Lächeln über die unvermeidlichen Unbill des Erden-Daseins hinweg geht. Vielleicht ist es ein Vorurteil, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein britischer Gentleman jemals über das Wetter spricht. – Freilich gibt es zu jedem einer- auch ein andererseits.

In dem Film „Willkommen Mr. Chance“ (im Original: „Being there“), einem meiner zehn Lieblingsstreifen aus den späten  70ern, die ich  einst in Cihcago, Illinois, im Kino sah oder sehen und entziffern durfte (war ohne Untertitel!), spielt der legendäre Peter Sellers in einer seiner letzten Rollen einen tumben Einfaltspinsel von Gärtner, der nur eine Weisheit beherrscht: „Well, first there is spring, then you’ll have summer, which just follows autum, and after that – winter. Then spring again“. Diese Binsenweisheits-Worte spricht er aber mit solchem Ernst und so großer Emphase, dass alle Welt denkt, er meint das bestimmt irgendwie metaphorisch und als sibyllinische politische Anspielung; man hält es für ein Statement über Ökonomie und Marktzyklen, lädt ihn in TV-Talkshows ein und am Ende wird er damit Präsidentschaftskandidat in den USA. Damals eine super Satire, würde der Film heute nicht mehr funktionieren, weil die Behauptung, dem Frühling folge der bzw. ein Sommer, nicht mehr als Binsenweisheit gilt, sondern als heikle, unsichere und höchst umstrittene Prophezeiung.

Das Blöde ist: Ich bin Sternzeichen Salamander, von der Physiologie also wechselwarm, und hatte eine längere sonnig-warme Phase fest eingeplant, um leichtblütig über die bevorstehende Herbst- und Winterdepression zu kommen. Stattdessen regnete es mir monatelang kühl und herzlos ins Hirn. (Wer sich Sorgen um mich machen will, sollte es JETZT tun, bitte. – Vielen Dank, sehr freundlich.) Die Depression erhebt ihr träges Haupt. Bang deklamiere ich für mich den armen Hölderlin: „Weh mir, wo nehm ich, wenn
/ Es Winter ist, die Blumen, und wo
/ Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde?
/ Die Mauern stehn
/ Sprachlos und kalt, im Winde
| Klirren die Fahnen.“ So sieht es doch aus! Vor lauter Fahnenklirren und Blumenvermissen ist mir schon jetzt ganz blümerant zumute.

Erstaunlicherweise war es der große Elisabethanische Unterhaltungsschriftsteller, theatralische Räuberpistolen-Dichter und Prophet William Shakespeare, der meinen Zustand vorausahnte, als er seinen Narren („Was ihr wollt“) folgenden Singsang anstimmen ließ: „Und als der Wein mir steckt’ im Kopf / Hopheisa, bei Regen und Wind! / Da war ich ein armer betrunkener Tropf; / Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.“ – Yes, Sir, so kann man es ausdrücken! Hier im Westen regnet in der Tat der Regen jeglichen Tag. Erst war er warm, der Regen, dann fröstelig kühl, jetzt wird er schon empfindlich kalt. Ich will nicht übertreiben, aber – ist schon mal jemand am Wetter gestorben? Darauf ankommen lassen werde ich’s grad nicht, Freunde – weshalb ich zu einem verzweifelten Mittel greife: Obwohl ich diese Tätigkeit perhorresziere: Ich reise! Und zwar ab!

Bloß an die Mosel zwar nur, und lediglich ein paar Tage, weswegen die Gattin schon ätzt: „Das wird bestimmt mehr so’n Rentnerurlaub!“ – Sicher, doch „immerhin“, repliziere ich schlagfertig, „wandern wir noch nicht durch den Harz, du mit blauem Popeline-Blouson und ich in straff gebügelter beiger Anglerweste!“ Kann nichts schaden, der Gattin schon mal die eheliche Zukunft auszumalen; die stillen Tage im Alzheim.

Wenn also hier einige Tage nichts Neues unter der Sonne (Ha!) erscheint, dann, weil ich moseln gefahren bin. Entweder herrscht dort eitel Sonnenschein, oder ich stecke mir enorme Mengen Wein in den Kopf. Vielleicht, begeisterungshalber, auch beides. Danach habe ich mit Sicherheit SAD („seasonal affective disorder“), wofür zumindest die Klassiker noch angemessenes Verständnis hatten. Wenn ich es irgendwie vermeiden kann, werde ich von dem romantischen Moselort keine Fotos machen, keine Klöster und Burgen beschreiben und auf die Belobigung von Restaurants und Weinprobierstuben strikt verzichten. So viel Noblesse muss sein. Indes, falls ich dort, in der Fremde, dem wahren Leben begegne, dann lass ich es von euch grüßen. 

