Unter der Woche ohne eheliche Aufsicht, unterläuft es mir ab und zu, daß ich spät abends vor laufendem Fernseher einschlafe. Nicht weiter schlimm eigentlich, obschon es mich stört, daß ein unbekannter Besucher meine vorübergehenden Absenzen regelmäßig ausnutzt, um mir die Weinflasche leerzutrinken. Irritierend ist es außerdem, wenn man in dem einen Spielfilm einschläft und mitten in der Nacht in einem ganz anderen Film wieder aufwacht. Man dämmert beispielsweise in einem tiefsinnsblauen, bedächtigen Unterwasserfilm weg und schreckt Stunden später in einem hektischen, schwarzweißen US-Musical wieder hoch, in dem karierte Männer zu kurze und zu enge Anzughosen tragen und ihr alltägliches Handeln mit Duett-Gesang und Steptanz würzen. Hier die fehlende „continuity“ (so nennt es der Fachmann) herzustellen fällt dann im Halbschlaf nicht leicht, Sinnzusammenhänge geraten ins Wanken und am Ende wundert man sich, was man wieder für schnöden Galimathias geträumt hat.
Vor dem Beruf des Filmregisseurs habe ich daher einen Heidenrespekt. Manchmal wäre ich selbst gern einer, weil ich nämlich schon lange die Idee mit mir herumtrage, einmal einen Film zu drehen, indem ein ganz bestimmter, magisch-enigmatischer Dialogsatz vorkommt, den ich ebenfalls mal geträumt habe. Er lautet: „Seien Sie nicht prätentiös! Hier handelt es sich bloß um profane Propangaspropagandaprospekte!“ – Aber was könnte das für ein Film sein?
Ich könnte mir etwas Biographisches vorstellen, etwa die Verfilmung des Lebensweges eines berühmten Dichters wie Goethe oder Erich Kästner. Am Anfang weiß der dünnhäutige Dichter (im Film gespielt von Matthias Schweighöfer) noch gar nichts von seiner ruhmvollen Geistes-Berufung, sondern schuftet noch als ahnungsloser Palaversklave im Textbergwerk einer Werbeagentur, die Reklamesprüche sagenwirmal für EON oder RWE schmiedet. Bleistiftkauend und mit blutigen Fingernägeln hockt der latent talentierte Laberlaborant in seiner Wörterbucht und quält sich leidenschaftlich mit einer „Ode an den himmlischen Äther, Fluidum des Glücks“ ab. Da tritt federnd, in weißem Smoking und mit schwarzem Zylinder, der Chef ins Kontor. Er ist Milliardär und hat das Seminar„Innerbetriebliche Kommunikation in flachen Hierarchien“ nicht belegt. Hat er ja nicht nötig, der Herr!
Dem schüchternen Subjekt und Sensibelius, wo einst ein berühmter Dichter werden und sogar den Nobelpreis ergattern wird, verbietet die fiese Führungspersönlichkeit in dieser Schlüsselszene nun zunächst mal kategorisch, weitere Hoffnung in ein sich anbahnendes Liebestechtelmechtelchen mit seiner, des Bosses, blauäugig blondierter Tochter zu setzen. „Nicht mal planktonisch!“ brüllt der grobianische Herrenmensch, was nebenher nicht nur seinen Mangel an Herzenstakt, sondern auch seine schmachvolle Unbildung unterstreichen soll. Herzzerreissende und bedeutungsschwangere Musik von André Richelieu wird eingespielt. Weinende Geigen greinen geisterhaft geile Galanterien. Im weiteren, immer mehr eskalierenden Verlauf seiner unmäßigen Echauffierung entreißt Häuptling Weißer Smoking seinem schweißgebadeten Texteknecht das mit Herzblut geschriebene Odenbruchstück, schaut kurz höhnend schmiergrinsig darauf herab und dann fällt eben dieser besagte schauerliche Satz: „Seien Sie nicht prätentiös! Hier handelt es sich bloß um profane Propangaspropagandaprospekte!“
Der weitere Fortgang des Streifens interessiert mich eigentlich nicht mehr so sehr. Matthias Schweighöfers Odenbruch kommt irgendwie am Stadttheater von Detmold groß heraus und wird der literarische Überraschungserfolg des Jahres, der junge Dichter wird auf Debütantenbällen, Talentshops und Stalkshows herumgereicht, er kriegt die Tochter vom ehemaligen Chef, der sich nun natürlich verbittert und rumpelstilzchenmäßig irgendwohin beißt, alles wird blau, tief blau, schemenhaft schweben schweigende Mantelrochen und Degenhaie durchs Geflimmer, elektro-blubbernde Unterwassermusik brandet auf und…manno! Jetzt bin ich bei meinem eigenen Film eingeschlafen! Es ist halt schwer, mich kinematographisch zu fesseln.
Eine zusätzliche Würze erhält mein feierabendlicher Fernsehgenuß, vom periodischen Wegdriften mal abgesehen, dadurch, daß ich weder verkabelt bin noch eine Schüssel habe, mit anderen Worten, ich gehöre zu jenen Verdammten, die über DVBT gucken. Ich vergeß immer, was das heißt. Irgendwas Anglotechnisches, was dann aber trotzdem nicht funktioniert. Praktisch jedenfalls heißt DVBT, daß immer dann, wenn ein Tatort-Kriminalstück ausnahmsweise mal spannend wird, und das ist schon selten genug, das Bild einfriert und der attraktiven Hauptdarstellerin der Sprechton im seidentuchumschlungenen Halse stecken bleibt. Funklochbedingt schockgefrostet! Nun muß man wie ein würdeloser Deppenderwisch vom Sofa hochschießen, quer durch seine Gemächer zur Fensterbank rennen und die Zimmerantenne neu ausrichten, damit man hoffentlich gerade noch mitkriegt, wer jetzt Mörder war und wer der Kommissar. Man kommt sich echt vor wie in den späten 50ern, als die Fernsehpioniere noch, in karierten Romika-Puschen und Filzwesten, verzweifelt mit den Fäusten auf ihren konzertflügelgroßen TV-Apparaten herumhämmerten, um „das scheiß Gekrissel wegzukriegen“. Der frühe Herztod meines Vaters geht vermutlich nicht zuletzt auf das Konto solchen schlechten Fernsehempfangs. Zum Glück bin ich nicht, wie er einst, sportschauabhängig.
Wenn man früher vor dem Fernseher einschlief und dann wieder erwachte, war Testbild. So wusste man, es ist Schlafenszeit, und man schlüpfte erleichtert in seinen flanellenen Schlafanzug mit fröhlichem Bärchenmuster. Damit ist es vorbei. In der heutigen Zeit folgt rastlos Film auf Film, rund um die Uhr. Es sei denn, man hat DVBT.
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