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Protestsong mit Hähnchenbezug

29. September 2010

Farblich schon im Niedergang: Das altdeutsche Grill-Hähnchen (Fotoquelle: Wikipedia, Artikel "Grillhähnchen")

Ich wurde durch Liedgut sozialisiert, das man einstmals als „Protestsong“ bezeichnete. „Sag mir, wo die Hähnchen sind, wo sind sie ge-blie-hie-ben?“ – sang das nicht früher diese eine Dissidenten-Diseuse, Marlene Diva? Die Matrosen-Matrone Lale Andersen? Oder war es Joan Baez, die singende Sägeschliff-Sirene? Gleichviel. Ich wenigstens grölte den Protest lauthals und „aufs allerschärfste“ mit, denn irgendwann in den 80er oder 90ern, man weiß nicht recht, wie, verschwanden, Zugvögeln gleich, plötzlich die Grillhähnchen und Brathendl aus dem Fastfood-Angebot der Stadt, vergrämt wohl vom schnöden Öztürk-Döner. Abserviert, kalt gemacht, ausgeflogen, blown in the wind. Und dabei fraß doch ich junger Bursche dieses köstliche Knuspertier von der Stange, akkurat halbiert (das Hähnchen natürlich, nicht ich!) für mein Leben gern! (Appetitzügelnde TV-Berichte über Hühner-KZs waren noch unbekannt.)

Von kulinarischen Kultiviertheiten noch nicht kolonialisiert, hätte ich auf die Frage nach meiner Leibspeise daher ungescheut gekräht: „Einma halbet Hähnchen mit Pommes-Mayo für zum mit“! – Aah, deutsch-leitkulturelles, mördermäßig mittelalterliches, ja geradezu steinzeitliches, indes wahrhaft wollüstig-sinnliches  Schnell-Mahlzeit-Vergnügen: Auswickeln, auftischen, mit Chayenne-Pfeffer und Paprika nachwürzen und dann lustvoll-gierig, mit bloßen Fingern, fettigen Lippen und gefletschten Zähnen, dem Prachtvogel zu Leibe rücken! Kusperhaut knabbern, Flügelchen reißen, Schenkelchen beißen, Knöchelchen zutzeln, Zum Schluß zartes Brüstchen goutieren! Quel plaisir extraordinaire!

Als ich damals zur Erholung oder Erbauung (u.a. von maoistischen KPD/ML-Zellen) ins Ruhrgebiet verschickt wurde, gab es hier noch an jeder Ecke einen urdeutschen Imbiß, zum Beispiel den legendären, geradezu mythischen „Hähnchen-Hans“ in Duisburg-Althamborn, zu dem täglich klassenbewusste proletarische Pilgerströme aus der ganzen westlichen Region wallfahrteten, um geduldig für ein unglaublich schmackhaftes, durchaus schwer unschmächtiges, nahezu poulardenhaftes, außen knuspriges, innen saftiges Grillhähnchen anzustehen und sich mit demselben, zuzüglich einiger Portionen Flaschbier, dann den knochenhart erarbeiteten Feierabend zu krönen. Proletarisch-paradiesische Zeiten, das! – „But all good things come to an end“, wie ein anderes schönes Protest-Lied es zu Recht bittersüß beklagt.

Das gediegene Montan-Proletariat wurde zügig abgewickelt und struktursaniert, wodurch offenbar auch der Markt für dessen Ernährungsbasis kollabierte. Niederste Fremdenfreundlichkeitsinstinkte trieben das dumme Volk der Autochthonen fortan zu Pizza, Gyros und: Döner, Döner, Döner. Drehspieß killed the fried chicken star! Die ruhrdeutschen Gold- bzw. Kohlegräberstädte verödeten; Geier kreisten über den erloschenen Hoch- und Grill-Öfen, durch die öden Leerstandszonen rollten tumbleweeds und alles war vollgemacht von adipös verquollene Tauben, die sich gänzlich schamlos artwidrig die labbrigen Schabefleisch-Batzen aus nachgelassenen pappigen Brottaschen pickten, bis sie vor Übergewicht das Fliegen verlernten!

Jüngst hat indes in der aufgelassenen alten Serben-Spelunke „Novi Pazar“, inmitten der Döner-Hochburg Hochfeld, nun ein brandneuer Hähnchen-Grill eröffnet – mit türkischer Besatzung, türkischem Geld (nicht zu knapp, schätz ich) und, leider, türkischem KnowHow. Erst wollte mein nostalgisch befeuertes Seniorenherz ja jugendfrisch zu hüpfen beginnen, doch die Probe erwies, dieser Laden bestätigt bedauerlicherweise die Regel, von der er leider noch nicht mal  Ausnahme bildet: Das urdeutsche Handwerk des Hähnchen-Grillens bleibt ausgestorben. Definitiv & irreversibel.