Kultur im Geddo. Vorm Fernseh Amok laufen (Jahresrückblicke)

30. Dezember 2010

Little pic, big deal: Duisburgs "Broadway"...

KILLING ME SOFTLY

Für mike-o-rama, anlässlich eines freudigen Ereignisses (Geschenktext)

Als Terrorist und Amokläufer bin ich ungewöhnlich sozialverträglich. Wenn ich hyperventiliere, Schaum vorm Mund habe und mit fahrigen Fingern nach meiner Waffensammlung taste, kriegt das gottlob selten jemand mit, denn das mach ich meist in meiner stillen Mönchsklause vor dem Fernseher aus, mit mir ganz allein. Und wegen ihm. Tosende Weltverachtung und würgender Menschenhass ereilt mich praktisch nie in der Realität, die ja ungefähr so interessant ist wie nass gewordenes Mischkorntoastbrot, sondern vorwiegend vor der seifenblasenbunten, hirnzerschmeißenden, unentwegt logorrhoe-haft vor sich labernden Idiotenmaschine, von der ich als süchtiger Rentnerkrüppel und Freund herostratischer geistiger Selbstmordkommandos halt nicht loskomme.

Ja, ja, Freunde, lasst Eure sedativen Beschwichtigungsspritzen ruhig stecken: Dass es auch Arte, 3sat und Phoenix gibt, weiß ich selber, und ich bin schon bis zum Rand vollgebildet mit kulturell wertvollen Reiseberichten, Tierfilmen und Kultur-Features (rülps!). Aber leider guck ich, süchtig und verblödet, wie ich bin, zudem unter Insomnia leidend, auch noch wie geisteskrank in den sumpfigen Abgrund bodenloser Nichtigkeit, dessen Anrainer teils die privaten, teils die öffentlich-rechtlichen Hirnwegsauger darstellen.

Was mich derzeit in die Raserei treibt, wie eigentlich vorhersehbar jedes Jahr, sind Jahresrückblicke. Teufel noch mal und tausend jaulende Höllenhunde:„Jahresrückblicke“! Man reiche mir rasch ein Anti-Emetikum! Was für ein absolut geistfernes, redundantes, dumdum-hohlgeschossiges und zutiefst viszeral ennuyierendes Genre! Am bewusstlosesten, toxischsten, übelkeitserregendsten und fauligsten: Satirische Jahresrückblicke! Und ich muss mir diesen niederschmetternden, grundstürzend saublöden Mist auch noch angucken wie ein sabbernder Katatoniker! Ich wühle in gebührenfinanzierten Mediatheken wie andere Leute in der Nase bohren – krank- und zwanghaft, obsessiv und wie vom Gottseibeiuns hypnotisiert.

Auf dieser Spur in den Untergang stieß ich gestern in der ZDF-Mediathek auf einen Nichtigkeitswichtelschwulen und Tiefflieger-Klamaukclown namens „Dieter Nuhr“, und zugleich damit auch auf die Tatsache, dass wir, was ich ganz vergessen hatte, obschon ich täglich dran vorbeiradle, hier im Geddo, gleich visavis vom Großpuff, ja auch einen schick verwahrlosten Kulturverhöhnungstempel besitzen, das „Theater am Marientor“. Dieses „Theater“ hat freilich mit Kultur so viel zu tun wie das kasernenartige Mega-Bordell für notgeile Migranten-Machos, das gleich schräg gegenüber in Steinwurfweite (würfe nur mal jemand einen Stein!) einen gesamten veritablen Straßenblock einnimmt, mit nervenzersplitternder Erotik und romantisch aufwühlender Herzensglut.

Vor reichlich gut einem Jahrzehnt wurde der Kulturhurentempel mit einem Riesenaplomp und medien-nuttig hinreißend gespieltem Print-Orgasmus eröffnet, wobei sich die regionale Presse die opportunistisch-wohlfeilgeilen Wichshände geradezu wundklatschte, weil der Muschi-Musen-Tempel angeblich unser gesamtes Drecksgeddo wie durch ein Wunder in eine blühende Hotel-und Gastrolandschaft verwandeln würde. Die ganze Welt nämlich würde nun, so prophezeite die allzeit für ein paar Euro (ohne Gummi!) käufliche Lokalpresse noch vorgestern, nach Duisburg-Hochfeld (!) strömen, um dort sog. „Musicals“ zu bestaunen! Ja, klar, sowieso! Wie gut, dass unser Alzheimer-Volk so gut wie kein Kurzzeitgedächtnis besitzt! Schrill lachend würde man andernfalls die erwähnte Lokalpresse (WAZ, NRZ etc.) auf Papier … nurmehr zu hygienischen Zwecken benutzen!

