Das Leben: Bloß Tulp Fiction
Pssst, mal eben! Es klingelt an der Haustür! Wer mag das sein? Zeugen Jehovas auf mission impossible? Strenge GEZ-Kontrolleure? Der Kabelfirma verwahrloste Brut? Mais non! Weit daneben! Es ist das Leben, das Leben selbst, das pure, pralle, lächelnde, ja ungescheut breit lachende Leben! – Aber der Reihe nach: Zunächst drängt sich mir in Brusthöhe ein üppiger, farbenstrotzender, brutalst frühlingshafter, tabulos sich vorwölbender Tulpenstrauß entgegen, ein Strauß mit Körbchengröße „D“ sozusagen. Wie das prangt, prunkt und rundum punktet! Ist sich der Königin des Blumens: die Tulipane! Wofür dereinst der barocke Pfeffersack-Niederländer im Wahn sich heillos verspekulierte, duellierte und zu Grund ruinierte, des Zwiebels Kern, des Türken-Sultans geile Lieblingsblüte, duftlos zwar, aber multi-bunt und so exotisch muselmanisch wie sonst nur Harem, Hamam und Honigkuchen. Hach, die Tulpe! Tulpe aus Amsterdam! Hier steht sie stramm wie Süleyman der Prächtige vor Wien, dräuend und lockend, in Kompaniestärke, Stücker fuffzich Mann Tulipan, in rot und gelb und weiß und pink und lachs und aubergine und weißnichtwas, halt wie der Schnabel gewachsen ist, ein Durcheinander wie auf der Hochzeit von Osman und Christoph, es beißt sich ein bißchen, aber egal, es ist die natürlichste Sache der Welt, da strotzt und protzt halt der von den osmanischen Hormonellen stammende Tulpenstrauß gern vor symbolischer Lebensfreude, verheißener Neuerwachung von Sexualität, saturnalischem Gezuppel und sittenlosem Sonnenhunger!
Doch der Strauß ist nicht allein gekommen! Da schau mal an, was hamwer denn da noch? Einen Hasen? Ein Häschen? Ein Mäuschen? Abermals: au contraire! Merhaba, schöne Mamelucken-Maid, hos geldiniz, Fräulein Tulpenmamsell! Sie krönt der Tulpen Chor mit einem augensprengend weißen, zahnspangen-trainierten, strahlenden Lächeln, einem herzlichen, herzensguten Lachen sogar, das man, da von einer jungen (ca. 28) Dame vorgetragen, als entwaffnend empfinden könnte. Honigblond ist sie, wie ich’s leiden mag, mit heutigentags modernen, vollkommen natürlich wirkenden Strähnchen, aber keineswegs klebrig, sondern frisch, innovativ, angesagt, ja beinahe frühblüherhaft-knackigfrisch entwaffnet mich die in ein violettes Hemdblusenkleid kleidsam eingehüllte Besucherin mit ihrem tulpig blumigen Flair. Duftet sie? Ist sie vielleicht sogar eine Spur sexy? Man ahnt so manches. Stille Wasser, und so weiter. Obwohl, still ist sie gar nicht! „Lassen Sie das Leben rein!“ brüllt sie mir jugendlich nonchalant, aber doch respektvoll entgegen. Immerhin duzen wir uns noch nicht! Soll ich sie hereinbitten? Wie verhält man sich leger, cool, aber korrekt, wenn es klingelt und das Leben steht in Form eines trächtigen, also Tulpenstrauß tragenden Blumenmädchens vor der Tür?
Normalerweise würde ich entgegnen: „Da muß ich erstmal meine Frau fragen“. Bei aller in sturmgezausten Ehejahren erworbener Toleranz, ich weiß nicht, ob die Gattin, aus den von ihr streitbar eroberten Männerdomänen heimkehrend, mich gern bei einem rokoko-haft verspielten Schäferstündchen mit einem Tulpenmädchen ertappen möchte. Wie ich die Gattin kenne, dränge mir zumindest ein scharf missbilligender Blick ins Gebein! Anderseits: – das Leben!
Wie lange warte ich schon darauf, daß das richtige Leben beginnt! Erst dachte ich, es kommt nach dem Abitur, oder mit dem ersten Sex, wenigstens nach Scheidung der ersten Ehen, nach Absolvierung der Midlife-Crisis jedenfalls, oder doch zumindest, wenn die Kinder aus dem Haus sind! Das Leben! Und jetzt, wo es mit einem Blumenstrauß auftaucht, um sich zu entschuldigen, daß es mich rund 50 Jahre hat warten lassen, soll ich ihm die Tür vor dem entzückenden Näschen zuschlagen? Außerdem, ich bin doch noch immer so neugierig auf das richtige Leben! Soll ich’s also „reinlassen“?
Wiederum aber: Ich bin mittlerweile abgebrüht genug, um nicht bei jedem jungen Weibe, das mir ungebeten ein Lächeln schenkt, gleich den Verstand zu verlieren. Schweißausbrüche, Herzrasen und weiche Knie reichen doch vollkommen! Und um die Wahrheit zu sagen: Bei allzu süß strahlenden Sex-Sirenen schau ich heute vorsichtshalber erstmal aufs … Kleingedruckte. Lebenserfahrung: Je hübscher das Fräulein, desto länger der Schwanz des Kleingedruckten, der Klauseln, Kautelen und Kasuistiken, der Sorgerechtsvorbehalte, Unterhaltsansprüche und Zugewinngemeinschaftsvereinbarungen. Vorsicht: Leben! Das Leben des amourösen Heroen (vgl. Casanova, Schürzenjäger, Womanizer) ist eines der teuersten. Also buchstabiere ich das Kleingedruckte und stürze mich ins eiskalte Blumenwasser der Ernüchterung: Das Leben, das ich „reinlassen“ soll, ist nicht etwa lauter Sex, Sinnlichkeit und Paarungslust, sondern vielmehr: „Internet + Telefon + Digital TV“! Oooch, Manno! Alles wieder nur Talmi, Trash und Tulp Fiction! Das „Leben“, pah! Kenn ich, hab ich, war ich schon! Besten Dank! Für „Internet + Telefon“ setz ich doch meine Ehe nicht aufs Spiel! Das Leben kann mich mal! Da geh ich lieber fernsehen, oder ruf mal wen an. Tut mir leid, liebreizende Amsterdamer Tulpendame! Leb, mit wem du willst – mit mir nicht! Mit mir nicht! Und: rummms! Tür zu. Mag es sich doch weinend von dannen schleichen, das sogenannte Leben!
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