Das Hendl war nicht etwa verlockend goldbronzen, sondern camouflage-fleckig dunkelbraun; statt, wie beworben, „knackig und saftig“, bloß vulgär fetttriefend und matschlastig. Es hüllte sich überdies auch nicht in begehrte köstliche Knusprigkeit, sondern in eine extrem betrübliche, abstoßende Art glitschigen, gebratenen Gummimantel, dessen ölige Geschmacksfreiheit man durch überreichliche Hyper-Salzung zu kaschieren suchte. Noch im tot gebratenen Zustand beklagte sich das arme Tier mit Recht über seine Herkunft aus einem industriellen Mastbetrieb.

Der Salatschmuck zur Beerdigung beschränkte sich auf ein lieblos und karg auf den Teller gepatschtes, unter allen Standards operierendes Gurken-und Tomatengefitzel, einen Schlag trübsinnig angesäuerten, unnatürlich blassgrünen Krauts plus einen Esslöffel Bohnen in einem obskuren Joghurt(?)dressing, von denen ich lieber die Finger ließ. Dazu ganz akzeptable, wenn auch mordsfettschwere Pommes mit Mayo, aber wegen der Pommes geh ich ja nicht in eine Hähnchenbraterei; dazu eine Cola (wie zum Hohn „light“), alles zusammen als „Menü 1“ für 4,50 Euro, was natürlich viel zu billig ist, um artgerecht gezüchtetes Geflügel zu bieten.

Der Service ist für eine Imbissbude überaus bemüht und freundlich, was aber die Sehnsuchtstränen über eine untergegangene Köstlichkeit nicht trocknen konnte – sie versalzten das Unglücksgeflügel eher noch zusätzlich, überflüssigerweise. –

Ich wage hier mithin die umstrittene Behauptung, dass der Multikulturalismus nicht in JEDEM Falle eine Bereicherung darstellt. Das leitkulturelle Wappentier der alten Bundesrepublik jedenfalls, das gegrillte Hendl, es kehrt wohl nimmermehr zurück. Wie’s Edgar Allen Poes Rabe („The Raven“) ausdrückt: „Never more, never more“.  Zu Ehren des ausgestorbenen Knusperhähnchens kippte ich, wieder zurück in der Geddo-Klause, gedanken- und magenschwer, einen doppelten Ouzo.

Dann stimmte ich einen Protestsong an: diesen hier.

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Das Leben: Tulp Fiction

9. April 2009
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Die digitale Tulpenmamsell: Nein danke!

Das Leben: Bloß Tulp Fiction

 Pssst, mal eben! Es klingelt an der Haustür! Wer mag das sein? Zeugen Jehovas auf mission impossible? Strenge GEZ-Kontrolleure? Der Kabelfirma verwahrloste Brut? Mais non! Weit daneben! Es ist das Leben, das Leben selbst, das pure, pralle, lächelnde, ja ungescheut breit lachende Leben! – Aber der Reihe nach: Zunächst drängt sich mir in Brusthöhe ein üppiger, farbenstrotzender, brutalst frühlingshafter, tabulos sich vorwölbender Tulpenstrauß entgegen, ein Strauß mit Körbchengröße „D“ sozusagen. Wie das prangt, prunkt und rundum punktet! Ist sich der Königin des Blumens: die Tulipane! Wofür dereinst der barocke Pfeffersack-Niederländer im Wahn sich heillos verspekulierte, duellierte und zu Grund ruinierte, des Zwiebels Kern, des Türken-Sultans geile Lieblingsblüte, duftlos zwar, aber multi-bunt und so exotisch muselmanisch wie sonst nur Harem, Hamam und Honigkuchen. Hach, die Tulpe! Tulpe aus Amsterdam! Hier steht sie stramm wie Süleyman der Prächtige vor Wien, dräuend und lockend, in Kompaniestärke, Stücker fuffzich Mann Tulipan, in rot und gelb und weiß und pink und lachs und aubergine und weißnichtwas, halt wie der Schnabel gewachsen ist, ein Durcheinander wie auf der Hochzeit von Osman und Christoph, es beißt sich ein bißchen, aber egal, es ist die natürlichste Sache der Welt, da strotzt und protzt halt der von den osmanischen Hormonellen stammende Tulpenstrauß gern vor symbolischer Lebensfreude, verheißener Neuerwachung von Sexualität, saturnalischem Gezuppel und sittenlosem Sonnenhunger!