„Musical“-Produktionen starben, als Geldanlage, bereits und bekanntlich bereits in den 90ern, als man den künstlichen Kleinkunsttempel gerade erst rendite-geil ins Geddo pflanzte. Hochfeld wurde, surprise!, weder zu einem zweiten Broadway noch auch nur zu einem dritten St. Pauli inkl. Spielbudenplatz. Selbst in puncto Verkommenheit ist Duisburg nur zweite Wahl und Möchte-gern. Es verweste einfach, von einer Insolvenz zur nächsten taumelnd, als fade Erinnerung an feuchte Stadtväterträume, des Inhalts, man könne mit ein paar ergaunerten und extrem windigen Investitionen aus einem Höllenpfuhl ein In-Viertel machen.

Über Wasser hält man sich daher jetzt, schlecht & recht, mit Dritt-Verwertungen oder, wahlweise, Auftritten sog. „Comedians“, deren erbärmlich sinistre Fehlbemühungen man dann, wenn man genügend Zuschauer gekauft oder gekobert hat, vom ZDF (!) abfilmen und „zwischen den Jahren“ skrupellos wegsenden lässt. So also kürzlich diesen peinlichen, peinvollen, fremdschamschwitzenden, definitiv nichtswürdigen Kommunalclown „Dieter Nuhr“.

Ich schreibe keine Event-Kritik – diese Figur ist lediglich exemplarisch für das, was das„Theater am Marientor“ darbietet, schamfrei offeriert und rückhaltlos für sein Aushängeschild hält. – Ich meine, richtig BEGRIFFEN habe ich es nie, dass bummlig vier- oder fünfhundert Leute jeweilen rund 35 Euro zahlen, um dann anderthalb qualvolle Stunden einem ameisengroßen Hansel zuzuschauen und brav zu applaudieren, der auf einer statisch-langweiligen Bühne gefühlte Ewigkeiten lang unglaublich fade, platte, flache, beschämend unlustige Witzeleien absondert, die in ihrer öden, vorsichtigen Geschmack- und kalkulierten Harmlosigkeit dermaßen langweilig, uninspiriert und deprimierend daherkommen, dass außer meiner schwer dementen Oma kein Anwesender auch nur zu kichern vermochte. Auch ich, am Bildschirm, verspürte noch nicht einmal das anflughafte Zucken eines Schmunzelansatzes, verzog nur zwei-, dreimal vor Fremdscham qualvoll die Wangenmuskulatur. Meine Daamunnherrn, „Dieter Nuhr“!

Dieser unsägliche Typ, diese schmerz-kommödiantische Erbärmlichkeit sui generis, besetzt dabei auch noch die intellektuelle Oberklasse, weil er glaubhaft machen kann, nicht ganz so granatenbrunzdoof wie Mario Barth zu sein, – und das war es auch schon, das ist hinreichend wie Abitur und Führerschein! . – Schlugen sich die zahlenden Zuschauermassen in dem großen, übrigens hübsch gebauten und technisch ganz gut ausgestatteten „Theater“ vor Brüllvergnügen auf die abgehärteten Schenkel? Nein, keineswegs, wie man im Großtanten-Fernseh ZDF bewundern konnte und wofür ich die Duisburger, meine Mitbürger, fast schon wieder zu mögen bereit bin, nein, man beschränkte sich darauf, dem albernen Hampelmann da unten auf der Bühne gelegentlich höflichen, wenngleich hörbar matten Beifall zu spenden; einen Beifall so generös und demütigend herablassend, als hätte eine Versammlung von Studienräten einer Shakspeare-Aufführung beigewohnt, die von engagierten Downsyndrom-Akteuren auf die wackligen Beine gestellt wurde. Wäre ich dieser „Dieter Nuhr“, und mit etwas mehr Ehre im Leib, ich hätte mich selbigen Abends noch erschossen. Aber okay, das ist Geschmacksache. Und ich verstehe, dass man in Duisburg nicht begraben sein möchte, selbst als … hm, … „Comedian“ nicht.

