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Das „man“ ist Präsident

5. Januar 2012

Tartuffe, Präsident

„Ihn jetzt noch schonen, wäre lächerlich! Zu lange mußte ich die Wut hinunterschlingen über des unverschämten Heuchlers Dreistigkeit, der alles hier im Hause durcheinanderbrachte.“

Jean-Baptiste Molière

 Aah, seht diesen Widerling! Wie er sich windet und wurmt, barmt und bramabasiert, schwankend zwischen schlecht geheuchelter Demut und kaum verhohlener Wut, schleimig und doch giftig aggressiv, sobald der Moment es erlaubt; ein ertappter Hypokrit und Erzschwindler, abgrundtief abgefeimt und doch armselig, ohne Eier, ohne Größe, ein feiger, mieser, kleiner Intrigant und Wichtelwicht, ein normaler, durchschnittlicher Korruptling auf 60cm-Gartenzwergformat; hört nur, wie er zwischen verzeihendem „man“ und anmaßendem „ich“ changiert, wie ein Schmierentragikomödiant chargiert und larviert, Ausflüchte macht, zu Kreuze kriecht, um gleich darauf frech und dreist zum Angriff überzugehen, ein grunddeutscher Gartengiftzwergling eben und Fundamentalheuchler, den Dackelblick geschürzt, die Doppelzunge gewetzt, ein verschlagener Clown, erwischt, ertappt, scheeläugig vor schlechtem Gewissen und dessen ungeachtet impertinent wie ein Straßenbettler mit ge-faktem Holzbein und … – wie? was? Aber nein! Wo denkt ihr denn hin! Ich rede doch nicht vom Bundespräsidenten, das verbietet ja wohl die Würde des Amtes, nein, von Molières genialem „Tartuffe“, dem Urbild des verlogenen Heuchelfrömmlers ist die Rede. Ich empfehle der geneigten Leserschaft, das Reclam-Heft mit Molières bitterer Komödie mal wieder herauszukramen: dreihundert Jahre alt, das Stück, und, wie sich zeigt, noch immer brandaktuell! Darin ist alles gesagt. Und die Idealbesetzung für den „Tartuffe“ wäre…

Aber wo ihr das Thema schon mal aufgebracht habt, Nachbarn: Ich hatte mit der Gattin einen Disput. Sie, die gute, sanfte, verlangt einen Präsidenten, der ethisch-moralisch ein Vorbild ist. Ich hingegen möchte das nicht! Ich hasse Tugendrepubliken! Als Erz-Macho wünsche mir einen Machthaber, einen Usurpator, einen skrupellos machiavellistischen Kulturheroen, der Verbrechen in großem Stil vollbringt, einen Medici, einen Sforza, einen Sarkozy oder wenigstens Berlusconi! Nicht aber ein windelweiches, beschämend defensives Weichei, der irgendwelche Kredit-Petitessen mit subalternen, frechen Journaille-Fritzen noch kleiner redet! Wie beschämend ist das denn!? Ich bin darin Nietzscheaner: Wenn schon Verbrechen, dann in großen Stil, mit emphatischer Geste und mit Aplomb! Hätte er gesagt: „Meine Geschäfte gehen Euch nichtige Schreiberwichte ja wohl einen Scheiß an, Kanaille!“ Ja, dann hätte ich ihn respektieren können!

Aber so? Da sagt aber dieses Mensch, hundeäugig in die Kameras blinzelnd, flehentlich um Liebe heischend: „Man (!) ist ja auch Mensch!“ Wirklich? Daran zweifele ich. Besser, der Windelmann hätte gleich gesagt: „Man ist ja auch nur man…“ – Das hätte dem alten Heidegger (vgl. „Sein und Zeit“, § 27) gefallen:

 „Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß »man« sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. Das Man »war« es immer und doch kann gesagt werden, »keiner« ist es gewesen. In der Alltäglichkeit des Daseins wird das meiste durch das, von dem wir sagen müssen, keiner war es.“

 Man ist ja auch nur „man“! Wahrhaftig. Besser kann man seine Inferiorität, Imbezilität und Indolenz nicht zum Ausdruck bringen! Wäre ich eine tätowierte Frau, und mein Mann hätte nichts bessere zu melden als „man (!) hat ja auch eine Schutzfunktion (!) der Familie gegenüber“ – ich würde den Schwätzer von der präsidialen Luxusbettkante schubsen!

Nein, ich persönlich will keine Mutter Theresa als Präsidentin, und wenn der Mann günstige Kredite und Urlaube erschnorrt hat, ist mir das herzlich Wurst! Was hab ich denn mit dem lächerlichen Privilegien der Reichen zu schaffen! – Aber bitte, Stil! Stil muss er doch haben! Dichter und Maler soll er fördern, großartige Architekten beschäftigen, Prachtbauten initiieren, Atemberaubendes in die Welt setzen! Von den grundbösen, korrupten und gewalttätigen Medici spricht und schwärmt noch heute die Welt. Aber … der?

Dieser Reihenhaus-Zwerg soll uns repräsentieren? – Ich fürchte ja. Tartuffe ist unser Präsident. Besseres müssen wir uns erst verdienen.

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