Doch der Strauß ist nicht allein gekommen! Da schau mal an, was hamwer denn da noch? Einen Hasen? Ein Häschen? Ein Mäuschen? Abermals: au contraire! Merhaba, schöne Mamelucken-Maid, hos geldiniz, Fräulein  Tulpenmamsell! Sie krönt der Tulpen Chor mit einem augensprengend weißen, zahnspangen-trainierten, strahlenden Lächeln, einem herzlichen, herzensguten Lachen sogar, das man, da von einer jungen (ca. 28) Dame vorgetragen, als entwaffnend empfinden könnte. Honigblond ist sie, wie ich’s leiden mag, mit heutigentags modernen, vollkommen natürlich wirkenden Strähnchen, aber keineswegs klebrig, sondern frisch, innovativ, angesagt, ja  beinahe frühblüherhaft-knackigfrisch entwaffnet mich die in ein violettes Hemdblusenkleid kleidsam eingehüllte Besucherin mit ihrem tulpig blumigen Flair. Duftet sie? Ist sie vielleicht sogar eine Spur sexy? Man ahnt so manches. Stille Wasser, und so weiter. Obwohl, still ist sie gar nicht! „Lassen Sie das Leben rein!“ brüllt sie mir jugendlich nonchalant, aber doch respektvoll entgegen. Immerhin duzen wir uns noch nicht! Soll ich sie hereinbitten? Wie verhält man sich leger, cool, aber korrekt, wenn es klingelt und das Leben steht in Form eines trächtigen, also Tulpenstrauß tragenden Blumenmädchens vor der Tür?

Normalerweise würde ich entgegnen: „Da muß ich erstmal meine Frau fragen“. Bei aller in sturmgezausten Ehejahren erworbener Toleranz, ich weiß nicht, ob die Gattin, aus den von ihr streitbar eroberten Männerdomänen heimkehrend, mich gern bei einem rokoko-haft verspielten Schäferstündchen mit einem Tulpenmädchen ertappen möchte. Wie ich die Gattin kenne, dränge mir zumindest ein scharf missbilligender Blick ins Gebein! Anderseits: – das Leben!

Wie lange warte ich schon darauf, daß das richtige Leben beginnt! Erst dachte ich, es kommt nach dem Abitur, oder mit dem ersten Sex, wenigstens nach Scheidung der ersten Ehen, nach Absolvierung der Midlife-Crisis jedenfalls, oder doch zumindest, wenn die Kinder aus dem Haus sind! Das Leben! Und jetzt, wo es mit einem Blumenstrauß auftaucht, um sich zu entschuldigen, daß es mich rund 50 Jahre hat warten lassen, soll ich ihm die Tür vor dem entzückenden Näschen zuschlagen? Außerdem, ich bin doch noch immer so neugierig auf das richtige Leben! Soll ich’s also „reinlassen“?

Wiederum aber: Ich bin mittlerweile abgebrüht genug, um nicht bei jedem jungen Weibe, das mir ungebeten ein Lächeln schenkt, gleich den Verstand zu verlieren. Schweißausbrüche, Herzrasen und weiche Knie reichen doch vollkommen! Und um die Wahrheit zu sagen: Bei allzu süß strahlenden Sex-Sirenen schau ich heute vorsichtshalber erstmal aufs … Kleingedruckte. Lebenserfahrung: Je hübscher das Fräulein, desto länger der Schwanz des Kleingedruckten, der Klauseln, Kautelen und Kasuistiken, der Sorgerechtsvorbehalte, Unterhaltsansprüche und Zugewinngemeinschaftsvereinbarungen. Vorsicht: Leben! Das Leben des amourösen Heroen (vgl. Casanova, Schürzenjäger, Womanizer) ist eines der teuersten. Also buchstabiere ich das Kleingedruckte und stürze mich ins eiskalte Blumenwasser der Ernüchterung: Das Leben, das ich „reinlassen“ soll, ist nicht etwa lauter Sex, Sinnlichkeit und Paarungslust, sondern vielmehr: „Internet + Telefon + Digital TV“! Oooch, Manno! Alles wieder nur Talmi, Trash und Tulp Fiction! Das „Leben“, pah! Kenn ich, hab ich, war ich schon! Besten Dank! Für „Internet + Telefon“ setz ich doch meine Ehe nicht aufs Spiel! Das Leben kann mich mal! Da geh ich lieber fernsehen, oder ruf mal wen an. Tut mir leid, liebreizende Amsterdamer Tulpendame! Leb, mit wem du willst – mit mir nicht! Mit mir nicht! Und: rummms! Tür zu. Mag es sich doch weinend von dannen schleichen, das sogenannte Leben!