Das Hochfelder Geddo hat jedenfalls, zwischen Großpuff und Bandido’s Place, ein „Theater“. Und zwar, um ein superlustiges Wortspiel der bevorzugten Protagonisten zu verwenden, „nuhr“ ein Theater. Sollte, was ich nicht glaube, das Publikum irgendwann zur Vernunft kommen und nicht mehr zu hirnlosen Knalltüten pilgern, die keine anderen Vorzug aufweisen,als dass man sie aus dem Fernseh kennt – dann, aber auch nur dann, wird das „Theater am Marientor“ seinem wohlverdienten Schicksal begegnen … und – gesprengt werden.

Aah, wie ich den Geruch von Semtex liebe (alles weitere vgl. unter „Amok“…)

 

Verehrtes Publikum, dies ist ein Überfall!

15. September 2009
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Dramaturgie des Verkehrsunfalls: Bei La Fura gibts eine Menge zu gucken...

Ich dachte echt, ich werd nicht mehr! Und so etwas in Recklinghausen! Da hätte man den blasierten Weltmann Kraska aber mal offenen Mundes glotzen sehen können! Und um sein kümmerliches, dummes Leben rennen! „Keine Ahnung, irgendwie so modernes Theater“, hatte man mir gesagt. Na gut, dachte ich damals, Anfang der 90er, pöh, was soll da schon sein, Becketts „Endspiel“ vielleicht, diese köstliche Art hochintellektuell augenzwinkernder Unverständlichkeit, oder vielleicht Aragon, Pinter oder Ionescos „Kahle Sängerin“, okay, bißchen schräg, aber für gelernte Hochdruckhermeneutiker doch kein Problem! Ich habe ja nicht mal Angst vor Virginia Woolf, warum soll ich modernes Theater fürchten? (Genau so gut hätte ich sagen können: „Ich hab meine Mutti auch lieb, warum soll ich mich vor dem Schizo-Serienkiller Norman Bates in Hitchcocks „Psycho“ fürchten?“)

 Es begann damit, daß man zur Einlaßzeit das ca. 500-köpfige Publikum in das lichtlose Dunkel einer fensterlosen, wirklich völlig undurchdringlich finsteren, unbestuhlten Fabrikhalle trieb und dort erstmal kommentarlos einsperrte und sich selbst überließ. Lange, ereignislose, dunkle Minuten! Man konnte oder durfte andere kultivierte TheaterliebhaberInnen neben sich riechen, spüren, erahnen, darunter bestimmt äußerst frisch gebadete, mit erlesener Körper-Lotion eingecremte, kostbare und teure  Audrey-Heburn-Schönheiten  (- „Süße, zieh dir mal was Hübsches an, ja? Wir gehen heute ins Theater!“) im schulterfreien „Kleinen Schwarzen“, – aber zu sehen? Praktisch  nüschte. Die Hand vor Augen nicht!

 Ein nervöses Weilchen standen wir so im Dunklen herum und waren etwas genervt: Hach Gott, dieses REGIETHEATER! Was denn JETZT schon wieder! Ha, von wegen Regietheater, das wär ja noch angegangen. Stattdessen bricht urplötzlich die nackte Horror-Hölle los und über uns herein: grellweiße Stroboskopblitze, brutal donnerndes, dumpf bauchvibrierendes Drum-Gewummer, kalkweiße Suchscheinwerfer-Spotlights, die schreckhaft über die Wände huschen: Und dort, da! Und da! Da drüben auch! Was ist DAS denn!? Von der Hallendecke hangeln sich sechs, sieben, nein noch mehr ekle, unheimliche Halbmenschen herab. Sie tragen gebügeltes Business-Hemd und Krawatte  – ansonsten sind sie nackt. Man sieht im Flackerlicht ihre Penisse baumeln. Die muskulösen Halbwilden turnen äffisch herunter in die Menge. Und was sie da in den Händen tragen? Das sind dröhnend, knatternd, immer wieder aggressiv aufbrüllend, eindeutig… Motorkettensägen. Mit denen rennen sie nun auf uns zu, mitten in die Menge, hinein in den Pulk und wild losgesägt! (Daß sich an den Sägen keine Zahnketten befinden, kann man im flackernden Helldunkel nicht gleich erkennen! Außerdem sind da noch andere zivilisiertere, ebenfalls halbnackte Irre, die mit Supermarkt-Einkaufswagen wild in der auseinanderstiebenden Masse herumkarren und dann noch die, die an fingerdicken klirrenden Stahlketten kiloschwere Schrottklumpen um sich herumwirbeln, um dir damit die Schienbeine zu brechen. Theater? Der absolute Terror! Waren das spießige Zeiten, als man sich in Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ von Schauspielern ein bißchen ausschimpfen ließ! Hier heißt es um sein Leben zu rennen!

 Da ich weder Lust habe, mich von offenbar völlig durchgeknallten Irren zersägen oder mir die Knochen brechen zu lassen, beginne ich, im Dunklen, inmitten einer panisch hin und her wogenden Masse, zu fliehen, planlos, versteht sich. Und da haben sie mich dann schon in der Adrenalin-Situation, in der sie mich sehen wollen: Die nächsten anderthalb Stunden werden wir gnadenlos wie Schafe durch die Halle gehetzt, mit heftig klopfenden Herzen, von Angstlust, Neugier und Entsetzen umhergetrieben. Mal angelockt von wüstem Spektakel, mal fortgescheucht mit Gewalt oder weil Leute aus der Truppe mit mehlgefüllten Papiertüten werfen. Martern, Folter, Opferrituale werden simuliert. Auf fremdartigen Gerüsten und Apparaturen über unseren Köpfen toben halbnackte, durchtrainierte Männer in archaischer Wut, bewerfen sich mit Fleischbrocken, schütteln drohend Speere, spalten mit Hackmessern Köpfe – oder sind das Melonen? Ja, bloß Melonen!– ; weibliche Militante aus der Terroristengruppe – auch sie kampfsporttauglich trainiert und fast nackt – umzingeln uns, kreischen, schreien Unverständliches, hantieren mit brennenden Fackeln, trommeln auf Benzinfässer, spritzen mit etwas, das nach Blut aussieht. In einem wassergefüllten Glastank schwimmt ein nackter Mensch, der mit Stangen traktiert wird, bis sich das Wasser blutig rot färbt…

Am Ende wird es dann noch wirklich brenzlig: Der Saal geht in Flammen auf! Strohballen, ringsum an den Wänden deponiert, brennen lichterloh. Das Finale! Mensch, jetzt nichts wie raus! Puh, was für ein Theaterabend! Die Überlebenden applaudieren teils frenetisch, teils diskutieren sie schon, welche Versicherung das ruinierte Kleid und das aufgeschürfte Knie abdeckt und ob man die Irren nicht verklagen sollte. Ja, Herrschaften, das war das „Theater der Grausamkeit“, von dem der halbwahnsinnige Antonin Artaud immer geträumt hat!

Ich war nämlich nicht in der Parallelwelt, auf einem Rockkonzert von Neandertalern auf Crack oder Crystal Meth, nein, das war eine Veranstaltung der ehrwürdigen Ruhrfestspiele Recklinghausen, und was es zu besichtigen bzw. zu befürchten gab, war die furiose katalanische Schauspielerkommune „La Fura dels Baus“, was aus dem Katalanischen ins Deutsche übersetzt angeblich soviel heißt wie „Das Frettchen von der Müllhalde“ (andere sagen, es bedeute schlicht „Die Kanalratten“) mit ihrem damaligen Projekt Suz/o/Suz. „Die Dramaturgie unserer Stücke“, erläuterte damals ein Mitglied im Interview bedächtig, „folgt der Logik sehr großer, blutiger Verkehrsunfälle.“ Sollte heißen: Man hat fürchterlich Angst, darin verwickelt zu werden, muß andererseits aber immer wieder fasziniert hingaffen….

In den nachfolgenden 15 Jahren mauserte sich die radikal-anarchistische, erstmals schon 1979 gegründete Straßentheater-Kommune zu einer international renommierten und begehrten Gruppe von Schauspielern, Regisseuren, Musikern, Show-und Event-Designern. In letzter Zeit wird die neu formierte Truppe wieder terroristischer, buchstäblich: – sie überfiel, als Terroristen verkleidet und mit Kalaschnikovs bewaffnet, ihre eigene Aufführung von „Boris Godunov“ und inszeniert vor mit den teilsweise völlig veränstigten Zuschauern das Moskauer Geiseldrama von 2002 nach.

(siehe SPIEGEL online:

 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,540066,00.html)

 Die informative Homepage der Theater-Terroristen:

 http://www.lafura.com/web/eng/home.php 

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